FG Münster: Auftragsforschung einer öffentlich-rechtlichen Hochschule unterliegt dem regulären Umsatzsteuersatz
FG Münster, Urteil vom 10.4.2014 – 5 K 2409/10 U
Sachverhalt
Streitig ist, ob Umsätze, welche die Klägerin im Rahmen ihres Betriebs gewerblicher Art „Auftragsforschung“ erbracht hat, gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.
Die Klägerin ist eine Hochschule und als solche eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Am 15.02.2001 schloss die Klägerin einen Werkvertrag mit Y , in welchem sie sich zur Durchführung und Erstellung einer wissenschaftlichen Studie über … verpflichtete. Gemäß § 1 des Werkvertrages diente die Studie der wissenschaftlichen Begleitung eines Modellvorhabens im Sinne der §§ 63 ff. SGB V. …
Diesem Werkvertrag schlossen sich der … , … , … sowie … durch Beitrittsvertrag vom 14.05.2001 und … durch Beitrittsvertrag vom 15.05.2001 an.
In Durchführung des Werkvertrages erstattete die Klägerin im Februar 2002, Juli 2002, Juni 2003 und Juli 2004 jeweils einen Zwischenbericht. Im Oktober 2006 erstattete die Klägerin den Abschlussbericht. Mit Schreiben vom 28.11.2006 erklärte Y die Abnahme des Abschlussberichts.
In Durchführung des Werkvertrages erteilte die Klägerin folgende Rechnungen an Y:
Re.-Datum |
Re.-betragbrutto |
Re.-betragnetto |
USt |
USt-Satz |
19.03.2001 |
xxx |
xxx |
xxx |
16% |
25.06.2001 |
xxx |
xxx |
xxx |
16% |
25.06.2001 |
xxx |
xxx |
xxx |
16% |
12.06.2002 |
xxx |
xxx |
xxx |
16% |
21.02.2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
21.02.2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
21.07.2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
16.06.2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
06.08.2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
13.11.2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
13.01.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
09.01.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
13.01.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
01.07.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
24.06.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
12.11.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
29.11.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
19.11.2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
7% |
Die Zahlungen auf die von der Klägerin zuletzt im November 2004 erteilten Rechnungen gingen bei ihr im Jahr 2005 ein. Die vorher berechneten Entgelte wurden zeitnah bezahlt.
Mit Verfassung vom 23.12.2002 errichtete die Klägerin einen Betrieb gewerblicher Art mit der Bezeichnung „…“ (nachfolgend „BgA Auftragsforschung“ bzw. „BgA“). § 2 der Errichtungsurkunde, welche durch den Kanzler in Vertretung des Universitätsrektors unterzeichnet ist, hat folgenden Wortlaut: …
Im Rahmen des Verfahrens zur Überprüfung des Gemeinnützigkeitstatus des BgA erteilte der Beklagte der Klägerin mit den Schreiben vom 21.11.2006 die Auskunft, dass der Gemeinnützigkeitsstatus zu versagen sei. Daraufhin wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 12.12.2006, auf das Bezug genommen wird, an Y und bat um Begleichung der Differenz zwischen der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer von 7% zur regulären Umsatzsteuer von 16%. Der Y lehnte die Begleichung dieses Differenzbetrages mit Schreiben vom 19.12.2006 ab.
Im März 2007 führte der Beklagte eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2006 durch. Gegenstand der Umsatzsteuer-Sonderprüfung war die Versteuerung der Umsätze aus dem Werkvertrag mit der Y. Im Prüfungsbericht vom 14.03.2007 war der Prüfer der Auffassung, dass die von der Klägerin ermittelte Mehrsteuer im Veranlagungsjahr 2006 umsatzsteuererhöhend zu berücksichtigen sei. Zur Begründung wird im Prüfungsbericht vom 14.03.2007 ausgeführt, dass die durch den BgA erbrachten Leistungen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterlägen, da der BgA nicht die Voraussetzungen des § 68 Nr. 9 AO erfülle. Der BgA bestehe in erster Linie aus der vorliegend streitigen Studie. Dabei stehe nicht die Erzielung wissenschaftlicher Ergebnisse im Vordergrund; vielmehr diente die Studie in mindestens gleichwertiger Weise der Erstellung einer Kosten-/Nutzen-Analyse unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten. Die …-Studie habe kein medizinisches Ergebnis hervorgebracht, das bisher wissenschaftlich nicht gesichert gewesen sei. Der BgA sei zudem eher projektleitend tätig gewesen. Weiterhin sei durch die Tätigkeit nicht die Allgemeinheit unmittelbar gefördert worden. Auftraggeber seien die Träger von Krankenversicherungen gewesen, die wirtschaftlich von den Arbeitsergebnissen profitiert hätten. Es gelte daher der reguläre Steuersatz gem. § 12 Abs. 1 UStG. Die Umsatzsteuer entstehe mit Ablauf des Voranmeldungszeitraum Dezember 2006, in welchem die Leistung ausgeführt worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht der Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom 14.03.2007 Bezug genommen.
Der Beklagte erließ am 23.03.2007 einen geänderten Bescheid über die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat Dezember 2006 unter Zugrundelegung der Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung. Hiergegen legte die Klägerin am 11.04.2007 Einspruch ein.
Am 11.02.2008 gab die Klägerin die Umsatzsteuerjahreserklärung für 2006 ab, in welcher sie die Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung nicht berücksichtigte. Aus der Erklärung ergab sich eine Umsatzsteuer in Höhe von xxx EUR. Am 14.07.2008 erließ der Beklagte einen Umsatzsteuerjahresbescheid, der Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde und mit welchem er die Umsatzsteuer auf xxx EUR festsetzte. Den Steuermehrbetrag in Höhe von xxx EUR berechnete der Beklagte wie folgt:
Jahr |
netto |
Umsatzsteuer 7% |
Mehr-Umsatzsteuerbei 16% |
2003 |
xxx |
xxx |
xxx |
2004 |
xxx |
xxx |
xxx |
2005 |
xxx |
xxx |
xxx |
xxx |
xxx |
Mit Einspruchsentscheidung vom 01.06.2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin macht geltend, dass die auf Grundlage des Werkvertrages erbrachten Leistungen gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterlägen. Es handele sich um Leistungen einer unmittelbar gemeinnützig tätigen Körperschaft i.S. der §§ 51 ff. AO. Der BgA erfülle – entgegen der Auffassung des Beklagten – die Zweckbetriebsfiktion des § 68 Nr. 9 AO. Die Klägerin habe im Rahmen des Betriebs gewerblicher Art Auftragsforschung betrieben. Es handele sich bei den erstellten Studien nicht um die Anwendung gesicherter Erkenntnisse, vielmehr habe die Durchführung der Studien eine Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Methodik erfordert.
Auch das in § 68 Nr. 9 AO kodifizierte Finanzierungserfordernis sei erfüllt, da sich die Klägerin unstreitig überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand finanziere. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei in diesem Zusammenhang nicht die Finanzierung des BgA, sondern die Finanzierung der Klägerin als der Trägerin des BgA zu betrachten. Dies folge aus dem Wortlaut des § 68 Nr. 9 Satz 1 AO, wonach die Regelung für Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen gelte, „deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand … finanziert“. Auch die systematische Auslegung spreche für dieses Verständnis. Denn der BgA werde im Körperschaftsteuerrecht als nicht steuerrechtsfähiges, organisatorisch in eine andere Struktur eingegliedertes Objekt der Gewinnermittlung behandelt. Auch der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Norm des § 68 Nr. 9 AO die Auftragsforschung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfassen könne. In der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 1997 seien die „Forschungseinrichtungen von staatlichen Hochschulen“ ausdrücklich angesprochen worden (vgl. BR-Drucks. 390/96 v. 24.05.1996, S. 89). Schließlich spreche auch der Sinn und Zweck des § 68 Nr. 9 AO für das von der Klägerin vertretene Verständnis. Das Ziel der Norm liege in der Privilegierung der Auftragsforschung; es sei nicht ersichtlich, weshalb die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betriebene Auftragsforschung hiervon ausgenommen werden sollte. Hierin liege zudem eine im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber den gemeinnützigen juristischen Personen des Privatrechts.
Auch die allgemeinen gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt. Insbesondere verfüge der BgA über eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Satzung i.S. der §§ 59, 60 AO.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrags der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 14.09.2010, 03.11.2010, 21.01.2011 und 27.05.2013 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 14.07.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.06.2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer um xxx EUR herabgesetzt wird,
hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
Nach Auffassung des Beklagten kann der BgA nicht als Zweckbetrieb i.S. des § 68 Nr. 9 AO qualifiziert werden. Es fehle an dem Tatbestandserfordernis der überwiegenden Zuwendungsfinanzierung. Der BgA sei Träger der Forschungseinrichtung, so dass bei der Überprüfung der Zuwendungsfinanzierung nicht die Klägerin, sondern allein der BgA zu betrachten sei. Der BgA betreibe ausschließlich Auftragsforschung und werde nicht, wie von § 68 Nr. 9 AO vorausgesetzt, überwiegend aus Mitteln der öffentlichen Hand finanziert. Es habe in den vergangenen Jahren Gesetzesänderungsvorschläge zur Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 68 Nr. 9 AO gegeben, nach denen die Norm ausdrücklich auch für Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gelten sollte. Diese Vorschläge seien indes nicht umgesetzt worden. Der Umstand, dass eine ausdrückliche Gesetzesänderung als notwendig betrachtet wurde, zeige, dass die gegenwärtige Regelung des § 68 Nr. 9 AO nach allgemeiner Auffassung nicht auf die Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts anzuwenden sei.
Da der BgA ausschließlich Auftragsforschung betreibe, verfüge er nicht über einen ideellen Bereich. Die Klägerin habe zudem nicht den Nachweis erbracht, dass die tatsächliche Geschäftsführung des BgA den gesetzlichen Anforderungen und den Satzungsbestimmungen entspricht. In den vorgelegten Jahresabschlüssen seien lediglich drei Auftragsforschungsprojekte beschrieben; es würden jedoch keine Angaben zum ideellen Tätigkeitsbereich der Klägerin gemacht. Außerdem werde die Klägerin im Rahmen ihres BgA nicht selbst forschend tätig, sondern sei lediglich Auftraggeber von Forschungsaufgaben bzw. Projektträger. Außerdem trete die Klägerin in Wettbewerb zu privaten Forschungseinrichtungen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die zusätzliche Umsatzsteuerschuld, die sich aus der Anwendung des regulären Steuersatzes ergebe, im Streitjahr 2006 zu berücksichtigen sei. Es handele sich bei den in den Jahren 2001 bis 2004 vorab abgerechneten Zahlungen um Anzahlungen i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 UStG. Diese Gesetzesbestimmung sei nur für die Entstehung der Steuer, nicht jedoch auch für die Höhe des anwendbaren Steuersatzes maßgeblich. Da das geschuldete Werk erst im Jahr 2006 abgeliefert worden sei, sei auch erst in diesem Veranlagungsjahr über den anwendbaren Steuersatz zu entscheiden. Etwas anderes würde lediglich dann gelten, wenn die Klägerin in den Vorjahren Teilleistungen gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und 3 UStG erbracht hätte. Wenn zwischen der Vereinnahmung des (Teil-)Entgelts und dem Zeitpunkt der Leistungserbringung eine Steuersatzänderung eintrete, ergebe sich für das vor der Steuersatzänderung vereinnahmte Entgelt eine sog. Nachsteuer (bzw. die Erstattung der negativen Nachsteuer im Falle einer Steuersatzminderung). Diese Nachsteuer sei grundsätzlich in dem Voranmeldungszeitraum anzumelden und zu entrichten, in welchem die Leistung ausgeführt werde; vorliegend sei dies das Streitjahr 2006.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beklagtenvortrags wird auf die Schriftsätze vom 15.12.2010, 03.02.2011 und 14.01.2014 Bezug genommen.
Die Sache ist am 10.04.2014 vor dem Senat mündlich verhandelt worden. Auf das Protokoll wird Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die streitbefangenen Umsätze aus dem Werkvertrag mit Y unterliegen – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht dem ermäßigten Umsatzsteuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst a UStG, sondern vielmehr dem regulären Umsatzsteuersatz gem. § 12 Abs. 1 UStG. Dennoch hat die Klage Erfolg, weil der Beklagte die Umsatzsteuer, die sich aus dem Ansatz des regulären Umsatzsteuersatzes ergibt, im falschen Veranlagungszeitraum angesetzt hat. Da die Klägerin die Entgelte bereits in den Jahren 2003 bis 2005 in Form von Anzahlungen gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG vereinnahmt hat, hätte der Beklagte die zusätzliche Umsatzsteuer, die sich aus der gebotenen Anwendung des regulären Umsatzsteuersatzes ergibt, bereits in diesen Jahren und nicht erst im streitbefangenen Veranlagungsjahr 2006 ansetzen müssen. Die Klägerin schuldet die festgesetzte Umsatzsteuer auch nicht nach § 14c Abs. 1 UStG aufgrund der am 12.12.2006 erteilten Nachtragsrechnung.
I.
Die Klägerin hat auf Grundlage des Werkvertrages vom 15.02.2001 steuerpflichtige sonstige Leistungen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 9 UStG an die Krankenkassenverbände erbracht. Die geschuldete Werkleistung liegt in der Erstattung der Studie. Die Klägerin ist als juristische Person des öffentlichen Rechts im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art unternehmerisch tätig, wobei ihr die Tätigkeiten ihrer unselbständigen Einrichtungen, zu denen auch der vorliegende BgA zählt, zuzurechnen sind. Der Bereich „Auftragsforschung“ war nicht hoheitlich, denn die Klägerin hat mit ihren Auftraggebern privatrechtliche Vereinbarungen geschlossen (s. dazu z.B. BFH-Urteil vom 03.07.2008 V R 51/06 BStBl. II 2009, 213).
Die Umsätze der Klägerin unterliegen dem regulären Steuersatz.
Entgegen der Auffassung der Klägerin findet der ermäßigte Umsatzsteuersatz gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst a UStG i.V.m. §§ 51 ff., 68 Nr. 9 AO keine Anwendung auf die streitbefangenen Umsätze. Es handelt sich bei dem BgA nicht um eine als gemeinnützig anzuerkennende Körperschaft i.S. der §§ 51 ff. AO. Die Forschungstätigkeit, der die Klägerin im Rahmen des BgA nachgeht, kann weder nach der Bestimmung des § 68 Nr. 9 AO noch nach der allgemeinen Regelung des § 65 AO als steuerbegünstigter Zweckbetrieb qualifiziert werden. Andere steuerbegünstigte Zwecke i.S. der §§ 52 ff. AO verfolgt der BgA ersichtlich nicht.
1.
Der BgA Auftragsforschung erfüllt nicht den Tatbestand des § 68 Nr. 9 UStG. Es handelt sich bei ihm nicht um eine Wissenschafts- oder Forschungseinrichtung, deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert. Das Finanzierungserfordernis des § 68 Nr. 9 AO ist nicht erfüllt, da der BgA sich ausschließlich aus Entgelten für Forschungstätigkeit finanziert.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass im vorliegenden Fall nicht der Betrieb gewerblicher Art, sondern sie selbst als Träger der Wissenschafts- und Forschungseinrichtung i.S. § 68 Nr. 9 AO anzusehen sei. Das Finanzierungserfordernis des § 68 Nr. 9 AO sei auf ihrer Ebene erfüllt, da sie sich als juristische Person des öffentlichen Rechts überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand finanziere.
Dieser Rechtsauffassung der Klägerin kann aufgrund der nachfolgenden Erwägungen nicht gefolgt werden:
Im Regelungszusammenhang des § 68 Nr. 9 AO bezeichnet der Begriff „Träger“ die steuerbegünstigte Körperschaft, während der Begriff „Wissenschafts- und Forschungseinrichtung“ die Gesamtheit der personellen und sachlichen Mittel bezeichnet, die zur Verfolgung der Forschungszwecke eingesetzt werden. Die Auslegung der Begriffe „Träger“ und „Wissenschafts- und Forschungseinrichtung“ bereitet mit Blick auf gemeinnützige juristische Personen des privaten Rechts regelmäßig keine Probleme. Im Falle der Betriebe gewerblicher Art besteht indes die Besonderheit, dass diese zivilrechtlich kein eigenständiges Rechtssubjekt darstellen. Die Betriebe gewerblicher Art sind rechtlich unselbständige Einrichtungen, die ihrerseits durch die juristische Person des öffentlichen Rechts getragen werden. Hieraus ergibt sich die vorliegend streitige Auslegungsfrage, ob als Träger der Wissenschafts- und Forschungseinrichtung im Sinne des § 68 Nr. 9 AO der BgA selbst oder aber der Träger des BgA anzusehen ist, und ob die Finanzierungsvoraussetzungen des § 68 Nr. 9 AO somit auf Ebene des BgA oder auf Ebene des Trägers des BgA erfüllt sein müssen.
Nach Auffassung des Senats ist aus gesetzessystematischen Erwägungen der Auffassung zu folgen, dass im Falle eines Betriebes gewerblicher Art dieser selbst als der maßgebliche Träger im Sinne des § 68 Nr. 9 AO anzusehen ist, was zur Folge hat, dass die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Gesetzesnorm unmittelbar auf Ebene des Betriebes gewerblicher Art erfüllt sein müssen. Wenn man die Gesamtheit der Normen der §§ 51 ff. AO betrachtet, ist festzustellen, dass stets die gemeinnützige Körperschaft – hier also der Betrieb gewerblicher Art – das Bezugssubjekt ist, welches die gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 51 ff. AO erfüllen muss. Es ist der BgA, der einen der gemeinnützigen Zwecke des § 52 AO verwirklichen muss; der BgA muss selbstlos i.S. des § 55 AO tätig werden; auch die Erfüllung der weiteren gemeinnützigkeitsrechtlichen Voraussetzungen muss auf Ebene des BgA geprüft werden. Angesichts dessen ist es nach Auffassung des Senats systematisch zwingend, dass auch das Finanzierungserfordernis des § 68 Nr.9 AO auf Ebene des BgA erfüllt sein muss. Es ergibt sich aus dem Gesetzwortlaut kein Anhaltspunkt dafür, dass bei Anwendung des § 68 Nr. 9 AO von der allgemeinen Systematik der §§ 51 ff. AO abgewichen werden soll.
Selbst wenn in Fällen von Betrieben gewerblicher Art deren Trägerkörperschaft als der maßgebliche „Träger“ im Sinne des § 68 Nr. 9 AO anzusehen wäre, wäre das Finanzierungserfordernis gem. § 68 Nr. 9 AO im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Denn die Klägerin finanziert sich als juristische Person des öffentlichen Rechts nicht aus „Zuwendungen der öffentlichen Hand“ i.S. des § 68 Nr. 9 UStG, vielmehr ist die Klägerin als juristische Person des öffentlichen Rechts selbst Bestandteil der öffentlichen Hand. In der Terminologie des Haushaltsrechts finanziert die Klägerin sich zudem nicht aus Zuwendungen, sondern vielmehr aus Zuschüssen (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 1 Hochschulgesetz NRW, in Abgrenzung hierzu zu Zuwendungen vgl. § 23 Bundeshaushaltsordnung bzw. § 23 Landeshaushaltsordnung NRW). Auch finanziert die Klägerin sich ersichtlich nicht aus Zuwendungen Dritter i.S. des § 68 Nr. 9 UStG, die außerhalb der öffentlichen Verwaltung stehen.
Auch unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien ist nach Auffassung des Senats keine andere Auslegung des § 68 Nr. 9 AO möglich. Zwar ist in der Gesetzesbegründung zu § 68 Nr. 9 AO ausgeführt, dass diese Regelung auch für Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts gelten solle (Bundestags-Drucksache 13/4829, S. 89). Allerdings ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit dem Steueränderungsgesetz 2003 die Steuerbefreiungsvorschriften des § 5 Nr. 23 KStG und des § 3 Nr. 30 GewStG eingeführt hat. Durch diese Bestimmungen wurde die Auftragsforschung öffentlicher-rechtlicher Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ausdrücklich von der Körperschaft- und Gewerbesteuer befreit. Falls die Betriebe gewerblicher Art im Bereich der Auftragsforschung nach § 68 Nr. 9 UStG als Zweckbetrieb anzuerkennen wären, hätte für den Gesetzgeber kein erkennbarer Anlass bestanden, die Steuerbefreiungen gem. § 5 Nr. 23 KStG und § 3 Nr. 30 GewStG einzuführen.
Ein entscheidendes Argument gegen die Rechtsauffassung der Klägerin liegt schließlich darin, dass die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auf Auftragsforschungsleistungen von Universitäten gegen die Vorgaben der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie verstieße. Hiernach gilt der ermäßigte Umsatzsteuersatz nicht für sämtliche Leistungen der gemeinnützigen Einrichtungen, sondern nur für solche Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, die für wohltätige Zwecke oder im Bereich der sozialen Sicherheit tätig sind (Anhang III der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie 2006/112/EG, „Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte MwSt-Sätze gemäß Artikel 98 angewandt werden können“, vgl. BFH-Urteil vom 08.03.2012 V R 14/11, BStBl II 2012, 630). Der BgA Auftragsforschung ist weder für wohltätige Zwecke noch im Bereich der sozialen Sicherheit tätig, so dass auf die von ihm erbrachten Leistungen nach den Richtlinienvorgaben der reguläre Umsatzsteuersatz anzuwenden ist. Wenn – wie im vorliegenden Fall – der Wortlaut des deutschen Gesetzes verschiedene Auslegungen zulässt, von denen indes nur eine mit den Richtlinienvorgaben vereinbar ist, so muss die richtlinienkonforme Auslegung gewählt werden. Dem steht nicht entgegen, dass die Gesetzesnorm, deren Auslegung im vorliegenden Fall streitig ist, nicht im Umsatzsteuergesetz, sondern in der Abgabenordnung angesiedelt ist. Denn es ist lediglich eine untergeordnete Frage der Regelungstechnik, ob der Gesetzgeber die relevanten Regelungen in das Umsatzsteuergesetz selbst aufnimmt oder er in das Umsatzsteuergesetz eine Verweisung auf ein anderes Gesetz einfügt.
Die Klägerin verfügt auch nicht über einen aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ableitbaren Anspruch auf Gleichbehandlung mit privaten gemeinnützigen Forschungseinrichtungen. Die Umsätze privater gemeinnütziger Forschungseinrichtungen im Bereich der Auftragsforschung werden gem. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i.V.m. § 68 Nr. 9 AO ermäßigt besteuert. Diese Steuerermäßigung verstößt allerdings – entsprechend den vorstehenden Ausführungen – gegen die Vorgaben der Mehrwertsteuersystem-Richtlinie. Da es grundsätzlich keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gibt, kann die Klägerin nicht verlangen, dass ihr der europarechtswidrige ermäßigte Umsatzsteuersatz aus Gründen der Gleichbehandlung ebenfalls gewährt wird. Die gegenwärtig bestehende Ungleichbehandlung öffentlicher-rechtlicher und privater gemeinnütziger Forschungseinrichtungen wäre vielmehr durch eine europarechtskonforme Beschränkung des § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG durch den Gesetzgeber zu beseitigen.
2.
Der BgA Auftragsforschung erfüllt auch nicht die Voraussetzungen eines Zweckbetriebes i. S. des § 65 AO. Nach dieser Vorschrift ist ein Zweckbetrieb gegeben, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaft zu verwirklichen (§ 65 Nr. 1 AO), die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können (§ 65 Nr. 2 AO) und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist (§ 65 Nr. 3 AO). Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass sie den verfolgten gemeinnützigen Zweck, Wissenschaft und Forschung zu fördern, nur durch einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreichen konnte und dass der Betrieb gewerblicher Art zu vergleichbaren nicht begünstigten Betrieben nicht in größerem Umfang als notwendig in Wettbewerb tritt.
3.
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Satzung des BgA Auftragsforschung vom 23.12.2002 die Anforderungen der §§ 59, 60 AO erfüllt. Eine weitere Schriftsatzfrist – wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beantragt – brauchte somit nicht eingeräumt werden.
II.
Der Beklagte hat die zusätzliche Umsatzsteuer, die sich aus der Anwendung des regulären Umsatzsteuersatzes ergibt, zu Unrecht im Streitjahr 2006 angesetzt. Vielmehr hätten die hieraus resultierenden Umsatzsteuererhöhungen in den Veranlagungsjahren 2003 bis 2005 erfolgen müssen.
Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG entsteht die Umsatzsteuer grundsätzlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Wird jedoch das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, so entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG. Soweit Anzahlungen geleistet worden sind, entsteht die Umsatzsteuer im Zeitpunkt der vollständigen Leistungsbewirkung nur noch in dem Umfang, in dem das geschuldete (Rest-)Entgelt über die bereits vereinnahmten Anzahlungen hinausgeht (vgl. Hundt-Eßwein in: Offerhaus/Söhn/Lange, § 13 UStG, Rn. 46).
Die Klägerin hat die von ihr geschuldete Leistung – nämlich die Erstattung der Studie –spätestens mit Aushändigung des Abschlussberichts im Dezember 2006 vollständig ausgeführt. Nach der Grundregel des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG wäre die Umsatzsteuerschuld somit grundsätzlich im Jahr 2006 entstanden. Allerdings hat die Klägerin das vereinbarte Entgelt bereits vor Ausführung der Leistung erhalten. Die Rechnungen wurden im Zeitraum von März 2001 bis November 2004 erteilt; die letzten Entgeltzahlungen erfolgten im Jahr 2005. Im Streitjahr 2006 hat die Klägerin unstreitig keine weiteren Entgeltzahlungen erhalten. Die gesetzliche geschuldete Umsatzsteuer entstand somit – unabhängig von der Frage, ob der reguläre oder ermäßigte Umsatzsteuersatz anzuwenden ist – gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG schon in den Jahren 2001 bis 2005.
Eine rechtliche Grundlage für die nachträgliche Berücksichtigung der in den Jahren 2003 bis 2005 angefallenen Umsatzsteuer im Streitjahr 2006 ist nicht ersichtlich. Die Bestimmung des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG räumt kein Wahlrecht dergestalt ein, dass eine ganz oder teilweise unterbliebene Umsatzbesteuerung von Anzahlungen nachträglich in dem Veranlagungsjahr korrigiert werden darf, in dem die geschuldete Werkleistung ausgeführt und das Werk abgenommen wird.
Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass im Falle einer Steuersatzänderung die Erhebung der Nachsteuer (bzw. die Erstattung der negativen Nachsteuer im Falle einer Steuersatzminderung) in dem Veranlagungszeitraum erfolgt, in welchem die Leistung ausgeführt wird, rechtfertigt dies keine andere rechtliche Beurteilung. Die Nacherhebung der Umsatzsteuer im Falle einer Steuersatzänderung beruht auf der gesetzlichen Regelung des § 27 Abs. 1 UStG. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 UStG sind Änderungen des Umsatzsteuergesetzes, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf alle Umsätze anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten der maßgeblichen Änderungsvorschrift ausgeführt werden. Das gilt auch insoweit, als die Steuer aufgrund der Leistung von Anzahlungen gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a Satz 4 UStG bereits vor dem Inkrafttreten der Änderungsvorschrift entstanden ist; in diesem Fall ist die Berechnung der Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum zu berichtigen, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung ausgeführt wird (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 und 3). Diese gesetzliche Regelung ist indes im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Denn es hat in den Jahren 2001 bis 2006 keine Änderung der hier maßgeblichen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes gegeben.
Nach Auffassung des Senats erscheint es unter Zugrundelegung der vertraglichen Vereinbarungen denkbar, dass es sich bei den von der Klägerin erstatteten Zwischenberichten aus den Monaten Februar 2002, Juli 2002, Juni 2003 und Juli 2004 – entgegen den vorstehenden Ausführungen – um selbständige Teilleistungen gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und 3 UStG handelt. Hierfür spricht § 2 des Werkvertrages, der folgenden Wortlaut hat: „Nach Ablauf des jeweiligen Halbjahres legt sie dem Auftraggeber einen Zwischenbericht zur (Teil-)Abnahme vor.“ Diese Abgrenzungsfrage kann indes dahingestellt bleiben. Falls die Klägerin in den Jahren 2001 bis 2004 durch die Erstattung der Zwischenberichte selbständige Teilleistungen erbracht hätte, wäre die Erfassung der Umsätze im Jahr 2006 ebenfalls unzulässig.
III.
Die Klägerin schuldet die festgesetzte Steuer auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 14c Abs. 1 UStG.
Zwar erfüllt das Schreiben der Klägerin vom 12.12.2006 die Voraussetzungen einer Rechnung i.S. des § 14c Abs. 1 UStG. Das Schreiben weist eine Rechnungsnummer auf. Es ist ein konkreter Leistungsgegenstand benannt. Schließlich sind in der Rechnung der Netto-Rechnungsbetrag und die sich hieraus ergebende Umsatzsteuer ausgewiesen. Die Umsatzsteuer, die die Klägerin in den Anzahlungsrechnungen in den Jahren 2003 bis 2004 angesetzt hat, ist von ihr zutreffend abgesetzt worden.
Es handelt es sich bei der Rechnung vom 12.12.2006 jedoch nicht um eine „unrichtige“ Rechnung i.S. des § 14c Abs. 1 UStG. Denn die zusätzlich gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer, welche der Differenz zwischen der in den Anzahlungsrechnungen bereits ausgewiesenen Umsatzsteuer von 7% und der regulären Umsatzsteuer zu einem Steuersatz von 16% entspricht, wird von der Klägerin tatsächlich geschuldet (s. vorstehende Ausführungen unter I.). Der Umstand, dass die Klägerin die Rechnung mit Umsatzsteuerausweis erst nachträglich gestellt hat, lässt die Rechnung nicht unrichtig i.S. des § 14c Abs. 1 UStG werden.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.