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Steuerrecht
15.02.2024
Steuerrecht
EuGH: Auf die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen anwendbarer ermäßigter Mehrwertsteuersatz – Anwendung dieses Satzes allein auf Beherbergungseinrichtungen, die über eine Einstufungsbescheinigung verfügen (Bulgarisches Vorabentscheidungsersuchen)

EuGH, Urteil vom 8.2.2024 – C-733/22, Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite gegen „Valentina Heights“ EOOD

ECLI:EU:C:2024:126

Volltext BB-Online BBL2024-404-1

Tenor

Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen der Verpflichtung unterliegt, dass eine solche Einrichtung über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügt, soweit diese Regelung die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht auf konkrete und spezifische Aspekte der Kategorie der in Hotels und ähnlichen Einrichtungen erbrachten Beherbergungsdienstleistungen beschränkt oder sie, sofern sie diese Anwendung auf solche konkreten und spezifischen Aspekte beschränkt, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht beachtet.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 98 Abs. 2 und von Anhang III Nr. 12 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

 

2          Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i danachno-osiguritelna praktika“ – Sofia pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Steuer-/Sozialversicherungspraxis“ für Sofia bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien, im Folgenden: Direktor) und der „Valentina Heights“ EOOD über die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Tätigkeiten dieser Gesellschaft während eines Zeitraums, in dem sie keine Einstufungsbescheinigung für die von ihr betriebene Beherbergungseinrichtung besaß.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

 

„Die Mitgliedstaaten wenden einen Mehrwertsteuer-Normalsatz an, den jeder Mitgliedstaat als Prozentsatz der Bemessungsgrundlage festsetzt und der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.“

 

4          Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten können einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden.

(2) Die ermäßigten Steuersätze sind nur auf die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen der in Anhang III genannten Kategorien anwendbar.

…“

 

5          In Art. 135 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„(1) Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

l) Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.

(2) Die folgenden Umsätze sind von der Befreiung nach Absatz 1 Buchstabe l ausgeschlossen:

a) Gewährung von Unterkunft nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Hotelgewerbes oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf Grundstücken, die als Campingplätze erschlossen sind;

…“

 

6          Anhang III der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält das Verzeichnis der Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze gemäß Art. 98 dieser Richtlinie angewandt werden können. Nr. 12 dieses Anhangs nennt folgende Dienstleistungen:

„Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen“.

 

Bulgarisches Recht

Mehrwertsteuergesetz

7          Art. 66 des Zakon za danak varhu dobavenata stoynost (Mehrwertsteuergesetz) (DV Nr. 63 vom 4. August 2006) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuergesetz) bestimmt:

„(1) Der Steuersatz beträgt 20 % für:

1. steuerpflichtige Lieferungen, mit Ausnahme derjenigen, für die ausdrücklich bestimmt ist, dass sie dem Nullsteuersatz unterliegen.

2. … Der Steuersatz für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen beträgt 9 %.

…“

 

8          Gemäß § 1 Nr. 45 der Zusatzbestimmungen zum Mehrwertsteuergesetz gelten für die Zwecke dieses Gesetzes als „Beherbergung“ die „grundlegenden Tourismusdienstleistungen im Sinne von [§ 1] Nr. 69 der Zusatzbestimmungen zum [Zakon za turizma (Tourismusgesetz) (DV Nr. 30 vom 26. März 2013)], mit Ausnahme der Erbringung einer allgemeinen Tourismusdienstleistung“.

 

Verordnung zur Durchführung des Mehrwertsteuergesetzes

9          Art. 40 („Beherbergung in Hotels“) Abs. 1 des Pravilnik za prilagane na zakona za danak varhu dobavenata stoynost (Verordnung zur Durchführung des Mehrwertsteuergesetzes) (DV Nr. 76 vom 15. September 2006) bestimmt:

„Wird die Dienstleistung von einer Person erbracht, die Beherbergungstätigkeiten in touristischen Einrichtungen ausübt, muss diese Person für die Zwecke des Nachweises der in Art. 66 Abs. 2 des [Mehrwertsteuergesetzes] genannten Dienstleistungen über Folgendes verfügen:

1. eine Kopie des Touristenregisters;

2. eine Bescheinigung über die Einstufung der touristischen Einrichtung;

3. eine Rechnung für die Dienstleistung, es sei denn, die Ausstellung einer solchen Rechnung ist nach Art. 113 Abs. 3 des [Mehrwertsteuergesetzes] nicht vorgeschrieben.“

 

Tourismusgesetz

10        Art. 111 des Tourismusgesetzes sieht vor:

„(1) Im bulgarischen Hoheitsgebiet dürfen Beherbergungs- und Bewirtungstätigkeiten nur in touristischen Einrichtungen ausgeübt werden, die über eine Einstufung nach diesem Gesetz verfügen.

(2) … Die Einstufung wird vom [Ministara na turizma (Tourismusminister, Bulgarien)] und den Bürgermeistern der Gemeinden oder durch sie befugte Beamte für die in diesem Gesetz näher bestimmten Arten von Einrichtungen und Kategorien vorgenommen.

…“

 

11        Art. 113 Abs. 1 des Tourismusgesetzes bestimmt:

„Die Beherbergungs- oder Bewirtungstätigkeit kann von einer Person ausgeübt werden, die

3. über Personal mit der erforderlichen beruflichen und sprachlichen Qualifikation verfügt, wobei das Führungspersonal das erforderliche Dienstalter aufweist.“

 

12        Art. 114 Nrn. 1 und 2 des Tourismusgesetzes sieht vor:

„Wer eine Beherbergungs- und/oder Bewirtungstätigkeit in einer touristischen Einrichtung … ausübt, ist verpflichtet,

1. touristische Dienstleistungen in einer eingestuften touristischen Einrichtung oder in einer Einrichtung, der aufgrund der Einleitung eines Einstufungsverfahrens eine vorläufige Bescheinigung ausgestellt wurde, zu erbringen;

2. touristische Dienstleistungen in einer touristischen Einrichtung zu erbringen, die die Anforderungen der ihr zugewiesenen Kategorie erfüllt …“

 

13        Art. 133 Abs. 1 des Tourismusgesetzes bestimmt:

„Die Kategorie der Beherbergungseinrichtungen und ihrer zusätzlichen Verpflegungs- und Unterhaltungseinrichtungen … wird auf der Grundlage der Erfüllung verbindlicher Mindestanforderungen in Bezug auf Bau, Einrichtung und Ausstattung, Service, angebotene Dienstleistungen sowie berufliche und sprachliche Qualifikation des Personals bestimmt …“

 

14        § 1 der Zusatzbestimmungen zum Tourismusgesetz sieht vor:

„Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet:

69. ‚grundlegende Tourismusdienstleistungen‘: Beherbergung, Verpflegung und Transport.

…“

 

15        In § 121 der Übergangs- und Schlussbestimmungen des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Tourismusgesetzes heißt es:

„Für die vor dem 26. März 2013 [Datum des Inkrafttretens des Tourismusgesetzes] eingestuften touristischen Einrichtungen sind die Einstufungsunterlagen im Jahr 2019 einzureichen.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16        Valentina Heights ist eine Gesellschaft bulgarischen Rechts, deren Gesellschaftszweck u. a. Tätigkeiten in den Bereichen Tourismus, Bewirtung, Beherbergung und Reiseveranstaltung umfasst. Sie wurde am 13. Dezember 2016 für die Zwecke des Mehrwertsteuergesetzes registriert.

 

17        Bei dieser Gesellschaft wurde eine Steuerprüfung für den Zeitraum vom 13. Dezember 2016 bis 29. Februar 2020 durchgeführt. Bei dieser Prüfung wurde festgestellt, dass die Gesellschaft in diesem Zeitraum eine ebenfalls als „Valentina Heights“ bezeichnete Apartment-Ferienanlage (im Folgenden: in Rede stehende Ferienanlage) in der Stadt Bansko (Bulgarien) gemietet hatte, die Privatpersonen gehörte. Nach den Verträgen über die Verwaltung der zu dieser Anlage gehörenden Privatimmobilien wurde mit den Eigentümern dieser Immobilien vereinbart, dass Valentina Heights diese Immobilien verwaltet, in Stand hält und in ihrem Namen an Dritte vermietet. Somit übte die Gesellschaft in diesem Zeitraum eine Beherbergungstätigkeit in der genannten Anlage aus. Die mit dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen wurden mittels bei der Steuerverwaltung angemeldeter elektronischer Registrierkassen und anhand von Banküberweisungen verbucht. Die Gesellschaft wandte auf die getätigten Umsätze einen Mehrwertsteuersatz von 9 % an.

 

18        Valentina Heights legte eine vom Bürgermeister der Gemeinde Bansko ausgestellte Bescheinigung vom 15. Februar 2013 vor, mit der die in Rede stehende Ferienanlage, nämlich ein Gästehaus mit einer Kapazität von 9 Zimmern und 19 Betten, eingestuft wurde.

 

19        Am 18. November 2016 stellte diese Gesellschaft beim Ministerstvo na turizma (Tourismusministerium, Bulgarien) einen Antrag auf Einstufung dieser Anlage in die Kategorie „drei Sterne“, mit einer erklärten Kapazität von 23 Zimmern und 46 Betten.

 

20        Mit Anordnung vom 7. März 2019 hob der Bürgermeister der Gemeinde Bansko die Einstufung des Gästehauses, die mit der oben genannten Bescheinigung erteilt worden war, auf.

 

21        Am 27. September 2019 stellte Valentina Heights beim Tourismusministerium einen Antrag auf Einstufung einer zu der in Rede stehenden Ferienanlage gehörenden Snackbar in die Kategorie „zwei Sterne“.

 

22        Am 22. Juli, 1. Oktober und 16. Oktober 2019 sowie am 16. und 18. September 2020 ergänzte sie die den (in den Rn. 19 und 21 des vorliegenden Urteils) genannten Anträgen auf Einstufung beigefügten Unterlagen.

 

23        Mit Anordnung vom 21. September 2020 leitete der Zamestnik-ministara na turizma (stellvertretender Minister für Tourismus, Bulgarien) ein Einstufungsverfahren für diese touristischen Einrichtungen ein und stellte für die in Rede stehende Ferienanlage und die zu dieser gehörende Snackbar vorläufige Bescheinigungen aus, die bis zum 21. Januar 2021 gültig waren.

 

24        Am 4. Dezember 2020 erließ die für Einnahmen zuständige Stelle der Teritorialna direktsia na Natsionalnata agentsia za prihodite (Gebietsdirektion der Nationalen Agentur für Einnahmen, Bulgarien) für die Steuerzeiträume März 2019 und Juni 2019 sowie für den Zeitraum von August 2019 bis Februar 2020 einen Bescheid über die Nacherhebung der erklärten Mehrwertsteuer, der mit Entscheidung des Direktors vom 22. Februar 2021 bestätigt wurde.

 

25        In diesem Nacherhebungsbescheid wurde festgestellt, dass Valentina Heights über die (in Rn. 18 des vorliegenden Urteils genannte) Bescheinigung für den Zeitraum vom 15. Februar 2013 bis zum 7. März 2019 verfügt habe. Somit habe diese Gesellschaft nach dem letztgenannten Zeitpunkt nicht über eine Einstufungsbescheinigung für die in Rede stehende Ferienanlage verfügt und daher in den nach diesem Zeitpunkt ausgestellten Rechnungen zu Unrecht eine Mehrwertsteuer in Höhe von 9 % ausgewiesen. Damit habe sie gegen Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 der Durchführungsverordnung zum Mehrwertsteuergesetz verstoßen, wonach die Person, die diese Leistungen erbringt, zum Nachweis des Vorliegens von Leistungen, für die der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 9 % gilt, u. a. über eine solche Bescheinigung verfügen muss. Daher sei gemäß Art. 66 Abs. 1 des Mehrwertsteuergesetzes eine zusätzliche Mehrwertsteuer berechnet worden, um die Leistungen, die Valentina Heights erbracht habe, ohne über eine Einstufungsbescheinigung zu verfügen, dem normalen Mehrwertsteuersatz von 20 % zu unterwerfen.

 

26        Mit Urteil vom 6. Dezember 2021 gab der Administrativen sad Blagoevgrad (Verwaltungsgericht Blagoevgrad, Bulgarien) der Klage von Valentina Heights gegen diesen Nacherhebungsbescheid statt. Dieses Gericht stellte fest, dass die Gesellschaft alle erforderlichen Schritte unternommen habe, um eine Einstufungsbescheinigung zu erhalten, da sie in den Jahren 2016 und 2019 die (in den Rn. 19 und 21 des vorliegenden Urteils) genannten Anträge eingereicht habe, das Tourismusministerium die beantragten Einstufungsbescheinigungen aber nicht rechtzeitig ausgestellt habe, da es vorläufige Bescheinigungen erst am 23. September 2020 ausgestellt habe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die sich insbesondere aus dem Urteil vom 22. Oktober 1998, Madgett und Baldwin (C‑308/96 und C‑94/97, EU:C:1998:496), ergebe, sei die Sonderregelung über die Besteuerung touristischer Dienstleistungen nach Maßgabe der Art der ausgeübten Tätigkeit und nicht nach Maßgabe einer Registrierung anzuwenden, die durch ein besonderes Gesetz, im vorliegenden Fall das Tourismusgesetz, geregelt sei.

 

27        Der Direktor legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde beim Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht, ein und machte geltend, dass die Erbringung von Dienstleistungen in touristischen Einrichtungen, die nicht über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Bescheinigung verfügten, weder als Beherbergung im Sinne von Art. 66 Abs. 2 des Mehrwertsteuergesetzes anzusehen sei noch einem ermäßigten Steuersatz unterliegen dürfe.

 

28        Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung, insbesondere dem Urteil vom 6. Mai 2010, Kommission/Frankreich (C‑94/09, EU:C:2010:253, Rn. 28), ein Mitgliedstaat, wenn er beschließt, von der ihm in Art. 98 Abs. 1 und 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie eröffneten Möglichkeit, auf eine Kategorie von Dienstleistungen im Sinne von Anhang III dieser Richtlinie einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, Gebrauch zu machen, unter der Voraussetzung der Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität die Anwendung dieses ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf konkrete und spezifische Aspekte dieser Kategorie von Dienstleistungen beschränken kann.

 

29        Außerdem werde die Wendung „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ im Sinne von Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie in dieser Richtlinie nicht definiert.

 

30        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie demgegenüber vorsehe, dass die „Gewährung von Unterkunft nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Hotelgewerbes oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung“ von der Steuerbefreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken ausgeschlossen sei. Dies bedeute, dass die Gewährung von Unterkunft den Definitionen in den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten entsprechen müsse. § 1 Nr. 45 der Zusatzbestimmungen zum Mehrwertsteuergesetz definiere den Begriff „Beherbergung“ unter Bezugnahme auf das Tourismusgesetz.

 

31        Daher stelle sich die Frage, ob der Umstand, dass das bulgarische Recht die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen einer Einstufung unterwerfe, als Beschränkung der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf konkrete und spezifische Aspekte im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs angesehen werden könne oder ob der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für eine solche Beherbergung nach Maßgabe der Art der ausgeübten Tätigkeit und nicht der vom Tourismusgesetz geforderten Einstufung anzuwenden sei.

 

32        Unter diesen Umständen hat der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz, der in dieser Bestimmung für eine Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen vorgesehen ist, Anwendung finden kann, wenn diese Einrichtungen nicht entsprechend den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des vorlegenden Gerichts in eine Kategorie eingestuft sind?

2. Falls diese Frage verneint wird, ist dann Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er eine selektive Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf konkrete und spezifische Aspekte einer bestimmten Dienstleistungskategorie zulässt, wenn die Voraussetzung dafür darin besteht, dass die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen nur in Beherbergungsstätten erfolgen darf, die entsprechend den nationalen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats des vorlegenden Gerichts in eine Kategorie eingestuft sind oder für die eine vorläufige Bescheinigung über ein eingeleitetes Verfahren zur Einstufung in eine Kategorie ausgestellt wurde?

 

Zu den Vorlagefragen

33        Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 98 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen der Verpflichtung unterliegt, dass eine solche Einrichtung über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügt.

 

34        Nach Art. 96 der Mehrwertsteuerrichtlinie wendet jeder Mitgliedstaat einen Mehrwertsteuernormalsatz an, der für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen gleich ist.

 

35        In Abweichung von diesem Grundsatz sieht Art. 98 dieser Richtlinie die Möglichkeit vor, ermäßigte Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Zu diesem Zweck enthält Anhang III der genannten Richtlinie ein abschließendes Verzeichnis der Kategorien von Lieferungen von Gegenständen und von Dienstleistungen, auf die ermäßigte Sätze angewandt werden können.

 

36        Im Einzelnen gestattet Anhang III Nr. 12 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen, einschließlich der Beherbergung in Ferienunterkünften, und [die] Vermietung von Campingplätzen und Plätzen für das Abstellen von Wohnwagen“.

 

37        Die Mehrwertsteuerrichtlinie enthält keine Definition der in diesem Anhang III Nr. 12 enthaltenen Wendung „Unterbringung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“.

 

38        Allerdings bestimmt Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass die „Gewährung von Unterkunft nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Hotelgewerbes oder in Sektoren mit ähnlicher Zielsetzung, einschließlich der Vermietung in Ferienlagern oder auf Grundstücken, die als Campingplätze erschlossen sind“, von der in Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken vorgesehenen Mehrwertsteuerbefreiung ausgeschlossen ist.

 

39        Insoweit ist festzustellen, dass Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Wesentlichen den gleichen Wortlaut hat wie Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie.

 

40        Wie die letztgenannte Bestimmung klarstellt, wird auf eine Gewährung von Unterkunft u. a. im Rahmen des Hotelgewerbes „nach den gesetzlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten“ abgestellt. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das bulgarische Recht den Begriff „Beherbergung“ unter Bezugnahme auf das Tourismusgesetz definiere, wonach Beherbergungseinrichtungen über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügen müssten.

 

41        Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Mitgliedstaaten bei der Definition der Gewährung von Unterkunft, die abweichend von der Befreiung für die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken gemäß Art. 135 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie steuerpflichtig ist, über einen Gestaltungsspielraum verfügen. Es ist folglich deren Sache, bei der Umsetzung dieser Bestimmung die ihnen für die Unterscheidung zwischen steuerbaren Umsätzen und nicht steuerbaren Umsätzen geeignet erscheinenden Kriterien festzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2010, MacDonald Resorts, C‑270/09, EU:C:2010:780, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

42        Insoweit geht im vorliegenden Fall aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Steuerbehörden in dem in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten Nacherhebungsbescheid davon ausgingen, dass während des Zeitraums, in dem Valentina Heights über keine Einstufungsbescheinigung verfügte, die von dieser Gesellschaft erbrachten Leistungen zum Normalsatz der Mehrwertsteuer, d. h. zum Satz von 20 %, und nicht zum ermäßigten Satz von 9 % hätten in Rechnung gestellt werden müssen. Somit ist festzustellen, dass diese Leistungen, auch wenn sie in einer nicht nach dem Tourismusgesetz eingestuften Einrichtung erbracht wurden, von diesen Steuerbehörden als Gewährung von Unterkunft im Rahmen des Hotelgewerbes angesehen wurden. Andernfalls wären diese Leistungen nämlich gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. l der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit gewesen.

 

43        Was sodann die Frage betrifft, ob die Mitgliedstaaten die Möglichkeit der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes der Bedingung unterwerfen dürfen, dass die betreffenden Einrichtungen über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügen, ist darauf hinzuweisen, dass, wie sich aus dem Wortlaut von Art. 98 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergibt, die Anwendung eines oder zweier ermäßigter Sätze nicht verpflichtend ist. Es handelt sich um eine den Mitgliedstaaten zugestandene Möglichkeit, abweichend von dem Grundsatz, dass der normale Steuersatz anzuwenden ist (Urteil vom 9. März 2017, Oxycure Belgium, C‑573/15, EU:C:2017:189, Rn. 25). Folglich können sich die Mitgliedstaaten grundsätzlich dafür entscheiden, auf bestimmte in Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgeführte Beherbergungsleistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden, während sie auf andere dieser Leistungen den normalen Steuersatz anwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C‑597/17, EU:C:2019:544, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

44        Die den Mitgliedstaaten zuerkannte Wahrnehmung der Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes unterliegt der zweifachen Bedingung, dass zum einen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen herausgelöst werden und zum anderen der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet wird (Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C‑454/12 und C‑455/12, EU:C:2014:111, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

45        Um in einem ersten Schritt festzustellen, ob die Beherbergung in eingestuften Einrichtungen einen konkreten und spezifischen Aspekt der Kategorie der Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen darstellt, ist zu prüfen, ob es sich um die Erbringung einer Dienstleistung handelt, die getrennt von den übrigen Leistungen dieser Kategorie als solche bestimmbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C‑454/12 und C‑455/12, EU:C:2014:111, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

46        Die Europäische Kommission trägt in ihren schriftlichen Erklärungen vor, dass dies im vorliegenden Fall angesichts des in Bulgarien für die Einstufung von Tourismuseinrichtungen vorgesehenen besonderen rechtlichen Rahmens, der ihnen eine ganze Reihe von Verpflichtungen auferlege, der Fall sei. Sie nennt insbesondere Art. 113 Abs. 1 Nr. 3 des Tourismusgesetzes, der die Verpflichtung vorsieht, über Personal mit der erforderlichen beruflichen und sprachlichen Qualifikation sowie dem für Führungskräfte erforderlichen Dienstalter zu verfügen, oder Art. 133 Abs. 1 dieses Gesetzes, wonach die Kategorie der Beherbergungseinrichtungen auf der Grundlage der Erfüllung verbindlicher Mindestanforderungen u. a. in Bezug auf Bau, Einrichtung und Ausstattung sowie angebotene Dienstleistungen bestimmt wird.

 

47        In Bezug auf diese Verpflichtungen verweist die Kommission auf das Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz (C‑454/12 und C‑455/12, EU:C:2014:111), in dem es um die Frage ging, ob die Beförderung von Personen im Nahverkehr per Taxi einen konkreten und spezifischen Aspekt der von Unternehmen zur Beförderung von Personen und des mitgeführten Gepäcks erbrachten Leistungen darstelle, und in dem der Gerichtshof festgestellt hat, dass der für Taxiunternehmen geltende rechtliche Rahmen viel zwingender sei als der für Mietwagenunternehmen mit Fahrergestellung.

 

48        Im vorliegenden Fall scheint im Gegensatz zu den Merkmalen der Rechtssache, in der das in der vorstehenden Randnummer genannte Urteil ergangen ist, aus dem nationalen Rechtsrahmen, wie er sich nicht nur aus den Angaben in der Vorlageentscheidung, sondern auch aus dem Wortlaut der zweiten Vorlagefrage ergibt, hervorzugehen, dass in Bulgarien alle Beherbergungseinrichtungen eine Einstufung nach dem Tourismusgesetz erhalten müssen, ohne die sie ihre Tätigkeit nicht rechtmäßig ausüben können. Sollte dies der Fall sein, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, wäre die Beherbergung in nicht eingestuften Einrichtungen keine andere Art von Leistung, die unter die in Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannte Kategorie fällt, sondern eine Unterbringung, die nicht der nationalen Regelung entspricht.

 

49        Ein solcher Verstoß gegen den nationalen rechtlichen Rahmen könnte nach der nationalen Regelung eventuell zu verwaltungsrechtlichen Sanktionen führen.

 

50        Dagegen kann in einer solchen Situation die Anwendung des Normalsatzes der Mehrwertsteuer auf die Beherbergung in nicht eingestuften Einrichtungen nicht gerechtfertigt sein, da in Bulgarien jede „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ im Sinne von Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie per definitionem und vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen eine Beherbergung in eingestuften Einrichtungen sein muss. Folglich kann eine solche Beherbergung in eingestuften Einrichtungen keinen konkreten und spezifischen Aspekt der in dieser Nr. 12 genannten Kategorie darstellen, der getrennt von den übrigen Leistungen, die unter diese Kategorie fallen und in der Gewährung einer Unterbringung in nicht eingestuften Einrichtungen bestehen, bestimmbar ist, da solche Leistungen nach der nationalen Regelung nicht zulässig wären.

 

51        Mit anderen Worten ist, soweit die in der bulgarischen Regelung vorgesehene Einstufungsverpflichtung alle Leistungen der „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ im Sinne von Anhang III Nr. 12 dieser Richtlinie betrifft, diese Regelung nicht geeignet, die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Dienstleistungskategorie zu beschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. September 2022, The Escape Center, C‑330/21, EU:C:2022:719, Rn. 38), da sie sämtliche Dienstleistungen dieser Kategorie erfasst.

 

52        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der nationalen Regelung und der tatsächlichen Umstände, mit denen es befasst ist, zu prüfen, ob die Beherbergung in einer eingestuften Einrichtung einen konkreten und spezifischen Aspekt derselben Kategorie darstellen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C‑454/12 und C‑455/12, EU:C:2014:111, Rn. 51).

 

53        Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis kommen, dass dies der Fall ist, müsste es in einem zweiten Schritt prüfen, ob die selektive Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nur auf nach dem Tourismusgesetz eingestufte Beherbergungseinrichtungen gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt.

 

54        Dieser Grundsatz lässt es nicht zu, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander in Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, ist in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. Gegenstände oder Dienstleistungen sind gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben und beim Verbraucher nach einem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers zwischen diesen Gegenständen oder Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen (Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C‑597/17, EU:C:2019:544, Rn. 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

55        Wenn also die Unterbringung in einer eingestuften Einrichtung als eine Dienstleistung anzusehen wäre, die unabhängig von der Unterbringung in einer nicht eingestuften Einrichtung als solche bestimmbar ist, wäre zu prüfen, ob der Besitz einer Einstufungsbescheinigung aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers einen Unterschied zwischen eingestuften und nicht eingestuften Einrichtungen schaffen kann, wenn sie geeignet sind, jeweils anderen Bedürfnissen dieses Verbrauchers zu dienen, und somit einen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidung des Verbrauchers zwischen diesen Beherbergungsarten haben kann.

 

56        Zwar kann die Einstufung einer Einrichtung durch die nationalen Behörden in den Augen des Durchschnittsverbrauchers grundsätzlich eine Garantie hinsichtlich des Niveaus, des Umfangs und der Qualität der Dienstleistungen geben, die ihm während seines Aufenthalts in einem Hotel oder einer ähnlichen Einrichtung erbracht werden. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass andere Elemente, die leichter abrufbar sind und regelmäßig aktualisiert werden können, wie z. B. die Bewertungen, Fotos und Kommentare anderer Kunden auf Online-Buchungsplattformen, wie sie von Valentina Heights benutzt wurden, ebenfalls einen maßgeblichen Einfluss auf die Wahl des Durchschnittsverbrauchers oder sogar einen stärkeren Einfluss haben können als die Einstufung selbst. Dies ist jedoch eine Prüfung, die gegebenenfalls das vorlegende Gericht vorzunehmen hätte (Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C‑454/12 und C‑455/12, EU:C:2014:111, Rn. 59), wenn es nach einer Prüfung zu der Auffassung gelangen sollte, dass in Anbetracht der nationalen Regelung und der tatsächlichen Umstände, mit denen es befasst ist, die Unterbringung in einer eingestuften Einrichtung einen konkreten und spezifischen Aspekt der „Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen“ im Sinne von Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen kann.

 

57        Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass die beiden in Rn. 44 des vorliegenden Urteils genannten Bedingungen, denen die Möglichkeit einer selektiven Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes unterliegt, sicherstellen sollen, dass die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit nur unter Umständen Gebrauch machen, die u. a. jede Form von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, Pro Med Logistik und Pongratz, C‑454/12 und C‑455/12, EU:C:2014:111, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

58        Im Rahmen der gegebenenfalls von ihm vorzunehmenden Prüfungen könnte das vorlegende Gericht berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall Valentina Heights die gleiche Tätigkeit offenbar in beständiger Weise sowohl dann ausgeübt hat, wenn sie über eine gegebenenfalls vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügte, als auch dann, wenn sie nicht darüber verfügte. Außerdem geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass in dem von der Gebietsdirektion der Nationalen Agentur für Einnahmen kontrollierten Zeitraum, der einen Zeitraum von fast einem Jahr umfasst, in dem diese Gesellschaft über keine Einstufungsbescheinigung verfügte, die Einnahmen aus den Tätigkeiten dieser Gesellschaft mittels bei der Steuerverwaltung angemeldeter elektronischer Registrierkassen verbucht wurden. Es würde sich demnach nicht um eine Einrichtung handeln, die niemals die Voraussetzungen für eine Einstufung erfüllt hätte und die außerhalb der Kontrolle dieser Verwaltung tätig wäre, sondern um eine Einrichtung, deren Einstufungsbescheinigung abgelaufen ist, ohne dass die am 18. November 2016, d. h. mehr als zwei Jahre vor Ablauf der früheren Bescheinigung, beantragte neue Bescheinigung ausgestellt worden wäre, und zwar unabhängig davon, ob die Verzögerung bei der Ausstellung dieser neuen Bescheinigung der Untätigkeit des Tourismusministeriums oder der Unvollständigkeit der von der Gesellschaft vorgelegten Dokumente zuzuschreiben wäre.

 

59        Was schließlich den Umstand betrifft, dass das vorübergehende Fehlen einer Einstufung gegen das Tourismusgesetz verstieße, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der steuerlichen Neutralität im Bereich der Mehrwertsteuererhebung eine allgemeine Differenzierung zwischen unerlaubten und erlaubten Geschäften verbietet (Urteil vom 27. April 2023, Fluvius Antwerpen, C‑677/21, EU:C:2023:348, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

60        Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 98 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III Nr. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Beherbergung in Hotels und ähnlichen Einrichtungen der Verpflichtung unterliegt, dass eine solche Einrichtung über eine Einstufungsbescheinigung oder eine vorläufige Einstufungsbescheinigung verfügt, soweit diese Regelung die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes nicht auf konkrete und spezifische Aspekte der Kategorie der in Hotels und ähnlichen Einrichtungen erbrachten Beherbergungsdienstleistungen beschränkt oder sie, sofern sie diese Anwendung auf solche konkreten und spezifischen Aspekte beschränkt, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht beachtet.

 

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