: Auch nach Gemeinschaftsrecht kein Anspruch auf Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG für vor 2005 erworbenes Umlaufvermögen
BFH, Urteil vom 12.2.2009 - V R 85/07
Vorinstanz: FG Niedersachsen vom 22.10.2007 - 16 K 226/07 (EFG 2008, 262)
LEITSATZ
Für vor dem 1.1.2005 ausgeführte Umsätze, die zur Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern führen, die nur einmalig zur Ausführung eines Umsatzes verwendet werden ("Umlaufvermögen"), besteht auch unter Berücksichtigung von Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG kein Anspruch auf Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG.
UStG 1999 § 15a; Richtlinie 77/388/EWG Art. 20
SACHVERHALT
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt seit 2001 einen landwirtschaftlichen Betrieb, dessen Umsätze zunächst der Besteuerung nach den Durchschnittssätzen des § 24 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) unterlagen. Mit Wirkung zum Beginn des Streitjahrs 2003 erklärte der Kläger gemäß § 24 Abs. 4 UStG, dass seine Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des UStG besteuert werden sollen. Im Rahmen einer Außenprüfung machte der Kläger neben weiteren Vorsteuerberichtigungen auch eine Vorsteuerberichtigung für Gegenstände des Umlaufvermögens "Feldinventar" geltend, die er im Jahr 2002 für die einmalige Ausführung von Umsätzen erworben hatte. Es handelte sich dabei um Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel, sonstige Spezialaufwendungen, Maschinenmiete und Lohnarbeiten sowie um Treib- und Schmierstoffe. Gegen den aufgrund der Betriebsprüfung ergangenen Umsatzsteueränderungsbescheid 2003 vom 9. Februar 2006, der die vom Kläger hierfür geltend gemachte Vorsteuerberichtigung in Höhe von 2 565,78 € nicht enthielt, legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Zwar könne der Kläger die Vorsteuerberichtigung für Umlaufvermögen nicht nach § 15a UStG beanspruchen. Der Klageanspruch sei aber nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage-- (Richtlinie 77/388/EWG) begründet.
Das Urteil des FG ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2008, 262 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) Verletzung materiellen Rechts. Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG sei nicht einschlägig. Als spezielle Bestimmung sei Art. 20 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG zu beachten. Beiden Bestimmungen komme keine unmittelbare Wirkung zu.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 2003 vom 9. Februar 2006 in Form der Einspruchsentscheidung vom 14. Mai 2007 zu bestätigen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG stelle nicht das "Ob" sondern nur das "Wie" der Berichtigung in das Ermessen der Mitgliedstaaten. Die Bestimmung sei nicht auf Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens beschränkt. Es komme eine analoge Anwendung des § 15a UStG a.F. in Betracht. Der Wechsel der Besteuerungsform stelle auch im Hinblick auf das Umlaufvermögen eine geänderte Verwendungsabsicht dar.
AUS DEN GRÜNDEN
II.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), da dem Kläger ein Anspruch auf Vorsteuerberichtigung für die im Jahr 2002 angeschafften Gegenstände des Umlaufvermögens weder nach § 15a UStG noch --entgegen der Auffassung des FG-- nach Gemeinschaftsrecht zusteht.
1. Das FG geht zu Recht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG im Streitjahr 2003 nicht vorlagen.
a) Nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG in der im Streitjahr geltenden Fassung war, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse änderten, für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Diese Vorschrift erfasst nur die Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse bei Gegenständen des Anlagevermögens, nicht aber auch bei Gegenständen des Umlaufvermögens (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Dezember 2001 V R 8/98, BFHE 197, 347, BStBl II 2002, 557), um die es im Streitfall geht.
b) Ein Anspruch auf Vorsteuerberichtigung ergibt sich auch nicht aus § 15a Abs. 2 Satz 1 UStG 2005. Danach ist eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs vorzunehmen, wenn sich bei einem Wirtschaftsgut, das nur einmalig zur Ausführung eines Umsatzes verwendet wird, die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse ändern. Zwar erfasst diese Vorschrift auch die bei Gegenständen des Umlaufvermögens eintretende Änderung der Verhältnisse. Die Vorschrift ist jedoch nach § 27 Abs. 11 UStG 2005 nur auf Vorsteuerbeträge anzuwenden, deren zugrunde liegende Umsätze anders als im Streitfall erst nach dem 31. Dezember 2004 ausgeführt wurden.
2. Entgegen der Auffassung des FG kann sich der Kläger für die Vorsteuerberichtigung nicht auf Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
a) Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG setzt die Vorsteuerberichtigung voraus, dass der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt ist. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG ist der Vorsteuerabzug zu berichtigen, "wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrages berücksichtigt werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben". Der Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob diese Voraussetzungen vorliegen, insbesondere ob der Übergang von der Besteuerung nach Durchschnittssätzen zur Regelbesteuerung im Hinblick auf die für Umlaufvermögen entstandenen Vorsteuerbeträge zu einer Änderung der bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrages berücksichtigten Faktoren führt. Denn die Vorsteuerberichtigung nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a und b der Richtlinie 77/388/EWG steht unter dem Vorbehalt der "von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten". Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 12. Juni 1997 V R 36/95 (BFHE 182, 462, BStBl II 1997, 589) entschieden hat, handelt es sich bei Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten danach zustehende Regelungsbefugnis nicht um eine Bestimmung, die einen Anwendungsvorrang zugunsten des Steuerpflichtigen begründet, da sie weder inhaltlich unbedingt noch hinreichend genau ist, sondern den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum bei ihrer Umsetzung in das nationale Recht belässt.
b) Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 20 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG die erforderlichen Bestimmungen erlassen können, um zu gewährleisten, dass dem Steuerpflichtigen beim Übergang von der normalen Mehrwertsteuerregelung zu einer Sonderregelung oder umgekehrt weder ungerechtfertigte Vorteile noch ungerechtfertigte Nachteile entstehen. Im nationalen Recht besteht hierzu eine ausdrückliche Regelung erstmals seit Inkrafttreten des § 15a Abs. 7 UStG 2005, wonach eine Änderung der Verhältnisse i.S. von § 15a Abs. 1 bis 3 UStG auch beim Übergang von der allgemeinen Besteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG und umgekehrt vorliegt, wobei auch diese Vorschrift gemäß § 27 Abs. 11 UStG 2005 nur auf Vorsteuerbeträge anzuwenden ist, deren zugrunde liegende Umsätze nach dem 31. Dezember 2004 ausgeführt wurden.
Zwar hat der Senat bereits vor Inkrafttreten des UStG 2005 die Anwendung der im Streitjahr für Anlagevermögen bestehenden Berichtigungsvorschrift des § 15a Abs. 1 UStG auf den Übergang von der Regelbesteuerung zur Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG sowie für den Umkehrfall bejaht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. Dezember 1993 V R 79/91, BFHE 173, 265, BStBl II 1994, 339). Im Hinblick auf das den Mitgliedstaaten in Art. 20 Abs. 1 und Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumte Ermessen ergibt sich aus dieser Rechtsprechung aber beim Übergang von der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG zur Regelbesteuerung kein aus dem Gemeinschaftsrecht ableitbarer Anspruch auf Vorsteuerberichtigung für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens.
c) Entgegen der Auffassung des Klägers kommt eine analoge Anwendung der im Streitjahr für Anlagevermögen bestehenden Berichtigungsvorschrift des § 15a Abs. 1 UStG auf Umlaufvermögen nicht in Betracht. Dass der nationale Gesetzgeber nach der Richtlinie bestehende Regelungsmöglichkeiten nicht ausgeübt hat, rechtfertigt nicht die Annahme einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke.
3. Die Sache ist spruchreif. Da dem Kläger der geltend gemachte Berichtigungsanspruch unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zusteht, war die Klage abzuweisen.