BFH: Anwendung des Teileinkünfteverfahrens bei Veräußerungstatbeständen gemäß § 17 EStG
BFH, Urteil vom 14.11.2023 – IX R 3/23
ECLI:DE:BFH:2023:U.141123.IXR3.23.0
Volltext BB-Online BBL2024-149-3
Amtliche Leitsätze
1. NV: Der Verlust aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterliegt dem Teileinkünfteverfahren und Teilabzugsverbot (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c Satz 1, § 3c Abs. 2 Satz 1 und 7 EStG).
2. NV: Verluste aus dem Ausfall einer in der Krise der Kapitalgesellschaft stehen gelassenen Finanzierungshilfe des Gesellschafters (Darlehen oder Bürgschaft) sind nur in Höhe des zum Zeitpunkt des Stehenlassens zu bestimmenden gemeinen Werts den Einkünften aus § 17 Abs. 1 und 4 EStG und im Übrigen den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zuzuordnen (Anschluss an Senatsurteil vom 20.06.2023 - IX R 2/22, BFHE 280, 531).
Sachverhalt
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hielt 50 % der Geschäftsanteile an der … GmbH (GmbH). Er gewährte der GmbH ein Darlehen und verbürgte sich für deren Verbindlichkeiten gegenüber mehreren Banken. Im Jahr 2016 (Streitjahr) wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde aus den Bürgschaften in Anspruch genommen. Der Insolvenzverwalter teilte im April 2016 mit, der Kläger werde für seine Rückgriffsforderungen keine Zahlungen aus der Masse erhalten.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr begehrte der Kläger den Abzug eines Auflösungsverlusts gemäß § 17 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 619.818 €. Neben den Anschaffungskosten für die GmbH-Geschäftsanteile (300.000 €) machte er insbesondere den Verlust aus dem Gesellschafterdarlehen und Zahlungen auf drei Bürgschaften geltend.
Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) berücksichtigte im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid lediglich einen Auflösungsverlust von 347.591 €. Neben dem Verlust der Stammeinlage (300.000 €) erkannte das FA nur die Zahlung auf eine der drei Bürgschaften (47.591 €) als Anschaffungskosten auf die GmbH-Beteiligung an. Das Teileinkünfteverfahren (Teilabzugsverbot) wurde nicht angewandt.
Dem Einspruch half das FA insoweit ab, als es den Ausfall des Klägers mit dem Gesellschafterdarlehen (99.432 €) berücksichtigte und damit den Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 EStG auf 447.023 € erhöhte. Den weitergehenden Einspruch wies es zurück.
Die Klage, mit der der Kläger Aufwand aus der Inanspruchnahme aus den beiden weiteren Bürgschaften (insgesamt 172.199,84 €) bei der Ermittlung des Auflösungsverlusts geltend machte, hatte in vollem Umfang Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Ansicht, die Bürgschaften seien spätestens im Jahr 2015 eigenkapitalersetzend geworden, da der Kläger die Bürgschaften trotz der eingetretenen Krise bei der GmbH habe stehen lassen. Der Auflösungsverlust sei bereits im Streitjahr zu berücksichtigen, da mit einer wesentlichen Änderung des Verlusts nicht mehr zu rechnen gewesen sei.
Mit seiner Revision bringt das FA vor, die Bürgschaften seien nicht eigenkapitalersetzend gewesen. In jedem Fall sei zu berücksichtigen, dass das FG versäumt habe, das Teileinkünfteverfahren (Teilabzugsverbot) anzuwenden. Dem Kläger sei ein zu hoher Auflösungsverlust zugesprochen worden, sodass zu saldieren sei.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er sieht die Voraussetzungen für den Abzug der Aufwendungen aus den Bürgschaften als nachträgliche Anschaffungskosten im Einklang mit der Vorinstanz als gegeben an. Dass das Teileinkünfteverfahren (Teilabzugsverbot) für den Auflösungsverlust nicht angewandt worden sei, könne aufgrund der eigenen Versäumnisse des FA im außergerichtlichen und vorinstanzlichen Verfahren in der Revisionsinstanz nicht mehr in Frage gestellt werden. Unbeschadet dessen wäre es verfassungswidrig, den Auflösungsverlust nach Maßgabe der gesetzlichen Regelung in § 3c Abs. 2 EStG nur zu 60 % abzuziehen.
Das FA hat am 04.10.2023 den angefochtenen Einkommensteuerbescheid aus vorliegend nicht streitigen Gründen geändert.
Aus den Gründen
11 II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufzuheben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
12 1. Das Urteil der Vorinstanz ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 vom 01.11.2017, geändert am 24.05.2018, und die hierauf ergangene Einspruchsentscheidung vom 02.07.2020 entschieden. Während des Revisionsverfahrens ist am 04.10.2023 ein erneut geänderter Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr ergangen, der nach § 121 Satz 1, § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist. Damit liegt dem angefochtenen Urteil ein nicht mehr wirksamer Bescheid zugrunde mit der Folge, dass das Urteil keinen Bestand mehr haben kann (§ 127 FGO).
13 2. Darüber hinaus ist das FG-Urteil in der Sache aufzuheben. Das FG hat einen Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG in voller Höhe (619.223 €) zuerkannt und dabei die gesetzlichen Vorgaben zum Teileinkünfteverfahren (Teilabzugsverbot) nicht berücksichtigt.
14 a) Nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c Satz 2 EStG sind 40 % des Veräußerungspreises im Sinne von § 17 Abs. 4 EStG steuerfrei (Teileinkünfteverfahren). Korrespondierend hierzu dürfen gemäß § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die unter anderem mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum sie anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zu 60 % abgezogen werden; entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder ‑‑wie im Streitfall‑‑ die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindernd zu berücksichtigen sind (Teilabzugsverbot).
15 Für die Anwendung des § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG ist nach Satz 7 der Vorschrift die Absicht zur Erzielung von Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen im Sinne des § 3 Nr. 40 EStG ausreichend. Mit dieser Norm reagierte der Gesetzgeber im Jahressteuergesetz 2010 (‑‑JStG 2010‑‑, BGBl I 2010, 1768) auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach das Teilabzugsverbot ausgeschlossen ist, wenn der Steuerpflichtige tatsächlich keine nach § 3 Nr. 40 EStG relevanten Einnahmen aus der Beteiligung erzielt hat (Senatsentscheidungen vom 25.06.2009 - IX R 42/08, BFHE 225, 445, BStBl II 2010, 220; vom 14.07.2009 - IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399 sowie vom 18.03.2010 - IX B 227/09, BFHE 229, 177, BStBl II 2010, 627; vgl. auch BTDrucks 17/2249, S. 50). Die Regelung gilt erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2011 (§ 52 Abs. 8a Satz 3 i.V.m. § 3c Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010) und damit auch im Streitjahr.
16 b) Diese rechtlichen Vorgaben hat das FG nicht beachtet. Der in der angegriffenen Entscheidung zugesprochene Auflösungsverlust von 619.223 € (= 447.023 € + 172.199,84 €) bildet nicht 60 % der Aufwendungen des Klägers ab, sondern 100 %.
17 c) Die gegen die Anwendung des Teilabzugsverbots gerichteten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch.
18 aa) Zum einen hat der Senat bereits entschieden, dass die mit § 3c Abs. 2 Satz 1 und 7 EStG verbundene Einschränkung des Abzugs von Anschaffungskosten auf die Beteiligung von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist (Senatsurteil vom 02.09.2014 - IX R 43/13, BFHE 247, 203, BStBl II 2015, 257, Rz 20 ff.; vgl. auch Senatsbeschluss vom 04.12.2018 - IX B 60/18, Rz 5). Hieran hält der Senat fest, zumal die gegenteiligen Erwägungen des Klägers auf einer überholten Rechtslage beruhen.
19 bb) Zum anderen ist die Ansicht des Klägers, die Nichtanwendung des Teilabzugsverbots binde den erkennenden Senat, unzutreffend. Es handelt sich ersichtlich nicht um eine tatsächliche Feststellung im Sinne von § 118 Abs. 2 FGO, sondern um eine im Revisionsverfahren uneingeschränkt überprüfbare Rechtsfrage. Die vom Kläger hervorgehobenen Versäumnisse des FA im außergerichtlichen und vorinstanzlichen Verfahren sind für die hier zu treffende Entscheidung daher ohne Belang.
20 3. Auf die vom FA angeführten Verfahrensmängel kommt es nicht mehr an.
21 4. Die nicht spruchreife Sache ist an das FG zurückzuverweisen. Der Senat kann nach Maßgabe der bisherigen Feststellungen nicht selbst entscheiden, ob und in welcher Höhe der Kläger für das Streitjahr Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Auflösung der GmbH stehen, steuerlich abziehen kann.
22 a) Die Auffassung des FA, die Klage wäre auch dann abzuweisen, wenn der Aufwand des Klägers aus den beiden streitigen Bürgschaften (172.199,84 €) zu berücksichtigen wäre, träfe nur zu, wenn jener Aufwand in Gänze den Einkünften aus § 17 EStG zuzuordnen wäre.
23 In diesem Fall betrüge der Auflösungsverlust 619.223 €, wäre gemäß § 3c Abs. 2 Satz 1 und 7 EStG allerdings nur zu 60 % (= 371.533 €) abziehbar. Jener Verlust wäre geringer als der vom FA bereits anerkannte Verlust (= 447.023 €), sodass der Senat zwar nicht berechtigt gewesen wäre, den Kläger steuerlich schlechter zu stellen (Verböserungsverbot), aber verpflichtet gewesen wäre, im Rahmen des Klageantrags eine Saldierung zu dessen Lasten vorzunehmen (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 23.08.2017 - X R 33/15, BFHE 259, 311, BStBl II 2018, 62, Rz 44 sowie vom 19.05.2021 - X R 20/19, BFHE 273, 237, Rz 83 f., m.w.N.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 96 Rz 52).
24 b) Allerdings vermitteln die bisherigen Feststellungen der Tatsacheninstanz kein klares Bild, inwiefern der Ausfall der vom Kläger hingegebenen Finanzierungshilfen überhaupt dem Anwendungsbereich des § 17 Abs. 4 EStG und nicht vielmehr den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 Halbsatz 1 EStG, für die das Teilabzugsverbot nicht gilt, zuzuordnen wäre (dazu unter aa). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die hierzu nachzuholenden tatsächlichen Feststellungen (unter bb) zur Folge haben, dass die gesamten vom Kläger erlittenen und für das Streitjahr steuerlich anzuerkennenden Aufwendungen den Betrag von 447.023 € übersteigen (unter cc).
25 aa) Erleidet ein Gesellschafter einen Verlust aus einem gegenüber seiner Kapitalgesellschaft gewährten Darlehen oder fällt er mit einer Regressforderung für eine zu Gunsten der Gesellschaft hingegebene Bürgschaft aus, gehört der sich hieraus ergebene Aufwand nur insoweit zu den Einkünften aus § 17 EStG, als die jeweilige Finanzierungshilfe durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (vgl. inzwischen § 17 Abs. 2a Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 EStG).
26 aaa) Bei der Beurteilung einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung hat der BFH für Veranlagungszeiträume bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008 (BGBl I 2008, 2026) darauf abgestellt, ob die Finanzierungshilfe eigenkapitalersetzend war (z.B. Senatsurteil vom 02.04.2008 - IX R 76/06, BFHE 221, 7, BStBl II 2008, 706, unter II.1.). Er hat dies bejaht, wenn der Gesellschafter der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute nur noch Eigenkapital zugeführt hätten (Krise der Gesellschaft), stattdessen ein Darlehen gewährt oder eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt hatte (u.a. Senatsurteil vom 07.12.2010 - IX R 16/10, Rz 24).
27 bbb) Diese Rechtsprechung hat der BFH infolge des mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vollzogenen Wegfalls des Eigenkapitalersatzrechts aufgegeben (Senatsurteil vom 11.07.2017 - IX R 36/15, BFHE 258, 427, BStBl II 2019, 208, Rz 32 ff.). Er hat sie aber aus Vertrauensschutzgründen für wirtschaftliche Dispositionen, die der Gesellschafter in Bezug auf zuvor als eigenkapitalersetzend zu qualifizierende Finanzierungshilfen bis zur Veröffentlichung des vorgenannten Urteils am 27.09.2017 getroffen hat, für weiterhin anwendbar erklärt (Senatsurteile vom 11.07.2017 - IX R 36/15, BFHE 258, 427, BStBl II 2019, 208, Rz 41 f. sowie vom 14.01.2020 - IX R 9/18, BFHE 268, 61, BStBl II 2020, 490, Rz 23).
28 ccc) Eigenkapitalersetzende Darlehen und Bürgschaften, die in der Krise der Gesellschaft hingegeben oder von vornherein in die Finanzplanung der Gesellschaft einbezogen waren, waren nach Maßgabe der im Streitjahr somit noch geltenden Grundsätze in Höhe des Nennwerts des ausgefallenen Anspruchs als nachträgliche Anschaffungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus § 17 EStG zu berücksichtigen. Dagegen waren Finanzierungshilfen, die erst aufgrund des Eintritts der Krise, zum Beispiel in Verbindung mit der Nichtausübung der Rechte nach § 775 Abs. 1 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, eigenkapitalersetzenden Status erlangten, nur mit dem im Zeitpunkt des Eintritts der Krise beizulegenden Wert anzusetzen (statt vieler Senatsurteil vom 11.07.2017 - IX R 36/15, BFHE 258, 427, BStBl II 2019, 208, Rz 19).
29 ddd) Während im letztgenannten Fall nach früherer Rechtslage der bis zum Eintritt der Krise eingetretene Wertverlust der steuerlich unbeachtlichen privaten Vermögenssphäre zufiel, führt seit Einführung der Abgeltungsteuer der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG (vgl. hierzu ausführlich BFH-Urteile vom 24.10.2017 - VIII R 13/15, BFHE 259, 535, BStBl II 2020, 831, Rz 10 ff. sowie vom 27.10.2020 - IX R 5/20, BFHE 271, 359, BStBl II 2021, 600, Rz 29 ff.). Dies gilt sowohl für Verluste aus in der Krise stehen gelassenen Gesellschafterdarlehen (Senatsurteil vom 27.10.2020 - IX R 5/20, BFHE 271, 359, BStBl II 2021, 600) als auch für den Ausfall der Regressforderung hinsichtlich einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft (Senatsurteil vom 20.06.2023 - IX R 2/22, BFHE 280, 531). In einem solchen Fall ist nur der zum Zeitpunkt des Stehenlassens der Finanzierungshilfe zu bestimmende gemeine Wert dem Anwendungsbereich des § 17 EStG zuzuordnen. Der nicht werthaltige Teil unterfällt dagegen § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2 EStG, ohne dass insoweit die Subsidiaritätsklausel des § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG berührt würde (Senatsurteil vom 20.06.2023 - IX R 2/22, BFHE 280, 531, Rz 34 ff.).
30 bb) Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob es sich bei den vom Kläger gewährten Darlehen und Bürgschaften um jeweils mit dem Nennwert zu bewertende krisenbestimmte, in der Krise gewährte oder in die Finanzplanung der GmbH einbezogene Finanzierungshilfen gehandelt hat. Die Entscheidung, die Bürgschaften seien "spätestens im Jahr 2015 eigenkapitalersetzend" geworden, da der Kläger sie trotz Kriseneintritts habe stehen lassen, hätte nach den vorgenannten Rechtsgrundsätzen nur dann die vom FG vorgenommene Bewertung mit dem Nennwert gerechtfertigt, wenn ein Rückgriffsanspruch des Klägers zum Zeitpunkt des Stehenlassens noch voll werthaltig gewesen wäre. Auch hierzu fehlen tatsächliche Feststellungen, die das FG nach Maßgabe der unter 4. dargelegten Hinweise im zweiten Rechtsgang nachzuholen hat.
31 cc) Soweit der Ausfall des Klägers mit seinen Finanzierungshilfen nach vorgenannten Rechtsgrundsätzen den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG) zuzuordnen wäre, unterlägen die Verluste nicht dem Teilabzugsverbot des § 3c Abs. 2 EStG, sondern wären voll ausgleichsfähig. In Anbetracht der Höhe der Beteiligung des Klägers an der GmbH käme auch der gesonderte Steuertarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG nicht zum Zuge (§ 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG). Sollten sowohl der Verlust des Gesellschafterdarlehens als auch der Regressausfall für sämtliche Bürgschaften und weitere Zahlungen in vollem Umfang als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu behandeln sein, käme ein steuerlicher Gesamtverlust von mehr als 447.023 € in Betracht.
32 5. Für den zweiten Rechtsgang weist der Senat auf Folgendes hin:
33 a) Das FG wird zunächst erneut zu beurteilen haben, ob für das Streitjahr dem Grunde nach ein Auflösungsverlust gemäß § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG abziehbar ist. Nach Maßgabe der insoweit geltenden Rechtsgrundsätze (u.a. Senatsurteil vom 19.11.2019 - IX R 7/19, Rz 16 ff., m.w.N.) dürfte allein die vom FG hervorgehobene Auskunft des Insolvenzverwalters vom 29.04.2016, auf die Darlehensforderung des Klägers werde im laufenden Insolvenzverfahren "keine Quote entfallen", nicht ausreichen, um sicher annehmen zu können, dass der gemeine Wert des dem Gesellschafter zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die Liquidations- und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) feststehen. Ließen die Feststellungen des FG es nicht zu, bereits für das Streitjahr einen Auflösungsverlust zu berücksichtigen, wäre die Klage abzuweisen. Der bislang vom FA anerkannte Verlust im Sinne von § 17 Abs. 4 EStG von 447.023 € läge höher als ein etwaig schon für das Streitjahr nach den Grundsätzen der Senatsentscheidung vom 27.10.2020 - IX R 5/20 (BFHE 271, 359, BStBl II 2021, 600, Rz 35 ff.) abzuziehender Verlust für den Ausfall des Klägers mit seinen Finanzierungshilfen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG von maximal 319.223 €.
34 b) Wären die Verluste des Klägers dem Grunde nach für das Streitjahr zu berücksichtigen, hätte das FG für jede gewährte Finanzierungshilfe Feststellungen zu treffen, ob diese krisenbestimmt war, in der Krise gewährt wurde, in die Finanzplanung der GmbH einbezogen war oder in der Krise stehen gelassen wurde. Soweit Letzteres der Fall wäre, müsste das FG zudem feststellen, welchen tatsächlichen Wert der Rückzahlungs- beziehungsweise Ausgleichsanspruch zum Zeitpunkt des Stehenlassens der jeweiligen Finanzierungshilfe hatte. Hieran anknüpfend hätte das FG schließlich zu befinden, ob der insgesamt steuerlich anzuerkennende Aufwand, der aus der Auflösung der GmbH und den Verlusten aus den hingegebenen Finanzierungshilfen herrührt, den Betrag von 447.023 € überschreitet.
35 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.