R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Steuerrecht
27.03.2025
Steuerrecht
BFH: Anscheinsbeweis für Privatnutzung eines Pickup und Anwendung der Ein-Prozent-Regelung

BFH, Urteil vom 16.1.2025 – III R 34/22

ECLI:DE:BFH:2025:U.160125.IIIR34.22.0

Volltext:BB-ONLINE BBL2025-789-3

Amtlicher Leitsatz

Stellt das Finanzgericht (FG) nur Tatsachen fest, aus denen weder bei einer Einzelbetrachtung noch in ihrer Zusammenschau die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann, fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Annahme, mit einem zum Betriebsvermögen gehörenden, typischerweise zum privaten Gebrauch geeigneten Kraftfahrzeug seien möglicherweise keine Privatfahrten unternommen worden. Geht das FG unter diesen Umständen von der Erschütterung des Anscheinsbeweises für die Privatnutzung aus, liegt ein Fehler der Rechtsanwendung vor, der dazu führt, dass der Bundesfinanzhof an die Würdigung des FG nicht gebunden ist.

Sachverhalt

In der Sache ist streitig, ob der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die in den Streitjahren 2015 und 2016 festzusetzende Einkommensteuer der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) zu Recht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unter Berücksichtigung zusätzlicher Entnahmen in Höhe von einem Prozent des Bruttolistenpreises des im Betriebsvermögen des Klägers bilanzierten Pickup erhöht hat.

Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1, § 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie lebten zusammen mit zwei volljährigen Kindern (A und B) auf einem großen Grundstück. Dort befand sich neben dem Wohnhaus auch der Firmensitz beziehungsweise die Betriebsstätte des Betriebs des Klägers. Der Kläger erzielte aus dem Betrieb, in dem rund zwei Dutzend Arbeitnehmer und Aushilfen beschäftigt waren und dessen Gewinn durch Bestandsvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelt wurde, Einkünfte aus Gewerbebetrieb, außerdem Einkünfte aus einer nichtselbständigen Arbeit sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Die Klägerin arbeitete als Aushilfe auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers. Beide Kinder studierten beziehungsweise waren in Ausbildung.

Im Betriebsvermögen des Betriebs befanden sich in den Streitjahren neben dem Dienstwagen eines Vorarbeiters unter anderem ein BMW sowie ab dem xx.02.2015 der im Streit stehende Pickup, dessen Bruttolistenpreis sich auf 44.458 € belief. Für beide Fahrzeuge wurde kein Fahrtenbuch geführt.

In den Streitjahren hatten der Kläger und seine Familie nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) eine direkte und uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit auf den dem Kläger als Einzelunternehmer gehörenden Pickup, der ‑‑von den Arbeitszeiten im Betrieb abgesehen‑‑ vor dem Wohnhaus der Kläger und ihrer Kinder zur Nutzung bereit stand.

Für den Pickup nahm der Kläger keine Versteuerung eines privaten Nutzungsanteils vor. Zur Bewertung der Privatnutzung des BMW wendete der Kläger die Ein-Prozent-Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG an.

Im Privatvermögen der Kläger befanden sich in den Streitjahren

- ein Pkw 1, der vom xx.01.2015 bis zum xx.02.2018 genutzt wurde (Erstzulassung 2005),

- ein Pkw 2, der bis zum xx.05.2015 genutzt wurde

(Erstzulassung 1998), und

- ein Pkw 3, der ab dem xx.02.2015 genutzt wurde

(Erstzulassung 2003).

Diese (Klein-)Wagen wurden in den Streitjahren den Kindern der Kläger überlassen; der Pkw 3 ersetzte den Pkw 2. Diese Fahrzeuge standen nach Angaben des Klägers, wenn er es wünschte, zu seiner Verfügung. Gleiches galt nach seinen Angaben für den BMW.

Die Veranlagung für die Streitjahre erfolgte zunächst erklärungsgemäß. Später kam eine Prüferin des FA zu der Auffassung, dass der Beweis des ersten Anscheins für eine private Mitbenutzung des Pickup spreche. Mangels Fahrtenbuchs sei die Privatnutzung mit der Ein-Prozent-Regelung anzusetzen. Das FA erließ hierauf gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung am 29.08.2018 Änderungsbescheide und berücksichtigte für das Jahr 2015 einen um 5.000 € und für das Jahr 2016 einen um 6.000 € höheren Gewinn aus Gewerbebetrieb (geschätzter Bruttolistenpreis 50.000 € x 1 % x 10 Monate in 2015 und x 12 Monate in 2016). Im Einspruchsverfahren minderte das FA unter Berücksichtigung des vom Kläger nachgewiesenen Bruttolistenpreises für den Pickup in Höhe von 44.458 € den Gewinn aus Gewerbebetrieb (2015: ./. 554 € und 2016: ./. 665 €) und die Einkommensteuer mit Änderungsbescheiden vom 24.10.2018. Im Übrigen wies es die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 29.07.2019 als unbegründet zurück.

Der dagegen erhobenen Klage gab das FG statt. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 1690 veröffentlicht.

Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision.

Das FA beantragt,

die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Aus den Gründen

13        II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) und erweist sich auch nicht im Ergebnis als richtig (§ 126 Abs. 4 FGO). Sie ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

14        1. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG ist die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs (Kfz), das zu mehr als 50 Prozent betrieblich genutzt wird, für jeden Kalendermonat mit einem Prozent des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattung einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Halbsatz 1 EStG kann die private Nutzung abweichend von dieser Vorschrift mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.

15        a) Diese Regelung betrifft Fahrzeuge, für die der Steuerpflichtige einen Betriebsausgabenabzug geltend macht und die (seit dem Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28.04.2006, BGBl I 2006, 1095) überwiegend betrieblich genutzt werden (vgl. etwa Prinz in Bordewin/Brandt, § 6 EStG Rz 1/676 und Rz 1/701 ff.; Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 6 Rz 532). Sie beruht auf der Erfahrung, dass Kfz, die ihrer Art nach typischerweise zum privaten Gebrauch geeignet sind und die für Privatfahrten zur Verfügung stehen, regelmäßig auch privat genutzt werden (sogenannter Beweis des ersten Anscheins, Anscheinsbeweis oder Erfahrungssatz, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22.10.2024 - VIII R 12/21, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 20; vom 06.10.2011 - VI R 56/10, BFHE 235, 383, BStBl II 2012, 362, Rz 15 und vom 13.02.2003 - X R 23/01, BFHE 201, 499, BStBl II 2003, 472, unter II.1.d, II.2.b bb; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573, Rz 3; Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 6 Rz 535).

16        b) Der Anscheinsbeweis kann durch den sogenannten Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden.

17        aa) Dabei obliegt es demjenigen, der sich auf einen Ausnahmefall beruft und aus dessen Sphäre die den Ausnahmefall begründenden Tatsachen herrühren, substantiiert Umstände darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, die den Beweis des ersten Anscheins einer Privatnutzung des betrieblichen Kfz entkräften oder erschüttern. Dazu ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Steuerpflichtige substantiiert einen Sachverhalt darlegt und im Zweifelsfall nachweist, der die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365, Rz 16).

18        bb) Der Vollbeweis des Gegenteils ist nicht erforderlich. Der Steuerpflichtige muss also nicht beweisen, dass eine private Nutzung des betrieblichen Kfz nicht stattgefunden hat (vgl. BFH-Urteil vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365, Rz 16; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573, Rz 4). Nur die Tatsachen, aus denen entweder bei einer Einzelbetrachtung oder in ihrer Zusammenschau ein atypischer Geschehensablauf abgeleitet werden kann, müssen substantiiert vorgetragen und im Zweifelsfall bewiesen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 20.10.2009 - VI B 74/08, BFH/NV 2010, 197, unter 1.).

19        cc) Die bloße Behauptung des Steuerpflichtigen, mit dem betrieblichen Kfz sei niemand privat gefahren, genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht, um den Beweis des ersten Anscheins einer Privatnutzung eines betrieblich genutzten Kfz zu erschüttern (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 22.10.2024 - VIII R 12/21, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 22; vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365, Rz 16; vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974, unter II.3.a bb; vom 13.02.2003 - X R 23/01, BFHE 201, 499, BStBl II 2003, 472, unter II.1.a; BFH-Beschluss vom 13.12.2011 - VIII B 82/11, BFH/NV 2012, 573, Rz 5, m.w.N.). Auch im Übrigen sind die Grundsätze, nach denen sich bestimmt, ob eine Privatnutzung des betrieblichen Kfz objektiv nicht ernsthaft in Betracht kam oder ob der Anscheinsbeweis einer privaten Mitnutzung eines betrieblich genutzten Kfz sonst erschüttert ist, durch die Rechtsprechung vorgeprägt.

20        c) Trägt der Steuerpflichtige substantiiert Tatsachen vor, aus denen entweder bei einer Einzelbetrachtung oder in ihrer Zusammenschau die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann, beweist er sie gegebenenfalls und gelingt es ihm damit, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, muss das FA eine private Nutzung des betrieblich genutzten Kfz nachweisen. Kann es das nicht, ist die Ein-Prozent-Regelung nicht anwendbar. Denn das FG muss sich grundsätzlich die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) davon bilden, dass eine private Nutzung tatsächlich stattgefunden hat, wenn es § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG anwenden will (BFH-Urteile vom 04.12.2012 - VIII R 42/09, BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365, Rz 14 und Rz 17 und vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974, unter II.3.a).

21        d) Gelingt es dem Steuerpflichtigen nicht, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, ist die Ein-Prozent-Regelung anzuwenden (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 1 EStG), sofern er kein Fahrtenbuch führt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 Halbsatz 1 EStG).

22        e) Über die Frage, ob der Steuerpflichtige den für eine Privatnutzung sprechenden Beweis des ersten Anscheins entkräftet oder erschüttert hat, entscheidet das FG unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

23        Zwar ist die finanzrichterliche Überzeugungsbildung revisionsrechtlich nur eingeschränkt auf Verstöße gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze überprüfbar. Das FG hat jedoch im Einzelnen darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat. Die aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu gewinnende Würdigung des FG ist nur dann ausreichend und für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn sie auf einer logischen, verstandesmäßig einsichtigen Würdigung zutreffender Kriterien beruht, deren nachvollziehbare Folgerungen den Denkgesetzen entsprechen und von den festgestellten Tatsachen getragen werden. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor (Senatsurteil vom 14.04.2021 - III R 50/20, BFHE 273, 385, BStBl II 2021, 866, Rz 15, m.w.N.), der als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge beanstandet werden kann (z.B. BFH-Urteile vom 26.06.2014 - VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9, Rz 21, m.w.N. und vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974, unter II.3.a cc und b).

24        2. Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen nicht. Es fehlt an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Annahme des FG, mit dem Pickup seien möglicherweise keine Privatfahrten unternommen worden. Denn das FG hat nur solche Tatsachen festgestellt, aus denen weder bei einer Einzelbetrachtung noch in ihrer Zusammenschau die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs abgeleitet werden kann. Das FG ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Anscheinsbeweis erschüttert sei und das FA deshalb die Behauptungen der Kläger widerlegen und eine Privatnutzung des Pickup beweisen müsse.

25        a) Objektive Umstände, wonach eine Privatnutzung des Pickup im Streitfall in den Monaten März bis Dezember 2015 und im Jahr 2016 (zum Beispiel wegen fehlender Zulassung des Kfz oder fehlender Fahrerlaubnis der Kläger oder der dauerhaften Überlassung an einen Mitarbeiter) nicht in Betracht kam, hat das FG nicht festgestellt.

26        b) Der Vortrag des Klägers, das Fahrzeug sei seiner Familie für eine Privatnutzung zu groß gewesen, ist nicht geeignet, den für die private Nutzung des Kfz sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften; dass der Pickup auch dem Kläger selbst zu groß war, wurde zudem schon nicht vorgetragen.

27        aa) Sogenannte Kombinationsfahrzeuge, die wahlweise zur Güter- oder zur Personenbeförderung eingesetzt werden können, sind unabhängig von ihrer kraftfahrzeugsteuer- und straßenverkehrsrechtlichen Klassifizierung typischerweise auch zum privaten Gebrauch geeignet und werden erfahrungsgemäß auch privat genutzt (BFH-Urteil vom 13.02.2003 - X R 23/01, BFHE 201, 499, BStBl II 2003, 472, unter II.2.b aa und bb; BFH-Beschluss vom 11.07.2005 - X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801, unter 1.b; FG München, Urteil vom 06.03.2008 - 15 K 4626/05, EFG 2008, 1448, Rz 17; vgl. auch Brandis/Heuermann/Krumm, § 6 EStG Rz 1367 f., 1375; Schmidt/Kulosa, EStG, 43. Aufl., § 6 Rz 530, m.w.N.; Strahl in Korn, § 6 EStG Rz 404.8).

28        bb) Der Pickup des Klägers, ein Pickup mit fünf Sitzen, war ein sogenanntes Kombinationsfahrzeug, das nach den eindeutigen Feststellungen des FG objektiv und auch im konkreten Fall zum privaten Gebrauch geeignet war. Er hatte in etwa die Größe eines Kleinbusses, wie ihn viele Familien nutzen. Eine derartige Größe ist kein Umstand, der für sich genommen den Anscheinsbeweis beziehungsweise Erfahrungssatz widerlegt, dass das Fahrzeug auch privat genutzt wurde.

29        c) Die Werbefolien des klägerischen Betriebs auf der Karosserie des Pickup scheiden als Grund für die Erschütterung des Anscheinsbeweises der Privatnutzung des Kfz aus.

30        aa) Auf der Karosserie eines Kfz angebrachte Werbefolien eines Handwerks- oder ...-Betriebs stehen einer Privatnutzung des Kfz regelmäßig nicht entgegen; vielmehr vergrößert die Nutzung des Fahrzeugs außerhalb des Einsatzes im Betrieb die Chance, dass die Werbung ihre Wirkung entfaltet, was im Interesse des Werbetreibenden liegt. Derartige Werbefolien sind daher regelmäßig nicht geeignet, den Anscheinsbeweis einer Privatnutzung zu widerlegen. Darauf, ob die Werbefolien entfernt werden können, ohne zerstört zu werden, kommt es nicht an.

31        bb) Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass sich auf der Karosserie des Pickup "zurückhaltend" gestaltete Werbefolien des Betriebs des Klägers befanden. Einen Grund, weshalb die Werbefolien einer Privatnutzung entgegen gestanden haben könnten, hat das FG nicht festgestellt. Dass die Werbefolien nicht entfernt werden konnten, ohne Schaden zu nehmen, ist deshalb ohne Belang.

32        d) Eine betriebsbedingte Verschmutzung des Pickup wurde vom FG nicht festgestellt und wäre auch kein Umstand, der den Anscheinsbeweis einer Privatnutzung eines betrieblichen Kfz erschüttert, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 11.07.2005 - X B 11/05, BFH/NV 2005, 1801, unter 1.b).

33        e) Der Anscheinsbeweis für eine auch private Nutzung des Pickup wird weder dadurch in Frage gestellt, dass nach dem Vortrag der Kläger für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz ein Kfz nicht erforderlich war, noch dadurch, dass der Pickup betrieblich genutzt wurde und der Kläger nach seinem Vortrag während dieser Zeit und während seiner eigenen nichtselbständigen Tätigkeit keine Gelegenheit zu Privatfahrten hatte oder dadurch, dass die Kläger in bestimmten Fällen auf alternative Transportmittel zurückgegriffen haben wollen.

34        aa) § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und 3 EStG beziehungsweise die Ein-Prozent-Regelung betrifft nur überwiegend betrieblich genutzte Fahrzeuge, die nicht ständig und uneingeschränkt zur Privatnutzung zur Verfügung stehen. Dass man das Kfz nur außerhalb der Zeiten, in denen es für betriebliche Zwecke gebraucht wird, und außerhalb der eigenen Arbeitszeit ‑‑unabhängig davon, ob diese im Betrieb oder bei einem anderen Arbeitgeber zu erbringen ist‑‑ privat nutzen kann, ist somit der Regelfall. Es genügt, dass eine Privatnutzung zum Beispiel am Morgen, am Abend oder an Sonn- und Feiertagen oder in der Urlaubszeit möglich ist. Ob der Steuerpflichtige im Laufe seines Arbeitstages mit dem Kfz zwischendurch private Besorgungen machen kann, ist für die Anwendung der Ein-Prozent-Regelung ohne Belang.

35        bb) Im Streitfall ist das FG dem Vortrag gefolgt, dass der Kläger während der Arbeits- und Betriebszeiten des Betriebs und seiner eigenen Arbeitszeiten nicht privat mit dem Pickup fahren und mit dem Pickup auch nicht zwischendurch Besorgungen machen konnte. Dies genügt jedoch nicht, um den Erfahrungssatz einer auch privaten Nutzung des Pickup in Zweifel zu ziehen. Dieser wird insbesondere auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Kfz nach dem Vortrag der Kläger für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz nicht erforderlich war oder dass für bestimmte Gelegenheiten ‑‑den Umzug der Tochter, den Transport von sperrigen Gegenständen und die Entsorgung von Grünschnitt‑‑ andere Lösungen gefunden worden seien.

36        Denn das FG hat keine Umstände festgestellt, welche eine Privatnutzung des Pickup außerhalb der Betriebszeiten und der jeweiligen Arbeitszeiten ‑‑also am Morgen, am Abend, am Wochenende und in der Urlaubszeit‑‑ in Frage stellen könnten. Die Kläger hatten vielmehr nach den Feststellungen des FG ‑‑von ihren Arbeitszeiten und von den Betriebszeiten des Betriebs abgesehen‑‑ eine direkte und uneingeschränkte Zugriffsmöglichkeit auf den dem Kläger gehörenden Pickup, der in der übrigen Zeit vor dem Wohnhaus der Kläger zur Nutzung bereit stand. Da der Kläger seinen Betrieb als Einzelunternehmer führte, musste er sich mit niemandem abstimmen und war niemandem Rechenschaft schuldig, wenn er das Kfz privat nutzen oder seinen Angehörigen eine Privatnutzung gestatten wollte. Unter diesen Umständen spricht die Erfahrung dafür, dass der Pickup auch privat genutzt wurde.

37        f) Der Verweis auf das Vorhandensein des BMW und auf die den Kindern überlassenen Wagen ist gleichfalls nicht geeignet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, dass der Pickup auch privat genutzt wurde.

38        aa) Steht dem Steuerpflichtigen kein in Status und Gebrauchswert mit dem betrieblich genutzten Kfz vergleichbares Privatfahrzeug ständig und uneingeschränkt zur Privatnutzung zur Verfügung, mit denen er seine jeweiligen Fahr- und Repräsentationsbedürfnisse abdecken kann, spricht die Erfahrung dafür, dass ein betriebliches Kfz, das diese Bedürfnisse deckt und für Privatfahrten genutzt werden kann, dafür auch genutzt wird (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19.05.2009 - VIII R 60/06, BFH/NV 2009, 1974, unter II.3.b; BFH-Beschluss vom 31.05.2023 - X B 111/22, BFH/NV 2023, 958, Rz 13 ff.).

39        bb) In den Streitjahren hatten die Kläger kein mit dem Pickup in Status und Gebrauchswert vergleichbares Privatfahrzeug zur jederzeitigen uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung.

40        Die den volljährigen Kindern überlassenen, alten (Klein-)Wagen waren zwar Privatfahrzeuge. Sie waren mit dem Pickup in Status und Gebrauchswert aber nicht vergleichbar und standen dem Kläger nur nach Anforderung zur Verfügung.

41        Der BMW war nach den Feststellungen des FG zwar mit dem Pickup in Status und Gebrauchswert vergleichbar. Dieser war jedoch ein Betriebsfahrzeug, wurde entsprechend auch in erheblichem Umfang betrieblich genutzt und stand schon deshalb nicht zur uneingeschränkten Privatnutzung zur Verfügung. Zudem mussten sich der Kläger und die Klägerin hinsichtlich der Nutzung des BMW absprechen.

42        Unter diesen Umständen spricht der Beweis des ersten Anscheins und die Erfahrung dafür, dass nicht nur der BMW, sondern auch der Pickup privat genutzt wurde. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem Fall des BFH-Urteils vom 22.10.2024 - VIII R 12/21 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt), in welchem dem dortigen Kläger mehrere Privatfahrzeuge zur Verfügung standen, und dem Fall des BFH-Urteils vom 04.12.2012 - VIII R 42/09 (BFHE 239, 443, BStBl II 2013, 365, Rz 20), in dem einem der Kläger im gesamten Kalenderjahr ein vergleichbares Privatfahrzeug zur Verfügung stand.

43        g) Auch eine Zusammenschau der vom FG festgestellten Umstände ist im Streitfall nicht geeignet, den Anscheinsbeweis einer privaten Mitnutzung des Pickup am Morgen oder am Abend, an Sonn- und Feiertagen oder in der Urlaubszeit zu erschüttern, der außerhalb der Betriebszeiten des Betriebs abfahrbereit vor dem Haus stand. Daher war das FA nicht gehalten, eine private Nutzung des Fahrzeugs nachzuweisen.

44        3. Der Senat kann selbst entscheiden. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.

45        Die angefochtenen Änderungsbescheide sind rechtmäßig. Die Ein-Prozent-Regelung ist auch für den Pickup anwendbar. Ein Grund, den Streitfall zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, ist nicht ersichtlich.

46        Der Pickup des Klägers war zum privaten Gebrauch geeignet und stand außerhalb der Betriebs- und Arbeitszeiten für Privatfahrten zur Verfügung. Nach dem Beweis des ersten Anscheins wurde er auch privat genutzt. Dieser Anscheinsbeweis wurde im Streitfall durch die vom FG festgestellten Umstände weder bei einer Einzelbetrachtung noch bei einer Zusammenschau erschüttert. Umstände, die einer weiteren Aufklärung in einem zweiten Rechtsgang bedürften, wurden von den Beteiligten nicht vorgetragen und sind auch aus den Akten nicht ersichtlich.

47        In den Streitjahren wurde für den Pickup kein Fahrtenbuch geführt (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 und 3 EStG).

48        4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

stats