: Anerkennung der Verpflegungspauschalen nur bei auswärtiger Fahrtätigkeit
BFH, Urteil vom 18.6.2009 - VI R 61/06
Vorinstanz: FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 29.6.2006 - 1 K 2189/03 (EFG 2007, 245)
Leitsatz
Der Einsatz eines Arbeitnehmers auf einem Fahrzeug auf dem Betriebsgelände bzw. unter Tage im Bergwerk des Arbeitgebers stellt keine "Fahrtätigkeit" (Auswärtstätigkeit) i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG dar.
EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 2 und 3, § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, § 9 Abs. 5
Sachverhalt
I. Streitig ist, ob dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), der im Untertagebau als Fahrer eines sog. Selbstlade-Transportfahrzeugs tätig ist, Werbungskosten in Form von Verpflegungsmehraufwendungen zustehen.
Die Kläger wurden als Eheleute zur Einkommensteuer des Streitjahres (2002) zusammen veranlagt. Der Kläger arbeitet als Großgerätefahrer unter Tage im Kaliwerk ... . Als Fahrer eines sog. Selbstlade-Transportfahrzeugs befördert er bereits abgebrochenes Material innerhalb der Grube.
Das Kaliwerk hat insgesamt eine unterirdische Ausdehnung von 6 km x 16 km. Von vier bestehenden Zugängen wird derzeit nur ein Schacht genutzt. Der Grubenbetrieb ist in drei Abbaubereiche (Großreviere) aufgeteilt, die ihrerseits wiederum in Gewinnungsreviere untergliedert sind. Gearbeitet wird in drei Schichten täglich. Die Großreviere haben zwar Stammbelegschaften; entsprechend den betrieblichen Erfordernissen können die Mitarbeiter indessen an jeder Stelle der Grube eingesetzt werden. Die Mitarbeiter können entweder während der Schichtpause unter Tage mitgebrachte Verpflegung verzehren oder vor bzw. nach der Schicht die werkseigene Kantine über Tage aufsuchen.
In der Einkommensteuer-Erklärung für das Streitjahr machte der Kläger Mehraufwendungen für Verpflegung in Höhe von 960 € (160 Tage x 6 €) als Werbungskosten geltend. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, er übe eine Fahrtätigkeit aus. Seine Tätigkeit entspreche der eines Berufskraftfahrers. Er müsse sich unter Tage selbst verpflegen. Aufgrund der ständig hohen Temperaturen zwischen 35 bis 50 Grad Celsius könne er nur hochwertige und damit teure Lebensmittel mitnehmen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte es ab, die geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 245 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision bringt das FA im Wesentlichen vor, der Kläger übe --da er den Betriebssitz seines Arbeitsgebers nicht verlasse-- keine Fahrtätigkeit aus und habe daher keinen Anspruch auf den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Aus den Gründen
II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Entgegen der Auffassung des FG hat der Kläger keinen Anspruch auf Berücksichtigung der beantragten Verpflegungspauschalen als Werbungskosten.
1. Der Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei nichtselbständiger Tätigkeit ist seit Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nur noch nach Maßgabe der in § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) getroffenen Bestimmungen möglich.
a) Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG wird ein erwerbsbedingter Mehraufwand an Verpflegung typisierend in Form gestaffelter Pauschbeträge und lediglich unter der Voraussetzung steuerlich berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer sich aus beruflichen Gründen auf einer Auswärtstätigkeit befunden hat. Der erkennende Senat verweist insoweit auf seine geänderte Rechtsprechung u.a. im Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 16/04 (BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789 = BB 2005, 1838 Ls, unter II. 2. a und b der Gründe). Danach ist eine Auswärtstätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt beruflich tätig wird (Satz 2 der genannten Vorschrift), oder dass der Arbeitnehmer typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird und damit über einen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt seiner beruflichen Tätigkeit nicht verfügt (Satz 3 der genannten Vorschrift). Ist der Arbeitnehmer hingegen an seinem ortsgebundenen Tätigkeitsmittelpunkt (dem entspricht der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG, vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789) tätig, liegt eine zum Ansatz der Verpflegungspauschalen berechtigende Auswärtstätigkeit --abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall der doppelten Haushaltsführung-- nicht vor (vgl. Fissenewert, Der Betrieb, Beilage Nr. 6/2006, 32 ff., 34, rechte Sp., m.w.N.).
b) Der Gesetzgeber geht dabei in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise typisierend davon aus, dass ein etwa beruflich veranlasster Mehr-Aufwand für Verpflegung nicht anzuerkennen ist, solange sich der Arbeitnehmer am Betriebssitz oder an anderen ortsfesten betrieblichen Einrichtungen des Arbeitgebers aufhält (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- in BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass der Arbeitnehmer im Betriebsgebäude (bzw. auf dem Betriebsgelände) regelmäßig Einrichtungen vorfinden wird, an denen er sich vergleichsweise kostengünstig wird verpflegen können (vgl. hierzu Fissenewert, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 252, Anm. zum BFH-Urteil vom 14. September 2005 VI R 22/04, BFH/NV 2006, 507).
c) Unter dem Begriff des Tätigkeitsmittelpunkts i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG ist --ebenso wie unter dem Begriff der (regelmäßigen) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG-- jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 18. Dezember 2008 VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475 = BB 2009, 876, m.w.N.; Schmidt/Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 9 Rz 116, m.w.N.).
d) Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung des BFH, dass ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht kommt, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 5. August 2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074 = BB 2004, 2224; vom 10. April 2002 VI R 154/00, BFHE 198, 559, BStBl II 2002, 779 = BB 2002, 1138 Ls). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein Werksgelände oder ein Waldgebiet eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte bzw. einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen (vgl. auch Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 9 Rz 117, m.w.N.; BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 507 - zu einem nicht zusammenhängenden Gebiet).
e) Diese Grundsätze sind auch für eine Tätigkeit unter Tage (unter Berücksichtigung ihrer Eigenart) sinngemäß anzuwenden.
2. Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze stehen dem Kläger während seiner Einsätze unter Tage keine Verpflegungspauschalen zu. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG wird von vier bestehenden Zugängen des Kaliwerkes nur ein Schacht genutzt. Der Grubenbetrieb ist in drei Abbaubereiche (Großreviere) und diese wiederum in Gewinnungsreviere aufgeteilt. Innerhalb dieser Grube mit einem zusammenhängenden Streckensystem befördert der Kläger als Fahrer eines Transportfahrzeugs das bereits abgebrochene Material. Auch wenn der Kläger an jeder Stelle bzw. in jedem Gewinnungsrevier eingesetzt werden kann, bewegt er sich mit seinem Fahrzeug gleichwohl nur innerhalb einer --wenngleich großräumigen-- (regelmäßigen) Arbeitsstätte bzw. eines Tätigkeitsmittelpunktes. Demnach stellt der Einsatz des Klägers auf dem vorbezeichneten Betriebsgelände (Grube) keine "Fahrtätigkeit" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG (i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG) bzw. keine Auswärtstätigkeit dar (ebenso Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 19 Rz 60 Stichwort: Fahrtätigkeit).