FG Niedersachsen: Abzugsfähigkeit von Zinsaufwendungen, die der Steuerpflichtigen aufgrund eines Vergleichs zur Ablösung einer Darlehensschuld zu leisten hat
FG Niedersachsen, Urteil vom 7.12.2016 – 2 K 177/15
Volltext: BB-Online BBL2017-1686-1
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Amtlicher Leitsatz
Schließt der Steuerpflichtige, der Gesamtschuldner einer Verbindlichkeit ist, mit dem Gläubiger einen Vergleich über diese Verbindlichkeit, kann der gezahlte Ablösungsbetrag mangels anderweitiger Vereinbarungen als Tilgung der geschuldeten Zinsen gewertet und daher als steuerlich abziehbar angesehen werden.
§ 9 Abs 1 S 1 EStG 2009, § 21 EStG 2009, EStG VZ 2012
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Aufwendungen, die dem Kläger im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches zur Ablösung einer Darlehensschuld aus einer Immobilieninvestition entstanden sind.
Der Kläger war zu 25% an der „GbR O.-Straße 50“ beteiligt, zu deren Vermögen ein Gebäudekomplex in der O.-Straße in M. gehörte (im Folgenden: GbR).
Nach einem Verkauf des Gebäudekomplexes im Jahr 1994 verblieben Restverbindlichkeiten.
Im Jahr 2001 übernahm der Kläger - unter gesamtschuldnerischer Mithaft zweier ehemaliger Mitgesellschafter - die Verbindlichkeiten der GbR i.H.v. 5.032.000 €.
In der Folgezeit fielen die für die Restverbindlichkeiten mithaftenden Mitgesellschafter des Klägers (teilweise aufgrund von Insolvenzen) aus, so dass nur noch der Kläger als Verpflichteter aus der Darlehensschuld der GbR in Anspruch genommen werden konnte und wurde.
Im Rahmen eines Rechtsstreits mit der Gläubigerbank (M-Bank) gegen den Kläger wurde zwischen beiden am 30. Mai 2012 ein Vergleich geschlossen, in dem sich der Kläger verpflichtete, auf die Darlehensforderung einen Betrag i.H.v. 500.000 € zu leisten. Dadurch sollten alle Ansprüche der Gläubigerbank gegen den Kläger abgegolten sein. Die Gesamtforderung der M-Bank betrug zu diesem Zeitpunkt 2.704.648,77 €, davon Zinsen i.H.v. 620.007,36 €. Der Betrag wurde von dem Kläger wie vereinbart i.H.v. 100.000 € bis zum 31. Juli 2012 und sodann in jährlichen Raten von 80.000 € gezahlt.
Die Kläger machten den im Jahr 2012 geleisteten Betrag von 100.000 € sowie die für den Prozess mit der M-Bank entstanden Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 10.837,87 € als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung geltend.
Im Bescheid für 2012 über Einkommensteuer vom 30. Juli 2014 berücksichtigte das beklagte Finanzamt die Aufwendungen gar nicht, da nicht erkennbar sei, inwieweit die gezahlten Beträge nicht bereits im Rahmen der Liquidation der GbR berücksichtigt wurden und inwieweit die zugrunde liegenden Verbindlichkeiten dort hätten beglichen werden können.
Hiergegen wandten sich die Klage zunächst mit ihrem Einspruch und verwiesen auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Sache IX R 12/12, wonach das für eine Entlassung aus der Haftung gegenüber einem Darlehensgläubiger geleistete Entgelt als vergebliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar sein kann, wenn es der Steuerpflichtige aufwendet, um sich aus einer gescheiterten Immobilieninvestition zu lösen und so die Höhe der vergeblich aufgewendeten Kosten zu begrenzen. Der Abzug sei dabei nicht auf den Zinsanteil beschränkt.
Das beklagte Finanzamt erkannte sodann den auf die Zinsen entfallenden Teil des geltend gemachten Betrages, nämlich ein Betrag von 25.409 €, als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung an, wies den Einspruch aber im Übrigen als unbegründet zurück. Zur Begründung führt es zunächst aus, es sei „unstreitig, dass die von den [Klägern] geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich entstanden sind und diese Aufwendungen dem Grunde nach in einem Veranlassungszusammenhang mit früher erzielten Einkünften aus Vermietung und Verpachtung stehen, so dass grundsätzlich eine Berücksichtigung der Aufwendungen als nachträgliche Werbungskosten zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung möglich ist“. Die Berücksichtigung könne jedoch nur insoweit erfolgen, als die Aufwendungen Zinsaufwand darstellten, nicht jedoch, soweit es sich um einen Darlehenstilgung handele. Denn es könne nicht sein, dass wenn die Bank eine ähnliche Vereinbarung mit den Mitgesellschaftern des Klägers schlösse, durch eine steuerliche Berücksichtigung auch der jeweiligen Tilgungsanteile in der Summe mehr steuerlich abziehbar wäre als bei einer planmäßigen Rückzahlung des Darlehens. Soweit die Kläger auf die Entscheidung des BFH verwiesen, sei diese noch nicht amtlich veröffentlicht und über den Einzelfall hinaus anwendbar. Im Übrigen liege der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde, denn dort sei die Vereinbarung mit der Gläubigerbank vor Veräußerung der vermieteten Immobilie getroffen worden, während sie im Streitfall erst nach der Veräußerung getroffen worden sei.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Bescheides für 2012 über Einkommensteuer vom 30. Juli 2014 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 1. September 2015 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 87.914,10 € festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist zur Begründung vollumfänglich auf den Einspruchsbescheid.
Aus den Gründen
I. Die zulässige Klage ist begründet. Die Zahlungen des Klägers auf Grundlage des Vergleichs mit der Gläubigerbank sowie die für den Prozess aufgewandten Rechtsanwaltsgebühren sind in vollem Umfang als nachträgliche Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar.
1. Werbungskosten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen, die gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei der Einkunftsart abzuziehen sind, bei der sie erwachsen. Auch "vergebliche" Aufwendungen können als Werbungskosten abziehbar sein, wenn der Steuerpflichtige - nachdem er das Scheitern seiner Investition erkannt hat - etwas aufwendet, um sich aus der vertraglichen Verbindung zu lösen und damit die Einkünfteerzielung zu beenden. Der durch die Absicht der Einkünfteerzielung begründete Veranlassungszusammenhang wirkt fort, solange er nicht durch eine neue - einkommensteuerlich relevante oder irrelevante - Veranlassung überlagert wird (BFH, Urteile vom 21. November 2013 – IX R 12/12, BFH/NV 2014, 834; v. 7. Juni 2006 - IX R 45/05, BFHE 214, 176, BStBl II 2006, 803; v. 15. November 2005 - IX R 3/04, BFHE 212, 45, BStBl II 2006, 258).
Nach diesen Maßstäben ist die von dem Kläger geleistete Zahlung als nachträgliche Werbungskosten bei seinen Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu berücksichtigen. Ihm ist Aufwand in Höhe von insgesamt 510.838 € entstanden, um die im Kauf des Immobilienobjekts liegende gescheiterte Investition zu beenden und so die Höhe der vergeblich aufgewendeten Kosten zu begrenzen. Der als Werbungskosten grundsätzlich berücksichtigungsfähige rückständige Zinsaufwand aus dem zur Finanzierung der Herstellungskosten der Immobilie aufgenommenen Darlehen belief sich zu diesem Zeitpunkt auf über 620.000 €. Vor diesem Hintergrund bedarf es - entgegen der Auffassung des beklagten Finanzamts - auch keiner Prüfung, in welchem Verhältnis die Darlehensgläubigerin die geleistete Zahlung auf Zinsschuld und/oder Darlehensschuld verrechnet hat (s. BFH, Urteil vom 21. November 2013 – IX R 12/12, BFH/NV 2014, 834). Die Anrechnung der Zahlungen auf die offenen Zinsen entspricht auf der in § 367 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches genannten Tilgungsreihenfolge.
Der - von dem beklagten Finanzamt im Einspruchsbescheid als „unstreitig“ bezeichnete - Veranlassungszusammenhang der Aufwendungen mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung wird nicht durch den Umstand überlagert, dass die Immobilie vor dem Zeitpunkt des Vergleichs bereits veräußert worden ist. Im Gegenteil bleibt der Veranlassungszusammenhang gerade deshalb bestehen, weil die für die vermieteten Immobilie aufgenommenen Darlehen mit den Erlösen aus dem Verkauf der Immobilie nicht beglichen werden konnten (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juli 1998 - VIII R 5/96, BFHE 186, 526, BStBl II 1999, 209; vom 19. Juni 2001 – X R 104/98, BFH/NV 2002, 163).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
III. Die Revision war nicht zuzulassen, da die hierfür in § 115 FGO genannten Voraussetzungen nicht vorliegen. Das Gericht ist mit seiner Entscheidung dem Urteil des BFH in der Sache IX R 12/12 gefolgt. Dass dieses vom Bundesministerium der Finanzen nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden ist, erfordert keine neuerliche Befassung des BFH mit der Rechtsfrage.