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Steuerrecht
17.10.2013
Steuerrecht
EuGH: Abzugsfähigkeit der Darlehenszinsen

EuGH (4. Kammer), Urteil vom 3. 10. 2013 - Rs. C-282/12; Itelcar - Automóveis de Aluguer Lda gegen Fazenda Pública


tenor


Art. 56 EG ist dahin auszulegen, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es nicht ermöglicht, bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns als Kosten die auf den als übermäßig eingestuften Teil einer Verschuldung entfallenden Zinsen abzuziehen, die eine gebietsansässige Gesellschaft einer in einem Drittstaat ansässigen Darlehen gebenden Gesellschaft zahlt, zu der sie besondere Beziehungen unterhält, aber den Abzug solcher Zinsen zulässt, die an eine gebietsansässige Darlehen gebende Gesellschaft gezahlt worden sind, zu der die Darlehen nehmende Gesellschaft Beziehungen dieser Art unterhält, sofern nach dieser Regelung auch dann, wenn die in einem Drittstaat ansässige Darlehen gebende Gesellschaft keine Beteiligung am Kapital der gebietsansässigen Darlehen nehmenden Gesellschaft hält, vermutet wird, dass jede Verschuldung der letztgenannten Gesellschaft Teil einer Gestaltung ist, mit der die normalerweise geschuldete Steuer umgangen werden soll, oder sofern die betreffende Regelung nicht die Möglichkeit bietet, von vornherein hinreichend genau ihren Anwendungsbereich zu bestimmen.


Aus den Gründen


1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 EG und 58 EG.


2          Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Itelcar - Automóveis de Aluguer Lda (im Folgenden: Itelcar) und der Fazenda Pública (Staatskasse) wegen der teilweisen Nichtabziehbarkeit von Zinsen, die für Darlehen, die Itelcar von einer amerikanischen Gesellschaft, der GE Capital Fleet Services International Holding, Inc. (im Folgenden: GE Capital), gewährt worden waren, an diese gezahlt worden sind.


Portugiesische Rechtsvorschriften


3          Das Körperschaftsteuergesetz (Código do Imposto sobre o Rendimento das Pessoas Colectivas) in der Fassung, die es durch das Decreto Lei Nr. 198/2001 vom 3. Juli 2001 und das Gesetz Nr. 60 A/2005 vom 30. Dezember 2005 erhalten hat (im Folgenden: CIRC), sieht in seinem mit „Unterkapitalisierung" überschriebenen Art. 61 Folgendes vor:


„(1) Wenn die Verschuldung eines Steuerpflichtigen gegenüber einer weder im portugiesischen Hoheitsgebiet noch in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Einheit, zu der er besondere Beziehungen gemäß der Definition des Art. 58 Abs. 4 mit den erforderlichen Anpassungen unterhält, übermäßig ist, sind die Zinsen, die auf den als übermäßig zu wertenden Betrag entfallen, nicht für die Zwecke der Bestimmung des besteuerbaren Gewinns abzugsfähig.


(2) Dem Bestehen besonderer Beziehungen wird die Verschuldung des Steuerpflichtigen gegenüber einem weder im portugiesischen Hoheitsgebiet noch in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässigen Dritten gleichgestellt, sofern eine in Art. 58 Abs. 4 genannte Einheit eine Bürgschaft oder eine Garantie übernommen hat.


(3) Eine Verschuldung ist übermäßig, wenn sich der Betrag der Schulden gegenüber der jeweiligen Einheit im Sinne von Abs. 1 oder 2 zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb des Veranlagungszeitraums auf mehr als das Doppelte des Wertes der Beteiligung dieser Einheit am Eigenkapital des Steuerpflichtigen beläuft.


(4) Bei der Berechnung der Verschuldung werden alle Formen von Geld- oder Sachdarlehen, unabhängig von der Art des vereinbarten Entgelts, berücksichtigt, die von der Einheit, zu der besondere Beziehungen bestehen, gewährt worden sind, einschließlich Darlehen im Zusammenhang mit Handelsgeschäften, wenn mehr als sechs Monate nach ihrer Fälligkeit verstrichen sind.


(5) Bei der Berechnung des Eigenkapitals werden das gezeichnete und eingezahlte Kapital und die anderen Posten, die von den geltenden Rechnungslegungsvorschriften als solche eingeordnet werden, addiert, mit Ausnahme der Posten, die potenzielle oder latente Wertzuwächse oder ‑minderungen darstellen, insbesondere solche, die sich aus steuerrechtlich nicht zulässigen Neubewertungen oder der Anwendung der Methode des Vermögensausgleichs ergeben.


(6) Außer in Fällen der Verschuldung gegenüber einer Einheit, die in einem Land, einem Gebiet oder einer Region mit einer eindeutig günstigeren Steuerregelung ansässig ist, die in einer durch Durchführungsverordnung des Ministers der Finanzen bestätigten Liste aufgeführt sind, finden die Bestimmungen des Abs. 1 keine Anwendung, wenn der Steuerpflichtige im Fall der Überschreitung des Koeffizienten nach Abs. 3 unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeit, der betreffenden Branche, des Umfangs und weiterer einschlägiger Kriterien sowie eines Risikoprofils des Vorgangs ohne Beteiligung der Einheiten, zu denen er besondere Beziehungen unterhält, nachweist, dass er das gleiche Verschuldungsniveau zu entsprechenden Bedingungen von einer unabhängigen Einheit hätte erhalten können.


(7) Der Nachweis nach Abs. 6 muss die in Art. 121 erwähnten Steuerdokumente umfassen."


4          Art. 58 Abs. 4 CIRC, auf den Art. 61 Abs. 1 und 2 CIRC verweist, lautet:


„Vom Bestehen besonderer Beziehungen zwischen zwei Einheiten ist auszugehen, wenn eine von ihnen unmittelbar oder mittelbar erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführungsentscheidungen der anderen ausüben kann, was u. a. als nachgewiesen gilt zwischen


a) einer Einheit und ihren Anteilseignern oder deren Ehegatten oder Verwandten in auf- oder absteigender Linie, die unmittelbar oder mittelbar über mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte verfügen;


b) Einheiten, in denen dieselben Anteilseigner bzw. Ehegatten oder Verwandten in auf- oder absteigender Linie unmittelbar oder mittelbar über mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte verfügen;


c) einer Einheit und den Mitgliedern ihrer Gesellschaftsorgane oder irgendeines Verwaltungs-, Leitungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans, deren Ehegatten und Verwandten in auf- oder absteigender Linie;


d) Einheiten, bei denen die Mehrheit der Mitglieder ihrer Gesellschaftsorgane oder irgendeines Verwaltungs-, Leitungs-, Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans, die gleichen Personen oder, wenn es sich um verschiedene Personen handelt, durch Heirat oder eine gesetzliche anerkannte faktische Lebensgemeinschaft miteinander verbunden oder in direkter Linie verwandt sind;


e) Einheiten, die durch einen Unterstellungsvertrag, einen Gruppenvertrag oder einen anderen Vertrag gleicher Wirkung verbunden sind;


f) Unternehmen, die sich in einem Beherrschungsverhältnis im Sinne der Rechtsvorschriften befinden, die eine Verpflichtung zur Erstellung konsolidierter Jahresabschlüsse begründen;


g) Einheiten, zwischen denen aufgrund geschäftlicher, finanzieller, beruflicher oder rechtlicher Beziehungen zueinander, die unmittelbar oder mittelbar hergestellt oder praktiziert werden, ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis in Bezug auf die Ausübung der betreffenden Tätigkeit besteht, insbesondere wenn zwischen ihnen folgende Situationen bestehen:


1) Die Ausübung der Tätigkeit einer von ihnen hängt wesentlich von der Übertragung von der anderen gehörenden Rechten an gewerblichem oder geistigem Eigentum oder von deren Know-how ab;


2) der Bezug von Rohstoffen durch eine von ihnen oder deren Zugang zu Vertriebsnetzen für Erzeugnisse, Waren und Dienstleistungen hängt wesentlich von der anderen ab;


3) ein wesentlicher Teil der Tätigkeit einer von ihnen kann nur mit der anderen durchgeführt werden oder hängt von deren Entscheidungen ab;


4) das Recht zur Festlegung der Preise oder der Bedingungen mit vergleichbarer wirtschaftlicher Wirkung in Bezug auf die Waren oder Dienstleistungen, die eine von ihnen vertreibt, erbringt oder erwirbt, steht aufgrund eines Rechtsgeschäfts der anderen zu;


5) eine von ihnen kann aufgrund der für ihre geschäftlichen oder rechtlichen Beziehungen geltenden Regeln und Bedingungen die Geschäftsführungsentscheidungen der anderen von Tatsachen oder Umständen abhängig machen, die nichts mit ihrer eigentlichen geschäftlichen oder rechtlichen Beziehung zu tun haben.


h) einer gebietsansässigen oder gebietsfremden Einheit mit einer ständigen Niederlassung im portugiesischen Hoheitsgebiet und einer einer eindeutig günstigeren Steuerregelung unterliegenden Einheit, die in einem Land, einem Gebiet oder einer Region ansässig ist, die in einer durch Durchführungsverordnung des Ministers der Finanzen bestätigten Liste aufgeführt sind."


Ausgangsverfahren und Vorlagefrage


5          Itelcar ist eine portugiesische Gesellschaft, deren Geschäftstätigkeit u. a. in der Vermietung von Personenkraftwagen besteht. Bis zum Jahr 2005 wurde ihr Gesellschaftskapital vollständig von der belgischen Gesellschaft General Electric International (Benelux) BV gehalten, an der wiederum GE Capital mit mehr als 10 % des Kapitals beteiligt war. Ab dem Jahr 2006 wurde das Kapital von Itelcar zu 99,98 % von der genannten belgischen Gesellschaft und zu 0,02 % von GE Capital gehalten.


6          Am 23. Juli 2001 trat ein zwischen Itelcar und GE Capital geschlossener Darlehensvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren in Kraft, der Itelcar die Inanspruchnahme einer Kreditlinie gegen Zahlung von Zinsen in Höhe des Euribor-Satzes zuzüglich eines Aufschlags („spread") von 0,5 % ermöglichte.


7          Im Rahmen dieses Vertrags belief sich der von Itelcar tatsächlich in Anspruch genommene Kredit auf 122 072 179,97 Euro im Jahr 2004, auf 131 772 249,75 Euro im Jahr 2005, auf 212 113 789,46 Euro im Jahr 2006 und auf 272 113 789,46 Euro im Jahr 2007.


8          Itelcar wandte sich an den Diretor-Geral dos Impostos, um nachzuweisen, dass das jeweilige Niveau ihrer Verschuldung gegenüber GE Capital in den Jahren 2004 bis 2007 zu vergleichbaren Bedingungen auch mit einer unabhängigen Einheit erreicht worden wäre und der mit GE Capital vereinbarte Aufschlag auf den Zinssatz den Fremdvergleichsgrundsatz beachtet habe.


9          Mit Schreiben vom 5. Dezember 2008 und 8. Januar 2009 wurden Itelcar die abschließenden Steuerprüfungsberichte übermittelt, in denen die Steuerbemessungsgrundlage von Itelcar für die Jahre 2004 bis 2007 gemäß Art. 61 CIRC berichtigt wurde. In diesen Berichten wurden eine übermäßige Verschuldung im Sinne von Abs. 3 dieses Artikels sowie die Unzulänglichkeit der von Itelcar vorgelegten Nachweise für eine Anwendung von Abs. 6 dieses Artikels festgestellt.


10        Im Jahr 2009 legte Itelcar gegen die beiden vorgenannten Berichtigungen jeweils Einspruch ein. Nach der Zurückweisung ihrer Einsprüche erhob sie Klage beim Tribunal Administrativo e Fiscal de Sintra. Diese Klage wurde mit der Begründung teilweise abgewiesen, dass die im vorliegenden Fall angewandten Bestimmungen des nationalen Rechts nicht den in Art. 56 EG verankerten freien Kapitalverkehr beeinträchtigten.


11        Itelcar legte gegen das Urteil des Tribunal Administrativo e Fiscal de Sintra beim vorlegenden Gericht Berufung ein; dieses war der Auffassung, dass die Entscheidung in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit davon abhänge, ob die einschlägigen Bestimmungen des CIRC mit dem Unionsrecht vereinbar seien.


12        Unter diesen Umständen hat das Tribunal Central Administrativo Sul beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:


Stehen die Art. 63 und 65 AEUV (ehemals Art. 56 und 58 EG) Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie Art. 61 CIRC entgegen, die in dem Fall, dass ein in Portugal ansässiger Steuerpflichtiger bei einem Unternehmen eines Drittstaats, mit dem er besondere Beziehungen im Sinne von Art. 58 Abs. 4 CIRC unterhält, Schulden hat, nicht zulassen, dass Zinsen, die auf den gemäß Art. 61 Abs. 3 CIRC als übermäßig anzusehenden Teil der Schulden entfallen und von dem gebietsansässigen Steuerpflichtigen unter denselben Umständen getragen und gezahlt werden wie von einem in Portugal ansässigen Steuerpflichtigen getragene und gezahlte Zinsen, bei dem die übermäßige Verschuldung gegenüber einem in Portugal ansässigen Unternehmen besteht, mit dem er besondere Beziehungen unterhält, als steuerliche Kosten abgezogen werden?


Zur Vorlagefrage


13        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 EG dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es nicht ermöglicht, bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns als Kosten die auf den als übermäßig eingestuften Teil einer Verschuldung entfallenden Zinsen abzuziehen, die eine gebietsansässige Gesellschaft einer in einem Drittstaat ansässigen Darlehen gebenden Gesellschaft zahlt, zu der sie besondere Beziehungen unterhält, aber den Abzug solcher Zinsen zulässt, die an eine gebietsansässige Darlehen gebende Gesellschaft, zu der die Darlehen nehmende Gesellschaft Beziehungen dieser Art unterhält, gezahlt worden sind.


Zur einschlägigen Freiheit


14        Was die Anwendbarkeit von Art. 56 EG auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens betrifft, ist zunächst festzustellen, dass Darlehen und Kredite von Gebietsfremden an Gebietsansässige Kapitalbewegungen im Sinne dieser Vorschrift sind, worauf im Übrigen in der Rubrik VIII des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages [der mit dem Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurde] (ABl. L 178, S. 5) und den darin enthaltenen Begriffsbestimmungen hingewiesen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz, C‑452/04, Slg. 2006, I‑9521, Randnrn. 41 und 42).


15        Die portugiesische Regierung vertritt allerdings die Auffassung, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften eine Regelung darstellten, die auf „besonderen Beziehungen" beruhe, die sich daraus ergäben, dass die Darlehen gebende Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführungs- und Finanzentscheidungen der Darlehen nehmenden Einheit ausüben könne. Der Gerichtshof habe solche Regelungen ausschließlich anhand der Niederlassungsfreiheit geprüft, die auf Geschäfte, die - wie im vorliegenden Fall - mit einer in einem Drittstaat ansässigen Einheit vorgenommen würden, nicht anwendbar sei.


16        Hierzu hat der Gerichtshof in Bezug auf nationale Rechtsvorschriften über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus Quellen in einem Drittstaat entschieden, dass davon auszugehen ist, dass die Prüfung des Gegenstands dieser Rechtsvorschriften für die Beurteilung ausreicht, ob die steuerliche Behandlung von Dividenden aus Quellen in einem Drittstaat unter die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Kapitalverkehr fällt. Denn da das Kapitel des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit keine Vorschrift enthält, die den Anwendungsbereich seiner Bestimmungen auf Sachverhalte erstreckt, die die Niederlassung einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats in einem Drittstaat oder einer Gesellschaft eines Drittstaats in einem Mitgliedstaat betreffen, können derartige Rechtsvorschriften nicht von Art. 43 EG erfasst werden (vgl. Urteile vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑35/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 96 und 97 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17        Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass, wenn sich aus dem Gegenstand derartiger nationaler Rechtsvorschriften ergibt, dass sie nur auf Beteiligungen Anwendung finden sollen, die es erlauben, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, weder eine Berufung auf Art. 43 EG noch eine auf Art. 56 EG möglich ist (Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 98).


18        Dagegen ist eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus einem Drittstaat, die nicht ausschließlich für Situationen gilt, in denen die Muttergesellschaft entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft ausübt, die die Dividenden ausschüttet, nach Art. 56 EG zu beurteilen. Eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft kann sich daher unabhängig vom Umfang der Beteiligung, die sie an der in einem Drittstaat niedergelassenen Dividenden ausschüttenden Gesellschaft hält, auf diese Bestimmung berufen, um die Rechtmäßigkeit einer solchen Regelung in Frage zu stellen (Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 99, und vom 28. Februar 2013, Beker, C‑168/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 30).


19        Derartige Erwägungen sind in Bezug auf eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar, die die steuerliche Behandlung von Zinsen betrifft, die eine gebietsansässige Gesellschaft an eine in einem Drittstaat ansässige Darlehen gebende Gesellschaft zahlt, zu der sie besondere Beziehungen unterhält. Denn eine solche Regelung wird weder von Art. 43 EG noch von Art. 56 EG erfasst, wenn sie nur Situationen betrifft, in denen eine derartige Darlehen gebende Gesellschaft eine Beteiligung an der gebietsansässigen Darlehen nehmenden Gesellschaft hält, die es ihr erlaubt, einen sicheren Einfluss auf die letztgenannte Gesellschaft auszuüben.


20        Im Fall der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung soll - worauf Itelcar und die Europäische Kommission hinweisen - der Begriff der „besonderen Beziehungen", wie er in Art. 58 Abs. 4 CIRC definiert ist, nicht nur die Situationen erfassen, in denen die Darlehen gebende Gesellschaft eines Drittstaats aufgrund ihrer Beteiligung am Kapital der gebietsansässigen Darlehen nehmenden Gesellschaft auf diese einen sicheren Einfluss im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des Gerichtshofs ausübt. Insbesondere die in Art. 58 Abs. 4 Buchst. g CIRC genannten Situationen, in denen es um geschäftliche, finanzielle, berufliche oder rechtliche Beziehungen zwischen den betreffenden Gesellschaften geht, sind nicht zwangsläufig mit einer Beteiligung der Darlehen gebenden Gesellschaft am Kapital der Darlehen nehmenden Gesellschaft verbunden.


21        In der mündlichen Verhandlung hat die portugiesische Regierung allerdings in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofs ausgeführt, dass die betreffende Regelung nur auf Situationen Anwendung finde, in denen die Darlehen gebende Gesellschaft eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung am Kapital der das Darlehen nehmenden Gesellschaft hält.


22        Aber selbst wenn anzunehmen wäre, dass sich die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung auf Situationen beschränkt, bei denen es um die Beziehung zwischen einer Darlehen nehmenden Gesellschaft und einer Darlehen gebenden Gesellschaft, die mindestens 10 % des Kapitals oder der Stimmrechte in der erstgenannten Gesellschaft hält, oder zwischen Gesellschaften geht, bei denen die gleichen Inhaber eine solche Beteiligung halten, wie in Art. 58 Abs. 4 Buchst. a und b CIRC vorgesehen, bleibt festzustellen, dass eine Beteiligung derartigen Umfangs nicht zwangsläufig bedeutet, dass der Inhaber dieser Beteiligung einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft ausübt, bei der er Anteilseigner ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. April 2000, Baars, C‑251/98, Slg. 2000, I‑2787, Randnr. 20, und vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, Randnr. 58).


23        Folglich kann sich eine gebietsansässige Gesellschaft unabhängig davon, ob an ihrem Kapital die Darlehen gebende Gesellschaft eines Drittstaats beteiligt ist oder welchen Umfang diese Beteiligung hat, auf die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr berufen, um die Rechtmäßigkeit einer solchen nationalen Regelung in Frage zu stellen (vgl. entsprechend Urteil vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 104).


24        Im vorliegenden Fall besteht im Übrigen keine Gefahr bei der Auslegung dieser Vorschriften im Hinblick auf die Beziehungen zu Drittstaaten, dass die dort ansässigen Darlehen gebenden Gesellschaften, die sich außerhalb des territorialen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit befinden, in den Genuss dieser Freiheit gelangen könnten. Denn - entgegen dem Vorbringen der portugiesischen Regierung in der mündlichen Verhandlung - betrifft eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht die Voraussetzungen des Marktzugangs für solche Gesellschaften in dem betreffenden Mitgliedstaat, sondern bezieht sich allein auf die steuerliche Behandlung der Zinsen, die auf eine als übermäßig angesehene Verschuldung entfallen, die eine gebietsansässige Gesellschaft gegenüber einer Gesellschaft eines Drittstaats eingegangen ist, zu der sie besondere Beziehungen im Sinne von Art. 58 Abs. 4 CIRC unterhält (vgl. entsprechend Urteil vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 100).


25        Demzufolge ist eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ausschließlich im Hinblick auf den in Art. 56 EG verankerten freien Kapitalverkehr zu prüfen.


Zum Vorliegen einer Beschränkung und möglicher Rechtfertigungen


26        Nach ständiger Rechtsprechung fallen die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, diese müssen jedoch ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts ausüben (Urteil vom 10. Mai 2012, Santander Asset Management SGIIC u. a., C‑338/11 bis C‑347/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27        Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung gehören zu den Maßnahmen, die Art. 56 Abs. 1 EG als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (Urteile vom 25. Januar 2007, Festersen, C‑370/05, Slg. 2007, I‑1129, Randnr. 24, und Santander Asset Management SGIIC u. a., Randnr. 15).


28        Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Art. 61 Abs. 1 CIRC, dass, wenn die Verschuldung einer gebietsansässigen Gesellschaft gegenüber einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft, zu der sie besondere Beziehungen im Sinne von Art. 58 Abs. 4 CIRC unterhält, als übermäßig im Sinne von Art. 61 Abs. 3 CIRC angesehen wird, die auf den übermäßigen Teil der Verschuldung entfallenden Zinsen bei der Bestimmung des zu versteuernden Gewinns der gebietsansässigen Gesellschaft nicht abzugsfähig sind.


29        Aus Art. 61 Abs. 1 CIRC ergibt sich allerdings auch, dass solche Zinsen abgezogen werden dürfen, wenn die Darlehen gebende Gesellschaft im portugiesischen Hoheitsgebiet oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist.


30        Wie die portugiesische Regierung für den Fall einräumt, dass der Gerichtshof die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation als unter den freien Kapitalverkehr fallend ansieht, wird in dieser Situation eine gebietsansässige Gesellschaft, die eine ein bestimmtes Niveau übersteigende Verschuldung gegenüber einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft eingeht, steuerlich weniger günstig behandelt als eine gebietsansässige Gesellschaft, die eine solche Verschuldung gegenüber einer im nationalen Hoheitsgebiet oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft eingeht.


31        Eine solche ungünstige Behandlung kann eine gebietsansässige Gesellschaft davon abhalten, sich gegenüber einer in einem Drittstaat ansässigen Gesellschaft, zu der sie besondere Beziehungen im Sinne der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung unterhält, in einer als übermäßig angesehenen Weise zu verschulden. Sie stellt daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die gemäß Art. 56 EG grundsätzlich verboten ist.


32        Nach ständiger Rechtsprechung ist eine solche Beschränkung statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Beschränkung aber außerdem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (vgl. Urteil vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).


33        Die portugiesische Regierung macht geltend, dass mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung Steuerhinterziehung und ‑umgehung bekämpft werden sollten, indem die Praxis der Unterkapitalisierung verhindert werde, die darin bestehe, abzugsfähige Zinsen anstelle nicht abzugsfähiger Gewinne zu zahlen, was zu einer Erosion der Besteuerungsgrundlage für die Körperschaftsteuer in Portugal führe. Mit dieser Praxis sollten steuerpflichtige Einkünfte willkürlich von diesem Mitgliedstaat in einen Drittstaat verlagert werden, so dass der Gewinn einer Gesellschaft nicht in dem Staat versteuert werde, in dem er erzielt worden sei.


34        Nach ständiger Rechtsprechung kann eine nationale Maßnahme, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, gerechtfertigt werden, wenn sie sich speziell auf rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen bezieht, deren einziger Zweck ist, die Steuer zu umgehen, die normalerweise auf die durch Tätigkeiten im Inland erzielten Gewinne zu zahlen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C‑524/04, Slg. 2007, I‑2107, Randnr. 72 und 74, und vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome, C‑182/08, Slg. 2007, I‑8591, Randnr. 89).


35        Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nach der bei der Ermittlung des zu versteuernden Gewinns einer gebietsansässigen Gesellschaft bestimmte Zinsen, die diese an eine in einem Drittstaat ansässige Gesellschaft zahlt, zu der sie besondere Beziehungen unterhält, nicht abzugsfähig sind, vermag Praktiken zu verhindern, deren einziges Ziel die Umgehung der Steuer ist, die normalerweise auf die durch Tätigkeiten im Inland erzielten Gewinne zu zahlen ist. Eine solche Regelung ist daher geeignet, das Ziel, Steuerhinterziehung und ‑umgehung zu bekämpfen, zu erreichen (vgl. entsprechend Urteil Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 77).


36        Es muss jedoch geprüft werden, ob diese Rechtsvorschriften nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.


37        Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Regelung, die eine Prüfung objektiver und nachprüfbarer Umstände vorsieht, damit festgestellt werden kann, ob ein geschäftlicher Vorgang eine rein künstliche Konstruktion zu allein steuerlichen Zwecken darstellt, und die dem Steuerpflichtigen, falls das Vorliegen einer derartigen Konstruktion nicht auszuschließen ist, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen, die Möglichkeit einräumt, Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss dieses Geschäfts beizubringen, nicht über das hinausgeht, was zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und ‑umgehung erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 82, und vom 5. Juli 2012, SIAT, C‑318/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 50).


38        Ebenso hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sich, wenn der fragliche geschäftliche Vorgang über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Bedingungen des freien Wettbewerbs vereinbart hätten, die steuerliche Berichtigung, um nicht unverhältnismäßig zu sein, auf den Teil beschränken muss, der über das hinausgeht, was unter derartigen Umständen vereinbart worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Randnr. 83, und SIAT, Randnr. 52).


39        Im vorliegenden Fall sieht Art. 61 Abs. 6 CIRC zwar vor, dass - außer in Fällen einer Verschuldung gegenüber einer Einheit, die in einem Land, einem Gebiet oder einer Region mit einer eindeutig günstigeren Steuerregelung ansässig ist - eine gebietsansässige Gesellschaft, die gegenüber einer Gesellschaft eines Drittstaats, zu der sie besondere Beziehungen unterhält, eine als übermäßig angesehene Verschuldung eingegangen ist, nachweisen kann, dass sie dasselbe Verschuldungsniveau zu entsprechenden Bedingungen bei einer unabhängigen Einheit hätte erreichen können. Zudem sind nach Art. 61 Abs. 1 CIRC nur die Zinsen nicht abzugsfähig, die auf den als übermäßig angesehenen Teil der betreffenden Verschuldung entfallen.


40        Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende geht aber über das zur Erreichung ihres Ziels Erforderliche hinaus.


41        Wie aus Randnr. 20 des vorliegenden Urteils hervorgeht, schließt der Begriff der „besonderen Beziehungen", wie er in Art. 58 Abs. 4 CIRC definiert ist, nämlich Situationen ein, die nicht zwangsläufig mit einer Beteiligung der Darlehen gebenden Gesellschaft eines Drittstaats am Kapital der gebietsansässigen Darlehen nehmenden Gesellschaft verbunden sind. Ohne eine solche Beteiligung müsste infolge der in Art. 61 Abs. 3 CIRC vorgesehenen Art und Weise der Berechnung des Übermaßes der Verschuldung jede zwischen diesen beiden Gesellschaften bestehende Verschuldung als übermäßig angesehen werden.


42        Unter den in der vorstehenden Randnummer beschriebenen Umständen betrifft die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung auch Vorgänge, deren wirtschaftliche Realität unbestreitbar ist. Indem diese Regelung unter solchen Umständen eine Erosion der Besteuerungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, die von der gebietsansässigen Darlehen nehmenden Gesellschaft geschuldet wird, annimmt, geht sie über das zur Erreichung ihres Ziels Erforderliche hinaus.


43        Soweit im Übrigen die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung entsprechend den in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Ausführungen der portugiesischen Regierung nur auf diejenigen Situationen angewandt wird, in denen die Darlehen gebende Gesellschaft eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung an der Darlehen nehmenden Gesellschaft hält, so dass der in Randnr. 41 des vorliegenden Urteils erwähnte Umstand nicht eintritt, ändert dies nichts daran, dass sich eine derartige Beschränkung des Anwendungsbereichs dieser Regelung nicht aus ihrem Wortlaut ergibt, der im Gegenteil nahezulegen scheint, dass auch besondere Beziehungen ohne eine solche Beteiligung erfasst werden sollen.


44        Unter diesen Umständen bietet die in Rede stehende Regelung nicht die Möglichkeit, von vornherein hinreichend genau ihren Anwendungsbereich zu bestimmen. Demzufolge genügt sie nicht den Erfordernissen der Rechtssicherheit, wonach Rechtsvorschriften klar, bestimmt und in ihren Auswirkungen voraussehbar sein müssen - vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen für Einzelne und Unternehmen haben können. Eine Regel, die den Erfordernissen des Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht genügt, kann nicht als den verfolgten Zielen angemessen angesehen werden (vgl. Urteil SIAT, Randnr. 58 und 59).


45        In Anbetracht dessen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 56 EG dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es nicht ermöglicht, bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns als Kosten die auf den als übermäßig eingestuften Teil einer Verschuldung entfallenden Zinsen abzuziehen, die eine gebietsansässige Gesellschaft einer in einem Drittstaat ansässigen Darlehen gebenden Gesellschaft zahlt, zu der sie besondere Beziehungen unterhält, aber den Abzug solcher Zinsen zulässt, die an eine gebietsansässige Darlehen gebende Gesellschaft gezahlt worden sind, zu der die Darlehen nehmende Gesellschaft Beziehungen dieser Art unterhält, sofern nach dieser Regelung auch dann, wenn die in einem Drittstaat ansässige Darlehen gebende Gesellschaft keine Beteiligung am Kapital der gebietsansässigen Darlehen nehmenden Gesellschaft hält, vermutet wird, dass jede Verschuldung der letztgenannten Gesellschaft Teil einer Gestaltung ist, mit der die normalerweise geschuldete Steuer umgangen werden soll, oder sofern die betreffende Regelung nicht die Möglichkeit bietet, von vornherein hinreichend genau ihren Anwendungsbereich zu bestimmen.

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