BVerfG: Rückwirkende Absenkung der Beteiligungsquote bei privater Kapitalanteilsveräußerung teilweise verfassungswidrig
Das BVerfG hat durch Beschluss vom 7.7.2010 - 2 BvR748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05 - entschieden, dass die Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalgesellschaftsanteilen (von 25 % auf 10 %) durch das StEntlG 1999/2000/2002 teilweise verfassungswidrig ist. Nach § 52 Abs. 1 S. 1 EStG galt die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber - rückwirkend - auch Beteiligungsverhältnisse ein, die bereits vor ihrer Verkündung begründet worden waren.
Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Es liegt aber eine „unechte" Rückwirkung vor, soweit die Beteiligung im Zeitpunkt
der Verkündung der Neuregelung am 31.3.1999 bereits bestand, weil die Anwendung der verringerten Beteiligungsgrenze insoweit an einen zurückliegenden Sachverhalt anknüpft. Das ist zwar nicht grundsätzlich unzulässig, mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Das ist bei der rückwirkenden Absenkung der Beteiligungsgrenze nur teilweise der Fall.
Soweit sich der einkommensteuerliche Zugriff auf die erst nach der Verkündung der Neuregelung eintretenden Wertsteigerungen beschränkt, begegnet dies unter Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, auch wenn die entsprechenden Wertsteigerungen nach Maßgabe des alten Rechts steuerfrei gewesen wären.
Die Anwendung der abgesenkten Beteiligungsgrenze verstößt aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden ist oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Beteiligungsgrenze nicht überschritten war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze nachträglich entwertet wird. Diese führt zudem zu einer Ungleichbehandlung, die unter dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit einer erhöhten Rechtfertigung bedarf. Denn bei denjenigen Steuerpflichtigen, die ihre nach altem Recht unwesentlichen Beteiligungen bereits bis Ende 1998 veräußerten, bleiben die bis dahin erzielten Wertsteigerungen steuerfrei. Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, bestehen nicht.
(PM BVerfG vom 19.8.2010)