EuGH: Mehrwertsteuer – Selbstständigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds einer Stiftung
EuGH, Urteil vom 13.6.2019 – C-420/18, IO gegen Inspecteur van de rijksbelastingdienst IO
ECLI:EU:C:2019:490
Volltext:BB-ONLINE BBL2019-1491-1
Tenor
Die Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der zwar hinsichtlich der Ausübung seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet ist, jedoch nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt, da er eine feste Vergütung erhält, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt, nicht selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 9 und 10 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen IO und dem Inspecteur van de rijksbelastingdienst (Inspektor der Finanzverwaltung, Niederlande) über die Frage, ob die Tätigkeit von IO als Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung der Mehrwertsteuer unterliegt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Als ,Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.
Als ,wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“
4 Art. 10 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die selbständige Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 schließt Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung aus, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.“
Niederländisches Recht
5 Art. 11 der Wet op de omzetbelasting 1968 (Umsatzsteuergesetz von 1968) bestimmt:
„1. Unternehmer ist, wer selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
2. Unter wirtschaftlicher Tätigkeit im Sinne dieses Gesetzes ist auch zu verstehen:
a) berufliche Tätigkeit;
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
6 IO ist Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung, deren Haupttätigkeit darin besteht, hilfsbedürftigen Personen dauerhaft Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
7 Nach der Satzung dieser Stiftung besteht dieser Aufsichtsrat aus mindestens fünf und höchstens zehn Mitgliedern, die für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt werden. Eine Person, die einen Arbeitsvertrag mit der Stiftung geschlossen hat, kann dem Aufsichtsrat nicht angehören. Die Mitglieder des Aufsichtsrats können nur wegen Fahrlässigkeit bei der Ausübung ihrer Aufgaben oder anderer schwerwiegender Gründe suspendiert oder entlassen werden, und zwar durch Beschluss des Aufsichtsrats, der mit einer Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen in einer Sitzung mit mindestens drei Vierteln seiner Mitglieder gefasst wird, wobei das betroffene Mitglied bzw. die betroffenen Mitglieder nicht mitgezählt werden.
8 Die Befugnisse des Aufsichtsrats der Stiftung umfassen insbesondere die Ernennung, Suspendierung und Entlassung der Mitglieder des Vorstands, die Festlegung ihrer Arbeitsbedingungen, die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidungen des Vorstands, die Beratung des Vorstands, die Feststellung der Jahresabschlüsse, die Ernennung, Suspendierung und Entlassung der Mitglieder des Aufsichtsrats und die Bestimmung ihrer festen Vergütung.
9 Die Stiftung wird in rechtlicher und sonstiger Hinsicht von ihrem Vorstand vertreten. Im Fall eines Interessenskonflikts zwischen dem Vorstand oder einem seiner Mitglieder und der Stiftung wird sie jedoch vom Vorsitzenden und einem oder mehreren Mitgliedern des Aufsichtsrats gemeinsam vertreten. Ferner wird die Stiftung, wenn sämtliche Mitglieder des Vorstands ausscheiden, vom Aufsichtsrat geleitet, bis ein neuer Vorstand ernannt ist.
10 In Bezug auf die Aufgaben des Aufsichtsrats sieht Art. 18 der Satzung der Stiftung vor:
„1. Der Aufsichtsrat hat zur Aufgabe, die Strategie des Vorstands sowie den allgemeinen Geschäftsgang der Stiftung und des mit ihr verbundenen Unternehmens zu kontrollieren. Die Mitglieder des Aufsichtsrats nehmen ihre Aufgabe ohne Auftrag desjenigen, der sie vorgeschlagen hat, und unabhängig von den vom Unternehmen betroffenen Sonderinteressen wahr. Der Aufsichtsrat berät den Vorstand. Bei der Erfüllung ihrer Aufgabe konzentrieren sich die Mitglieder des Aufsichtsrats auf das Interesse der Stiftung und des mit ihr verbundenen Unternehmens.
2. Der Aufsichtsrat muss seine Handlungen nicht gegenüber dem Vorstand rechtfertigen.
3. Der Aufsichtsrat legt extern Rechenschaft für seine Handlungen ab, indem er im Jahresbericht über seine Tätigkeit berichtet.
4. Der Aufsichtsrat regelt seine Arbeitsweise in einer Geschäftsordnung, die keine Bestimmungen enthalten darf, die gegen das Gesetz oder die vorliegende Satzung verstoßen.“
11 Für seine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung erhält IO eine Bruttovergütung in Höhe von 14 912 Euro pro Jahr, von der Lohnsteuer einbehalten wird. Diese Vergütung wurde vom Aufsichtsrat gemäß den in der Wet Normering Bezoldiging topfunctionarissen publieke en semipublieke sector (Gesetz zur Normierung der Bezüge von Führungskräften im öffentlichen und halböffentlichen Sektor) aufgestellten Regeln festgesetzt und hängt weder von der Teilnahme von IO an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ab.
12 IO ist ferner auch in einem Dienstverhältnis als Kommunalbeamter tätig. Seine Funktion als Aufsichtsratsmitglied hat jedoch nichts mit der Gemeinde zu tun, die ihn beschäftigt, so dass sich die Frage etwaiger Interessenskonflikte nicht stellt.
13 Bis zum 1. Januar 2013 galt nach einem Erlass des Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen, Niederlande) vom 5. Oktober 2006 die Tätigkeit von IO als Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung nicht als mehrwertsteuerpflichtig. Dieser Erlass wurde jedoch zurückgenommen.
14 Am 8. Juli 2014 gab IO im Rahmen der Ausübung seiner Tätigkeit als Mitglied dieses Aufsichtsrats eine Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2014 über 782 Euro ab, die er auch zahlte. Mit Schreiben vom 9. Juli 2014 legte er jedoch Einspruch hinsichtlich dieser Steuer ein, der mit Bescheid der Steuerverwaltung zurückgewiesen wurde. Die von IO gegen diesen Bescheid erhobene Klage wurde mit Urteil der Rechtbank Zeeland-West-Brabant (Gericht Zeeland-West-Brabant, Niederlande) als unbegründet abgewiesen.
15 IO legte gegen dieses Urteil Berufung beim Gerechtshof ’s-Hertogenbosch (Gerichtshof Herzogenbusch, Niederlande) ein. Dieses Gericht führt aus, dass die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits darüber uneinig seien, ob IO aufgrund seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied als „Unternehmer“ im Sinne von Art. 7 des Umsatzsteuergesetzes von 1968 und „Steuerpflichtiger“ im Sinne von Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie einzustufen sei. Zwar sei unstreitig, dass IO als Mitglied dieses Aufsichtsrats dauerhaft am Wirtschaftsverkehr teilnehme und somit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Uneinig seien die Parteien jedoch hinsichtlich der Frage, ob diese Tätigkeit selbständig ausgeübt werde.
16 Gegen die Annahme, dass IO eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübe, sprächen insbesondere folgende Gesichtspunkte:
– Die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stiftung würden vom Aufsichtsrat ernannt, suspendiert und entlassen;
– der Aufsichtsrat setze die feste Vergütung seiner Mitglieder fest, die nicht von ihrer Teilnahme an Sitzungen oder den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhänge;
– ein Aufsichtsratsmitglied könne nicht allein die dem Aufsichtsrat übertragenen Befugnisse ausüben, so dass er nicht in seinem eigenen Namen, für seine eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handle, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats.
17 Für eine selbständige Tätigkeit sprächen dagegen insbesondere folgende Gesichtspunkte:
– Eine Person, die einen Arbeitsvertrag mit der Stiftung geschlossen habe, könne nicht Mitglied des Aufsichtsrats sein;
– obwohl der Aufsichtsrat seine Mitglieder ernenne, äußere sich diese Ernennung im Abschluss eines Dienstleistungsvertrags zwischen dem betreffenden Mitglied und der Stiftung, da nur diese als juristische Person einen solchen Vertrag schließen könne;
– beim Abschluss dieses Vertrags sei die Stiftung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts nicht frei, von den insoweit vom Aufsichtsrat erlassenen Bestimmungen abzuweichen, und sie übernehme auch keine Verantwortlichkeiten, die ein Arbeitgeber gewöhnlicherweise trage;
– die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stiftung seien innerhalb des Aufsichtsrats unabhängig und müssten gegenüber den anderen Aufsichtsratsmitgliedern und dem Vorstand der Stiftung kritisch handeln.
18 Daraus sei zu schließen, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts dem Aufsichtsrat untergeordnet sei, auch wenn im Übrigen kein Unterordnungsverhältnis zwischen ihm und dem Aufsichtsrat oder zwischen ihm und der Stiftung bestehe. Dies deute darauf hin, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende wirtschaftliche Tätigkeit hier nicht selbständig ausgeübt werde und IO daher nicht als „Steuerpflichtiger“ eingestuft werden könne.
19 Da der Gerechtshof ’s-Hertogenbosch (Gerichtshof Herzogenbusch) jedoch Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie hat, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Übt ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung, das hinsichtlich seiner Arbeitsbedingungen und seines Arbeitsentgelts diesem Aufsichtsrat untergeordnet ist, im Übrigen aber in keinem Unterordnungsverhältnis zum Aufsichtsrat oder zur Stiftung steht, seine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig im Sinne von Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie aus?
Zur Vorlagefrage
20 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung wie der Kläger des Ausgangsverfahrens eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmungen selbständig ausübt und damit als Mehrwertsteuerpflichtiger einzustufen ist.
21 Zur Beantwortung dieser Frage ist daran zu erinnern, dass Steuerpflichtiger ist, wer eine der in Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten, u. a. alle Tätigkeiten eines Dienstleistenden, selbständig ausübt. Die in dieser Bestimmung verwendeten Begriffe verleihen dem Begriff „Steuerpflichtiger“ eine weite Definition mit dem Schwerpunkt auf der Selbständigkeit der Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in dem Sinne, dass alle Personen, die objektiv die Kriterien dieser Bestimmung erfüllen, als Mehrwertsteuerpflichtige gelten (Urteil vom 12. Oktober 2016, Nigl u. a., C-340/15, EU:C:2016:764, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Insoweit präzisiert Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass die Voraussetzung der selbständigen Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit Lohn- und Gehaltsempfänger und sonstige Personen von der Besteuerung ausschließt, soweit sie an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft.
23 Es ist somit zu prüfen, ob eine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung wie die vom Kläger des Ausgangsverfahrens ausgeübte als „wirtschaftlich“ einzustufen ist, und danach gegebenenfalls, ob sie „selbständig“ ausgeübt wird.
Zur Frage, ob die Tätigkeit „wirtschaftlich“ ist
24 Wie von den Parteien des Ausgangsrechtsstreits nicht bestritten, ist im vorliegenden Fall eine Tätigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende als „wirtschaftlich“ einzustufen, da sie nachhaltig ist und gegen ein Entgelt ausgeübt wird, das derjenige erhält, der die Leistung erbringt (Urteil vom 13. Juni 2018, Polfarmex, C-421/17, EU:C:2018:432, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
25 So erhält der Kläger des Ausgangsverfahrens für seine Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung eine Bruttovergütung von 14 912 Euro pro Jahr, wobei insoweit unerheblich ist, dass diese Vergütung nicht nach Maßgabe individueller Leistungen, sondern pauschal und auf jährlicher Basis festgesetzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2018, Nagyszénás Településszolgáltatási Nonprofit Kft., C-182/17, EU:C:2018:91, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
26 Da außerdem diese Vergütung gemäß den im Gesetz zur Normierung der Bezüge von Führungskräften im öffentlichen und halböffentlichen Sektor aufgestellten Regeln festgesetzt wurde, entsprechen die Umstände, unter denen der Kläger des Ausgangsverfahrens die fragliche Dienstleistung erbringt, den Umständen, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Mai 2016, Gemeente Borsele und Staatssecretaris van Financiën, C-520/14, EU:C:2016:334, Rn. 29 und 30).
27 Ferner werden die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stiftung, wie sich aus deren Satzung ergibt, für eine Amtszeit von vier Jahren ernannt, was der erhaltenen Vergütung einen nachhaltigen Charakter verleiht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2016, Lajvér, C-263/15, EU:C:2016:392, Rn. 33).
28 Nicht gefolgt werden kann dagegen der Auffassung der schwedischen Regierung, wonach allein daraus, dass ein Aufsichtsratsmitglied nur ein oder einige wenige Mandate wahrnehme, nicht geschlossen werden könne, dass es sich um eine Tätigkeit handele, die ausgeübt werde, um damit nachhaltig Einnahmen zu erzielen. Insoweit sei erforderlich, dass der Betreffende aktive Schritte unternehme, um Einnahmen in Form einer Vergütung für erbrachte Dienstleistungen zu erzielen, und folglich, dass die Tätigkeit gewerbsmäßig ausgeübt werde.
29 Es trifft zwar zu, dass der Gerichtshof zur steuerlichen Behandlung des Verkaufs von dem Privatvermögen zugeordneten Grundstücken entschieden hat, dass die bloße Ausübung des Eigentumsrechts durch seinen Inhaber als solche nicht als wirtschaftliche Tätigkeit angesehen werden kann, dies jedoch anders ist, wenn der Betreffende aktive Schritte zur Vermarktung von Grund und Boden unternommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. September 2011, Słaby u. a., C-180/10 und C-181/10, EU:C:2011:589, Rn. 36 und 39, und vom 9. Juli 2015, Trgovina Prizma, C-331/14, EU:C:2015:456, Rn. 23 und 24, sowie zu aktiven Schritten der Forstwirtschaft Urteil vom 19. Juli 2012, Rēdlihs, C-263/11, EU:C:2012:497, Rn. 36). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch nicht nur speziell auf die steuerliche Behandlung des Verkaufs von dem Privatvermögen zugeordneten Grundstücken, sondern lässt auch jedenfalls nicht den Schluss zu, dass das Unternehmen solcher Schritte eine Voraussetzung dafür ist, eine Tätigkeit als zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen ausgeübt ansehen und damit als „wirtschaftlich“ einstufen zu können.
30 Daraus folgt, dass die wirtschaftliche Natur der Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht dadurch in Frage gestellt wird, dass dieses Mitglied nur ein einziges Mandat ausübt, sofern diese Tätigkeit nachhaltig ist und gegen Entgelt ausgeübt wird.
31 Soweit die schwedische Regierung in diesem Zusammenhang geltend macht, dass die Tätigkeit, die in der Wahrnehmung eines oder einiger weniger Aufsichtsratsmandate bestehe, nicht darauf abziele, nachhaltig Dienstleistungen zu verkaufen, ist ferner daran zu erinnern, dass der Begriff „wirtschaftliche Tätigkeit“ nach ständiger Rechtsprechung objektiv festgelegt ist, da die Tätigkeit an sich, unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, betrachtet wird (Urteil vom 5. Juli 2018, Marle Participations, C-320/17, EU:C:2018:537, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Frage, ob die Tätigkeit selbständig ausgeübt wird
32 Um feststellen zu können, ob eine Tätigkeit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende selbständig ausgeübt wird, ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob eine Person wie der Kläger des Ausgangsverfahrens nach Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie als Lohn- oder Gehaltsempfänger oder sonstige Person, die an ihren Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag oder ein sonstiges Rechtsverhältnis gebunden sind, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft, von der Besteuerung ausgeschlossen ist.
33 Hierzu ist erstens festzustellen, dass im vorliegenden Fall der Kläger des Ausgangsverfahrens kein Lohn- oder Gehaltsempfänger ist. Denn von seiner Vergütung wird zwar, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, „Lohnsteuer“ einbehalten. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wird das Verhältnis zwischen einem Mitglied des Aufsichtsrats einer juristischen Person und dieser juristischen Person im Kontext des Ausgangsrechtsstreits aber lediglich aufgrund einer Gesetzesfiktion als Arbeitsverhältnis eingestuft, da bei einem solchen Aufsichtsratsmitglied die Kriterien eines Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt sind.
34 Zweitens übt der Kläger des Ausgangsverfahrens dem vorlegenden Gericht zufolge seine Tätigkeit nicht auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags, sondern auf der Grundlage eines Dienstleistungsvertrags aus.
35 Drittens ist zur Frage, ob ein sonstiges Rechtsverhältnis vorliegt, das hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsentgelts sowie der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers ein Verhältnis der Unterordnung schafft, festzustellen, dass hinsichtlich der Arbeitsbedingungen kein Unterordnungsverhältnis besteht, da zum einen die Mitglieder eines solchen Aufsichtsrats keinen Weisungen des Vorstands der Stiftung unterliegen, insbesondere wenn sie die Modalitäten der Ausübung ihrer Tätigkeit regeln. Die Aufsichtsratsmitglieder sollen die Strategie des Vorstands und den allgemeinen Geschäftsgang der Stiftung auf unabhängige Weise kontrollieren. Diese Aufsichtsfunktion lässt sich nicht mit einem Unterordnungsverhältnis vereinbaren.
36 Zum anderen legt nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen der Aufsichtsrat zwar seine Arbeitsweise in einer Geschäftsordnung fest, er scheint aber seinen Mitgliedern nicht vorschreiben zu dürfen, wie sie ihr Mandat jeweils wahrnehmen. Nach diesen Angaben sind die Aufsichtsratsmitglieder nämlich innerhalb des Aufsichtsrats unabhängig und müssen gegenüber den anderen Aufsichtsratsmitgliedern kritisch handeln.
37 Fehlt es aber an einem Unterordnungsverhältnis hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, stehen die Mitglieder eines solchen Aufsichtsrats in keinem anderen Rechtsverhältnis, das im Sinne von Art. 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie ein Verhältnis der Unterordnung schafft. Daher ist in einem zweiten Schritt anhand Art. 9 dieser Richtlinie zu prüfen, ob eine Tätigkeit wie die des Ausgangsverfahrens selbständig ausgeübt wird.
38 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass, um zu bestimmen, ob eine Person eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, zu prüfen ist, ob sie sich bei der Ausübung dieser Tätigkeit in einem Unterordnungsverhältnis befindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. September 2015, Gmina Wrocław, C-276/14, EU:C:2015:635, Rn. 33 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Für die Beurteilung des Vorliegens dieses Unterordnungsverhältnisses ist zu prüfen, ob der Betroffene seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und ob er das mit der Ausübung dieser Tätigkeiten einhergehende wirtschaftliche Risiko trägt. Zur Feststellung der Selbständigkeit der in Rede stehenden Tätigkeiten hat der Gerichtshof daher das Fehlen jeglichen hierarchischen Unterordnungsverhältnisses berücksichtigt sowie den Umstand, dass die betreffende Person für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt, dass sie die Modalitäten der Ausübung ihrer Arbeit frei regelt und dass sie das Entgelt, das ihr Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt (Urteil vom 29. September 2015, Gmina Wrocław, C-276/14, EU:C:2015:635, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Wie in den Rn. 35 und 36 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist die Situation eines Mitglieds des Aufsichtsrats einer Stiftung wie des Klägers des Ausgangsverfahrens dadurch gekennzeichnet, dass hinsichtlich der Ausübung der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied kein hierarchisches Unterordnungsverhältnis gegenüber dem Vorstand dieser Stiftung und dem Aufsichtsrat besteht.
41 Allerdings handelt der Kläger des Ausgangsverfahrens nach den Angaben des vorlegenden Gerichts in der Ausübung seiner Aufgaben als Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung weder in eigenem Namen noch für eigene Rechnung oder in eigener Verantwortung. Wie sich aus der Satzung der Stiftung ergibt, besteht die Tätigkeit als Mitglied dieses Aufsichtsrats in bestimmten Fällen in der rechtlichen Vertretung der Stiftung, was die Befugnis impliziert, die Stiftung insoweit zu verpflichten. Das vorlegende Gericht erläutert außerdem, dass die Aufsichtsratsmitglieder die dem Aufsichtsrat übertragenen Befugnisse nicht individuell ausüben könnten und für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelten. Somit erweist sich, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats der Stiftung individuell weder die Verantwortung tragen, die sich aus den in gesetzlicher Vertretung der Stiftung vorgenommenen Handlungen des Aufsichtsrats ergibt, noch für Schäden haften, die sie Dritten in Wahrnehmung ihrer Aufgaben verursachen, und damit nicht in eigener Verantwortung handeln (vgl. entsprechend Urteil vom 25. Juli 1991, Ayuntamiento de Sevilla, C-202/90, EU:C:1991:332, Rn. 15).
42 Die Situation eines Aufsichtsratsmitglieds wie des Klägers des Ausgangsverfahrens zeichnet sich außerdem im Gegensatz zu der eines Unternehmers dadurch aus, dass mit der ausgeübten Tätigkeit keinerlei wirtschaftliches Risiko einhergeht. Dem vorlegenden Gericht zufolge bezieht ein solches Aufsichtsratsmitglied nämlich eine feste Vergütung, die weder von seiner Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt. Daher übt er im Unterschied zu einem Unternehmer keinen nennenswerten Einfluss auf seine Einnahmen oder Ausgaben aus (vgl. im Umkehrschluss Urteil vom 12. November 2009, Kommission/Spanien, C-154/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:695, Rn. 107 und die dort angeführte Rechtsprechung). Überdies scheint eine von einem solchen Aufsichtsratsmitglied in Ausübung seiner Tätigkeit begangene Fahrlässigkeit keine unmittelbaren Auswirkungen auf seine Vergütung zu haben, da sie nach der Stiftungssatzung nur dann zu seiner Entlassung führen kann, wenn zuvor ein besonderes Verfahren durchgeführt wird.
43 Bei einer Person, die kein derartiges wirtschaftliches Risiko trägt, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass sie eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie selbständig ausübt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. März 2006, FCE Bank, C-210/04, EU:C:2006:196, Rn. 35 bis 37, vom 18. Oktober 2007, van der Steen, C-355/06, EU:C:2007:615, Rn. 24 bis 26, und vom 24. Januar 2019, Morgan Stanley & Co International, C-165/17, EU:C:2019:58, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Art. 9 und 10 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass ein Mitglied des Aufsichtsrats einer Stiftung wie der Kläger des Ausgangsverfahrens, der zwar hinsichtlich der Ausübung seiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied weder dem Vorstand noch dem Aufsichtsrat dieser Stiftung hierarchisch untergeordnet ist, jedoch nicht in eigenem Namen, für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung, sondern für Rechnung und unter Verantwortung des Aufsichtsrats handelt und auch nicht das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit trägt, da er eine feste Vergütung erhält, die weder von der Teilnahme an Sitzungen noch von seinen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden abhängt, nicht selbständig eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
Kosten
45 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.