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Steuerrecht
05.01.2023
Steuerrecht
FG Köln: Schätzungsbefugnis bei zusätzlichem Einsatz einer elektronischen Registrierkasse zur Überprüfung handschriftlicher Aufzeichnungen

FG Köln, Urteil vom 4.8.2022 – 3 K 2129/20
ECLI:DE:FGK:2022:0804.3K2129.20.00

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2023-36-1

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Führt der Steuerpflichtige neben der offenen Ladenkasse eine elektronische Registrierkasse, erhöhen sich die Anforderungen an die formelle Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung nicht.

2. Die formelle Ordnungsmäßigkeit bestimmt sich in diesem Fall nach den Anforderungen an eine offene Ladenkasse.

AO § 158, § 140, § 146 Abs. 1 S. 1, S. 2, S. 3, S. 4, § 146a, § 162 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 Var. 2; FGO § 100 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S.

Sachverhalt

Streitig ist, ob die vom Kläger in den Jahren 2015 bis 2017 (Streitjahre) praktizierte Kassenbuchführung den Beklagten berechtigt, den erklärten Gewinn des Klägers aus Gewerbebetrieb um eine Hinzuschätzung von jeweils 500 € pro Jahr zu erhöhen.

Der Kläger wurde für die Streitjahre zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger führte in einer Fußgängerzone in Z unter der Bezeichnung „... Z“ ein Einzelhandelsgeschäft mit .... Personal beschäftigte der Kläger nicht. Er ermittelte seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich. Bei der laufenden Buchführung und der Anfertigung der Jahresabschlüsse wirkte der Prozessbevollmächtigte mit.

Im Ladenlokal befand sich eine elektronische Registrierkasse der Firma Casio vom Typ CE-6100 nebst Bedienungsanleitung. Nach Angaben des Klägers hatte er keine Dokumentation über deren Programmierung. Der Kassenaufsteller sei letztmalig anlässlich der Einführung des Euro vor Ort gewesen und habe die Kasse entsprechend umgestellt, auch darüber habe er, der Kläger, kein Protokoll. Der Kläger verfügte ferner über ein Kartenlesegerät für Kunden, die mit einer Girocard oder über Maestro zahlen wollten. Der Kläger hatte für sein Geschäft ein Konto bei der X-Bank, auf das er Bargeldbeträge einzahlte und auf das die mittels einer Karte erzielten Einnahmen überwiesen wurden.

In der Betriebsprüfungsakte sind aus jedem Streitjahr Kopien der Unterlagen einiger aufeinander folgender Tagesabschlüsse abgeheftet, nämlich für den 27.6.2015 bis 30.6.2015, 28.1.2016 bis 30.1.2016 und 29.12.2017 bis 30.12.2017. Diese seien hier beispielhaft für den 29.12.2017 dargestellt. Danach erstellte der Kläger am Ende dieses Geschäftstages um 18:09 Uhr zunächst mit dem Kartenlesegerät einen als Händlerbeleg überschriebenen Kassenschnitt der für Girocard 8 Vorgänge mit einer Summe von 638,40 € ausweist. Um 18:47 Uhr erzeugte der Kläger mit der Kasse den Z-Bon 5364, in dem 128 Vorgänge mit einer Summe von 2.864,40 € ausgewiesen werden, von denen 2.226 € in bar und 638,40 € per EC-Karte vereinnahmt wurden. Aufgeschlüsselt sind auf dem Z-Bon ferner Anzahl und Summen der Einnahmen für bestimmte Warengruppen wie ....

Außerdem führte der Kläger ein gebundenes Kassenbuch, in dem für den 29.12.2017 der Kassenbericht 5164 angefertigt wurde. Er ist retrograd aufgebaut, beginnt also mit dem Kassenbestand bei Geschäftsschluss von 483,99 €. Der Kassenbericht soll die Ausgaben im Laufe des Tages für Wareneinkäufe, Geschäftsausgaben, Privatentnahmen und sonstige Ausgaben dokumentieren. Für den 29.12.2017 sind bei den sonstigen Ausgaben mit dem Zusatz „Bank“ 2.000,- eingetragen. Von der rechnerisch ermittelten Summe 2.483,99 wurde der Kassenbestand des Vortages von 257,99 abgezogen, wodurch sich ein Kasseneingang von 2.226,- € ergab, der am Ende des Kassenberichts in gleicher Höhe nochmals als Einnahmen (Tageslosung) ausgewiesen ist. Der Kassenbericht wurde vom Kläger unterschrieben und erhält einen Stempel „GEBUCHT 8. JAN. 2018“. Schriftliche Unterlagen über die Art der Ermittlung der tatsächlichen Kassenbestände existieren nicht. Die 483,99 € Kassenbestand bei Geschäftsschluss am 29.12.2017 finden sich im Kassenbericht 5165 vom 30.12.2017 als Kassenbestand des Vortages. Der Kassenbestand am Schluss des 30.12.2017 (Samstag) von 438,94 € wurde in die Bilanz zum 31.12.2017 übernommen. Die täglichen Einnahmen des Klägers wurden in der Buchführung des Klägers durch den Prozessbevollmächtigten zu Beginn des nachfolgenden Monats aufgezeichnet.

Für den Einsatz elektronischer Registrierkassen enthielt bereits das BMF-Schreiben vom 9.1.1996 (BStBl I 1996, 34) einschlägige Regelungen für die Aufbewahrung von Unterlagen. Durch das BMF-Schreiben vom 26.11.2010 (BStBl I 2010, 1342) waren die Pflichten zur Aufbewahrung digitaler Unterlagen bei Bargeschäften für Geschäftsvorfälle, die unter anderem mit Registrierkassen erfasst werden, wesentlich erweitert worden. Soweit ein Gerät den Anforderungen nicht genügt, wird es nicht beanstandet, wenn es längstens bis zum 31.12.2016 eingesetzt wird. Es ist unstreitig, dass die Aufzeichnungen der Registrierkasse beim Kläger im Jahr 2017 nicht mehr den Anforderungen des BMF entsprechen.

Für die Streitjahre erklärte der Kläger gegenüber dem beklagten Finanzamt aufgrund seiner Buchführung folgende Besteuerungsgrundlagen:

 

 

2015

2016

2017

 

Umsatzerlöse, ohne EV, gerundet

     

Wareneinsatz, gerundet

     

Steuerlicher Gewinn

     

Das Finanzamt folgte für die Streitjahre den Erklärungen. Die Einkommensteuerbescheide für 2015 vom 9.3.2017 und für 2016 vom 23.2.2018 sowie die Gewerbesteuermessbescheide für 2015 und 2016 (Bekanntgabe durch Stadt Z) ergingen hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb endgültig. Für 2017 ergingen der Einkommensteuerbescheid am 23.1.2019 und der Gewerbesteuermessbescheid am 1.2.2019 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

Im März 2019 begann das Finanzamt beim Kläger mit einer Betriebsprüfung für die Streitjahre. Bei der Betriebsbesichtigung am 19.3.2019 wurde von der Prüferin ein Kassensturz durchgeführt. Die Kassenberichte der Vortage lagen vor und der Kassenbestand von 129,18 € stimmte mit dem Kassenbericht des 18.3.2019 überein. Der Kläger führte aus, dass es bei ihm keine Stornobuchungen gebe. Bei Rückgabe von Waren gebe es grundsätzlich kein Geld zurück, sondern nur Gutscheine und bei deren Einlösung werde nur der Differenzbetrag zwischen Gutschein und Warenwert eingetippt. Die Preise für die einzelnen Artikel seien nicht in der Kasse gespeichert, sondern würden bei jedem Verkauf händisch eingetippt.

Die Prüfung wurde mit Bericht vom 17.6.2019 in der Fassung der Änderung vom 13.9.2019 abgeschlossen. Die Prüferin hielt die Kassenführung durch den Kläger nicht für ordnungsgemäß. Sie beanstandete, dass Stornobuchungen bzw. Korrekturen durch die C-Taste nicht dokumentiert seien und der Kläger keine Organisationsunterlagen zur Kassenführung, also Handbuch, Programmieranleitung, Programmierprotokolle bzw. Programmierabrufe, habe vorlegen können. Die Organisationsunterlagen seien nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufbewahrungspflichtig. Der formelle Mangel lasse zwar keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu, gleichwohl gebe es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Einnahmen. Seit dem 1.1.2017 reiche es nach den BMF-Schreiben ohnehin nicht mehr aus, nur die Tagesendsummenbons aufzubewahren. Die fehlenden Organisationsunterlagen und die fehlende Speicherung der Daten in 2017 stellten schwerwiegende Mängel dar. Das Fehlen einer lückenlosen Dokumentation zur Kassenprogrammierung stehe dem Fehlen von Tagesendsummenbons gleich. Zwar würden formelle Buchführungsmängel nur dann zu einer Schätzung berechtigen, wenn sie Anlass gäben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln. Jedenfalls dann, wenn vorwiegend Bargeschäfte getätigt würden, könnten Mängel der Kassenführung der gesamten Buchführung die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Unter Abwägung der festgestellten Mängel sei eine Hinzuschätzung von jährlich 500 € vorzunehmen. Auf die Ermittlung der Einnahmen mittels der Kassenberichte ging die Prüferin in ihrem Bericht nicht ein. Die Prüfung führte noch zu anderen Feststellungen, die für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung sind. Am 30.9.2019 erließ das Finanzamt geänderte Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre. Sie wurden wegen der Einkommensteuer 2015 und 2016 auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, wegen der Gewerbesteuermessbeträge 2015 und 2016 auf § 35b GewStG und im Übrigen auf § 164 Abs. 2 AO gestützt; die Vorbehalte der Nachprüfung wurden zugleich aufgehoben. Zur Begründung wurden alle Änderungsbescheide auf die Ergebnisse der durchgeführten Außenprüfung gemäß dem Prüfungsbericht vom 13.9.2019 gestützt.

Am 28.10.2019 legte der Prozessbevollmächtigte namens beider Kläger gegen alle vorbezeichneten Bescheide per Fax Einspruch ein und wandte sich dagegen, dass die Kassenführung verworfen worden sei. Dabei stützte er sich auf die Ermittlung der Einnahmen durch die täglichen Kassenberichte, die – was zutrifft – zu Beginn der Betriebsprüfung vorgelegt worden seien und den von der Prüferin durchgeführten Kassensturz. Diese manuellen Aufzeichnungen seien nicht beanstandet worden. Der Prozessbevollmächtigte führte aus, dass der Kläger die elektronische Kasse nur hilfsweise zur Überprüfung der Korrektheit seiner manuellen Aufzeichnungen nutze.

Das Finanzamt erließ am 26.8.2020 gesonderte Einspruchsentscheidungen gegenüber beiden Klägern wegen der Einkommensteueränderungsbescheide und gegenüber dem Kläger wegen der geänderten Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre. Im Ergebnis wurden sämtliche Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.

Das Finanzamt führte aus, dass nach § 238 Abs. 1 Satz 1 HGB jeder Kaufmann verpflichtet sei, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) ersichtlich zu machen. Über § 140 AO würden die Kaufleuten obliegenden handelsrechtlichen Buchführungspflichten auch für die Besteuerung gelten. Wer seine Bücher oder sonst erforderlichen Aufzeichnungen auf maschinell Iesbaren Datenträgern führe, habe die Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff zu beachten. Sodann wiederholte das Finanzamt in den Einspruchsentscheidungen im Wesentlichen die Feststellungen der Prüferin aus dem Prüfungsbericht. Dem zuletzt erhobenen Einwand, die Kassenberichte seien als Hauptdokument zu verstehen, wenn die elektronische Kasse als mängelbehaftet verworfen werde, könne nicht gefolgt werden. Es sei zwar zutreffend, dass der Kläger im Prüfungszeitraum ein handschriftliches Kassenbuch und Kassenberichte geschrieben habe, jedoch keinesfalls als Hauptkasse im Ladenlokal. Bel der Ortsbesichtigung habe die Prüferin die Casio-Kasse in Augenschein genommen und den Kläger auch befragt, wie er die Kasse führe. Weder in diesem Gespräch noch im Verlauf der Prüfung sei dargelegt worden, dass die Casio Kasse nur zur Überprüfung der Korrektheit der manuellen Aufzeichnungen geführt worden sei. Die Prüferin habe im Rahmen der Ortsbesichtigung nicht feststellen können, dass der Kläger eine offene Ladenkasse führe. Vielmehr habe er täglich die Casio-Kasse bedient und Z-Bons gezogen. Im Übrigen seien die Aufzeichnungen im Kassenbuch und die Kassenberichte alleine nicht ausreichend, um die Ordnungsmäßigkeit der Kassenführung zu belegen. Der Kläger habe jedenfalls keinen „Zählnachweis“ geführt.

Mit den am 22.9.2020 wegen der Einkommensteuern und am 24.9.2020 wegen der Gewerbesteuermessbeträge erhobenen Klagen, die das Gericht zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden hat, wenden sich die Kläger weiter gegen die Hinzuschätzung. Sie führen aus:

Er, der Kläger, fühle sich bereits in seinen Grundrechten verletzt, da er schlechter behandelt werde als ein Steuerpflichtiger, der eine reine Handkasse führe. Hätte er in den Streitjahren keine elektronische Kasse zur Hilfe genommen, um seine Berechnungen zu überprüfen, hätten keine Mängel wegen der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung behauptet werden können. Der allgemeine Gleichheitssatz nach Art 3 Abs. 1 GG bestimme, dass die Rechtsfolgen vergleichbarer Fälle gleich zu behandeln seien. Durch die Hauptaufzeichnungen hätten übereinstimmende Tatbestände zu Steuerpflichtigen vorgelegen, die keine elektronische Kasse genutzt hätten. Trotz fehlender Nachweise über Unzulänglichkeiten erfolge eine Ungleichbehandlung durch den Beklagten. Die Bemängelung eines fehlenden Zählprotokolls widerspreche der Verfügung der OFD Karlsruhe vom 7.8.2020 (S-0315-St 42, DStR 2020, 10). Nur wenn ein Zählprotokoll erstellt werde, sei es aufzubewahren. Zu der Registrierkasse sei die Sachverhaltsermittlung des Beklagten unvollständig. Die Zuschätzung sei sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar.

Die Kläger beantragen,

1. die Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2017 vom 30.09.2019 in Form der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2020 werden dahingehend geändert, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb um 500 € jährlich gemindert wird.

2. Hilfsantrag: Die Revision wird zugelassen.

3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Der Kläger beantragt ferner,

1. die Gewerbesteuermessbescheide 2015 bis 2017 vom 30.09.2019 in Form der Einspruchsentscheidung vom 26.08.2020 werden dahingehend geändert, dass der Gewinn aus Gewerbebetrieb um 500 € jährlich gemindert wird.

2. Hilfsantrag: Die Revision wird zugelassen.

3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es verweist zunächst auf die Einspruchsentscheidung. Es bleibe dabei, dass der vorgetragene Sachverhalt zur Führung der Handkasse (offene Ladenkasse) als Hauptkasse nicht den von der Prüferin angetroffenen tatsächlichen Gegebenheiten bei der Ortsbesichtigung am 19.03.2019 entspreche. Bei Durchführung des Kassensturzes sei das Geld aus der Schublade der Registrierkasse gezählt worden und nicht etwa Geld aus einem Portemonnaie oder einer anderweitigen Schublade. Der Kläger sei nachweispflichtig, dass er die täglichen Bareinnahmen auch tatsächlich ausgezählt habe.

Aus den Gründen

 

Die zulässige Klage ist begründet.

Die angefochtenen Änderungsbescheide über die Einkommensteuern der Kläger und die Gewerbesteuermessbeträge des Klägers für die Streitjahre in Gestalt der Einspruchsentscheidungen müssen durch das Gericht nach § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO entsprechend den Klageanträgen abgeändert werden. Denn diese Verwaltungsakte sind insoweit rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, als das Finanzamt bei der Festsetzung der Einkommensteuern und Gewerbesteuermessbeträge außer den vom Kläger erklärten Einkünften aus seinem Gewerbebetrieb zusätzlich jeweils einen Betrag von 500 € pro Jahr erfasst hat. Diese Hinzuschätzungen müssen rückgängig gemacht werden. Die Berechnung der Einkommensteuer und Gewerbesteuermessbeträge, die sich ohne die Hinzuschätzungen ergeben, hat das Gericht gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Finanzamt übertragen.

Die Hinzuschätzungen des Finanzamts sind rechtswidrig, weil die dafür erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen im Streitfall nicht vorliegen. Die vom Kläger in den Streitjahren erzielten Einkünfte aus seinem Gewerbebetrieb unterliegen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Einkommensteuer. Zu erfassen ist dabei der vom Kläger jeweils durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Gewinn (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG). Dieser ist zugleich die Ausgangsgröße für den Gewerbesteuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag (§ 7 Satz 1 GewStG, § 184 Abs. 1 Satz 3 AO). Für den Ansatz des Betriebsvermögens am Schluss eines Wirtschaftsjahres sind die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung zu beachten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Darüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

Gemäß § 158 AO sind die Buchführung und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen, der Besteuerung zugrunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalls kein Anlass ist, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Zu schätzen hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann (§ 162 Abs. 1 Satz 1 AO), insbesondere wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden (§ 162 Abs. 2 Satz 2 Variante 2 AO). §§ 158 und 162 AO gelten aufgrund der Verweisung in §§ 95, 96 Abs. 1 Satz 1 FGO sinngemäß für die Entscheidung des Gerichts über die vorliegende Klage. Diese hat es nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen. Nur unter den Voraussetzungen des § 162 Abs. 2 Satz 2 Variante 2 in Verbindung mit § 158 AO wäre das Gericht hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb zu einer Schätzung befugt.

Im Streitfall war das Finanzamt nicht nach § 162 Abs. 2 Satz 2 Variante 2 in Verbindung mit § 158 AO berechtigt, die erklärten Gewinne des Klägers um jeweils 500 € im Wege der Schätzung zu erhöhen. Denn die Buchführung und die Aufzeichnungen des Klägers sind im Streitfall nach § 158 AO mit den unveränderten Beträgen der Besteuerung zugrunde zu legen. Sie entsprechen den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO (I) und auch nach den Umständen des Einzelfalls ist kein Anlass, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden (II).

 

I. § 158 AO verlangt, dass die Buchführung und die Aufzeichnungen des Klägers den Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO entsprechen. An dieses positive Tatbestandsmerkmal der so genannten formellen Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (BFH-Beschluss vom 20.9.1999 X B 56/99, BFH/NV 2000, 304) knüpft § 158 AO die gesetzliche Vermutung, dass das Buchführungsergebnis sachlich richtig sei. Für die formelle Ordnungsmäßigkeit der Buchführung ist das Gesamtbild aller Umstände im Einzelfall maßgebend (vgl. schon BFH-Urteile vom 12.12.1972 VIII R 112/69, BStBl II 1973, 555; vom 7.7.1977 IV R 205/72, BStBl II 1978, 307 sowie Beschluss vom 25.1.1990 IV B 140/88, BFH/NV 1990, 484). Bei der danach vorzunehmenden Gesamtwertung ist die Buchführung des Klägers als formell ordnungsmäßig anzusehen.

 

1. Von den in § 158 AO genannten Vorschriften der §§ 140 bis 148 AO spielt für die Kassenbuchführung des Klägers im Streitfall nur § 146 AO eine Rolle. Dieser enthält schon nach seiner Überschrift die Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Aufzeichnungen. Für die Beurteilung der Streitjahre 2015 und 2016 gilt § 146 Abs. 1 AO in der Fassung der Bekanntmachung vom 1.10.2002 (BGBl. I S. 3866), für das Streitjahr 2017 gilt die Fassung durch das Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen vom 22.12.2016 (BGBl I S. 3152).

 

a) Gemäß der ursprünglichen Fassung von § 146 Abs. 1 AO sind nach Satz 1 die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sollen nach Satz 2 täglich festgehalten werden. Nach dem erwähnten Gesetz vom 22.12.2016 lautet § 146 Abs. 1 Satz 1 AO wie folgt: Die Buchungen und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen sind einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorzunehmen. § 146 Abs. 1 Satz 2 AO bestimmt: Kasseneinnahmen und Kassenausgaben sind täglich festzuhalten. Ein neuer § 146 Abs. 1 Satz 3 AO regelt, dass die Pflicht zur Einzelaufzeichnung nach Satz 1 aus Zumutbarkeitsgründen bei Verkauf von Waren an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen gegen Barzahlung nicht besteht. Das gilt aber gemäß § 146 Abs. 1 Satz 4 AO nicht, wenn der Steuerpflichtige ein elektronisches Aufzeichnungssystem im Sinne des § 146a AO verwendet. Das Gesetz vom 22.12.2016 ist gemäß seinem Art. 3 am Tag nach der Verkündung – die am 28.12.2016 erfolgt ist – in Kraft getreten und gilt sonach jedenfalls für das Streitjahr 2017. Das Kernstück dieses Gesetzes, nämlich die besondere Ordnungsvorschrift für die Buchführung und für Aufzeichnungen mittels elektronischer Aufzeichnungssysteme in § 146a AO ist jedoch erstmals für Kalenderjahre nach Ablauf des 31.12.2019 anzuwenden (Art. 97 § 30 Abs. 1 EGAO).

Von einer nicht bestehenden Einzelaufzeichnungspflicht für die in § 146 Abs. 1 Satz 3 AO bestimmten Warenverkäufe ist daher bereits für das Streitjahr 2017 auszugehen. Diese Regelung im Gesetz vom 22.12.2016 sollte die bis dahin bestehende Rechtslage nicht verändern, sondern nur die einschlägige Rechtsprechung des BFH zu derartigen Fällen kodifizieren (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses, Bundestags-Drucksache 18/10667, Seite 26). Schon durch Urteil vom 12.5.1966 (IV 472/60, BStBl III 1966, 371) hat der BFH nämlich entschieden, dass sich aus den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung für Einzelhandelsunternehmer, die im allgemeinen Waren an ihnen der Person nach nicht bekannte Kunden über den Ladentisch gegen Barzahlung verkaufen, in der Regel nicht die Verpflichtung ergibt, die baren Betriebseinnahmen einzeln aufzuzeichnen. Ihnen wurde eine sog. offene Ladenkasse zugebilligt, sie durften also ihre Kasseneinnahmen täglich in einer Summe, z.B. mit Hilfe von Kassenberichtszetteln ermitteln (vgl. BFH, Beschlüsse vom 7.2.2008 X B 189/07, bei juris Rn. 6, vom 13.3.2013 X B 16/12, BFH/NV 2013, 902 und vom 16.12.2016 X B 41/16, BFH/NV 2017, 310). Der BFH betont auch in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich, dass der Steuerpflichtige in der Wahl des Aufzeichnungsmittels frei sei und entscheiden könne, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel wie z. B. einer Registrierkasse erfasse (Urteil vom 20.3.2017 X R 11/16, BStBl II 2017, 992 Rn. 38 [BB 2017, 2081, StB 2017, 282 Ls]).

 

b) Nach den vorgenannten Grundsätzen war der Kläger in keinem der Streitjahre zu einer Einzelaufzeichnung seiner Verkäufe verpflichtet. Für das Jahr 2017 folgte dies aus § 146 Abs. 1 Satz 3 AO in der Fassung des Gesetzes vom 22.12.2016 und für die Streitjahre 2015 sowie 2016 aus § 146 Abs. 1 Satz 1 AO und der zitierten Rechtsprechung des BFH zur Auslegung dieser Fassung. Der Kläger verkaufte in seinem Laden durchgehend .... Nach Aktenlage waren die Käufer ganz überwiegend Kunden, die dem Kläger der Person nach nicht bekannt waren. Sie bezahlten entweder mit Bargeld oder mit Karte. In aller Regel verlangten sie vom Kläger keine Rechnungen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BFH vom 16.12.2014 (X R 42/13, BStBl. II 2015, 519 [BB 2015, 1200 m. BB-Komm. Heß]), wonach in den Fällen, in denen sich der Steuerpflichtige für den Einsatz einer elektronischen Registrierkasse oder einer PC-Kasse entscheidet, Einzelaufzeichnungen nicht unzumutbar sind (vgl. hierzu auch Klein/Rätke, AO, 15. Auflage 2020, § 146 Rn. 40), da dann sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert nach Kaufgegenstand und Entgelt aufgezeichnet werden. Denn im Streitfall hat der Kläger die eingesetzte elektronische Registrierkasse nur hilfsweise zur Überprüfung der Korrektheit seiner manuellen Aufzeichnungen genutzt und gerade nicht als maßgebliches Instrument seiner Kassenbuchführung.

 

2. Für Kassenaufzeichnungen schreibt das Gesetz im Übrigen nur vor, dass Kasseneinnahmen und Kassenausgaben bis einschließlich 2016 täglich festgehalten werden „sollen“ und ab 2017 täglich festzuhalten „sind“. In welcher Form die Kassenaufzeichnungen zu führen sind, bestimmt die AO nicht. Nach Auffassung der Finanzverwaltung in Ziffer 3.3 des AEAO zu § 146 – Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Aufzeichnungen – gilt Folgendes: „Einzelaufzeichnungen können durch die vollständige und detaillierte Erfassung (vgl. AEAO zu § 146, Nr. 2.1.2 und 2.1.3) aller baren Geschäftsvorfälle in Form eines Kassenbuches erfolgen. Wird ein Kassenbericht zur Ermittlung der Tageslosung verwendet, kann die Einzelaufzeichnung auch durch die geordnete (z.B. nummerierte) Sammlung aller Barbelege gewährleistet werden. Besteht aus Zumutbarkeitsgründen keine Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung (vgl. AEAO zu § 146, Nr. 2.2.2) müssen die Bareinnahmen zumindest anhand eines Kassenberichts nachgewiesen werden. Hierbei ist stets vom gezählten Kassenendbestand des jeweiligen Geschäftstages auszugehen. Von diesem Kassenendbestand werden der Kassenendbestand bei Geschäftsschluss des Vortages sowie die durch Eigenbeleg zu belegenden Bareinlagen abgezogen. Ausgaben und durch Eigenbeleg nachzuweisende Barentnahmen sind hinzuzurechnen.“ Die Literatur stimmt diesen Anforderungen zu (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 146 AO Rn. 28a, Stand August 2021, Märtens in Gosch, AO/FGO, § 146 AO Rn. 29, Stand November 2017; Niewerth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 146 AO Rn. 9, Stand Oktober 2021; Baum in eKommentar zur AO, § 146 Rn. 18, Stand Dezember 2020).

 

a) Den vorgenannten Anforderungen ist der Kläger durch die von ihm in allen Streitjahren täglich erstellten Kassenberichte nachgekommen. Er hat zunächst den Kassenbestand bei Geschäftsschluss ermittelt, sodann die Ausgaben hinzuaddiert und von der Zwischensumme schließlich den Kassenbestand des Vortrages subtrahiert. Auf die in der Betriebsprüfungsakte abgehefteten Unterlagen für die Zeiträume 27.6.2015 bis 30.6.2015, 28.1.2016 bis 30.1.2016 und 29.12.2017 bis 30.12.2017 sowie speziell den im Tatbestand dargestellten Vorgang am 29.12.2017 wird Bezug genommen. Die Eintragungen sind vom Kläger jeweils in ein gebundenes Kassenbuch eingetragen worden.

Ohne Erfolg weist das Finanzamt darauf hin, dass der Kläger keine Unterlagen darüber vorlegen konnte, wie er die in den Kassenberichten eingetragenen Geldbestände ermittelt hat. Für das Gericht liegt es auf der Hand, dass der jeweils vorhandene Kassenbestand, also die einzelnen Geldscheine und Münzen, händisch ausgezählt und das dabei erzielte Gesamtergebnis sofort in den Kassenbericht des betreffenden Tages eingetragen wurde. Für diese Vorgehensweise spricht schon der Beweis des ersten Anscheins. Wenn jemand in einen als solchen überschriebenen Kassenbericht im Feld Kassenbestand bei Geschäftsschluss einen in Euro und Cent ausgedrückten Geldbetrag einträgt, spricht nach der allgemeinen Lebenserfahrung der erste Anschein dafür, dass die betreffende Person eben die eingetragene Summe durch Auszählen des gerade vorhandenen Kasseninhaltes ermittelt hat.

In der Rechtsprechung des BFH ist inzwischen geklärt, dass es über den Kassenbericht hinaus nicht etwa eines "Zählprotokolls" bedarf, in dem die genaue Stückzahl der vorhandenen Geldscheine und -münzen aufgelistet wird. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein Kassenbericht, der auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens erstellt worden ist (BFH, Beschluss vom 16.12.2016 X B 41/16, BFH/NV 2017, 310). Auch Ziffer 3.3 des AEAO zu § 146 – Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Auf-zeichnungen – verlangt kein Zählprotokoll und führt aus, es erleichtere jedoch den Nachweis des tatsächlichen Auszählens. Beim Kläger ist dieser Nachweis aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung als erbracht anzusehen.

 

b) Zu den Anforderungen an Kassenaufzeichnungen gehört schließlich, dass die Kasse „sturzfähig“ und ein Buchsachverständiger jederzeit in der Lage sein muss, den Sollbestand mit dem Istbestand der Geschäftskasse zu vergleichen (vgl. BFH, Urteile vom 31.7.1974 I R 216/72, BStBl II 1975, 96; vom 17.11.1981 VIII R 174/77, BStBl II 1982, 430; vom 20.9.1989 X R 39/87, BStBl II 1990, 109 [BB 1990, 56 Ls] und vom 24.6.2014 VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501). Ein derartiger Kassensturz ist vom Finanzamt zwar nicht während der Streitjahre, wohl aber im Rahmen der Betriebsprüfung am 19.3.2019 durchgeführt worden. Dabei stimmte der Sollbestand mit dem Istbestand exakt überein.

 

c) Da die Kassenbestände vom Kläger in den Streitjahren in regelmäßigen Abständen auf sein Bankkonto eingezahlt worden sind und alle Vorgänge in seiner Buchführung nachvollzogen worden sind, hätte das Finanzamt noch die Möglichkeit gehabt, weitere rechnerische Verprobungen durchzuführen. Wenn es wie hier Zweifel hatte, ob der Kläger die täglichen Kassenbestände wirklich durch Auszählen ermittelt hat, hätte es zum Beispiel eine sog. Kassenfehlbetragsrechnung durchführen können (vgl. dazu Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 5 Rn. A 254 m.w.N.). In der Prüferhandakte befindet sich keine solche Berechnung. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass die Prüferin dennoch eine derartige Berechnung durchgeführt hat, diese aber nicht zu Kassenfehlbeträgen führte und das Ergebnis deswegen nicht aktenkundig gemacht worden ist. Bei dieser Sachlage hat das Gericht im Rahmen seiner Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) jedenfalls keinen Anlass gesehen, eine Kassenfehlbetragsrechnung anzuregen.

 

d) Weitere Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kassenführung bestehen im Streitfall nicht. Deswegen ist es entgegen der Auffassung des Finanzamts nicht von Belang, wie der Kläger seine Art der Kassenbuchführung in dem Eröffnungsgespräch gegenüber der Prüferin genannt hat, ob die Casio-Kasse seine „Hauptkasse“ war oder ob von einer offenen Ladenkasse die Rede war. Es kann auch keine Rede davon sein, dass sich eine offene Ladenkasse und eine Registrierkasse begrifflich ausschließen. Eine offene Ladenkasse liegt nicht nur dann vor, wenn sich das Bargeld des Geschäfts in einem Portemonnaie oder in einer Schreibtischschublade des Steuerpflichtigen befindet. Es kann ebenso gut in der Schublade einer Registrierkasse aufbewahrt werden. Entscheidend ist alleine, wie der Kläger seine Kasseneinnahmen in den Streitjahren tatsächlich ermittelt hat und ob das von ihm angewandte Verfahren nach den einschlägigen Bestimmungen ordnungsgemäß war.

 

3. Dass der Kläger seine Kasseneinnahmen in den Streitjahren nicht nur täglich in einer Summe, sondern außerdem zusätzlich mittels Einzelaufzeichnung durch eine Registrierkasse dokumentiert hat, ist für die rechtliche Beurteilung des Streitfalls ebenfalls nicht von Bedeutung. Es handelt sich dabei um zwei völlig verschiedene Systeme, die völlig unabhängig voneinander bestehen können. Deshalb kann das Finanzamt aus der in § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO enthaltenen Pflicht des Steuerpflichtigen zur Aufbewahrung von zum Verständnis der Bücher und Aufzeichnungen erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen sowie insbesondere den speziell für den Einsatz von Registrierkassen geltenden BMF-Schreiben (vom 9.1.1996 BStBl I 1996, 34, vom 26.11.2010, BStBl I 2010, 1342) und dem Schreiben der OFD NRW vom 28.8.2015 (S 0316-2015/0006-St 432a bei juris) im Streitfall für seinen Standpunkt nichts herleiten. Diese Unterlagen gelten nur, wenn eine Pflicht zur Einzelaufzeichnung der Geschäftsvorfälle besteht, was beim Kläger nicht der Fall ist. In Ziffer 3.3 des AEAO zu § 146 Ordnungsvorschriften für die Buchführung und für Aufzeichnungen findet sich nicht die negative Voraussetzung, dass die Grundsätze für eine offene Ladenkasse nur anwendbar seien, wenn der Steuerpflichtige keine (zusätzliche) Registrierkasse benutze.

 

II. Es besteht im Sinne des § 158 AO schließlich kein Anlass, trotz der formellen Ordnungsmäßigkeit die sachliche Richtigkeit der Buchführung des Klägers zu beanstanden. Der Senat folgt der Rechtsprechung des BFH, dass die Vermutung der sachlichen Richtigkeit einer formell ordnungsgemäßen Buchführung aus § 158 AO z. B. durch einen inneren Betriebsvergleich mit einer qualifizierten Nachkalkulation widerlegt werden kann (Urteile vom 25. Juni 1970 IV 17/65, BStBl II 1970, 838; vom 22. August 1985 IV R 29 und 30/84, BFH/NV 1986, 719). Eine solche Nachkalkulation hat das Finanzamt jedoch im Streitfall beim Kläger nicht durchgeführt. Die Hinzuschätzung von jeweils 500 € zum Gewinn hat auch aus der Sicht des Finanzamts lediglich den Charakter eines Unsicherheitszuschlags. Dafür ist jedoch kein Raum, wenn wegen der vom Finanzamt nicht widerlegten Vermutung aus § 158 AO für die Richtigkeit des Buchführungsergebnisses des Klägers eine Unsicherheit gar nicht vorliegt.

 

III. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens folgt aus § 135 Abs. 1 FGO und die über die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.

 

IV. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

V. Für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO sieht das Gericht keinen Anlass. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH. Einen Antrag auf Zulassung der Revision hatten im Streitfall ohnehin nur die obsiegenden Kläger gestellt, nicht aber das unterliegende Finanzamt.

 

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