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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
16.10.2014
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH: Gewinnrealisierung bei Abschlagszahlungen nach § 8 Abs. 2 HOAI

BFH, Urteil vom 14.5.2014 – VIII R 25/11

Amtliche Leitsätze

1. Die Gewinnrealisierung tritt bei Planungsleistungen eines Ingenieurs nicht erst mit der Abnahme oder Stellung der Honorarschlussrechnung ein, sondern bereits dann, wenn der Anspruch auf Abschlagszahlung nach § 8 Abs. 2 HOAI entstanden ist.

2. Abschlagszahlungen nach § 8 Abs. 2 HOAI sind nicht wie Anzahlungen auf schwebende Geschäfte zu bilanzieren.

HGB § 252 Abs. 1 Nr. 4; EStG § 4 Abs. 1

Sachverhalt

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, betreibt ein Ingenieurbüro für Bautechnik. Sie ermittelt ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. In ihrer Bilanz auf den 31.12.2000 aktivierte sie „unfertige Leistungen“ in Höhe von 8 481 829,85 DM und passivierte „erhaltene Anzahlungen“ in Höhe von 11 041 615,56 DM als Verbindlichkeiten, da sie davon ausging, dass insoweit eine Gewinnrealisierung noch nicht eingetreten sei. Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) die Auffassung, dass ein wesentlicher Teil der Leistungen, die die Klägerin in ihrer Bilanz als unfertige Leistungen ausgewiesen hatte, bereits wirtschaftlich erfüllt und der Gewinn auch insoweit realisiert sei. Für mögliche Belastungen durch Restarbeiten und Planungsfehler setzte es eine Rückstellung in Höhe der Differenz zwischen den Honorarforderungen und den erhaltenen Anzahlungen an und erhöhte in dem geänderten Feststellungsbescheid für 2000 vom 4.11.2005 den Gesamthandsgewinn der Klägerin auf 3 984 378 DM. Nach Abzug der Sonderbetriebsausgaben beliefen sich die festgestellten Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 3 959 445 DM.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das FG der Klage in seinem in EFG 2012, 816 veröffentlichten Urteil vom 12.4.2011 – 13 K 3413/07 F teilweise stattgegeben. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Gewinn nur insoweit realisiert worden sei, als die Planungsleistungen der Klägerin (fiktiv oder konkludent) abgenommen worden seien. Der Gewinnfeststellungsbescheid sei insoweit rechtswidrig, als in dem festgestellten Gewinn Abschlagszahlungen für Projekte erfasst worden seien, die am Bilanzstichtag noch nicht abgenommen worden seien. Das FG setzte den Gesamthandsgewinn der Klägerin auf 2 132 062 DM herab und übertrug die Aufteilung des Gewinns auf die Gesellschafter dem FA. Während des Revisionsverfahrens erließ das FA für das Streitjahr geänderte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 15.6.2011 und 20.7.2011 (letzteren nur wegen erneut geänderter Gewinnverteilung), in denen es den Gesamthandsgewinn nach Maßgabe des FG-Urteils erneut feststellte und auf die Gesellschafter verteilte.

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Erhöhung des Gesamthandsgewinns sei rechtswidrig. Eine Gewinnrealisierung sei nicht eingetreten, da weder Honorarschlussrechnungen gestellt noch die Planungsleistungen abgenommen worden seien. Entgegen der Auffassung des FG könne eine Teilabnahme nicht fingiert werden.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG Düsseldorf vom 12.4.2011 – 13 K 3413/07 F, die Einspruchsentscheidung vom 7.8.2007 sowie die geänderten Bescheide zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2000 vom 4.11.2005, vom 15.6.2011 und vom 20.7.2011 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen sowie die Klage gegen die Änderungsbescheide vom 15.6.2011 und 20.7.2011 abzuweisen.

Aus den Gründen

Aufhebung des Urteils aus verfahrensrechtlichen Gründen

6          II. Auf die Revision der Klägerin ist das angefochtene Urteil aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, sodass die Klage gegen die Änderungsbescheide abzuweisen ist.

7          1. Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Das FG hat über den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2000 vom 4.11.2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7.8.2007 entschieden. Das FA hat sich nicht darauf beschränkt, nach Maßgabe des FG-Urteils das Ergebnis der Neuaufteilung des Gesamthandsgewinns festzustellen, sondern hat in den geänderten Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2000 vom 15.6.2011 und 20.7.2011 auch den Gesamthandsgewinn festgestellt. Die Bescheide sind an die Stelle des ursprünglich mit der Klage angefochtenen Bescheides getreten, sodass dem Urteil des FG ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt und es deshalb keinen Bestand haben kann (Urteil des BFH vom 20.11.2003 – IV R 31/02, BFHE 204, 166, BStBl. II 2006, 7, BB 2004, 530, m. w. N.).

8          Die geänderten Feststellungsbescheide vom 15. Juni 2011 und 20. Juli 2011 sind nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden. Da sich hinsichtlich der streitigen Punkte keine Änderungen ergeben haben und die Klägerin auch keinen weiter gehenden Antrag gestellt hat, bedarf es keiner Zurückverweisung der Sache gemäß § 127 FGO. Das finanzgerichtliche Verfahren leidet nicht an einem Verfahrensmangel, sodass die vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen durch die Aufhebung des Urteils nicht weggefallen sind; sie bilden daher nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des Senats (BFH-Urteil vom 23. Januar 2003 IV R 71/00, BFHE 201, 269, BStBl. II 2004, 43).

Unbegründetheit der Klage

9          2. Aufgrund seiner Befugnis aus den §§ 121 und 100 FGO entscheidet der Senat in der Sache selbst. Die Klage ist unbegründet und deshalb abzuweisen. Der zuletzt ergangene Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2000 vom 20. Juli 2011, der die vorangegangenen Bescheide in sich aufnimmt, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, da der festgestellte Gewinn zum Abschlussstichtag bereits in voller Höhe realisiert worden war.

Gewinn wird realisiert, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen „wirtschaftlich erfüllt“ hat

10        a) Der Zeitpunkt der Aktivierung von Forderungen bestimmt sich auch bei der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 EStG nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung --GoB-- (BFH-Urteile vom 10. September 1998 IV R 80/96, BFHE 186, 429, BStBl. II 1999, 21; vom 6. Dezember 1983 VIII R 110/79, BFHE 140, 74, BStBl. II 1984, 227; Schmidt/ Heinicke, EStG, 33. Aufl., § 4 Rz. 44). Zu diesen GoB gehört das in § 252 Abs. 1 Nr. 4  2. Halbsatz des Handelsgesetzbuchs geregelte Realisationsprinzip, demzufolge Gewinne nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie am Abschlussstichtag realisiert sind (BFH-Urteil vom 17. März 2010 X R 28/08, BFH/NV 2010, 2033). Bei Lieferungen und anderen Leistungen wird Gewinn realisiert, wenn der Leistungsverpflichtete die von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen „wirtschaftlich erfüllt“ hat und ihm die Forderung auf die Gegenleistung (die Zahlung) – von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen – so gut wie sicher ist (vgl. BFH-Urteile vom 20. März 2013 X R 15/11, BFH/NV 2013, 1548; vom 3. August 2005 I R 94/03, BFHE 210, 398, BStBl. II 2006, 20; vom 12. Mai 1993 XI R 1/93, BFHE 171, 448, BStBl. II 1993, 786; vom 28. Januar 1960 IV 226/58 S, BFHE 71, 111, BStBl. III 1960, 291, jeweils m. w. N.). In diesem Fall reduziert sich das Zahlungsrisiko des Leistenden darauf, dass der Empfänger Gewährleistungsansprüche geltend macht oder sich als zahlungsunfähig erweist. Ohne Bedeutung ist hingegen, ob am Bilanzstichtag die Rechnung bereits erteilt ist, ob die geltend gemachten Ansprüche noch abgerechnet werden müssen oder ob die Forderung erst nach dem Bilanzstichtag fällig wird (vgl. BFH-Urteil in BFHE 210, 398, BStBl. II 2006, 20, m. w. N.).

Wirtschaftliche Erfüllung bei einer Dienst- oder Werkleistung

11        b) Eine Dienst- oder Werkleistung ist „wirtschaftlich erfüllt“, wenn sie – abgesehen von unwesentlichen Nebenleistungen – erbracht worden ist (vgl. BFH-Urteile in BFHE 71, 111, BStBl. III 1960, 291). Zwar bedarf es bei Werkverträgen i. S. des § 631 BGB grundsätzlich der Übergabe und der Abnahme des Werks durch den Besteller (§ 640 BGB), um die handels- und steuerrechtliche Gewinnrealisierung herbeizuführen (vgl. BFH-Urteile vom 24.1.2008 – IV R 87/06, BFHE 220, 385, BStBl. II 2008, 428; vom 8.9.2005 – IV R 40/04, BFHE 211, 206, BStBl. II 2006, 26, BB 2005, 2511 Ls, jeweils m. w. N.). Dies kann uneingeschränkt jedoch nur dann gelten, wenn die Wirkungen der Abnahme für das Entstehen des Entgeltanspruchs des Unternehmers nicht durch Sonderregelungen, wie etwa eine Gebührenordnung, modifiziert werden (vgl. BFH-Urteil vom 13.12.1979 – IV R 69/74, BFHE 129, 380, BStBl. II 1980, 239).

Gewinnrealisierung tritt bei Planungsleistungen eines Ingenieurs schon dann ein, wenn der Anspruch auf Abschlagszahlung nach § 8 Abs. 2 HOAI entstanden ist

12        c) Dies ist bei den von der Klägerin erbrachten Planungsleistungen der Fall, da für deren Abrechnung die Bestimmungen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) gelten. Nach § 8 Abs. 2 HOAI in der im Streitjahr geltenden Fassung vom 21. September 1995 (BGBl I 1995, 1174) hat der Werkunternehmer in angemessenen zeitlichen Abständen für bereits nachgewiesene Leistungen einen Anspruch auf Abschlagszahlungen. Dieser setzt weder voraus, dass eine Teilabnahme vereinbart worden ist, noch, dass eine solche tatsächlich erfolgt ist. Erforderlich ist lediglich, dass der Auftragnehmer die (Teil-)Leistung abnahmefähig erbracht und eine prüfbare Rechnung wie bei der Schlussrechnung vorgelegt hat. Zweck der Regelung ist es, dem Auftragnehmer die Nachteile der bestehenden Vorleistungspflicht zu nehmen, da es sachlich nicht gerechtfertigt ist, dem Auftragnehmer einen beträchtlichen Teil des Honorars für eine längere Zeit vorzuenthalten, wenn die zu vergütende Leistung bereits erbracht worden ist (Beschluss des BGH vom 22.12.2005 – VII ZB 84/05, BGHZ 165, 332, m. w. N.; Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 7. Aufl., § 8 Rz. 22, 54; Locher/Koeble/Frik, Kommentar zur HOAI, 7. Aufl., § 8 Rz. 58 ff.; Pott/Dahlhoff, HOAI, 5. Aufl., § 8 Rz. 10).

Es gibt keinen Grund, Abschlagszahlungen nach § 8 Abs. 2 HOAI wie Anzahlungen auf schwebende Geschäfte zu bilanzieren

13        Da weder die Abnahme der Planungsleistung noch die Stellung einer Honorarschlussrechnung für die Entstehung des Honoraranspruchs nach § 8 Abs. 2 HOAI von Bedeutung sind, ist mit der auftragsgemäßen Erbringung der Planungsleistung die Abschlagszahlung bereits verdient (vgl. BFH-Urteile in BFHE 129, 390, BStBl. II 1980, 239; vom 29.11.2007 – IV R 62/05, BFHE 220, 85, BStBl. II 2008, 557, BB 2008, 830 m. BB-Komm. Euler; in BFHE 71, 111, BStBl. III 1960, 291). Sie ist dem Leistenden auch „so gut wie sicher“, da eine Rückforderung geleisteter Abschlagszahlungen ausgeschlossen ist, wenn der Auftragnehmer durch Überreichung einer prüfbaren Honorarschlussrechnung nachweist, dass der Honoraranspruch in der bereits abgerechneten Höhe entstanden ist (BGH-Urteil vom 22.11.2007 – VII ZR 130/06, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2008, 328, m. w. N.; Korbion/Mantscheff/Vygen, a. a. O., § 8 Rz. 61). Der Auftragnehmer hat es danach – unabhängig von der Abnahme des Werkes – selbst in der Hand, ob er das bereits verdiente Entgelt behalten kann. Es besteht somit kein Grund, Abschlagszahlungen nach § 8 Abs. 2 HOAI wie Anzahlungen auf schwebende Geschäfte zu bilanzieren.

Gewinn im Streitfall erhöht sich, da nicht vereinnahmten Abschlagszahlungen mit gewinnrealisierender Wirkung erfasst worden sind

14        d) Nach diesen Grundsätzen ergibt sich ein höherer als der vom FA im Bescheid vom 20.7.2011 festgestellte Gewinn, da in diesem nicht alle von der Klägerin bis zum 31.12.2000 gemäß § 8 Abs. 2 HOAI vereinnahmten Abschlagszahlungen mit gewinnrealisierender Wirkung erfasst worden sind. Das Verbot der reformatio in peius schließt indessen die Feststellung eines höheren Gewinns aus (vgl. BFH-Urteil vom 16.2.1989 – IV R 64/87, BFHE 157, 44, BStBl. II 1989, 708, BB 1989, 1543 Ls). Die Klage ist daher abzuweisen.

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