FG Düsseldorf: Bilanzierung von mit Rechtsanspruch in Aussicht gestellten Vorruhestandsleistungen
FG Düsseldorf, Zwischenurteil vom 24.5.2024 – 3 K 2044/18 F
ECLI:DE:FGD:2024:0524.3K2044.18F.00
Volltext des Zwischenurteils: BB-ONLINE BBL2024-2161-1
Sachverhalt
Streitig ist zum einen, ob es sich bei den Aufwendungen für die Errichtung einer Notentwässerungsanlage um Erhaltungsaufwand oder um Herstellungskosten handelt, und zum anderen, ob in Zusammenhang mit einem Vorruhestandsmodell Rückstellungen zu bilden sind sowie – falls ja – wie die Rückstellungsbeträge zu ermitteln sind
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin – ... – ist der An- und Verkauf ... von Waren jeglicher Art. Betreffend die Veranlagungszeiträume 2010 bis 2012 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung W. bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, welche mit Bericht vom 21.09.2016 abgeschlossen wurde. Die bisherigen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2010 bis 2012 wurden am 31.01.2017 entsprechend der Prüfungsfeststellungen geändert.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 26.08.2018) hat die Klägerin gegen die Änderungsbescheide Klage erhoben. Sie wendet sich gegen die in Tz. 2.5 und Tz. 2.9 des Prüfungsberichts dargelegten Feststellungen.
Die diesbezüglichen Sach- und Streitstände stellen sich wie folgt dar:
1) Tz. 2.5 „Notentwässerung Logistikzentrum“
Zum Betriebsvermögen der Klägerin gehörte im Streitzeitraum ein als Logistikzentrum verwendetes Gebäude, das ein Flachdach aufweist.
Nach DIN 19686-100 können Flachdächer über Flachdachabläufe und/oder über innenliegende Rinnen entwässert werden, die für den „Berechnungsregen“ auszulegen sind. Bei Dächern in Leichtbauweise müssen zusätzlich Notentwässerungen vorgesehen werden. Da es bei Starkregenereignissen oberhalb des Berechnungsregens zu Überflutungen (Aufstau) auf den Dachflächen kommen könne, müsse grundsätzlich – so der Inhalt der o.g. DIN-Vorschrift – jedem Entwässerungstiefpunkt auf dem Dach neben dem Ablauf eine Notentwässerung zugeordnet werden.
Entsprechend den Vorgaben der DIN 19686-100 errichtete die Klägerin im Jahr 2010 neben dem bereits bestehenden Dachentwässerungssystem, bei dem das Regenwasser über Abflussrohre in die Kanalisation eingeleitet wird, ein Notentwässerungssystem mit eigenen Rohrleitungen, über die bei Starkregen etwaiges sich auf dem Dach stauendes Wasser auf Überflutungsflächen abgeführt wird. Die hierdurch entstandenen Aufwendungen i.H.v. ... € behandelte die Klägerin in ihrer Buchführung als sofort abzugsfähigen Erhaltungsaufwand.
Der Prüfer behandelte die Aufwendungen für das Notentwässerungssystem dagegen als Herstellungskosten und berücksichtigte lediglich Absetzung für Abnutzung i.H.v. ... € pro Jahr als Betriebsausgaben. Hierdurch ergaben sich ein Mehrgewinn von ... € im Jahr 2010 und Mindergewinne i.H.v. ... € in den Jahren 2011 und 2012. Begründet wurde die Umqualifizierung der Aufwendungen damit, dass eine zu Herstellungskosten führende Funktionserweiterung vorliege. Das Notentwässerungssystem diene zum einen dem Schutz der städtischen Abwasserleitungen vor Überflutungen durch zu große Einleitung von Regenwassermassen bei Starkregenereignissen und zum anderen dem Schutz des Gebäudes vor Beschädigungen durch Einsturz aufgrund Überschreitens der Traglast des Dachs bei aufgestautem Starkregen. Beide Funktionen könne die bisherige Entwässerungsanlage nicht erfüllen. Das zusätzlich zur bestehenden Bewässerungsanlage montierte Notentwässerungssystem sei deshalb als eigenständiges Wirtschaftsgut zu aktivieren und abzuschreiben.
Die Klägerin hält im Klageverfahren daran fest, dass es sich bei den Aufwendungen für das Notentwässerungssystem um sofort abzugsfähigen Erhaltungsaufwand handele. Sie begründet dies wie folgt:
Das Logistikzentrum sei in den Jahren 1999 bis 2001 errichtet und mit einer den damaligen Vorschriften entsprechenden Dachentwässerungsanlage ausgestattet worden. Diese habe ihre Funktion bislang auch ohne Beanstandung erfüllt. Da aufgrund des Klimawandels Starkregenereignisse zunehmen würden, seien die Vorgaben, die an die Entwässerung von Flachdächern zu stellen seien, im Jahr 2001 europaweit verschärft worden (DIN EN 12056-3). In Deutschland seien die Vorgaben in der DIN 19686-100 umgesetzt worden, welche weitere Planungs- und Ausführungsregeln enthalte.
Bei einer Überprüfung des Logistikzentrums im Jahr 2009 sei festgestellt worden, dass die bisherige Dachentwässerungsanlage für Starkregenereignisse nicht ausreichend sei. Es sei daher ein der DIN 19686-100 entsprechendes Notentwässerungssystem ergänzt worden. Dieses erfülle entgegen der Auffassung des Beklagten keine neuen zusätzlichen Funktionen, sondern diene – ebenso wie auch schon die bisherige Entwässerungsanlage – ausschließlich und allein dazu, das Gebäude vor einem Einsturz aufgrund des Überschreitens der Traglast des Daches bei aufgestautem Starkregen zu schützen. Insbesondere gehe der Beklagte mit der Annahme fehl, dass das Notentwässerungssystem dem Schutz des städtischen Kanalsystems vor Überflutung diene. Gegen eine derartige Annahme spreche bereits, dass das Notentwässerungssystem bautechnisch bedingt erst dann greife, wenn sich auf dem Dach ein nennenswerter Rückstau gebildet habe, d.h. wenn das städtische Kanalsystem bereits überlastet sei. Dass die DIN 19686-100 ausschließlich der Standsicherheit des Gebäudes diene, nicht aber das Kanalsystem schütze, ergebe sich zudem aus Ziff. 5.8.2.2. der DIN 19686-100, wonach bei Flachdächern in Massivbauweise bei Nachweis einer entsprechenden statischen Belastbarkeit kein Notentwässerungssystem eingebaut werden müsse.
Gerade weil das Notsystem erst bei Überlastung des normalen Entwässerungssystems eingreife, dürfe eine Notentwässerungsanlage auch nicht in die normale Entwässerungsanlage integriert werden, sondern müsse zwingend – so wie auch hier geschehen – als zusätzliches System mit eigenen Rohrleitungen installiert werden. Dass es hierdurch im Streitfall zu einer Mehrung der Substanz des Gebäudes gekommen sei, sei unstreitig. Trotzdem würden keine Herstellungskosten vorliegen, da es weder zu einer Funktionserweiterung noch zu einer wesentlichen Verbesserung am Gebäude als Ganzem gekommen sei. Vielmehr erfülle die neue Anlage genau die gleiche Funktion wie die alte Anlage, nur effektiver. Die Funktion der Entwässerung sei lediglich in ihrer Wirkungsweise verstärkt worden und den veränderten Klimabedingungen sowie dem technischen Fortschritt angepasst worden. Der Fall sei daher mit anderen technischen Verbesserungen wie z.B. der Umstellung der Heizung von Kohleöfen auf Zentralheizung (BFH, Urteil vom 24.02.1981 – VIII R 122/79, BStBl II 1981, 468) oder der Anbringung einer zusätzlichen Fassadenverkleidung (BFH, Urteil vom 24.07.1979 – VIII R 162/78, BStBl II 1980, 7) vergleichbar, bei denen das Vorliegen nachträglicher Herstellungskosten verneint worden sei.
2) Tz. 2.9: „Rückstellung für langfristige arbeits- und sozialrechtliche Verpflichtungen“
Die Klägerin, ..., bietet bestimmten Führungskräften (Geschäftsführer bis Gruppenleiter/Manager) ein Vorruhestandsmodell an, und zwar ursprünglich ohne schriftliche Fixierung der Zusage. Während einer am 00./00.00.2008 stattgefundenen konzernweiten Geschäftsführerversammlung wurden neue Musteranstellungsverträge vorgestellt, welche auch eine Regelung zum Vorruhestandsmodell enthielten. Spätestens seit dem Jahr 2011 wird einheitlich folgende Regelung im Anstellungsvertrag verwendet (Altverträge wurden entsprechend angepasst):
„3.8 Ab einem Zeitpunkt drei Jahre vor dem Zeitpunkt, zu dem die Regelaltersgrenze erreicht wird, wird dem Angestellten angeboten, bei Fortzahlung von 70 % der für jedes Jahr vereinbarten jährlichen Bruttovergütung gemäß Ziffer 2.1 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von der Arbeitsleistung freigestellt zu werden, wenn die Dauer dieses Vertrags am Tag der Regelaltersgrenze mindestens 25 Jahre beträgt; als Beginn der Dauer des Vertrages im Sinne dieser Regelung in Ziffer 3.8 gilt der _____ . Voraussetzung für die Freistellung ist eine vor Beginn der Freistellung gesondert zu treffende Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Mitarbeiter entsprechend einem betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung.“
Die nach Ziff. 3.8 des Anstellungsvertrags zu treffende Vereinbarung enthält u.a. ein umfassendes Tätigkeits- und Wettbewerbsverbot des Arbeitnehmers, das ihm während der Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses jegliche selbständige oder unselbständige Tätigkeit – abgesehen von privater Vermögensverwaltung – untersagt. Eine aktive Arbeitsleistung für die Klägerin muss der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase nicht mehr erbringen.
Für in Zusammenhang mit der sog. 70 % - Regelung zu erbringende Leistungen bildete die Klägerin in den Streitjahren Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten, und zwar sowohl für die Angestellten, die sich bereits in der Freistellungsphase befanden, als auch für die Angestellten, die die Voraussetzungen für die Freistellung noch nicht erfüllt hatten. Dabei wurden die Rückstellungen dergestalt bemessen, dass der sich für die Klägerin nach versicherungsmathematischen Grundsätzen aus der 70 % - Regelung ergebende Aufwand auf die gesamte Dienstzeit des jeweiligen Angestellten verteilt wurde.
Der Prüfer erkannte die Rückstellungen nur für die Arbeitnehmer an, mit denen zum jeweiligen Bilanzstichtag die gesonderte Freistellungsvereinbarung bereits getroffen worden war (sog. „Echtfälle“). Im Übrigen wurden die Rückstellungen aufgelöst. Hierdurch kam es zu Gewinnminderungen i.H.v. -... € (2010) und -... € (2011) sowie zu einer Gewinnerhöhung i.H.v. ... € (2012).
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die für die 70 % - Ansprüche gebildeten Rückstellungen dem Grunde nach anzuerkennen seien, die von ihr erklärten Werte allerdings wegen aktuellerer versicherungsmathematischer Berechnungen der Fa. X. der Höhe nach zu korrigieren seien. Würden die streitgegenständlichen Rückstellungen dem Grunde nach anerkannt, würden sich Gewinnauswirkungen i.H.v.-... € (2010), +... € (2011) und -... € (2012) ergeben.
Dogmatisch handele es sich bei den streitgegenständlichen Rückstellungen um Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 HGB. Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten sei das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit - diese Variante liege unstreitig nicht vor - oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach (deren Höhe zudem ungewiss sein könne) sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Letztere Variante sei hier einschlägig.
Nach der Rechtsprechung des BFH zum sog. Erfüllungsrückstand bei Arbeitsverhältnissen seien Rückstellungen für rechtsverbindlich zugesagte Zuwendungen in dem Umfang zu bilden, als die Anspruchsvoraussetzungen durch die vergangene Betriebszugehörigkeit des Arbeitsnehmers erfüllt seien. Bejaht worden sei die Bildung derartiger Rückstellungen u.a. aufgrund von Zusagen von Zuwendungen aufgrund eines Dienstjubiläums (u.a. BFH, Urteil vom 05.02.1987 – IV R 81/84, BStBl II 1987, 845 [BB 1987, 731]), aufgrund von Zusagen zur Zahlung eines Treuegeldes (BFH, Urteil vom 07.07.1983 – IV R 47/80, BStBl II 1983, 753) und infolge von Zusagen aus Anlass eines Firmenjubiläums, soweit die Zuwendungen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig seien (BFH, Urteil vom 29.11.2000 – I R 31/00, BStBl II 2004, 41 [BB 2001, 933]). In diesen Entscheidungen sei betont worden, dass die vorgenannten Leistungen von einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängen würden und insoweit ein Entgelt für die während dieser Dauer erbrachten Arbeitsleistungen bzw. ein Entgelt für die Nichtausübung des Kündigungsrechts beinhalten würden. Darum stelle die spätere Auszahlung der Zuwendung eine Gegenleistung dar. An der wirtschaftlichen Verursachung der ungewissen Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr fehle es nur dann, wenn sich die Leistungsverpflichtung des Arbeitsgebers aus gesetzlichen Normen ableite (z.B. Mutterschaftsgeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall).
Diese Rechtsgrundsätze seien auch auf die vorliegenden Zusagen nach der 70 % - Regelung anzuwenden. Mit der Regelung werde bezweckt, Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden und deren langjährige Unternehmenstreue zu honorieren. Insoweit sei zu beachten, dass dem Arbeitnehmer ein unentziehbares Optionsrecht eingeräumt werde, dessen wesentliche Konditionen – nämlich die Höhe der Bezüge, das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und die Freistellung – schon feststehen würden. Es handele sich bei der Klausel in Tz. 3.8 des Anstellungsvertrags um einen schuldrechtlich bindenden Vertrag, da sich der Arbeitgeber von der Freistellungszusage nicht einseitig lösen könne, sondern bei Annahme des Angebots durch den Arbeitnehmer zum Abschluss der Freistellungsvereinbarung verpflichtet sei. Auch habe sie – die Klägerin – zum jeweiligen Bilanzstichtag mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer künftigen tatsächlichen Inanspruchnahme rechnen müssen. Denn die Vorruhestandsregelung sei derart attraktiv, dass in der Vergangenheit nahezu alle anspruchsberechtigten Mitarbeiter hiervon Gebrauch gemacht hätten. Bis zum Ende des Prüfungszeitraums am 31.12.2012 hätten 38 der 39 berechtigten Mitarbeiter von der Vorruhestandsregelung Gebrauch gemacht. Bis zum 01.01.2017 seien es 110 von insgesamt 111 berechtigten Angestellten gewesen.
Hingewiesen werde zudem auf das Urteil des FG Köln vom 10.11.2021 – 12 K 2486/20 [BB 2022, 2992 m. BB-Komm. Lieb] (Revision anhängig unter IV R 22/22), welches einen vergleichbaren Sachverhalt betreffe. Im dortigen Fall sei in einem Tarifvertrag geregelt worden, dass Arbeitnehmer vor dem Rentenbeginn im Wege der bezahlten Freistellung zwei Tage Altersfreizeit pro Jahr der Betriebszugehörigkeit erhalten würden, sofern der jeweilige Arbeitnehmer eine Mindestbetriebszugehörigkeit von 10 Jahren vorweisen könne und mindestens 60 Jahre alt sei. Das FG Köln habe das Vorliegen eines Erfüllungsrückstands i.S.d. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB bejaht.
Die Berechnung der Rückstellung sei nach dem Teilwertverfahren in Anlehnung an die Vorschrift des § 6a EStG durchgeführt worden. Dabei sei richtigerweise für alle Arbeitnehmer - d.h. auch für solche, deren Arbeitsvertrag am 00.00.2008 schon bestanden habe - auf das Datum des Diensteintritts abgestellt worden. Zwar sei es richtig, dass die Musteranstellungsverträge mit der schriftlichen 70 % - Regelung erst im 00.2008 veröffentlicht worden seien. Der Zeitpunkt der Zusage der Leistungsverpflichtung sei jedoch unerheblich. Aus der Rechtsprechung des BFH zu Jubiläumsrückstellungen (Verweis auf Urteile vom 05.02.1987 - IV R 81/84, BStBl II 1987, 845 [BB 1987, 731] und 29.11.2000 - I R 31/00, BStBl II 2004, 41 [BB 2001, 933]) ergebe sich, dass alle Zuwendungen, die an die Betriebszugehörigkeit eines Arbeitnehmers anknüpfen würden, rückstellungsrechtlich mit Pensionsanwartschaften vergleichbar seien, weil sie anteilig eine Gegenleistung für die in der Zeit von Dienstbeginn (nicht Zusage!) bis zum Bilanzstichtag erbrachten Dienste darstellen würden. Deshalb komme - so die Klägerin - eine entsprechende Anwendung des § 6a EStG in Betracht, welcher explizit auf den Zeitpunkt des Dienstantritts abstelle.
Zudem spreche gegen die Zugrundelegung des Stichtags 00.00.2008, dass sie - die Klägerin - ihren Führungskräften schon seit den 1990er Jahren vergleichbare Vorruhestandsmodelle angeboten habe. Die Leistungszusagen seien vor Einführung der Klausel 3.8 zwar nicht schriftlich fixiert gewesen, jedoch habe es schon seit Mitte der 1990er Jahre eine betriebliche Übung in Form mündlicher Zusagen an leitende Angestellte gegeben, dass diese drei Jahre vor Erreichen des regulären Renteneintrittsalters unter Fortzahlung von 70 % ihrer letzten Bezüge in den Vorruhestand gehen konnten, sofern sie bei Erreichen des Renteneintrittsalters 25 Jahre im Konzern angestellt waren. Eine betriebliche Übung sei wie eine schriftliche Vereinbarung eine rechtssichere Grundlage für die Durchsetzung des Anspruchs auf die 70 %-Regelung. Das Neue, was der Geschäftsführer I. in der Geschäftsführerversammlung im 00.2008 verkündet habe, sei lediglich die Schriftform der 70 %-Regelung, nicht die 70 %-Regelung selbst.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2010 bis 2012 vom 31.01.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.06.2018 dahingehend zu ändern, dass Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. ... € (2010), ... € (2011) und ... € (2012) festgestellt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält daran fest, dass es sich bei den Aufwendungen für die Notentwässerungsanlage um Herstellungskosten handele. Unter dem Gesichtspunkt der Erweiterung seien nachträgliche Herstellungskosten gegeben, wenn nach Fertigstellung bisher nicht vorhandene Bestandteile in das Gebäude eingefügt würden (Substanzmehrung) und dies eine Erweiterung der Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes zur Folge habe. Lediglich dann, wenn die Funktion des eingebauten Gegenstands im Wesentlichen derjenigen entspreche, die der ausgetauschte oder erweiterte Gegenstand gehabt habe, seien keine Herstellungskosten anzunehmen. So verhalte es sich hier aber nicht. Denn allein das Notentwässerungssystem sei in der Lage, den Schutz des Gebäudes und des öffentlichen Kanalnetzes auch bei Starkregenereignissen sicherzustellen. Da die bereits vorhandene Dachentwässerungsanlage ungeeignet sei, diese Ziele zu erreichen, sei die neue Anlage als gesonderte Erweiterung i.S.d. § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB mit eigenständigen Funktionen und Nutzen für das Gebäude anzusehen. Der Fall sei mit dem nachträglichen Einbau vorher nicht vorhandener Bestandteile wie z.B. einer Markise oder einer Alarmanlage vergleichbar.
Bezüglich der Rückstellung für die 70 %-Ansprüche hält der Beklagte daran fest, dass die Rückstellung – wie vom Betriebsprüfer vorgenommen – nur für die sog. Echtfälle zu bilden sei.
So gehe die Klägerin bereits in der Annahme fehl, dass ein unentziehbares Optionsrecht gewährt worden sei. Ein Optionsrecht sei das Recht, durch einseitige Erklärung einen Vertrag zustande zu bringen (wie insbesondere bei aufschiebend bedingten Verträgen, die durch die Optionserklärung unbedingt würden). So verhalte es sich jedoch nicht. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Vereinbarung in Tz. 3.8 der Anstellungsverträge hänge die Freistellung gerade nicht nur von einer entsprechenden „Ausübung der Option“ durch den Arbeitnehmer ab, sondern Bedingung sei auch, dass nach Ausübung der Option eine „gesondert zu treffende Vereinbarung“ zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber erfolge. Aus diesem Grund bestehe gerade kein Automatismus, zumal sich der Arbeitgeber – wie sich aus dem Hinweis auf den „betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung“ ergebe – vorbehalte, den Inhalt der noch zu treffenden Vereinbarung zu modifizieren. Da die Einzelheiten der Freistellung nicht im Vorfeld feststünden, sei in Tz. 3.8 des Anstellungsvertrags auch kein Vorvertrag im Sinne einer schuldrechtlich bindenden Verpflichtung zum Abschluss des späteren Hauptvertrags zu sehen.
Auch bezüglich der Vorhersehbarkeit der Optionsausübung sei der Klägerin zu widersprechen. Zum einen habe es – wie die Klägerin selbst vortrage – mindestens einen Arbeitnehmer gegeben, der die Option nicht ausgeübt habe, und zum anderen zeige der Vergleich mit dem nach früheren Vereinbarungen gewährten sog. Treuegeld, dass sich die Klägerin durch das Angebot höherer Gehälter aus bereits entstandenen Treuegeldverpflichtungen wieder gelöst habe.
Ungeachtet dessen, dass die von der Klägerin begehrte Bildung der Rückstellung für die Arbeitnehmer, mit denen die gesonderte Freistellungsvereinbarung noch nicht getroffen worden sei, schon dem Grunde nach nicht zulässig sei, seien die von der Klägerin begehrten Rückstellungen auch der Höhe nach zu beanstanden. Denn für die Berechnung dürfe nicht - wie von der Klägerin vorgenommen - auf den Beginn des jeweiligen Dienstverhältnisses abgestellt werden. Soweit die Klägerin diesbezüglich auf § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 EStG verweise, übersehe sie, dass es sich hierbei um eine Spezialvorschrift für die Berechnung von Pensionsrückstellungen handele, welche auf die Berechnung sonstiger Rückstellungen nicht übertragbar sei. Vielmehr sei zur Berechnung der hier streitigen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten richtigerweise auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Leistungszusage erfolgt sei. Denn vor der Zusage habe kein Erfüllungsrückstand bestanden. Aus den vorliegenden Unterlagen (u.a. Bestätigung des Hauptgeschäftsführers M. I.) ergebe sich, dass die die 70 % - Regelung enthaltenden Musteranstellungsverträge im Rahmen der am 00.-00.00.2008 stattgefundenen Geschäftsführerversammlung konzernweit vorgestellt worden seien und der Hauptgeschäftsführer die Geschäftsführer der ...Gesellschaften aufgefordert habe, gegenüber den Prokuristen und den ...Leitern die Gültigkeit der neuen Verträge zu erklären. Vor diesem Hintergrund sei er - der Beklagte - damit einverstanden, bei allen damals bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen zur Bestimmung des zutreffenden Ansammlungszeitraums aus Vereinfachungsgründen auf den 00.00.2008 als maßgebliches Zusagedatum abzustellen. Bezüglich der Einzelheiten der Beanstandungen des Beklagten wird auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 22.02.2023 und den Schriftsatz vom 16.10.2023 Bezug genommen.
Der Senat hat am 01.09.2023 mündlich verhandelt. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 FGO).
Aus den Gründen
A. Die Entscheidung ergeht nach § 99 FGO, und zwar bezüglich der Frage, ob die Bildung von Rückstellungen dem Grunde nach zulässig ist und auf welchen Zeitpunkt bei der Berechnung abzustellen ist, als Zwischenurteil i.S.d. § 99 Abs. 1 FGO und bezüglich des Streitpunkts „Notentwässerungsanlage“ als Zwischenurteil i.S.d. § 99 Abs. 2 FGO.
I. Nach § 99 Abs. 1 FGO kann das Gericht durch Zwischenurteil über den Grund vorab entscheiden, wenn bei einer Leistungsklage oder einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt ein Anspruch nach Grund und Betrag strittig ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Beklagte hat die Rechtmäßigkeit der von der Klägerin begehrten Rückstellungen nicht nur dem Grunde nach, sondern ausdrücklich auch der Höhe nach in Zweifel gestellt. Der Senat hält es für ermessensgerecht, vorab darüber zu entscheiden, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die Bildung der streitgegenständlichen Rückstellungen dem Grunde nach vorliegen und auf welchen Zeitraum bei der Berechnung konkret abzustellen ist. Denn die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 11.11.2023 mitgeteilt, dass ihr für die Neuberechnung der Rückstellungen voraussichtlich Kosten i.H.v. ... € entstehen werden. Diese Aufwendungen werden sinnlos, falls die Entscheidung des Senats keinen Bestand haben sollte, d.h. falls es aufgrund der Zulassung der Revision zu einer abweichenden Entscheidung des BFH bezüglich der Bildung der Rückstellung dem Grunde nach oder bezüglich des konkreten Berechnungszeitraums kommen sollte.
II. Nach § 99 Abs. 2 FGO kann das Gericht durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist und nicht der Kläger oder der Beklagte widerspricht.
Streitig ist im vorliegenden Verfahren nicht nur die Frage, ob die o.g. Rückstellungen gebildet werden durften, sondern auch, wie die Aufwendungen für die Errichtung der Notentwässerungsanlage steuerlich zu behandeln sind. Letzterer Streitpunkt ist bei isolierter Betrachtung entscheidungsreif. Da beide Streitpunkte letztlich jedoch den gleichen Streitgegenstand – nämlich die Höhe des gesondert und einheitlich festzustellenden Gewinns aus Gewerbebetriebs – betreffen und die endgültige Höhe des Gewinns aus Gewerbebetriebs angesichts des Ergehens des Grundurteils zu I) noch nicht feststeht, kann zurzeit noch kein Ausspruch über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte ergehen. Weil der Streitgegenstand nicht teilbar ist, kommt kein Teilurteil i.S.d. § 98 FGO in Betracht, sondern möglich ist allein ein Zwischenurteil i.S.d. § 99 Abs. 2 FGO. Der Senat hält es aus Gründen der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung für geboten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen und den Streitpunkt „Notentwässerungsanlage“ ebenfalls -- wenngleich nur als Zwischenurteil -- bereits jetzt zu entscheiden, um eine ggfs. erforderliche doppelte Anrufung des BFH (zunächst wegen des Streitpunkts „Rückstellung“ und später ggfs. wegen des Streitpunkts „Notentwässerungsanlage“) zu vermeiden.
B. Die Klage ist zulässig. Obwohl die Klägerin für das Jahr 2011 die Feststellung eines höheren Gewinns begehrt, fehlt es ihr insoweit nicht an einer Beschwer.
Nach der Rechtsprechung des BFH kann eine Beschwer i.S. des § 40 Abs. 2 FGO auch dann vorliegen, wenn eine zu niedrige Gewinnfeststellung die Folge eines Bilanzansatzes ist, der sich in vorhergehenden Feststellungszeiträumen zuungunsten des Steuerpflichtigen ausgewirkt hat (BFH, Urteile vom 13.12.1984 – VIII R 273/81 BStBl II 1985, 394 [BB 1985, 1178]; vom 19.06.1997 – IV R 16/95, BStBl II 1997, 808 [BB 1997, 2156]). Im Streitfall ist die gewinnmindernde Abschreibung der Aufwendungen für das Notentwässerungssystem im Jahr 2011 notwendige Folge der von der Klägerin angegriffenen Aktivierung dieser Kosten in der Bilanz auf den 31.12.2010. Eine Beschwer besteht deshalb als Folgewirkung auch in Bezug auf die Gewinnfeststellung 2011.
C. Die Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet.
I. Die Klägerin war dem Grunde nach berechtigt, für die sog. „70 % - Ansprüche“ Rückstellungen zu bilden.
Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeitsrückstellungen gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz.
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen nach der Rechtsprechung des BFH (z.B. Urteil vom 15.03.2017 – I R 11/15, BStBl II 2017, 1043 m.w.N. [BB 2017, 1904 m. BB-Komm. Niedling]) entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist.
Dass im Streitfall Rückstellungen für die Arbeitnehmer gebildet werden durften, die sich am jeweiligen Bilanzstichtag bereits in der Freistellungsphase befanden, ist unstreitig und wird deshalb nicht weiter vertieft. Aber auch für die sich noch nicht in Freistellung befindenden Arbeitnehmer, deren Arbeitsvertrag die Freistellungsklausel (Tz. 3.8) enthielt oder die aus anderen Gründen Anspruch auf eine derartige Freistellung hatten, waren im Hinblick auf die anlässlich künftiger Freistellungen mutmaßlich zu zahlenden Vergütungen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.
1) Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten sind nicht nur dann zu bilden, wenn (lediglich) die Höhe der Verbindlichkeit ungewiss ist, sondern auch dann, wenn ungewiss ist, ob die Verbindlichkeit überhaupt entstehen wird. Dabei sind an die „Verfestigung“ der Verbindlichkeit keine hohen Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist nicht zu verlangen, dass schuldrechtliche Verpflichtungen durch einen Vorvertrag, einen aufschiebend bedingten Vertrag, ein unentziehbares Optionsrecht o.ä. bereits derart verfestigt sind, dass ihre Entstehung allein noch von einer entsprechenden Willenserklärung des anderen Vertragspartners abhängt. § 249 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 HGB setzt keinen einklagbaren Anspruch – nicht einmal die bloße Existenz einer potentiellen schuldrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage – voraus. Vielmehr sind die Grundsätze zur Rückstellungsbildung für ungewisse Verbindlichkeiten auch auf bloß faktische und nicht einklagbare ungewisse Verbindlichkeiten gegenüber Dritten anzuwenden, denen sich ein Kaufmann aus sittlichen, tatsächlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann, obwohl keine Rechtspflicht zur Leistung besteht (wegen aus Kulanzgründen zu bewirkender Garantieleistungen vgl. BFH, Urteil vom 20.11.1962 - I 242/61 U, BStBl III 1963, 113; zur Rücknahmeverpflichtung von Batterien aufgrund der Selbstverpflichtung des brancheneigenen Zentralverbandes vgl. BFH, Urteil vom 10.01.2007 - I R 53/05, BFH/NV 2007, 1102; zur Passivierung von Werkzeugkostenzuschüssen bei faktischem Leistungszwang aufgrund einer Branchenübung vgl. BFH, Urteil vom 29.11.2000 – I R 87/99, BStBl II 2002, 655 [BB 2001, 771 m. BB-Komm. Hommel]; s.a. § 249 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 HGB, wonach Rückstellungen zu bilden sind für Gewährleistungen, die ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werden).
Entscheidend für die Bildung von Rückstellungen nach § 249 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB ist vielmehr, ob das Entstehen der Verbindlichkeit dem Grunde nach überwiegend wahrscheinlich ist. Dies ist der Fall, wenn mehr Gründe dafür als dagegen sprechen, d.h. wenn also das Entstehen dem Grunde nach eher zu erwarten ist als das Nichtentstehen. Dem Begriff des Wahrscheinlichen ist es wesenseigen, dass das, was als wahrscheinlich bezeichnet wird, das Übergewicht der Gründe ("51 %") für sich hat. Diese Voraussetzung ist nicht nach den subjektiven Erwartungen des Steuerpflichtigen zu prüfen, sondern auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender und spätestens bei Aufstellung der Bilanz erkennbarer Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (vgl. BFH, Urteil vom 18.01.2007 – IV R 42/04, BStBl II 2008, 956 [BB 2007, 657 m. BB-Komm. Schlotter]).
Im Streitfall ist die Entstehung von Lohnfortzahlungsverpflichtungen für künftige Freistellungsphasen hinreichend wahrscheinlich im oben genannten Sinn. Die Klägerin hatte sich durch die Klausel in Tz. 3.8 der Anstellungsverträge vertraglich verpflichtet, dem jeweiligen Arbeitnehmer auf dessen Wunsch eine dreijährige Freistellung von der Arbeitsleistung bei Fortzahlung von 70 % des Gehalts zu gewähren. Dass der konkrete Beginn der Freistellung nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Klausel den Abschluss eines weiteren Vertrags – nämlich „eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Mitarbeiter entsprechend einem betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung“ – voraussetzte, ist unerheblich. Denn die Klägerin hatte bzw. hat weder die Möglichkeit, sich von ihrer im Anstellungsvertrag verbindlich gegebenen Zusage einseitig zu lösen (indem sie z.B. den Abschluss der zusätzlichen Vereinbarung verweigert), noch hatte bzw. hat die Klägerin die Möglichkeit, den Inhalt ihrer Zusage nachträglich maßgeblich zu verändern. Angesichts des Verweises auf den „betriebsüblichen Vereinbarungstext in der jeweils gültigen Fassung“ konnte sie zwar einzelne Nebenbestimmungen (wie z.B. zu Wettbewerbsverboten) beeinflussen, jedoch standen die Hauptvertragsbestandteile (essentialia negotii; hier: vollständige Freistellung von der Arbeitsleistung bei 70 %-Gehaltsfortzahlung) fest und nicht mehr zur Disposition der Klägerin. Im Falle der Weigerung, dem Arbeitnehmer die zugesagte Freistellung zu den genannten Konditionen zu gewähren, hätte dieser seinen Anspruch gerichtlich durchsetzen können. Allein schon aus diesem Grund hätte ein ordentlicher Kaufmann das Risiko einer Schuldinanspruchnahme nicht vernachlässigen dürfen.
Dies gilt im Streitfall umso mehr, weil es nicht nur „überwiegend“, sondern sogar äußerst wahrscheinlich war, dass die Klägerin aus den Freistellungszusagen in Anspruch genommen werden würde. Ein Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer besondere Gratifikationen nach Erreichen einer bestimmten Betriebszugehörigkeit zusagt, verfolgt damit regelmäßig den Zweck, den Arbeitnehmer an den Betrieb zu binden. Um diesen Zweck zu erreichen, müssen die in Aussicht gestellten Vergünstigungen für den Arbeitnehmer attraktiv sein, was bereits impliziert, dass der Arbeitnehmer das Angebot - weil für ihn vorteilhaft - voraussichtlich annehmen wird. Die Klägerin hat ihren Arbeitnehmern mit der konkreten Freistellungsregelung ein derart attraktives Angebot gemacht, dass sich die Annahme des Angebots durch den Arbeitnehmer geradezu aufdrängt. Dabei konnte die Klägerin auf die Erfahrungen zurückgreifen, die sie in der Vergangenheit mit vergleichbaren – wenngleich damals noch ohne schriftliche Zusage praktizierten – Vorruhestandsmodellen gemacht hat. Tatsächlich hatten bis zum Ende des Streitzeitraums 38 der 39 berechtigten Mitarbeiter von der Freistellungsregelung Gebrauch gemacht. Dies legte bei prognostischer Betrachtung nahe, dass die Freistellungszusage auch in Zukunft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit von dem Großteil der berechtigten Arbeitnehmer angenommen werden würde.
2) Die Bildung der Rückstellung verlangt darüber hinaus, dass die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davorliegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist (vgl. BFH, Urteil vom 15.03.2017 – I R 11/15, BStBl II 2017, 1043 m.w.N. [BB 2017, 1904 m. BB-Komm. Niedling]). Auch diese Voraussetzung liegt im Streitfall vor.
Bezogen auf ein laufendes Arbeitsverhältnis ist das o.g. Erfordernis erfüllt, wenn eine künftige Leistung des Arbeitgebers im Hinblick auf eine schon bewirkte Leistung des Arbeitnehmers geschuldet wird (BFH, Urteil vom 29.11.2000 - I R 31/00, BStBl II 2004, 41 [BB 2001, 933]). Dies ist vom BFH u.a. für rechtsverbindlich zugesagte Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmerjubiläums angenommen worden. Da diese Leistungen nur erbracht würden, wenn das Arbeitsverhältnis bis zum Jubiläumstag (also z.B. fünf, zehn, fünfzehn, zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre) aufrechterhalten werde, würden sie von einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers abhängen und würden insoweit ein Entgelt für die während dieser Dauer erbrachten Arbeitsleistungen beinhalten sowie auch ein Entgelt dafür, dass der Arbeitnehmer sein Kündigungsrecht nicht ausübe. Darum stelle die spätere Auszahlung der Zuwendung eine Gegenleistung des Arbeitgebers für eine bereits in zurückliegenden Jahren erbrachte Leistung des Arbeitnehmers dar. Soweit der Arbeitnehmer durch die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses seine Leistung in der Vergangenheit erbracht habe, bestehe auf Seiten des Arbeitgebers ein Erfüllungsrückstand, der die Bildung einer Rückstellung gebiete (vgl. BFH, Urteil vom 05.02.1987 – IV R 81/84, BStBl II 1987, 845 [BB 1987, 731], so auch BFH, Urteil vom 29.11.2000 – I R 31/00, BStBl II 2004, 41 [BB 2001, 933]).
Auch im Streitfall handelt es sich bei der während der Freistellungsphase zu zahlenden Vergütung um eine Gratifikation für in vergangenen Dienstjahren geleistete Dienste. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Arbeitnehmer – außer dem Erreichen einer bestimmten Betriebszugehörigkeit – keine weiteren Voraussetzungen erfüllen muss, um sich das Recht zu „erdienen“, in den letzten drei Jahren vor Erreichen der Regelaltersgrenze ohne weitere Arbeitsleistung 70 % seiner letzten Bruttobezüge erhalten zu dürfen. Insbesondere muss er vorher keine Zeitguthaben auf einem Zeitkonto ansparen. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von anderen Vorruhestandsmodellen, insbesondere von Blockalterszeitmodellen, in denen sich der Vorruhestand in eine Ansparphase und eine anschließende Freistellungsphase unterteilt (z.B. vier Jahre 100 % Arbeitsleistung bei 80 % Gehalt, gefolgt von einem Jahr Freistellung zu 80 % Gehalt). In einem solchen Fall steht die in der Freistellungsphase gezahlte Vergütung ausschließlich in Zusammenhang mit der in der Ansparphase erbrachten Arbeitsleistung. Im vorliegenden Streitfall ist das während der Freistellungsphase bezogene Gehalt dagegen letztlich ein weiteres Entgelt für die in vorherigen Jahren erbrachte Arbeitsleistung. Infolgedessen ist es geboten, Rückstellungen wegen ungewisser Verbindlichkeiten zu bilden, soweit der Erfüllungsrückstand am jeweiligen Bilanzstichtag bereits verwirklicht war.
II. Bei der Berechnung der Rückstellungen ist hinsichtlich des Zeitpunktes, ab dem sich die jeweiligen Rückstellungsbeträge aufbauen, auf die Leistungszusage abzustellen, d.h. auf den Zeitpunkt, zu dem der Anspruch des Arbeitsnehmers auf künftige Freistellung zivilrechtlich entstanden ist.
a) Dies war spätestens der Zeitpunkt, zu dem die Klausel 3.8 in den jeweiligen Arbeitsvertrag aufgenommen wurde. Für Ende 2008 bereits bestehende Arbeitsverhältnisse kann - wovon auch der Beklagte ausgeht - auf das Datum 00.00.2008 abgestellt werden. Wie sich aus dem als Bl. 273 zur Gerichtsakte gereichten Aktenvermerk der (die Klägerin während des Betriebsprüfungsverfahrens vertretenden) G. ergibt, wurden die die Freistellungsvereinbarung enthaltenden neuen Musteranstellungsverträge im Rahmen der Geschäftsführerversammlung am 00./00.00.2008 konzernweit vorgestellt. In dem als Bl. 274 zur Gerichtsakte gereichten Gedächtnisprotokoll des Hauptgeschäftsführers M. I. vom 19.07.2012 bestätigt dieser, dass er in der vorgenannten Geschäftsführerversammlung alle anwesenden Geschäftsführer aufgefordert habe, die Inhalte der neuen Verträge den Prokuristen und den ...Leitern ... (zu denen auch die Klägerin gehört) mitzuteilen und deren Gültigkeit zu erklären. Wann genau die Gespräche mit den einzelnen Arbeitnehmern stattgefunden haben, d.h. an welchen konkreten Tagen die mündlichen Leistungszusagen gegenüber den Arbeitnehmern der Klägerin jeweils erfolgt sind, ist unklar. Da die Gespräche zeitnah erfolgt sein dürften, erscheint es aus Vereinfachungsgründen angemessen, für alle Arbeitnehmer einheitlich auf das Datum 00.00.2008 abzustellen.
b) Soweit die Klägerin hiervon abweichend generell auf den Zeitpunkt der Begründung des jeweiligen Arbeitsverhältnisses abstellen will, folgt ihr der Senat nicht. Mit dem Erfordernis, dass eine Rückstellung für dem Grunde nach noch nicht entstandene Verbindlichkeiten überhaupt nur dann gebildet werden darf, wenn die ungewisse Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in der davorliegenden Zeit wirtschaftlich verursacht worden ist, wäre es nicht vereinbar, wenn bei der Berechnung der Rückstellung auch Zeiträume einbezogen würden, in denen mangels Existenz der Leistungszusage noch gar kein Erfüllungsrückstand bestand und in denen infolgedessen auch noch gar keine Rückstellungen hätten gebildet werden dürfen.
Ein Erfüllungsrückstand liegt nur vor, wenn jemand - hier der Arbeitgeber - weniger geleistet hat, als er nach dem Vertrag für die bis dahin vom Vertragspartner - hier dem Arbeitnehmer - erbrachte Leistung insgesamt zu leisten hatte. Vor der erstmaligen Zusage der Altersfreistellung hielten sich die Arbeitsleistung und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers jedoch die Waage: der Arbeitnehmer schuldete dem Arbeitgeber (nur) seine Arbeitskraft und hatte dafür (nur) Anspruch auf den vertraglich vereinbarten Arbeitslohn. Zwar mag sich der Arbeitnehmer bewusst oder unbewusst auch „betriebstreu“ verhalten haben. Der rein faktische Umstand, dass das Arbeitsverhältnis mangels Kündigung weiter fortbestand, stellte ohne entsprechende arbeitsvertragliche Regelung jedoch keine durch den Arbeitgeber zu vergütende Leistung dar, weshalb der Arbeitnehmer insoweit auch nicht in Vorleistung treten konnte. Erst mit der Zusage der Altersfreistellung wurde der Anreiz für den Arbeitnehmer geschaffen, sich in der Zukunft (weiterhin) betriebstreu zu verhalten, um letztlich in den Genuss der Freistellung zu gelangen. Ebenso ist erst mit der Zusage der Altersfreistellung die Verpflichtung des Arbeitgebers entstanden, den Arbeitnehmer in der künftigen Freistellungsphase auch ohne Arbeitsleistung zu entlohnen. Folglich konnte sich auch erst beginnend mit dem Zeitpunkt der Leistungszusage ein Erfüllungsrückstand aufbauen, weshalb frühestens zum Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem die Leistungszusage erfolgt ist, eine Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten nach § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB gebildet werden durfte.
Einen Grund, der es erlauben, geschweige denn gebieten würde, bei der Berechnung dieser Rückstellung auch Zeiträume vor Erteilung der Leistungszusage einzubeziehen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Insbesondere ergibt sich ein solcher Grund nicht aus den von der Klägerin zitierten BFH-Urteilen IV R 81/84 [BB 1987, 731] und I R 31/00 [BB 2001, 933]: Dass bei der Berechnung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten losgelöst vom Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungszusage stets auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses abzustellen ist, ist diesen Entscheidungen nicht zu entnehmen. Zudem sind die vorgenannten Entscheidungen, in denen es um Jubiläumszuwendungen ging, mit dem hiesigen Streitfall schon deshalb nicht vergleichbar, weil die konkrete Höhe der versprochenen Jubiläumszuwendungen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhing: je länger ein Arbeitnehmer dem Betrieb treu war, desto höher fiel die Zuwendung aus. In einem solchen Fall ist die Dauer der Betriebszugehörigkeit naturgemäß bei der Bemessung der Rückstellung zu berücksichtigen, weil sich nur so ermitteln lässt, wie hoch der künftige Auszahlungsbetrag voraussichtlich sein wird. Im hier zu entscheidenden Streitfall berührt der Faktor „Dauer der Betriebszugehörigkeit“ dagegen nur die Entstehung des Freistellungsanspruchs dem Grunde nach, hat auf dessen Höhe aber keinerlei Auswirkung. Denn die Berechnungsparameter zur Höhe des Anspruchs sind für alle Arbeitnehmer gleich: jeder Berechtigte erhält in der Freistellungsphase 70 % seiner letzten Bezüge, ohne dass es darauf ankommt, ob das Arbeitsverhältnis „nur“ 22 Jahre oder gar 50 Jahre besteht.
Dass gemäß § 6a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG bei der Berechnung von Pensionsrückstellungen auf den Beginn des Dienstverhältnisses abzustellen ist, ist für den Streitfall unerheblich, da es sich bei der 70 %- Klausel - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht um eine Pensionsverpflichtung i.S.d. § 6a EStG handelt.
c) Auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses oder einen anderen vor dem 00.00.2008 liegenden Zeitpunkt ist nach Auffassung des Senats nur abzustellen, wenn und soweit es schon vor der Einführung der neuen Musteranstellungsverträge vergleichbare Leistungszusagen mit bindender Wirkung gab. Die Klägerin beruft sich insoweit auf eine in ihrem Unternehmen bestehende betriebliche Übung.
Die betriebliche Übung ist ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das geeignet ist, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung oder sonstige Vergünstigung (wie z.B. den Abschluss einer Versorgungsvereinbarung) zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen dürfen, ihnen werde die Leistung oder Vergünstigung auch künftig gewährt. Dem Verhalten des Arbeitgebers wird eine konkludente Willenserklärung entnommen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Vergünstigungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gemäß § 242 BGB und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften. Eine betriebliche Praxis der Gewährung von Vorteilen an die Arbeitnehmer verdichtet sich erst nach Ablauf einer gewissen Zeit zu einer betrieblichen Übung. Eine allgemeinverbindliche Regel, ab wann der Arbeitnehmer erwarten darf, dass auch er die Vergünstigung erhält, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind, existiert nicht. Wie lange die Übung bestehen muss, damit die Arbeitnehmer berechtigt erwarten können, dass sie fortgesetzt werde, hängt davon ab, wie häufig die Leistungen oder Vergünstigungen erbracht worden sind. Dabei kommt es auf die Zahl der Anwendungsfälle im Verhältnis zur Belegschaftsstärke an. Ferner sind in die Bewertung auch Art und Inhalt der Leistungen einzubeziehen. Bei für den Arbeitnehmer weniger wichtigen Leistungen sind an die Zahl der Wiederholungen höhere Anforderungen zu stellen als bei bedeutsameren Leistungsinhalten. Im Hinblick auf laufende Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wird eine Gewährung über einen Zeitraum von fünf bzw. acht Jahren für ausreichend erachtet. Die bindende Wirkung einer betrieblichen Übung tritt auch gegenüber dem Arbeitnehmer ein, der zwar unter der Geltung der Übung im Betrieb gearbeitet, selbst aber die Vergünstigung noch nicht erhalten hat, weil er die nach der Übung vorausgesetzten Bedingungen noch nicht erfüllte. Es ist daher unerheblich, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung einbezogen worden ist. Eine Mitteilung über die an andere Arbeitnehmer erfolgten Zahlungen oder gewährten Vergünstigungen gegenüber den übrigen Arbeitnehmern ist ebenso wenig erforderlich wie eine allgemeine Veröffentlichung im Betrieb. Es ist vielmehr von dem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass derartige Leistungen und Vergünstigungen allgemein bekannt werden. Demzufolge kann ein Arbeitnehmer bereits mit dem Beginn seiner Beschäftigung beim Arbeitgeber von einer betrieblichen Übung erfasst werden (vgl. zu allem BAG, Urteil vom 15.05.2012 – 3 AZR 610/11, BAGE 141, 222 m.w.N.).
Ob - und falls ja seit wann - es in dem Betrieb der Klägerin tatsächlich eine betriebliche Übung mit dem von ihr behaupteten Inhalt gegeben hat, vermag der Senat anhand der bislang vorliegenden Informationen nicht zu beurteilen. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin beschränken sich letztlich auf die Behauptung, dass es die 70 % - Regelung in vergleichbarer Form schon seit „Mitte der 1990er Jahre“ gegeben habe. Konkrete nachprüfbare Angaben fehlen bislang. Insbesondere ist der Vortrag dazu, wann genau die Regelung eingeführt worden sein soll, viel zu ungenau. Da diverse der Arbeitnehmer, für deren künftigen Anspruch auf Altersfreistellung eine Rückstellung gebildet wurde, schon vor „Mitte der 1990er Jahre“ beschäftigt waren (B. seit 01.03.1976, R. seit 01.04.1980, D. seit 01.07.1973, O. seit 01.01.1975, L. seit 01.11.1974, P. seit 01.06.1983, Y. seit 01.10.1990, V. seit 01.07.1974), kommt dem Zeitpunkt, ab wann tatsächlich von einem einklagbaren Anspruch auf Altersfreistellung aus betrieblicher Übung auszugehen ist, erhebliche Bedeutung zu. Vor dem Hintergrund, dass die Ermittlung des konkreten Zeitpunkts mit erheblichem Aufwand und ggfs. umfangreicher Beweisaufnahme verbunden ist (wie z.B. Darlegung und Nachweis seitens der Klägerin, welche Mitarbeiter in den Jahren bis 2008 ihrer Gehaltsklasse nach berechtigt gewesen wären, die Freistellungsregelung in Anspruch zu nehmen, welche dieser Mitarbeiter vor 2008 von der Freistellung tatsächlich Gebrauch gemacht haben und welchen konkreten Inhalt die mit diesen Mitarbeiten getroffenen Absprachen jeweils hatten), sieht der Senat von einer Aufklärung zum jetzigen Zeitpunkt ab und beschränkt sich darauf, die Frage, auf welchen Zeitpunkt bei der Berechnung der Rückstellungen abzustellen ist, in abstrakter Form zum Gegenstand des Grundurteils zu machen. Sofern das Grundurteil rechtskräftig wird, wird im fortgeführten Klageverfahren zu prüfen und zu entscheiden sein, ob und falls ja ab welchem Zeitpunkt das Verhalten der Klägerin einen derart verbindlichen Charakter erhalten hat, dass ihre Arbeitnehmer auch ohne ausdrückliche Zusage davon ausgehen konnten, dass sie selbst ebenfalls Anspruch auf die Freistellungsregelung haben. Sollte der BFH dagegen die Auffassung der Klägerin bestätigen, dass für die Bemessung der Rückstellung auf den Zeitpunkt des Dienstantritts abzustellen ist, sind die o.g. Ermittlungen obsolet.
II. Bei den Aufwendungen für die Errichtung der Notentwässerungsanlage handelt es sich nicht um Herstellungskosten, sondern um sofort abzugsfähige Betriebsausgaben. Die Gewinnauswirkungen aus Tz. 2.5 des Prüfungsberichts sind daher rückgängig zu machen.
Zu dem sofort als Betriebsausgaben i.S. des § 4 Abs. 4 EStG zu berücksichtigenden Erhaltungsaufwand gehören in der Regel die Aufwendungen für die laufende Instandhaltung und Instandsetzung eines Gebäudes. Dagegen liegen zu aktivierende Herstellungskosten i.S.d. § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB vor, wenn durch die Baumaßnahmen das Gebäude wesentlich in seiner Substanz vermehrt, in seinem Wesen verändert oder - von der üblichen Modernisierung abgesehen - über seinen bisherigen Zustand hinaus deutlich verbessert wird (st. Rspr. des BFH, vgl. Beschluss des Großen Senats vom 22.08.1966 - GrS 2/66, BStBl III 1966, 672; BFH, Urteil vom 19.07.1985 – III R 170/80, BFH/NV 1986, 24).
Aufwendungen für die Erneuerung von bereits in den Herstellungskosten des Gebäudes enthaltenen Teilen, Einrichtungen und Anlagen sind nur in Ausnahmefällen wiederum Herstellungskosten des Gebäudes, wenn nämlich die Teile so artverschieden sind, dass der Zweck, das Gebäude in seiner bestimmungsmäßigen Gebrauchs- und Verwendungsmöglichkeit zu erhalten, zurücktritt hinter dem Zweck, etwas Neues, bisher nicht Vorhandenes, zu schaffen (vgl. BFH, Urteil vom 19.07.1985 – III R 170/80 BFH/NV 1986, 24 m.w.N.). Ob eine neue Anlage für sich allein betrachtet dieselbe Beschaffenheit aufweist und technisch ebenso funktioniert wie der erneuerte Teil, ist für die steuerrechtliche Beurteilung der aufgewendeten Kosten nicht maßgebend, solange die neue Anlage die bisherige Funktion für das einheitliche Gebäude in vergleichbarer Weise erfüllt (BFH, Urteil vom 24.07.1979 – VIII R 162/78, BStBl II 1980, 7).
Der Einbau der streitgegenständlichen Notentwässerungsanlage geht entgegen der Auffassung des Beklagten nicht über eine Modernisierung hinaus. Das Wesen der Modernisierung besteht darin, einem Gebäude den zeitgemäßen Standard wiederzugeben, den es ursprünglich besessen, durch den technischen Fortschritt und die Veränderung der Lebensgewohnheiten / Umweltanforderungen jedoch verloren hatte. Das in den Jahren 1999 bis 2001 errichtete Logistikzentrum wurde mit einer den damaligen Vorschriften entsprechenden Dachentwässerungsanlage ausgestattet. Diese reichte aus, um die Standsicherheit nach damaligen Anforderungen – insbesondere entsprechend der früher üblichen Regenmengen – zu sichern. Aufgrund des fortschreitenden Klimawandels und der damit einhergehenden Häufung von Starkregenereignissen wurden die technischen Anforderungen für Entwässerungsanlagen verschärft. Infolgedessen hat die Klägerin im Jahr 2010 die streitgegenständliche, den Anforderungen der neuen DIN 19686-100 entsprechende Notentwässerungsanlage eingebaut. Eine solche Anpassung des Gebäudes an die Zeitumstände bedeutet weder Substanzvermehrung noch Veränderung im Wesen, sondern lediglich Modernisierung (vgl. zur Umstellung der Heizung von Kohleöfen auf Zentralheizung BFH, Urteil vom 24.07.1979 – VIII R 162/78, BStBl II 1980, 7; zur Anbringung einer zusätzlichen Fassadenverkleidung BFH, Urteil vom 24.02.1981 – VIII R 122/79, BStBl II 1981, 468). Dass die neue Entwässerungsanlage zusätzlich zur alten Anlage errichtet wurde – d.h. etwas Neues hinzugefügt wurde – ändert daran nichts. Denn sowohl die bisherige als auch die neue Entwässerungsanlage erfüllen die gleiche Funktion, nämlich zu gewährleisten, dass sich auf dem Dach kein die Standfestigkeit des Gebäudes gefährdender Regenrückstau bildet. Das neue Entwässerungssystem ist – auch wenn es funktionsbedingt über eigene Rohrleitungen verfügt – nicht isoliert zu betrachten, sondern bildet mit dem bisherigen Entwässerungssystem eine Einheit. Nicht auf die Änderung des Entwässerungssystems, sondern auf die Änderung des Wesens des Gebäudes kommt es an. Das Wesen und insbesondere die Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes blieben im Streitfall völlig unverändert.
D. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Diese bleibt dem Endurteil vorbehalten (§ 143 FGO).
Die Revision wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf das Revisionsverfahren IV R 22/22 nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.