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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
24.02.2022
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
FG Münster: Abzinsungssatz von 5,5 % für unverzinsliche Verbindlichkeiten nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist verfassungsgemäß

FG Münster, Urteil vom 18.1.2022 – 2 K 700/18 G,F

ECLI:DE:FGMS:2022:0118.2K700.18G.F.00

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2022-495-1

EStG § 6Abs. 1 Nr. 3; HGB § 253 Abs. 2; BewG § 12 Abs. 3

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die bilanzielle Behandlung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in dem Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2013 (Streitjahr) (Feststellungsbescheid) und dem Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2013 (Gewerbesteuermessbetragsbescheid).

Die Klägerin, an der nunmehr Herr Q zu 90% und Herr I zu 10% beteiligt sind, wurde durch Gesellschaftsvertrag vom 01.01.1992 gegründet und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Zweck des Unternehmens der Klägerin ist die Entwicklung und der Vertrieb von Soft- und Hardware.

Im Streitjahr ermittelte die Klägerin ihren steuerlichen Gewinn durch einen Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 Einkommensteuergesetz (EStG).

Die Klägerin unterhielt eine Geschäftsbeziehung zu Herrn N, Inhaber der Fa. O. Im Jahr 2010 verklagte Herr N die J GmbH, eine Schwestergesellschaft der Klägerin, und machte gegenüber der Klägerin mit zwei Rechnungen vom 27.04.2010, Rechnungsnummern 10-401-7 und 10-401-6, einen Betrag i.H.v. insgesamt 50.988,75€ netto (34.778,75€ + 16.210€) bzw. 60.679,62€ brutto (41.389,72€ + 19.289,90€) für geschätzte Umsätze 2009 bis 24.04.2010 geltend; die Klägerin bestritt die Höhe dieser Forderungen. Im Jahr 2013 machte Herr N u.a. gegenüber der Klägerin schriftlich einen Betrag i.H.v. insgesamt 164.563,74€ geltend. Am 16.12.2013 vereinbarten N und u.a. die Klägerin einen Verzicht auf die „Einrede der Verjährung bei derzeit ausgesetzten Gerichtsverfahren sowie bei offenen Forderungen im Rahmen der Auflösung der Kooperation“.

Zudem unterhielt die Klägerin eine Geschäftsbeziehung zu der in Dänemark ansässigen Fa. B.

Mangels Abgabe von Steuererklärungen erließ der Beklagte im Schätzungswege u.a. den Feststellungsbescheid 2013 vom 09.09.2015 und den Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2013; beide Bescheide standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO).

Im Jahr 2016 führte der Beklagte bei der Klägerin für die Jahre 2011 bis 2013 eine Betriebsprüfung (Bp) durch.

Während der Bp gab die Klägerin im April 2016 auch die Steuererklärungen des Streitjahres ab. Im Streitjahr bilanzierte die Klägerin zum 31.12.2013 u.a. Verbindlichkeiten gegenüber der B i.H.v. 20.390,51€ sowie sonstige Rückstellungen u.a. hinsichtlich „N, ausstehende Rechnungen“ i.H.v. 64.000€ und „Rechtsstreit N “ i.H.v. 5.000€  sowie Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 65.515,08€. Das Kreditorenkonto 71300 der Jahre 2011 bis 2013 hinsichtlich der Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N  bzw. der Fa. O weist die mit den Rechnungen vom 27.04.2010 geltend gemachten Beträge nicht aus.

Im Rahmen der Bp kam der Prüfer im Wesentlichen zu folgenden Feststellungen: Hinsichtlich der Verbindlichkeit gegenüber der Fa. B i.H.v. 20.390,51€ seien trotz Aufforderung keine Nachweise eingereicht worden (Tz. 2.6). Hinsichtlich der Rückstellung i.H.v. 65.000€ seinen trotz Aufforderung keine Nachweise eingereicht worden (Tz. 2.8).

In der Schlussbesprechung wurde u.a. hinsichtlich der in Tz. 2.6 und 2.8 genannten Feststellungen keine Einigung erzielt; die Klägerin erhielt bis Ende Juli 2016 Gelegenheit, entsprechende Nachweise einzureichen.

Für weitere Einzelheiten wird auf die BP-Berichte vom 05.08.2016 und 05.12.2016 Bezug genommen.

Im Rahmen eines Auskunftsersuchens des Beklagten übersandte Herr N mit Schreiben vom 26.09.2016 u.a. eine tabellarische Aufstellungen der Kundensalden „Q“ vom 26.09.2016, ausweislich der die Ausgangsrechnungen vom 27.04.2010, Rechnungsnummer 10-401-6 und 10-401-7 als „bezahlt“ markiert und nicht in dem Saldo der offenen Beträge enthalten sind.

Ausweislich einer in englischer Sprache verfassten E-Mail der Fa. B vom 25.11.2016 besteht zwischen der Klägerin und der Fa. B Einvernehmen über ausstehende Gelder seit 2010 dahingehend, dass der Klägerin die Möglichkeit eingeräumt wird, ausstehende Gelder zurückzuzahlen sobald es die Geschäfte und die Situation erlaubt.

In Umsetzung der Feststellungen der Bp erließ der Beklagte am 14.12.2016 den nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Feststellungsbescheid 2013, mit dem er die Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 121.392,74€ feststellte, und am 27.12.2016 den ebenfalls nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2013, mit dem er, ausgehend von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 121.392,74€, den Gewerbesteuermessbetrag mit 3.388€ feststellte. Dabei löste er die passivierte Verbindlichkeit gegenüber der Fa. B i.H.v. 20.390,51€ und die sonstige Rückstellung hinsichtlich Herrn N i.H.v. 65.000€ gewinnerhöhend auf.

Gegen diese beiden Bescheide legte die Klägerin am 06.01.2017 Einsprüche ein, mit denen sie sich u.a. gegen die Feststellungen in Tz. 2.6 und 2.8 des Bp-Berichts wandte.

Mit Einspruchsentscheidungen jeweils vom 08.02.2016 verwarf der Beklagte den Einspruch als unbegründet. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Verbindlichkeit gegenüber der Fa. B sei zu Recht gewinnerhöhend i.H.v. 20.390,51€ aufgelöst worden. Es seien keine hinreichenden Nachweise dafür erbracht worden, inwieweit dem Grund der Höhe nach eine Forderung seitens der Fa. B gegenüber der Klägerin bestanden habe. Auch die Rückstellung hinsichtlich Herrn N sei zu Recht gewinnerhöhend i.H.v. 65.000€ aufgelöst worden. Es seien keine Nachweise zur Höhe der Rückstellung und der Werthaltigkeit der im Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten ersichtlich.

Hiergegen hat die Klägerin am 08.03.2018 Klage erhoben.

Die Klägerin ist im Wesentlichen der Auffassung, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb würden 51.002,23€ betragen. Die passivierten Beträge gegenüber Herrn N (65.515,08€ als Verbindlichkeit und 64.000€ als Rückstellung für bestrittene Forderungen) stammten aus Zeiträumen bis einschließlich 2010. Für diesen Zeitraum seien die Unterlagen bei dem bis dato beauftragten Steuerberatungsbüro, das die Herausgabe verweigere. U.a. die von Herrn N gegenüber der Klägerin geltend gemachten und von dieser bestrittenen Forderungen i.H.v. 50.988,75€ netto seien Teil der Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten. Auch die Passivierung der Verbindlichkeit gegenüber der B sei zu Recht vorgenommen worden.

Eine Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG dürfe nicht bzw. zumindest nicht in der Höhe erfolgen. Der normierte Zinssatz sei verfassungswidrig. Dies folge aus den Entscheidungen der Finanzgerichte Köln, Beschluss vom 12.10.2017, 10 K 977/17, und Hamburg, Beschluss vom 31.01.2019, 2 V 112/18, und des Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14 u.a.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2013 vom 14.12.2016 und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2013 vom 27.12.2016 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen jeweils vom 08.02.2018 nach Maßgabe der Klagebegründung zu ändern,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidungen im Wesentlichen der Auffassung, die streitgegenständlichen Bescheide seien rechtmäßig.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Am 15.03.2019 hat der vormals zuständige Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt, auf dessen Protokoll Bezug genommen wird.

Mit Beschluss vom 17.01.2020 ist das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren 2 BvR 2706/17 ausgesetzt und im August 2021 wieder aufgenommen worden.

Der Senat hat am 18.01.2022 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, auf dessen Protokoll Bezug genommen wird.

Aus den Gründen

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Feststellungsbescheid 2013 vom 14.12.2016 und der Gewerbesteuermessbetragsbescheid 2013 vom 27.12.2016 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidungen jeweils vom 08.02.2018 sind jedenfalls nicht zu Lasten der Klägerin rechtswidrig und verletzten diese nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung, FGO).

Zwar hat der Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden zu Unrecht Rückstellungen hinsichtlich Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 1.000€ gewinnerhöhend aufgelöst (dazu I.) und keine Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 25.647,34€ (dazu II.) gewinnmindernd berücksichtigt. Jedoch hat der Beklagte ebenfalls zu Unrecht Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O nicht um einen Betrag i.H.v. 32.560,99€ gemindert (dazu III.). Der Beklagte hat zu Recht keine Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber der Fa. B berücksichtigt (dazu IV.)

Beklagter hat zu Unrecht Rückstellungen hinsichtlich Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i. H. v. 1000 Euro gewinnerhöhend aufgelöst

I. Zwar hat der Beklagte zu Unrecht sonstige Rückstellungen hinsichtlich Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 1.000€ gewinnerhöhend aufgelöst.

In dieser Höhe hat die Klägerin keine Rückstellung in der Bilanz des Streitjahres gebildet. Die Klägerin hat in der Bilanz 2013 eine sonstige Rückstellung hinsichtlich „N, ausstehende Rechnungen“ i.H.v. 64.000€ gebildet. Der Beklagte hat diese Rückstellung i.H.v. 65.000€, d.h. über den bilanzierten Betrag hinausgehend aufgelöst.

Beklagter hat zu Unrecht Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i. H. v. 25.647,34 Euro nicht gewinnmindernd berücksichtigt

II. Ebenso hat der Beklagte zu Unrecht keine Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N hinsichtlich der Rechnungen vom 27.04.2010 bzw. der Fa. O i.H.v. 25.647,34€ gewinnmindernd berücksichtigt.

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten

1. Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 Handelsgesetzbuch (HGB) sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht ist von der einen Gewerbebetrieb betreibenden, mithin nach § 140, AO i.V.m. §§ 1, 238 HGB buchführungspflichtigen Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für die Steuerbilanz zu beachten. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann (BFH, Urteil vom 27.09.2017 I R 53/15, juris [BB 2018, 361 Ls, StB 2018, 41Ls]); zudem muss der Steuerpflichtige ernsthaft damit rechnen, gerade wegen dieser Verpflichtung in Anspruch genommen zu werden (BFH, Beschluss vom 28.08.2018 X B 48/18, juris). Diese Voraussetzungen sind auf Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen (BFH, Urteil vom 24.10.2018 I R 78/16, juris [BB 2019, 999, StB 2019, 123 Ls]).

Ansatz in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags

Rückstellungen sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 HGB grundsätzlich in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages anzusetzen. Diesem Bilanzansatz geht nach § 5 Abs. 6 EStG die steuerrechtliche Bewertungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG vor. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) Satz 1 EStG sind Rückstellungen für Verpflichtungen mit einem Zinssatz von 5,5 Prozent abzuzinsen; § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) Satz 2 ist zu beachten.

Abzinsung mit 5,5 % ist verfassungsgemäß

[2.] Nach diese[n] Grundsätzen hat der Beklagte in der Bilanz des Streitjahres zu Unrecht keine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O aus den Rechnungen vom 27.04.2010 i.H.v. 25.647,34€ anerkannt.

Die Klägerin ist im Streitjahr einer ungewissen Verbindlichkeit unbestimmter Laufzeit des Herrn N bzw. der Fa. O ausgesetzt gewesen. Herr N bzw. die Fa. O hat mit Rechnungen vom 27.04.2010, Rechnungsnummern 10-401-7 und 10-401-6, einen Betrag i.H.v. insgesamt 50.988,75€ netto (34.778,75€ + 16.210€) gegenüber der Klägerin geltend gemacht. Die Klägerin hat jedenfalls die Höhe dieser Rechnungen, spätestens in der hiesigen Klagebegründung, bestritten. Aufgrund der Übersendung der Rechnung durch Herrn N bzw. die Fa. O, spätestens aufgrund der Vereinbarung zwischen Herrn N  bzw. der O und der Klägerin am 16.12.2013, musste die Klägerin auch mit einer Inanspruchnahme zumindest dem Grunde nach rechnen. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Rechnungsbeträge durch die Klägerin bezahlt worden sind. Dieser, nach allgemeinen Grundsätzen durch den Beklagten darzulegende und zu beweisende Umstand, folgt insbesondere nicht aus der im Rahmen eines Auskunftsersuchens von Herrn N übersandten tabellarischen Aufstellungen der Kundensalden „Herr Q “ vom 26.09.2016, ausweislich der die o.g. Rechnungen als „bezahlt“ markiert und nicht in dem Saldo der offenen Beträge enthalten sind. Hieraus folgen keine Rückschlüsse auf das Streitjahr.

Diese Rückstellung, deren Erfüllungsbetrag i.S.d. § 253 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 HGB 50.988,75€ beträgt, ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) EStG abzuzinsen und mit einem Betrag i.H.v. 25.647,34€ zu bewerten. Der anzuwendende Vervielfältiger nach entsprechender Anwendung von § 13 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) beträgt 0,503 (siehe hierzu eingehend Finanzgericht Münster, Urteil vom 09.07.2010, 9 K 1213/09 G, F, juris). Die Laufzeit der Verbindlichkeiten aus den Rechnungen vom 27.04.2010 sind unbestimmt, insbesondere kann eine solche nicht aus der Vereinbarungen zwischen der Klägerin und Herrn N  bzw. der Fa. O vom 16.12.2013 entnommen werden. Dieser lässt sich (nur) entnehmen, dass anhängigen Verfahren bis zum 30.06.2016 ausgesetzt werden und auf die Einrede der Verjährung umfänglich verzichtet wird. Für weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Bundesministeriums der Finanzen vom 26.05.2005, VV DEU BMF 2005-05-26 IV B 2-S 2175-7/05, BStBl. I 2005, 699, Tz. 7, Bezug genommen.

Die Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG liegen nicht vor. Es ist weder vorgetragen worden noch aus den vorliegenden Akten ersichtlich, dass die Verbindlichkeiten des Herrn N bzw. der Fa. O am Bilanzstichtag eine Laufzeit von weniger als zwölf Monate hatten noch dass diese verzinslich gewesen sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruht haben.

Der erkennende Senat sieht § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) EStG insbesondere hinsichtlich dessen Zinssatz, der mit dem in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG übereinstimmt, entgegen der klägerischen Auffassung als verfassungsgemäß an. Durch diese Norm, insbesondere den Zinssatz von 5,5 Prozent, werden die verfassungsrechtlich zulässigen Grenzen insbesondere des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht überschritten. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der erkennende Senat vollumfänglich auf die entsprechenden Ausführungen des Finanzgerichts Münster, Urteil vom 22.07.2021, 10 K 1707/20 E, G, juris [BB 2021, 2668 m. BB-Komm. Kleinmanns], und Beschluss vom 05.05.2021, 13 V 505/21, juris [BB 2021, 1583 m. BB-Komm. Kubik], jeweils zu der hinsichtlich des Zinssatzes identischen Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG in den Jahren 2016 und 2013, dem hiesigen Streitjahr, Bezug, denen sich der erkennende Senat anschließt. Diese Auffassung wird durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, juris, der sich zwar zu dem Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO verhält, dessen Wertungen jedoch übertragen werden können, bestätigt. Danach ist dieser Zinssatz verfassungsmäßig, soweit er Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2013, dem hiesigen Streitjahr, betrifft. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der auf ein gesamtes Kalenderjahr bezogene Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit 6 Prozent über dem Zinssatz der § 6 Abs. 1 Nr. 3, 3a EStG liegt.

Beklagter hat ebenfalls zu Unrecht Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O nicht um einen Betrag i. H. v. 32.560,99 Euro gemindert

III. Jedoch hat der Beklagte ebenfalls zu Unrecht, d.h. zugunsten der Klägerin, Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 65.515,08€ nicht gewinnmindernd nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG abgezinst und die Verbindlichkeiten zu Unrecht nicht um einen Betrag i.H.v. 32.560,99€ gemindert.

Abzinsung von Verbinddlichkeiten mit einem Zinssatz von 5,5%

1. Verbindlichkeiten sind betriebliche Schuldposten i.S.v. § 266 Abs. 3 C. HGB, für die ein Passivierungsgebot besteht nach § 247 Abs. 1 Satz 1 HGB, das auch für die Steuerbilanz nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG gilt. Verbindlichkeiten sind Verpflichtungen des Unternehmens gegenüber Dritten, die am Bilanzstichtag nach Grund und Höhe feststehen (BFH, Urteil vom 12.12.1990 I R 153/86, juris [BB 1991, 510]).

Verbindlichkeiten sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 HGB grundsätzlich zu ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen, wobei der Rückzahlungsbetrag grundsätzlich dem Nennwert der Schuld entspricht. Diesem Bilanzansatz geht nach § 5 Abs. 6 EStG die steuerrechtliche Bewertungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG vor. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung der Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG 2 anzusetzen und mit einem Zinssatz von 5,5 Prozent abzuzinsen. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG sind ausgenommen von der Abzinsung Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am Bilanzstichtag weniger als zwölf Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen. Eine Laufzeit von weniger als zwölf Monaten ist anzunehmen, wenn die Verbindlichkeit vor Ablauf eines Jahres nach dem Bilanzstichtag vollständig getilgt ist (Hermann/Heuer/Raupach in Hermann/Heuer/Raupach, EStG, 308. Lfg. 12.2021, § 6, Rz. 710).

Beklagter hat zu Unrecht die Verbindlichkeit in Höhe des Nominalwerts berücksichtigt – Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG liegen nicht vor

2. Nach diese[n] Grundsätzen hat der Beklagte in der Bilanz des Streitjahres zu Unrecht die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O in Höhe des Nominalwertes i.H.v. 65.515,08€, der zwischen den Beteiligten unstreitig ist, berücksichtigt, d.h. die nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG gebotene Abzinsung i.H.v. 32.560,99€ nicht vorgenommen; richtigerweise hätten diese Verbindlichkeiten i.H.v. 32.954,09€ bilanziert werden müssen.

Im Streitfall bestehen seitens der Klägerin Verbindlichkeiten gegenüber Herrn N  bzw. der Fa.O in Nominalwerthöhe von 65.515,08€. Diese Verbindlichkeiten sind § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG abzuzinsen und mit einem Betrag i.H.v. 32.954,09€ zu bewerten. Der anzuwendende Vervielfältiger nach entsprechender Anwendung von § 13 Abs. 2 BewG beträgt 0,503. Die Laufzeit dieser Verbindlichkeiten ist mangels ersichtlicher Angaben unbestimmt. Für weitere Einzelheiten wird auf die Ausführungen des Bundesministeriums der Finanzen vom 26.05.2005, VV DEU BMF 2005-05-26 IV B 2-S 2175-7/05, BStBl. I 2005, 699, Tz. 7 [BB 2005, 1327 m. Kurzkomm. Lüdenbach], Bezug genommen.

Die Voraussetzungen der Rückausnahme nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG liegen nicht vor. Es ist weder vorgetragen worden noch aus den vorliegenden Akten ersichtlich, dass die Verbindlichkeiten des Herrn N bzw. der Fa. O am Bilanzstichtag eine Laufzeit von weniger als zwölf Monate hatten noch dass diese verzinslich gewesen sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruht haben; insbesondere ist nicht ersichtlich, dass diese Verbindlichkeiten innerhalb von zwölf Monaten nach dem Bilanzstichtag vollständig getilgt worden sind. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin diese Verbindlichkeiten i.H.v. 65.515,08€ in ihrer Steuererklärung im April 2016, d.h. mehr als zwölf Monate nach Ende des Bilanzstichtages am 31.12.2013, erklärt hat.

Der erkennende Senat sieht auch § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG insbesondere hinsichtlich dessen Zinssatz, der mit dem in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e) EStG übereinstimmt, entgegen der klägerischen Auffassung mit den vorstehenden Ausführungen als verfassungsgemäß an.

Kompensationsrahmen i.S.d. § 177 Abs. 2 AO

3. Hierdurch hat die Klage keinen Erfolg. Gemäß § 177 Abs. 2 AO, der auch im finanzgerichtlichen Verfahren anzuwenden ist, sind, wenn die Voraussetzungen für die Änderung eines Steuerbescheids zugunsten des Steuerpflichtigen vorliegen, soweit die Änderung reicht, zuungunsten des Steuerpflichtigen solche materiellen Fehler zu berichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung sind.

Im Streitfall besteht der Kompensationsrahmen i.S.d. § 177 Abs. 2 AO, der sich daraus ableitet, dass die Einkünfte bzw. der Gewinn aus Gewerbetrieb grundsätzlich um einen Betrag i.H.v. 26.647,34€ zu mindern gewesen wäre. In den streitgegenständlichen Bescheid sind zwar zu Lasten der Klägerin sonstige Rückstellungen hinsichtlich Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 1.000€ gewinnerhöhend aufgelöst und keine Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 25.647,34€ gewinnmindernd berücksichtigte worden, jedoch sind zu ihren Gunsten die Verbindlichkeiten gegenüber Herrn N bzw. der Fa. O i.H.v. 32.560,99€ zu hoch festgestellt worden. Dieser letztgenannte Betrag übersteigt den vorstehenden Kompensationsrahmen des § 177 Abs. 2 AO und hindert den erkennenden Senat an einer Änderung der streitgegenständlichen Bescheide.

Beklagter hat zu Recht keine Verbindlichkeit gegenüber der Fa. B berücksichtigt

IV. Der Beklagte hat zu Recht keine Verbindlichkeit gegenüber der Fa. B berücksichtigt.

Die gewinnerhöhende Auflösung der vormals bilanzierten Verbindlichkeit i.H.v. 20.390,51€ ist zu Recht erfolgt. Das Bestehen einer solchen Verbindlichkeit jedenfalls der Höhe nach ist durch die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht nachgewiesen worden. Die Klägerin hat weder im Verwaltungs- noch im gerichtlichen Verfahren entsprechende Nachweise vorgelegt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass keine weiteren Nachweise vorgelegt werden könnten. Ein solcher Nachweis folgt insbesondere nicht aus der lediglich in englischer Sprache verfassten E-Mail der Fa. B vom 25.11.2016. Hieraus ist nicht zu entnehmen, dass und insbesondere in welcher Höhe eine Verbindlichkeit der Klägerin gegenüber der Fa. B im Streitjahr bestanden hat.

Kostenentscheidung

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Zulassung der Revision

VI. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alt. 2 FGO zuzulassen. Die Rechtssache besitzt aufgrund der in der vom Finanzgericht FG Hamburg in seinem Beschluss vom 31.01.2019, 2 V 112/18, juris) geäußerten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes i.H.v. von 5,5 Prozent in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG grundsätzliche Bedeutung und erscheint aufgrund der hiervon abweichenden Auffassungen des Finanzgerichts Münster in seinem Beschluss vom 5.5.2021, 13 V 505/21, juris [BB 2021, 1583 m. BB-Komm. Kubik] und Urteil vom 22.07.2021, 10 K 1707/20 E, G, juris [BB 2021, 2668 m. BB-Komm. Kleinmanns], sowie des erkennenden Senats in der vorliegenden Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen finanzgerichtlichen Rechtsprechung erforderlich.

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