R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
13.04.2015
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
Jens Berger: IFRS 15 – Öffnet der IASB die Büchse der Pandora?

Wer die Entwicklungen beim International Accounting Standards Board (IASB) in London aufmerksam verfolgt, dem wird nicht entgangen sein, dass der neue Standard zur Erfassung von Umsatzerlösen, IFRS 15, seit Februar erneut auf die Agenda gekommen ist. Dabei sind die neuen Vorschriften noch nicht einmal ein Jahr alt – die erstmalige Anwendung war verpflichtend erst für das Jahr 2017 vorgesehen. Gerade bei einem so sensiblen Thema wie der Umsatzlegung hatte sich der eine oder andere sicherlich erhofft, dass die Rechtslage auf absehbare Zeit stabil bleiben würde, damit Prozesse und Systeme angepasst werden können. Dabei war absehbar, dass sich früher oder später Änderungen im Standard ergeben werden – auch wenn es im Falle von IFRS 15 erstaunlich schnell passiert ist. Erstens handelt es sich um einen völlig überarbeiteten prinzipienbasierten Standard, d. h. erst in der Anwendung werden sich die (objektiven und subjektiven) „Lücken“ im Regelwerk zeigen. Um solche Interpretationsfragen kümmert sich beim IASB normalerweise das IFRS Interpretations Committee. Zwar ist dieses mit der Veröffentlichung von echten Interpretationen sehr zurückhaltend, aber auch die sog. Agendaentscheidungen entfalten quasi-bindende Wirkung, nicht zuletzt deshalb, weil sich Regulatoren häufig den Gründen für die Zurückweisung im Falle der vermeintlichen Klarheit des Standards anschließen. Zweitens hat der IASB selbst ein Vehikel geschaffen, das Anwendungsfragen diskutieren und dem Board ggf. Änderungsbedarf signalisieren soll: die Transition Ressource Group. Diese tagt öffentlich und diskutiert Sachverhalte, die im Rahmen der Implementierung der neuen Vorschriften auftreten – alles formal nicht bindend, selbstverständlich. Drittens wird es in mehr oder minder ferner Zukunft die Nachschau nach der Implementierung (Post-Implementation Review) geben, woraus sich auch Änderungsvorschläge ergeben dürften. Schließlich darf nicht vergessen werden, dass der IASB (aus seiner Sicht kleinere) Reparaturen an den Standards über den Prozess der jährlichen Verbesserungen (Annual Improvements) vornimmt – es kann nicht erwartet werden, dass dabei nicht auch „Verbesserungen“ an IFRS 15 vorgenommen werden.

Die Betroffenen werden sich nun die Frage stellen, wie mit dieser Unsicherheit umzugehen ist. Sicherlich hat man es ein Stück weit selbst in der Hand – nicht mit jeder Fragestellung muss man in London (bzw. Norwalk – Gleiches gilt ja auch für US-GAAP-Bilanzierer, da IASB- und FASB-Vorschriften nahezu identisch sind) vorstellig werden, zumal mit zeitnahen, geschweige denn genehmen Lösungen in der Regel nicht gerechnet werden kann. Viele Probleme lassen sich „im Geiste des Standards“ lösen – auch wenn man diesen Bogen nicht überspannen darf. Diese Einstellung ist auch von Wirtschaftsprüfern und v. a. Aufsichts- und Enforcementbehörden zu verinnerlichen. Letzteres dürfte insbesondere in den USA die Herausforderung sein, ist die Securities and Exchange Commission doch äußert erpicht auf eine einheitliche – böse Zungen behaupten: vorsichtige – Auslegung der Regeln. Daneben ist das Monitoring der Entwicklungen durch das Rechnungswesen unabdingbar, um die laufenden Entwicklungen zu beobachten und einzuwerten sowie Handlungsbedarf ableiten zu können.

Letztendlich bleibt auch zu hoffen, dass die Standardsetzer in London und Norwalk kühlen Kopf bewahren und Änderungen an bestehenden Regeln nur dann vornehmen, wenn dies unumgänglich und die Lösung nachhaltig ist. Schließlich muss man, wenn man die Büchse der Pandora schon öffnet, diese solange offen lassen, bis auch die Hoffnung entweichen kann.

Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Frankfurt a. M. und Leiter des deutschen IFRS Centre of Excellence.

stats