Dr. Hans-Joachim Prieß, LLM., RA: Zwei Jahre außenwirtschaftsrechtliche Selbstanzeige – eine Bilanz
Mit der Novellierung des AWG am 1.9.2013 wurde als eine der wichtigsten Neuerungen die außenwirtschaftsrechtliche Selbstanzeige eingeführt. Dieses in § 22 Abs. 4 AWG geregelte, aus dem Steuerrecht entlehnte Institut eröffnet Unternehmen für bestimmte außenwirtschaftsrechtliche Verstöße die Möglichkeit einer bußgeldbefreienden Selbstanzeige. Danach unterbleibt die Verfolgung fahrlässiger Verstöße im Sinne von § 19 Abs. 2 bis 5 AWG, wenn sie im Wege der Eigenkontrolle aufgedeckt, der zuständigen Behörde freiwillig angezeigt wurden und angemessene Maßnahmen zur Verhinderung von Verstößen aus gleichem Grund getroffen werden.
Laut einer Statistik des Bundesfinanzministeriums (BMF) wurden im Jahr 2014 insgesamt 61 Selbstanzeigen erstattet. Von den bislang 50 abschließend bewerteten Anzeigen erfüllten zwar 23 die Wirksamkeitsvoraussetzungen nicht, 27 wurden jedoch anerkannt. Lediglich in drei Fällen wurde nach Selbstanzeige ein Strafverfahren eingeleitet. Nach dem zweijährigen Bestehen des Instituts ist damit eine grundsätzlich positive Bilanz zu ziehen, selbst wenn, wie auch die BMF-Statistik zeigt, hinsichtlich der Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige nach wie vor einige Unklarheiten bestehen. Das gilt insbesondere für das Erfordernis der Fahrlässigkeit, das eine Beschränkung der Privilegierung auf rechtstreue Mitarbeiter und Unternehmen bezwecken soll. Dessen Nichtvorliegen hat in 19 der 23 Fälle zu einer Unwirksamkeit der Selbstanzeige geführt. Ungeachtet der in der Praxis im Einzelfall häufig sehr schwierigen Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und Eventualvorsatz, gilt es insoweit zu beachten, dass die Selbstanzeigemöglichkeit vorwiegend typische Arbeits- und Form- sowie Softwarefehler erfasst, die auch in ordnungsgemäß organisierten Unternehmen, insbesondere im Massengeschäft, nie ganz auszuschließen sind. Verstöße gegen die in § 19 Abs. 1 AWG in Bezug genommenen Verbote und Genehmigungspflichten sind dagegen ebenso wenig anzeigefähig wie Verstöße gegen den zwar in § 22 Abs. 4 AWG genannten, aber nur vorsätzliches Handeln erfassenden § 19 Abs. 2 AWG. Insoweit kommt allenfalls eine Einstellung aus Opportunitätsgründen nach § 47 OWiG in Betracht.
In den verbleibenden vier Fällen unwirksamer Selbstanzeigen führten unvollständige Angaben zur Unwirksamkeit. Eine erste Hilfestellung hinsichtlich der im Rahmen der Selbstanzeige zu machenden Angaben bietet der Erlass des BMF vom 12.2.2014, der zur Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung Hinweise zur Auslegung des § 22 Abs. 4 AWG gibt. Neben der Bezeichnung des Tatzeitraums bedarf es nach diesem – trotz grundsätzlicher Formfreiheit der Selbstanzeige – einer konkreten, die Bewertung ermöglichenden Beschreibung des Verstoßes durch Angabe der Zuwiderhandlung, des Handelnden und der konkreten Handlung.
Unsicherheiten bestehen weiterhin mit Blick auf die im Rahmen der Selbstanzeige ebenfalls darzustellenden, bereits getroffenen oder kurzfristig zu treffenden „angemessenen Maßnahmen zur Verhinderung von Verstößen aus gleichem Grund“. Welche Maßnahmen angemessen sind, wird in § 22 Abs. 4 AWG nicht näher präzisiert. Auch der Erlass des BMF verweist insoweit im Wesentlichen auf das pflichtgemäße Ermessen der Behörde, das auf der Grundlage der Darlegungen des Anzeigenden und unter Berücksichtigung der Art und des Umfangs der Verstöße auszuüben sei. Damit bleibt die Frage der erforderlichen aufbau- und ablauforganisatorischen Maßnahmen weiterhin eine insbesondere unter Berücksichtigung des betreffenden Verstoßes und der Unternehmensstruktur zu beantwortende Frage des Einzelfalles.
Wie die Anzahl der allein im Jahr 2014 erstatteten Selbstanzeigen anschaulich belegt, stärkt das Institut der außenwirtschaftsrechtlichen Selbstanzeige trotz der bestehenden Unsicherheiten nachhaltig den Willen exportierender Unternehmen zu unternehmensinterner Selbstkontrolle. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Selbstanzeige Unternehmen ermöglicht, ihre Mitarbeiter vor Kriminalisierung in solchen Fällen zu schützen, in denen diese sich rechtstreu verhalten haben, ihnen aber Arbeitsfehler unterlaufen sind. Darüber hinaus trägt das Institut auch zur Intensivierung des Dialogs zwischen Wirtschaft und Zoll bei. Es wäre wünschenswert, wenn dieser zukünftig auch hinsichtlich der „angemessenen Maßnahmen“ intensiviert und Unternehmen ggf. Gelegenheit zur Nachbesserung gegeben würde. Das würde das erfolgreiche Institut der außenwirtschaftsrechtlichen Selbstanzeige weiter stärken.
Dr. Hans-Joachim Prieß, LLM. (Indiana), RA, ist Partner der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in Berlin. Er ist auf den Gebieten des regulatorischen Gemeinschaftsrechts, insbesondere des Zoll- und Außenwirtschaftsrechts, tätig. Er ist Mitglied des Beirates des Europäischen Forums für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll sowie des Zentrums für Außenwirtschaftsrecht an der Universität Münster.