Dr. Ralph Oliver Graef: Was das Pippi-Langstrumpf-Urteil des BGH für Markeninhaber und die Merchandisingindustrie bedeutet
Der BGH hat nun zum zweiten Mal über den rechtlichen Schutz der Nachahmung der fiktiven Figur von Pippi Langstrumpf durch eine Abbildung von Pippi Langstrumpf auf einem Karnevalskostüm (mit roten abstehenden Zöpfen, Flickenhemd und geringelten Strümpfen) entschieden. Während der BGH in seiner ersten Entscheidung aus dem Jahr 2013 (BGH, 17.7.2013 – I ZR 152/12, GRUR 2014, 258 – Pippi Langstrumpf Kostüm I) geurteilt hatte, dass die fiktive Figur Pippi Langstrumpf als Sprachwerk i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG urheberrechtlich geschützt ist und die Figur eine „beachtliche Schöpfungshöhe“ besitze, machte er in der Entscheidung vom 19. November 2015 deutlich, dass der Romanfigur Pippi Langstrumpf auch wettbewerbliche Eigenart i. S. d. UWG zukommen kann (BGH, 19.11.2015 - I ZR 149/14 - Pippi Langstrumpf Kostüm II). Der BGH hat mit beiden Urteilen Rechtsgeschichte geschrieben, lässt am Ende aber bedauerlicherweise den konsequenten Schutz vermissen, da er in seinem urheberrechtlichen Urteil eine freie Bearbeitung i. S. d. § 24 UrhG annimmt und im aktuell entschiedenen UWG-Verfahren eine Verletzung des Wettbewerbsrechts nach § 4 Nr. 9 UWG bzw. der Generalklausel von § 3 UWG verneint.
Die Instanzgerichte hatten in den urheberrechtlichen Fragestellungen – wie auch zuvor in diversen Parallelverfahren das OLG Hamburg, das KG Berlin, das OLG Schleswig oder das OLG München (siehe hierzu Graef, Die fiktive Figur im Urheberrecht, ZUM 2012, 108) - keinen Zweifel, dass das abgebildete Mädchen nicht „Pippi Langstrumpf“ ist, aber Pippi Langstrumpf darstellen soll. Der BGH seinerseits hat im Falle von Pippi Langstrumpf zutreffend die Kombination von ausgeprägten Charaktereigenschaften und besonderen äußeren Merkmalen bejaht und ihr eine unverwechselbare Persönlichkeit zugesprochen. Zugleich hat er aber die Voraussetzungen für eine freie Benutzung verkannt. Weder verblasste die Figur Pippi Langstrumpf, wie von § 24 UrhG gefordert, noch lag eine „antithematische Auseinandersetzung“ mit der Figur durch den Discounter Penny vor. Jedem Betrachter war klar, dass es sich bei der abgebildeten Figur um Pippi Langstrumpf handeln sollte. Die vom BGH thematisierte - und letztlich ausschlaggebende - Parodie lag nicht vor. Diese Parodie sollte nach Ansicht des BGH darin liegen, dass die abgebildete Person lediglich in die Rolle von Pippi Langstrumpf schlüpfen wollte. Tatsache ist doch: Der Discounter hatte schlicht die Lizenzgebühren sparen wollen und Pippi Langstrumpf auf einem Pippi Langstrumpf Kostüm ohne Zahlung in rund 16,2 Millionen Prospekten und im Internet abgebildet. Mit Parodie hatte dies nichts zu tun. Die Merchandisingindustrie ist damit schwer getroffen. Figuren wie Harry Potter, Donald Duck, Bob der Baumeister oder Figuren aus der Star Wars Serie und andere Character können daher ohne großes Risiko auf Kostümeinlegern abgebildet und entsprechende Kostüme und Verkleidungen verkauft werden.
Der BGH hatte nun darüber zu entscheiden, ob neben den urheberrechtlichen Ansprüchen eine Verletzung des Wettbewerbsrechts nach § 4 Nr. 9 UWG bzw. der Generalklausel von § 3 UWG vorliege.
In seinem jüngsten Urteil zum UWG geht der BGH noch einen Schritt weiter und erlaubt schlechte Kopien. Als wären schlechte Kopien für den Rechteinhaber etwas weniger Schlimmes als gute Kopien. Die Instanzgerichte wie das OLG Köln hatten Pippi Langstrumpf eine „überragend hohe wettbewerbliche Eigenart“ zugestanden. Auch der BGH bejahte die wettbewerbliche Eigenart von Pippi Langstrumpf, war im vorliegenden Fall der Penny Kostüme aber der Meinung, es fehle an einer Nachahmung. An die Nachahmung einer Romanfigur durch Übernahme von Merkmalen, die wettbewerblich eigenartig sind, in eine andere Produktart, wie sie bei einem Karnevalskostüm gegeben ist, seien keine geringen Anforderungen zu stellen. Obwohl also allen Beteiligten – den Erben Astrid Lindgrens sowieso, aber auch dem Discounter Penny, den Instanzgerichten in diesem und den diversen Parallelverfahren sowie dem BGH - klar war, dass die abgebildete Person Pippi Langstrumpf darstellen soll, verneinte der BGH eine solche Übereinstimmung. Es bestanden nach Ansicht des BGH im Streitfall zwischen den Merkmalen, die die Romanfigur der Pippi Langstrumpf ausmachen, und der Gestaltung des Kostüms nur so geringe Übereinstimmungen, dass keine Nachahmung vorliege. Dies kann nicht widerspruchslos bleiben. Beim Character Merchandising geht es um Arbeitsergebnisse, die mit einem großen Aufwand an kreativer Phantasie und mit erheblichen finanziellen Investitionen hervorgebracht worden sind. Ein Character hat auf dem Markt nur dadurch eine Chance, dass in seine Bekanntheit erheblich investiert wurde. Merchandising-Artikel unbekannter Properties sind wertlos, sie werden nicht nachgefragt. Die Kinder wollen Produkte von Figuren, die sie kennen: Star Wars, Bob der Baumeister, Superman oder eben Pippi Langstrumpf. Der BGH selbst hat in seiner Entscheidung „Modeneuheit“ (Urteil vom 19.01.1973 – I ZR 39/71 – GRUR 1973, 478, 480) ausgeführt, der wettbewerbliche Vorsprung, der grundsätzlich dem gebühre, auf dessen Initiative das Muster zurückgehe, werde diesem abgeschnitten, und er werde um die Früchte seiner Arbeit gebracht, wenn Mitbewerber ihm in der gleichen Saison mit identischen oder nahezu identischen Nachahmungen – unter Einsparung der Entwurfskosten – Konkurrenz machten. Im vorliegenden Fall hätte der BGH einen wettbewerblichen Leistungsschutz beim „Character Merchandising“ gegen „Trittbrettfahrer“ bejahen müssen. Dass er es nicht getan hat, ist eine verpasste Chance, die Plagiateuren in die Karten spielt.
Dr. Ralph Oliver Graef, LL.M. (NYU), ist Managing Partner der Medienrechtskanzlei GRAEF Rechtsanwälte und Leiter des Teams Media & Entertainment Law. Die Kanzlei GRAEF Rechtsanwälte hat die Pippi Langstrumpf Verfahren vor den Instanzgerichten und dem BGH geführt.