Prof. Dr. Felix Buchmann: Verbraucherschutz vs. Verbraucherschutz – Widerrufsrecht beim Online-Matratzen-Kauf?
Wer eine Matratze kauft, möchte nicht, dass jemand anders oder vielleicht sogar mehrere Fremde zuvor darauf schon einmal ein paar Nächte verbracht haben. Sie soll exklusiv sein, unberührt, originalverpackt –eben neu. Der Gesetzgeber und die Gerichte schützen den Verbraucher, wenn sie ihn auch nur vor dem Gefühl bewahren, dass die von ihm erworbene Matratze möglicherweise schon in anderen Betten verwendet wurde.
Andererseits ist auch das Widerrufsrecht Teil des Verbraucherschutzes. Ein Verbraucher soll die Möglichkeit haben, die erworbene Ware zurückzusenden, wenn er sie getestet hat. Dies gründet sich darauf, dass der Verbraucher bei Distanzgeschäften die Ware vor dem Kauf nicht gesehen hat. Er soll sich von ihr also ein Bild machen können. Bemüht wird dabei immer wieder die Floskel, er soll die Ware „wie im Ladengeschäft“ prüfen können.
Die Vorstellung, durch ein Prüfrecht eine Gleichstellung zwischen einem Ladengeschäft und einem Online-Shop herstellen zu können, ist wohl das größte Missverständnis des E-Commerce überhaupt. Gesetzgeber und Rechtsanwender müssen akzeptieren, dass diese beiden Arten des Handels miteinander nichts zu tun haben und auch nicht vergleichbar sind oder gemacht werden können.
Am Beispiel der Matratze zeigt sich dies in aller Deutlichkeit. Ein Verbraucher möge in der Non-Food-Abteilung eines Discounters einmal die Frage äußern, ob er die Matratze in der Aktionsware probeliegen darf. Oder er soll bei einem der Matratzendiscounter den Wunsch äußern, eine Nacht auf einer Matratze im Ladengeschäft übernachten zu dürfen. Beides wird ihm abschlägig beschieden. Aber eine im Versandhandel erworbene Matratze soll er wie selbstverständlich in seinem eigenen Zuhause über Nächte hinweg testen dürfen, um sich dann gegen sie zu entscheiden? Möglicherweise untermauert mit dem Argument, dass es Ladengeschäfte gibt, die ihren Kunden Matratzen zum Testen mit nach Hause geben, wobei dies offensichtlich hochpreisige Händler sind? Schon hier wird deutlich: es gibt den stationären Handel nicht. Wir können hier also auch keine Vergleichbarkeit herstellen.
Die Frage nach dem Testen einer Matratze beschränkt sich auf zwei Kernfragen: Greift eine Ausnahme vom Widerrufsrecht, weil es sich um ein Hygieneprodukt handelt? Und welche Anforderungen müssen an das Siegel gestellt werden, das ein Verbraucher brechen muss, damit er sein Widerrufsrecht verliert? – Oder anders gesagt: Welcher Teil des Verbraucherschutzes überwiegt?
Unterstellt man die Tatsache als gegeben, dass niemand eine neue Matratze kaufen möchte, auf der schon ein oder mehrere andere zuvor geschlafen haben, so ist die Frage der Hygiene – die anders als der Gesundheitsschutz an einem subjektiven Maßstab zu messen ist – bereits beantwortet. Dadurch wird aber auch deutlich, dass die Anforderungen an ein Siegel nicht groß sein können und schon die Verpackung ausreichend sein muss. Denn wenn es so evident ist, dass man selbst nicht auf einer benutzten Matratze schlafen möchte, dann bedarf es keiner weiteren gedanklichen Anstrengung, dass eine Matratze nicht einfach ausgepackt, ins eigene Bett gelegt und wie Eigentum verwendet werden darf, um sie dann bei Nichtgefallen zurückschicken zu können.
Zum Schutze der Umsetzung der Vollharmonisierung der Verbraucherrechterichtlinie müssen diese Fragen dem EuGH vorgelegt werden, wozu der BGH in dem Verfahren VIII ZR 194/16 nun Gelegenheit hat. Abzuwägen sein wird dabei auch zwischen dem Recht des Einzelnen, mit dem Widerruf eine formale Rechtsposition auszuüben, und dem Vertrauen aller Verbraucherinnen und Verbraucher in den Markt.
Der Verfasser hat den Händler in den Vorinstanzen vertreten.
Prof. Dr. Felix Buchmann, RA/FA IT-Recht/FA Urheber- und Medienrecht, ist Partner der Sozietät SGT Rechtsanwälte in Stuttgart. Er forscht und lehrt an der Hochschule Pforzheim, wo er u.a. Mitglied des von Prof. Dr. Tobias Brönneke gegründeten Zentrums „Verbraucherforschung und nachhaltiger Konsum“ ist. Er ist ständiger Mitarbeiter der ebenfalls in der dfv Mediengruppe erscheinenden Fachzeitschrift Kommunikation & Recht.