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BB-Standpunkte
28.06.2018
BB-Standpunkte
Dr. Martin Lüderitz: Urlaubsrecht auf dem Prüfstand des EuGH – droht Schadensersatzpflicht für nicht genommenen Urlaub?

Seit jeher gibt es Streit um die Vergütung von nicht genommenen Urlaub. Aktuell liegen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gleich zwei bedeutende Fragen des deutschen Urlaubsrechts zur Klärung vor, die anhand der europäischen Urlaubsrichtlinie (RL 2003/88/EG) zu prüfen sind. Geht es nach dem Generalanwalt des EuGH, Yves Bot, droht deutschen Unternehmen eine erhebliche Änderung der bislang geltenden Rechtslage.

Die zentrale Frage im ersten Fall lautet, ob den Arbeitgeber selbst die Pflicht trifft, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer Urlaub nehmen. Bislang beantragen Arbeitnehmer in Deutschland ganz selbstverständlich von sich aus Urlaub, damit ihr gesetzlicher Anspruch auch tatsächlich erfüllt wird. Tun sie dies nicht, verfällt der Anspruch grundsätzlich zum Jahresende. Kommt es dann zum Ausscheiden aus dem Unternehmen, kann der Arbeitnehmer auch keinen Abgeltungsanspruch für den nicht beantragten Urlaub geltend machen.

Mehrere Landesarbeitsgerichte haben eine solche Verpflichtung des Unternehmens bejaht und Arbeitnehmern in der Konsequenz einen Schadensersatzanspruch zugesprochen, weil der Arbeitgeber den Urlaub nicht auf eigene Initiative gewährt hat. Da eine Pflicht Urlaub zu beantragen im Bundesurlaubsgesetz nicht geregelt ist, war offen, ob ein solcher Abgeltungsanspruch bei unterbliebenem Urlaubsantrag des Arbeitnehmers besteht.

Geklagt hatte unter anderem ein Arbeitnehmer, der Schadensersatz von seinem ehemaligen Arbeitgeber verlangte, obwohl er im maßgeblichen Kalenderjahr keinen Urlaub beantragt hatte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte Zweifel und legte die Frage dem EuGH vor, ob es eines Urlaubsantrags bedarf, damit der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums nicht ersatzlos untergeht. Generalanwalt Bot hat nun in seinen Schlussanträgen (Az. C-619/16 und C-684/16) empfohlen, dass nur, weil ein Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat, sein Anspruch auf Abgeltung nicht genommenen Urlaubs nicht verfällt. Er befürwortet eine korrespondierende Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers.

Dramatische Kehrwertwende im Urlaubsrecht für deutsche Arbeitgeber?

Sollten die Luxemburger Richter dem Antrag des Generalanwaltes folgen, hätte dies erhebliche Konsequenzen für das deutsche Urlaubsrecht. Es würde auch dann eine Schadensersatzpflicht für nicht genommenen Urlaub bestehen, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub nicht im maßgeblichen Jahr beantragt hat.

Für die Praxis stellt sich dann die Frage, wie Arbeitgeber dieser Schadensersatzpflicht entgehen können. Zwar weist der Generalanwalt darauf hin, dass sich Arbeitgeber entlasten können, wenn sie nachweislich alles ihnen Mögliche getan haben, um dem Arbeitnehmer den Urlaub zu gewähren. In der Umsetzung dieser Vorgabe ergeben sich daraus aber zahlreiche Detailprobleme. Arbeitgeber müssten künftig im laufenden Kalenderjahr prüfen, in welchem Umfang Arbeitnehmern noch Urlaub zusteht, ob sie diesen beantragt haben und die Arbeitnehmer womöglich daran „erinnern“, ihren Urlaubsanspruch geltend zu machen. Unklar ist auch, in welchem Maße Arbeitgeber zur Urlaubsgewährung auf Eigeninitiative verpflichtet sind; ob sie den Arbeitnehmer gewissermaßen sogar Urlaub zu einem bestimmten Zeitpunkt gewähren müssten.

Um einen beachtlich erhöhten Verwaltungsaufwand zu vermeiden, sollten Arbeitgeber prüfen, ob der Arbeitnehmer wirksam zur Antragstellung von Urlaub vertraglich verpflichtet werden kann und ob die Zeit für die Einführung (mitbestimmungspflichtiger) Urlaubsgrundsätze (Urlaubsplan) reif ist.

Vererbbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach Unionsrecht?

Im zweiten Fall geht es um die nur auf den ersten Blick klar zu beantwortende Frage des Schicksals eines Urlaubsabgeltungsanspruchs, wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund des Todes des Arbeitnehmers endet. Auch hier steht eine abschließende, höchstrichterliche Klärung aus. Nach Auffassung des Generalanwaltes haben die Erben in einem solchen Fall Anspruch auf die dem Arbeitnehmer zustehende Urlaubsabgeltung (Az. C-569/16 und C-570/16).

Das BAG stand bisher einer solchen Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs dagegen ablehnend gegenüber. Urlaub sei ein persönlicher Anspruch des Arbeitnehmers, der einzig seiner Erholung diene. Eine Vererbbarkeit nahm das höchste deutsche Arbeitsgericht deshalb nur an, wenn der Arbeitnehmer bereits vor seinem Tod ausgeschieden war, und ein Abgeltungsanspruch sich schon vermögensrechtlich manifestiert hatte.

Der EuGH hingegen hatte schon früher entschieden (Urt. v. 12.6.2014, Az. C-118/13), dass der Urlaubsanspruch ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Unionsrechts sei. Nach Auffassung des Generalanwalts handelt es sich beim Urlaubsanspruch um ein vollwertiges Unionsgrundrecht, weshalb eventuell entgegenstehendes deutsches Erbrecht unangewendet bleiben müsse. Gegenüber öffentlichen Arbeitgebern könnten sich danach Arbeitnehmer hierfür unmittelbar auf die Richtlinie, gegenüber privaten Arbeitgebern auf Art. 31 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta berufen.

Sofern der EuGH dieser Empfehlung des Generalanwalts folgt, hätten Erben deutscher Arbeitnehmer in aller Regel einen Abgeltungsanspruch, bemessen an dem noch verbleibenden Urlaubsanspruch. Für eine Reihe von Unternehmen bliebe diese Entscheidung jedoch ohne Folgen. Denn die Abgeltung ist nicht selten bereits gängige Praxis.

Dr. Martin Lüderitz leitet als Counsel die arbeitsrechtliche Beratung von Bryan Cave Leighton Paisner in Hamburg. Er berät seit vielen Jahren Unternehmen sowie nationale und internationale Konzerne in allen arbeitsrechtlichen Fragen. Er vertritt Arbeitgeber in komplexen individual- und betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten. Besondere Schwerpunkte sind die Beratung bei Umstrukturierungen, Betriebsübergängen sowie (Massen-)Entlassungen. Dr. Lüderitz nimmt Arbeitgeberinteressen gegenüber den Arbeitnehmervertretungen bei der Verhandlung von Betriebsvereinbarungen, in Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen sowie in Tarifverhandlungen wahr.

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