Dr. Artur M. Swierczok: Teilweise Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung
Als Reaktion auf die Folgen der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie wurde die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO durch das COVInsAG im März 2020 für die Geschäftsleiter von Unternehmen, vorerst bis zum 30.9.2020 ausgesetzt. Diese Aussetzung gilt jedoch nur für Unternehmen, die infolge der COVID-19-Pandemie insolvent (d. h. zahlungsunfähig und/oder überschuldet) geworden sind, jedoch Aussichten darauf haben, sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsangebote oder auf andere Weise zu sanieren (d.h. insbesondere ihre Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen).
Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung - für viele Beobachter nicht überraschend - beschlossen, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 31.12.2020 zu verlängern. Jedoch soll sich die Verlängerung nur auf Unternehmen erstrecken, die überschuldet sind, nicht auf Unternehmen die zahlungsunfähig sind.
Den von der Bundesregierung vorgelegten Formulierungshilfen für ein Verlängerungsgesetz lässt sich entnehmen, dass viele Unternehmen bei einer Rückkehr zu einer uneingeschränkten Insolvenzantragspflicht ab dem 30.9.2020 zur (sofortigen) Insolvenzantragsstellung gezwungen wären. Die Gründe hierfür seien vielfältig: Zum einen sei die COVID-19-Pandemie noch nicht überwunden, wie die immer wieder steigenden Infektionszahlen zeigen würden. Zum anderen sei auch bei der Impfstoffproduktion bisher kein Durchbruch gelungen. Diese Unsicherheiten führten auch weiterhin zu einer erheblichen Belastung des (weltweiten) Wirtschaftsgeschehens sowie zu einer unmittelbaren Insolvenzgefährdung zahlreicher Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund sei aus Sicht der Bundesregierung eine auf den Überschuldungstatbestand beschränkte Verlängerung der Insolvenzantragspflicht der richtige Schritt. Lediglich bei überschuldeten Unternehmen bestehe die Aussicht auf eine nachhaltige Sanierung, wodurch insbesondere Arbeitsplätze erhalten werden könnten. Angesichts der erheblichen Schwierigkeiten, die sich bei der Prüfung der „Fortbestehensprognose“ im Rahmen der Überschuldung (vgl. § 19 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 InsO) aufgrund der aktuellen Umstände ergäben, müsse diesen Unternehmen mehr Zeit gegeben werden. Anders sei dies bei Unternehmen, die es in den letzten Monaten trotz der Zuhilfenahme der (staatlichen) Hilfsprogramme nicht geschafft hätten, ihre Liquiditätssituation zu stabilisieren. Deren Fortführung sei eine Belastung des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs, die unterbunden werden müsse.
Die geplanten Änderungen sind zu begrüßen. Sie werden den weiterhin bestehenden, erheblichen Unsicherheiten bei der Beurteilung der Überschuldung gerecht und vermeiden, dass auch in Zukunft vorschnell Insolvenzanträge durch im Kern gesunde Unternehmen gestellt werden (müssen). Zudem verschaffen sie dem Gesetzgeber mehr Zeit, die in der Praxis ersehnte Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie voranzutreiben. Abhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung könnte diese ein weiteres Werkzeug für die nachhaltige Lösung von Überschuldungsproblemen werden.
Dr. Artur M. Swierczok, LL.M. (UCL), MSt. (Oxford), RA, ist als Senior Associate in der Kanzlei CMS Hasche Sigle in Frankfurt am Main im Bereich Restrukturierung & Insolvenz tätig. Daneben ist er Professor für Recht an der IUBH Internationale Hochschule (Fernstudium) sowie Lehrbeauftragter für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Hochschule Mainz im Studiengang Master of Taxation. Er ist zudem Mitglied des Herausgeberbeirats der international renommierten Fachzeitschrift International Corporate Rescue (ICR) und Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Restrukturierungs- und Insolvenzrecht.