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BB-Standpunkte
21.01.2019
BB-Standpunkte
Dr. Jens Freiberg: Stiefmütterlicher Umgang mit demographischen Annahmen bei Pensionsplänen in Deutschland und Großbritannien

2018 ließen sich zwei bedeutsame Erkenntnisse für die Höhe der künftigen Verpflichtung aus zugesagten Pensionsansprüchen gewinnen:

  • In entwickelten und wohlhabenden Ländern werden die Menschen immer älter, eine Pensionszusage wird damit immer teurer. Nach nunmehr 13 Jahren wurde für Deutschland eine weithin anerkannte Sterbetafel aktualisiert.

  • Mehr als doppelt so lange hat ein wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen in bestimmten Pensionsplänen im United Kingdom (UK) gebraucht. Nach nunmehr 28 Jahren schafft ein Urteil des High Court Klarheit für die gleichberechtigte Ausgestaltung von Pensionsplänen mit zugesagter Mindestrendite. Aus deutscher Sicht betroffen sind davon Pensionszusagen von Tochterunternehmen in Großbritannien.

Neben der realen Bedeutung, seitens des Unternehmens sind insgesamt mehr Auszahlungen zu leisten, ergeben sich unmittelbare Rückwirkungen für die Bilanzierung. In der abgelaufenen Periode ist sowohl für deutsche Pensionspläne als auch für Pläne in UK mit garantierter Mindestrendite (Guaranteed Minimum Pension) ein zu Periodenbeginn nicht antizipierter Anstieg zu verzeichnen.

Im Oktober 2018 wurden in Deutschland neue Richttafeln (RT 2018 G) für die Berechnung von Pensionsverpflichtungen aus betrieblichen Altersversorgungswerken veröffentlicht. Bestätigt wird, was eigentlich bereits bekannt war. Die Lebenserwartung in Deutschland steigt weiterhin an. Im Abgleich zur letzten Aktualisierung der Richttafeln in 2005 wird erstmals auch sozioökonomischen Faktoren (wer viel verdient, wird älter) Rechnung getragen. Im Rahmen der handelsrechtlichen Bilanzierung ist von einem Anstieg der Pensionsrückstellungen von 1,0% bis 2,0%, bezogen auf den erwarteten Stand zum Periodenende, auszugehen; die Differenz ist sofort aufwandswirksam zu stellen. Das deutsche Steuerrecht hat die neuen Richttafeln ebenfalls anerkannt, wegen der unterschiedlichen Bewertungsvorgaben fällt der Effekt insgesamt geringer aus (nur 0,5% bis 1,2% auf den bisherigen Verpflichtungsumfang) und ist überdies über drei Perioden zu verteilen. Nach IFRS stellt sich eine Erhöhung ein, die betragsmäßig dem handelsrechtlichen Zuwachs angenähert ist. Die Anpassung belastet aber nicht das Periodenergebnis, die geänderte Richttafel ist den versicherungsmathematischen Annahmen zuzurechnen, es liegt somit eine Schätzungsänderung vor (IAS 19.81), die im Other Comprehensive Income zu verrechnen ist. Die Unterschiede in der bilanziellen Abbildung zwischen den einzelnen Rechnungslegungssystemen sind bedeutsam. Rechtfertigung ist aber der viel zu lange Zeitraum für die Aktualisierung der demographischen Annahmen in Deutschland. Ein Fortschreiben einer Annahme über einen Zeitraum von 13 Jahren in vollständiger Ausblendung der Realität ist abzulehnen. Der Aufwand, der für finanzielle Annahmen, insbesondere den Rechnungszins, der lediglich über die Aufwandsverteilung, aber nicht die Gesamtbelastung entscheidet, betrieben wird, ist mindestens auch für demographische Faktoren erforderlich. Ein Festhalten an der aktuellen Richttafel über einen längeren Zeitraum ohne Aktualisierung scheidet aus. In der Konsequenz reduzieren sich auch die Abweichungen zwischen IFRS, HGB und Steuerrecht.

Nur einen Monat später wurde über ein Gerichtsurteil (endlich) auch Klarheit in einer sehr lange ausstehenden Rechtsfrage für Pensionspläne im UK geschaffen. Zwischen 1978 und 1997 bestand für Unternehmen im UK die Möglichkeit, aus dem staatlichen Rentenversicherungssystem auszutreten, wenn den Mitarbeitern eine garantiere Mindestrendite (GMP) zugesagt wurde. Für die Berechnung der GMP wurde auf das gesetzliche Rentenalter abgestellt, welches für Männer 65 Jahre und Frauen 60 Jahre betrug. Wegen des eklatanten Unterschieds wurde der Vorgehensweise bereits 1990 durch den Europäischen Gerichtshof im Barber-Urteil (17.5.1990 – C-262/88) eine Absage erteilt, eine Vorgabe für eine gleichberechtigte Mindestrendite aber nicht gegeben. Bestehende komplexe Leistungsformeln wurden daher – trotz eines Verstoßes gegen das Urteil zur Gleichberechtigung – in der Erwartung, ein Nachvollzug wäre mangels Transparenz nicht möglich, weitgehend fortgeführt. Zumindest drei Damen der Lloyds-Bankengruppe wollten sich damit nicht zufriedengeben und haben eine gerichtliche Klärung der Leistungsformel angestrengt. Im November hat der UK High Court die Unzulässigkeit der Leistungsformel festgestellt und eine Vorgabe zur Bestimmung einer gleichberechtigten Mindestrendite gemacht. Bestehende Rentenpläne im UK sind anzupassen, wenn die Leistungsformel nicht den Anforderungen an eine Gleichberechtigung genügt. Eine Erhöhung von 2% bezogen auf die bislang erfasste Verpflichtung ist zu erwarten. Für die bilanzielle Abbildung lassen sich zwei mögliche Vorgehensweisen unterscheiden:

  • Naheliegend ist eine Behandlung einer aufgrund des Urteils zusätzlich zu erfassenden Verpflichtung für eine bisherige Ungleichverteilung als Plan Amendment mit einer Rückwirkung von maximal 28 Jahren. In der Folge wäre dann erfolgswirksam in der abgelaufenen Berichtsperiode ein Past Service Cost für die Angleichung zu erfassen.

  • Alternativ kann aber auch eine Behandlung als Change in Accounting Estimate, somit eine Anpassung über das Other Comprehensive Income erfolgen. Voraussetzung ist, dass bereits in der bisherigen Bilanzierung der notwendigen Gleichbehandlung und damit einer Anpassung der Leistungsformel Rechnung getragen wurde. Notwendig ist aber ein Nachweis des Unternehmens über eine Dokumentation, die eine Einpreisung eines Anpassungsbetrags – unabhängig von dem erwarteten Wert, der also auch 0 Euro (oder GBP) betragen kann, bereits vor Urteils belegt.

Die Erfassung eines Einmalaufwands in laufender Rechnung für einen Ausgleich von falschen Berechnungen, die bis zu 28 Jahre zurückreichen können, wird dem Kapitalmarkt unabhängig von einer erfolgswirksamen Erfassung oder Berücksichtigung im Other Comprehensive Income nur schwerlich erklärt werden können.

Die aktuellen Änderungen in der Bilanzierung der betrieblichen (Alters-)Versorgungswerke in Deutschland und UK sind Ausfluss von Ereignissen, die lange in der Vergangenheit liegen und daher schon viel früher mit geringerer Auswirkung erfasst hätten werden können. Vergleicht man den Umgang mit den demographischen Annahmen mit dem finanziellen (Bewertungs-)Parameter Rechnungszins erschreckt der stiefmütterliche Umgang. Anders als für den Zinssatz, der wegen Niedrigzinsphase und daraus für das Handelsrecht folgender Zinsschmelze im Schrifttum hervorgehoben werden, fristen die demographischen Annahmen ein untergeordnetes Dasein. Das fortschreitende Alter und die Gleichberechtigung sind aber bedeutsamer, gerade weil beide die Verpflichtungshöhe beeinflussen.

Dr. Jens Freiberg, WP, ist Leiter der Zentralabteilung Rechnungslegung der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft am Standort Düsseldorf und Mitglied im Beirat des „Betriebs-Berater“.

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