Hans-Peter Huber: Steuerhinterziehung: Der mächtige Staat stellt (wieder) an den Pranger
„Ein Schandpfahl würde fundamentale Grundsätze des Rechtsstaates verletzen.“
Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung treibt bisweilen bizarre Blüten. In Frankreich hat die Nationalversammlung ein Gesetz verabschiedet, das es ermöglicht, Menschen, die dem Staat Steuern vorenthalten haben, öffentlich an den Pranger zu stellen. Ihre Namen werden im Internet veröffentlicht. Die Latte liegt niedrig, an den Pranger kommt, wer Geldbeträge von über 50.000 Euro nicht bezahlt hat.
Bitte stellen Sie sich einmal vor, in Ungarn würde ein Gesetz verabschiedet, demzufolge es der Staatsanwaltschaft ab sofort erlaubt ist, Täter, die wegen Betrugs oder Diebstahls oder Unterschlagung mit Werten über 50.000 Euro verurteilt wurden, im Internet zur Schau zu stellen. Ziemlich sicher wäre man sich einig, dass hier unter einem nationalistischen Präsidenten fundamentale Menschenrechte verletzt würden. Typisch Orban würde es heißen.
Ganz anders in Frankreich: Bürger, die das von Ihnen rechtmäßig erworbene Hab und Gut nicht in der vom Staat mit unterschiedlichen Begründungen festgesetzten Quote an diesen abführen, sondern versucht haben, ihr Geld für sich zu behalten und zu verwerten, werden öffentlich gedemütigt und als ehrlose Feinde des sozial wohltätigen Staates gebrandmarkt. Die einst in der französischen Revolution mühsamen erkämpften Menschenrechte haben hinter dem unbedingten Anspruch des Fiskalstaates zurückzustehen.
Der Pranger war über viele Jahrhunderte hinweg die öffentliche Zurschaustellung eines Verurteilten, dem damit jegliche öffentliche Ehre und Achtung abgesprochen wurde. In allen Ländern Europas kannte man die Einrichtung des Schandpfahles, an dem jemand festgebunden wurde (in Frankreich die so genannten Pilori). Teilweise wurden die vorzuführenden Individuen aber auch mit Händen und Beinen in einen so genannten Block geschlossen. In Deutschland ist der letzte Fall einer öffentlichen Zurschaustellung am Pranger für das Jahr 1853 nachgewiesen. Diese Form der Ächtung wurde von einer aufgeklärten Gesellschaft mehr und mehr als menschenunwürdige Folter betrachtet und beendet. Heute neigt man staatlicherseits wohl wieder dazu, die kostengünstigen Möglichkeiten des Internets auch dafür auszunutzen – wenn auch in etwas weniger drastischer Form.
In unserem Grundgesetz steht, „die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dennoch fragt man sich, ob es auch in Deutschland möglich sein könnte, dass staatliche Instanzen und damit natürlich auch unser Parlament mehr und mehr auf den Gedanken kommen könnten, das Internet als Schandpfahl zu nutzen. Nachdem uns der Staat und die Medien seit Jahren darüber belehrt haben, dass Steuerhinterziehung ein schlimmes Verbrechen ist und unnachsichtig verfolgt und bestraft werden muss, wäre der Boden für eine vergleichbare Regelung in Deutschland ja sicher schnell bereitet. Zu hoffen wäre freilich, dass das Bundesverfassungsgericht hier dann doch noch einen Riegel einschieben würde.
Denn Maßnahmen des Staates, Menschen als ehrlos in der Öffentlichkeit zu brandmarken, verletzen nicht nur die Würde jedes Menschen, sondern auch fundamentale Grundsätze des Rechtsstaates wie den der Verhältnismäßigkeit. Was will man mit solcher Maßnahme denn anderes erreichen, als die Herabwürdigung des Delinquenten? Der Staat weiß ja, wer der Steuerverbrecher war, und braucht vor ihm nicht mehr geschützt zu werden. Wir sollten dabei auch bedenken, dass der Pranger damals regional war, das Internet heute wäre global. Und es würde nie etwas vergessen.
Das Ziel einer Bestrafung, die Resozialisierung des Täters, führt der Pranger ad absurdum. Wer derartig vorgeführt wurde, dem bleibt nur noch der Weg nach unten. Denke ich dann an die sehr menschenfreundliche Entscheidung unseres Bundesverfassungsgerichts zu lebenslangen Freiheitsstrafen, dann schaudert es mich, mit welchen Argumenten man in unserem Nachbarland heute bereit ist, den Anspruch des Staates nach dem Geld seiner Bürger mit der Verletzung von Menschenrechten Nachdruck zu verleihen. Ich hoffe, dass unsere Verfassung, unser Grundgesetz und sein Hüter, das Bundesverfassungsgericht, uns noch viele Jahre davor bewahren werden, dass der Staat in derartig maßlose Exzesse verfällt, und Menschen als ehrlos und letztlich schutzunwürdig öffentlich darstellen darf.
Hans-Peter Huber ist Partner in der Kanzlei Tsambikakis & Partner in Berlin. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind die Beratung und Verteidigung im Wirtschaftsstrafrecht, bei Steuerstrafsachen und zum Berufsrecht der Freien Berufe. Hinzu kommen das Sanktionenrecht und die präventive Beratung, beispielsweise die Sicherung von StandBy-Anwälten bei kritischen Auslandsreisen. Darüber hinaus hat er sich auf die Beratung im Bereich der Compliance und die Begleitung von Internal Investigations, die Krisenberatung sowie die Vermittlung von Asset Tracing and Recovery Experten spezialisiert. Neben Internal Investigations innerhalb Deutschlands und der EU begleitete er auch internationale Untersuchungen, unter anderem in Russland und auf den Philippinen. Mehr zum Autor unter https://www.tsambikakis.com/team_detail/hans-peter-huber/