Dr. Heiner Hugger: Der Fall Middelhoff - Reisekosten, Sponsoring, Strafrecht und Compliance
Am 14.11.2014 hat das Landgericht Essen ein aufsehenerregendes Strafurteil gegen Dr. Thomas Middelhoff gefällt, der früher lange Jahre insbesondere Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann und zuletzt Vorstandsvorsitzender von Arcandor war, bevor der Handels- und Touristikkonzern in die Insolvenz ging. Außergewöhnlich großes Medieninteresse fand das Strafverfahren von Anfang an wegen der Prominenz von Dr. Middelhoff und bei Urteilsverkündung, weil der Vorsitzende Richter ihn noch im Gerichtssaal wegen angeblicher Fluchtgefahr in Untersuchungshaft nehmen ließ und auch das Verteidigungsverhalten während des Verfahrens mit ungewöhnlich deutlichen Worten kritisierte.
Gegenstand des Strafverfahrens gegen Dr. Middelhoff sind dem Grunde nach keine besonders außergewöhnlichen Fallkonstellationen, sondern die in der Praxis ständig auftretenden Fragen, welche Grenzen auch aus der Sicht des Strafrechts bei Reisekosten und Sponsoring zu beachten sind. Allerdings stellen sich diese Standardfragen im Zusammenhang mit nicht ganz gewöhnlichen Gesamtumständen. Konkret geht es in dem Verfahren gegen Dr. Middelhoff um angeblich privat veranlasste Flüge mit Charterflugzeugen unter anderem nach New York und Frankreich, um Helikopterflüge zwischen seinem Wohnsitz in Bielefeld und seinem Arbeitsplatz in Essen sowie um das Sponsern einer Festschrift für den Aufsichtsratsvorsitzenden von Bertelsmann, sämtlich auf Kosten von Arcandor. Das Landgericht hat ihn wegen Untreue (§ 266 Strafgesetzbuch) in 27 Fällen (26 Flüge und die Festschrift) mit einem angeblichen Gesamtschaden von 500 000 Euro und Steuerhinterziehung (§ 370 Abgabenordnung) in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Er hat Revision eingelegt, so dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.
Strafgerichte haben sich öfters mit Reisekosten oder Sponsoring zu befassen, teils in spektakulären, teils in unspektakulären Fällen. Zum Straftatbestand der Untreue wendet die Rechtsprechung dabei die allgemeinen Grundsätze an. Bei Reisekosten ist insoweit zu beachten, dass sie vor allem dienstlich veranlasst und darüber hinaus nicht unangemessen hoch sein sollten. Bei Sponsoring ist zu beachten, dass der Zuwendungszweck eine Nähe zum Unternehmensgegenstand aufweisen sollte, die Höhe der Zuwendungen im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage des Unternehmens angemessen sein sollte und die Zuwendung innerbetrieblich transparent sein und nicht der Verfolgung rein persönlicher Präferenzen einzelner Unternehmensverantwortlicher dienen sollte. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 in einem Grundsatzurteil auch klargestellt, dass nicht jedes pflichtwidrige Verhalten den Straftatbestand der Untreue erfüllt, sondern nur ein „evident" pflichtwidriges Verhalten, das wiederum regelmäßig bei „gravierenden" Pflichtverletzungen vorliegen soll. Im Hinblick auf den Straftatbestand der Steuerhinterziehung ist insbesondere Folgendes zu beachten: Eine Erstattung des privat veranlassten Anteils von Aufwendungen wie Reisekosten durch Unternehmen kann beim Empfänger als geldwerter Vorteil zu versteuern sein. Eine Anerkennung beim Unternehmen als Betriebsausgabe erfordert bei Reisekosten, dass sie betrieblich veranlasst sind, und bei Aufwendungen für Sponsoring zudem, dass mit ihnen ein wirtschaftlicher Vorteil für das Unternehmen angestrebt wird, der in der Sicherung oder Erhöhung des unternehmerischen Ansehens oder in einer Werbung für die Produkte des Unternehmens liegen kann.
Deutsche Unternehmen sollten vor diesem Hintergrund angemessene Regelungen für Reisekosten von Mitarbeitern jeder Hierarchieebene und für Sponsoring treffen. Zum Schutz der betroffenen Mitarbeiter sollten dafür klare und umfassende unternehmensinterne Richtlinien und Prozesse geschaffen werden. Um Risiken zu minimieren, empfiehlt es sich, Grenzbereiche nicht auszuloten, sondern bereits vorgelagerte „Pufferzonen" zu meiden. Die Betroffenen sollten nicht darauf vertrauen müssen, sich notfalls mit dem Argument verteidigen zu können, das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass nur evidente Pflichtverletzungen den Straftatbestand der Untreue erfüllen. Denn wann eine Pflichtverletzung evident ist, entscheiden im Ernstfall nicht betroffene Unternehmen und Mitarbeiter, sondern die deutschen Behörden und Gerichte, bei denen insofern andere Maßstäbe gängig sind und angelegt werden als in der Wirtschaft. Schließlich sollten Unternehmen ihre Steuerabteilungen umfassend einbinden und sicherstellen, dass betreffende Aufwendungen stets steuerlich korrekt behandelt werden.
Dr. Heiner Hugger, RA/FAStrR, ist Partner im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance. Er berät bei Ermittlungen, behördlichen oder gerichtlichen Verfahren, Compliance-Maßnahmen und allen sonstigen Fragen im Zusammenhang mit strafrechtlichen, ordnungswidrigkeitenrechtlichen oder sonstigen Sanktionen.