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BB-Standpunkte
21.09.2020
BB-Standpunkte
Dr. Thomas Lambrich: Privates Corona-Fehlverhalten: Hinreichender Grund für eine fristlose Kündigung?

Zunehmend werden die Arbeitsgerichte mit verschiedenen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie stehenden Rechtsfragen konfrontiert. Dabei dürfte insbesondere die Problematik im Vordergrund stehen, ob und inwieweit ein Verhalten, mit dem ein Mitarbeiter im privaten Bereich gegen geltende behördliche Vorgaben verstößt, arbeitsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen, insbesondere eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Mangels konkret einschlägiger höchstrichterlicher Entscheidungen fehlen insoweit rechtssichere Leitlinien, so dass zumeist nur die Orientierung an allgemeinen Rechtsprechungsgrundsätzen bleibt, um eine gewisse Vorhersehbarkeit sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zu erlangen. 

Inwieweit privates Verhalten eines Arbeitnehmers allgemein eine wirksame Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach sich ziehen kann, ist für die Praxis keine unbekannte Thematik. Insoweit gilt zunächst der Grundsatz der Trennung von betrieblichem und privatem (= außerbetrieblichem) (Freizeit-)Verhalten. In der Gestaltung seines privaten Lebensbereichs ist der Arbeitnehmer grundsätzlich frei; dieser muss außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers liegen. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn sich das private Verhalten des Arbeitnehmers negativ auf das Arbeitsverhältnis und den Betrieb auswirken kann. Auch außerhalb der Arbeitszeit treffen jeden Arbeitnehmer bestimmte Rücksichtnahmepflichten gegenüber dem Arbeitgeber. Umgekehrt obliegt dem Arbeitgeber eine allgemeine Pflicht, notwendige Schutzmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen. Hieraus kann sich ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an einem regelkonformen außerbetrieblichen Verhalten der Arbeitnehmer insoweit ergeben, als dieses einen Bezug zum Arbeitsverhältnis, insbesondere infolge etwaiger Gefahren und Risiken für andere Mitarbeiter und/oder Kunden, aufweist.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte das Arbeitsgericht Osnabrück den folgenden Sachverhalt zu entscheiden gehabt, wäre das Verfahren nicht durch Vergleich beendet worden (Az.: 2 Ca 143/20): Der Kläger war als Techniker bei der Beklagten beschäftigt. Während der Geltung des landesweiten Verbots von Versammlungen mit mehr als zwei Personen zu Beginn der COVID-19-Pandemie verschickte der Kläger ein Selfie von sich und fünf weiteren Männern in eine WhatsApp Gruppe; das Foto zeigte die Personen beim Kartenspielen in privater Umgebung unter Missachtung jeglicher Abstandsregelungen; es war mit dem Untertitel "Quarantäne bei mir" zusammen mit einem Tränen lachenden Smiley versehen. Kurz zuvor hatte die Beklagte ihre 25 Mitarbeiter in einer Betriebsversammlung über die notwendigen Sicherheitsbestimmungen zur Eindämmung der Pandemien informiert. Als die Beklagte von dem Verhalten des Klägers erfuhr, kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger legte Kündigungsschutzklage ein. Er hielt die fristlose Kündigung für unwirksam und begründete dies damit, dass es sich bei dem Bild und der entsprechenden Betitelung um einen Scherz gehandelt habe. Dies dürfte eine – allzu naheliegende – bloße Schutzbehauptung gewesen sein. Die Beklagte stützte sich daher in nachvollziehbarer Weise auf die Annahme, dass der Kläger die vermittelten Schutzmaßnahmen auch künftig nicht ernst nehmen und nicht beachten werde. Außerdem gelte es, im Betrieb beschäftigte Risikopersonen zu schützen. Im Vergleichswege einigten sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.8.2020 und die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 2 000 Euro. Ob das angerufene Arbeitsgericht das zu beurteilende außerdienstliche Verhalten des Klägers als geeignet angesehen hätte, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, bleibt daher im Dunkeln.

Basierend auf der gewachsenen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte muss dies im Ergebnis bezweifelt werden. Sicher ist, dass auch Verstöße gegen COVID-19-Schutzmaßnahmen weder pauschal noch in besonderer Weise einen geeigneten wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Notwendig ist wie stets eine Einzelfallbetrachtung. Zwar hat der Kläger durch die Missachtung der behördlich angeordneten Sicherheitsvorgaben in eindeutiger wie auch gravierender Weise gegen die ihm obliegenden Rücksichtnahmepflichten verstoßen; hinzu kommt, dass der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Risikominimierungspflicht und Schutzpflicht gegenüber den übrigen Mitarbeitern, insbesondere denjenigen einer Risikogruppe, umgehend reagieren musste. Dennoch dürfte zu erwarten sein, dass ein zur Entscheidung berufenes Gericht in einem solchen oder vergleichbaren Fall eine fristlose Kündigung (eher) für nicht verhältnismäßig halten dürfte, da im Zweifel dem Arbeitgeber das mildere Mittel der Abmahnung zur Verfügung gestanden hätte. Letzteres ist insbesondere dann vorrangig, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Arbeitnehmer in der Zukunft gleichartiges Fehlverhalten an den Tag legen wird. Entbehrlich ist eine Abmahnung umgekehrt dann, wenn der Arbeitnehmer nicht erwarten konnte, dass der Arbeitgeber sein Verhalten hinnehmen werde. Bei lebensnaher Betrachtung liegt Letzteres bei einem solch eklatanten Fehlverhalten wie demjenigen des Klägers im geschilderten Sachverhalt freilich näher, was dadurch verstärkt wird, dass dieser durch seine Einlassung, es sei ein Scherz gewesen, jede Ernsthaftigkeit vermissen lässt. Wenn die Beklagte im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Osnabrück nicht nur eine mehrmonatige Beendigungsfrist akzeptiert, sondern in einem verhaltensbedingten Fall gar eine Abfindung gezahlt hat, dürfte indes nicht nur Kostenminimierung, sondern auch eine empfunden überwiegende Unterliegenschance sie dazu veranlasst haben.

Damit bleibt die Frage, welche Möglichkeiten Arbeitgebern neben einer Abmahnung in der Hand haben, um auf nicht regelkonformes außerbetriebliches Verhalten ihrer Mitarbeiter in Corona-Zeiten zu reagieren. Zu erwägen ist eine unbezahlte Freistellung bis zum Nachweis eines negativen Testergebnisses oder bis zum Ablauf einer entsprechenden Quarantäne. Eine solche Maßnahme entspricht der gesetzlichen Regelung bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, nach welcher der Entgeltfortzahlungsanspruch nur besteht, wenn den Arbeitnehmer hinsichtlich dieser kein Verschulden trifft. Das Bundesarbeitsgericht spricht in diesem Zusammenhang von einem "Verschulden gegen sich selbst". Ein solches wird auch dann bejaht und dementsprechend ein Entgeltfortzahlungsanspruch verneint, wenn sich Arbeitnehmer bewusst in Risikogebiete begeben und sich dort mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 infizieren.

Dr. Thomas Lambrich ist Rechtsanwalt der BEITEN BURKHARDT Rechtsanwaltsgesellschaft mbH am Standort Hamburg.

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