Dr. Maximilian Ott: Paukenschlag des EuGH – das Ende von Investitionsschiedsverfahren
Der EuGH hat entschieden: Investitionsschiedsverfahren sind zumindest dann unzulässig, wenn sie auf einem unionsinternen Investitionsschutzabkommen basieren, also einem solchen zwischen zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Davon betroffen sind zahlreiche der momentan geführten Verfahren mit einem Streitwert im Milliardenbereich; im Vattenfall-Verfahren wurde sogar die Urteilsverkündung verschoben. Unklar ist, ob damit zugleich das Ende jeglicher Investitionsschiedsgerichtsbarkeit eingeleitet wurde, sofern dabei zumindest ein Mitgliedstaat involviert ist; die Argumentation des EuGH spricht allerdings dafür. Eine Änderung könnte der Investitionsgerichtshof bringen.
Weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 6.3.2017 – C-284/16 – eine enorm wichtige Entscheidung für die Rechtspraxis getroffen. Die zuletzt stark angestiegene Zahl von Investitionsschiedsverfahren mit ihren oftmals exorbitanten Streitwerten dürfte mit einem Schlag zusammenbrechen. Denn zumindest aus unionsinternen Abkommen dürfen keine Schiedsverfahren mehr geführt werden; vielmehr haben entsprechende Streitigkeiten vor den staatlichen Gerichten geführt zu werden.
Bei den meist bilateral abgeschlossenen Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaty, BIT) handelt es sich um völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten, die Direktinvestitionen ausländischer natürlicher oder juristischer Personen in einem fremden Staat rechtlichen Schutz bieten, insbesondere gegen eigentumsbeeinträchtigende Maßnahmen wie entschädigungslose Enteignungen, sowie die Investoren vor Diskriminierung schützen und das Gebot der fairen und gerechten Behandlung festlegen.
Auf Basis solcher unionsinterner Investitionsschutzabkommen werden momentan zahlreiche innereuropäische Schiedsverfahren geführt.
Auf eine Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs, der über die Wirksamkeit eines Schiedsspruchs eines niederländischen Investors gegen die Slowakei entscheiden muss, hat der EuGH nun entschieden, dass entsprechende Schiedsverfahren keine Wirkung entfalten. Die Mitgliedstaaten sind nicht befugt, sich außerhalb des durch die EU-Verträge geschaffenen Rechts- und Rechtsprechungssystem zu binden; denn insbesondere die Auslegung des Unionsrechts sei originäre Aufgabe der staatlichen Gerichte einschließlich des EuGH (Artt. 2, 19, 267, 344 AEUV) – Schiedsgerichte seien hingegen nicht als Gericht eines Mitgliedstaates einzustufen und sie könnten daher auch nicht den EuGH anrufen.
Es handelt sich dabei zugleich um eine der wenigen Entscheidungen des EuGH, bei denen die Richter von den Schlussanträgen des Generalanwalts abgewichen sind.
Auf Grund der Vorlagefrage hat der EuGH nur über unionsinterne Investitionsschutzabkommen entschieden. Es dürfte jedoch kaum überraschen, wenn er auch solche Investitionsschutzabkommen entsprechend bewertet, bei denen nur ein Mitgliedstaat betroffen ist. Damit dürften auch die derzeit verhandelten Handelsabkommen, wie beispielsweise TTIP oder CETA, vor neuen Herausforderungen stehen.
Spannend ist zudem die Übertragbarkeit auf Ansprüche im Zusammenhang mit dem Vertrag über die Energiecharta. Dazu gehört die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Atomausstiegs mit einem Streitwert von 4,7 Mrd. Euro. Auch Spanien ist massiv betroffen, nachdem die Subventionen für Solarstrom reduziert wurden. Die Klägeranwälte sind der Meinung, dass sich das EuGH-Urteil nicht übertragen lasse, u. a. weil die Europäische Gemeinschaft selbst Mitglied des Vertrages sei. Nach den klaren Aussagen der EuGH-Richter dürfte dies allerdings nur der verzweifelte Versuch sein, die bereits laufenden Verfahren noch zu retten. Es spricht viel dafür, dass sich das EuGH-Urteil auch auf diese Verfahren übertragen lässt. Das Schiedsgericht im Vattenfall-Verfahren hat daher nun sogar den Verkündungstermin verschoben und die Parteien zur Stellungnahme aufgefordert. Soweit zu hören ist, ringt die verklagte Bundesrepublik allerdings noch mit einem entsprechenden Vortrag zur Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens; auch wenn dies zur sofortigen Klageabweisung führen dürfte, würde die Bundesregierung sich insoweit widersprechen, als dass sie eigentlich ein Befürworter der Schiedspraxis ist und natürlich auch Investoren nicht abschrecken will. Ob dies ausreichend ist, um nicht alle Möglichkeiten einer Klageabweisung auszuschöpfen, erscheint mehr als zweifelhaft, zumal es um Milliarden Steuergelder geht, deren Schutz der Bundesregierung obliegt.
Eine Änderung könnte in Zukunft der Investitionsgerichtshof mit sich bringen. Angestrebt wird dabei die Schaffung einer ständigen Einrichtung für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten und damit eine Abkehr von der Ad-hoc-Investor-Staat-Streitbeilegung. Der multilaterale Investitionsgerichtshof würde bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit künftigen und bestehenden Investitionsabkommen entscheiden. Auch hierfür dürfte allerdings eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) notwendig sein.
Für die betroffenen Parteien ist nun sicherzustellen, dass sie ihre Ansprüche aus laufenden oder beabsichtigten Verfahren anderweitig durchsetzen. Bereits verurteilte Staaten hingegen müssen versuchen, ergangene Schiedssprüche anzugreifen.
Unternehmen sollten immer dann prüfen, ob mögliche Ansprüche bestehen, wenn sie im Ausland investiert haben und der Meinung sind, durch dortige Maßnahmen (z.B. Gesetzesänderungen oder Behördenanweisungen) geschädigt zu werden.
Die gute Nachricht zuletzt: Auf die Handelsschiedsgerichtsbarkeit sind keine unmittelbaren Auswirkungen zu erwarten.
Dr. Maximilian Ott ist Principal Associate bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Eversheds Sutherland in München. Sein Schwerpunkt liegt in der Führung und Beilegung komplexer Streitigkeiten vor staatlichen Gerichten ebenso wie vor internationalen Schiedsgerichten.