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BB-Standpunkte
21.07.2017
BB-Standpunkte
Dr. Dimitri Slobodenjuk: „Offen, aber nicht naiv“ – Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung

Am 18.7.2017 trat eine deutliche Verschärfung der Investitionsprüfungen nach der Außenwirtschaftsverordnung in Kraft (sog. 9. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung). Auch wenn die Bundesregierung die Verschärfung offiziell „mit Blick auf die Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen in deutsche Unternehmen, die stetig wachsende Bedeutung versorgungsrelevanter Schlüsselinfrastrukturen und die rüstungstechnologische Entwicklung der vergangenen Jahre“ rechtfertigt, dürften insbesondere die steigenden Investitionen aus Asien den Anstoß für die Verordnungsänderung gegeben haben.

Die Änderungen betreffen zum einen die sog. sektorübergreifende Prüfung nach §§ 55–59 AWV. Der Verordnungsgeber versucht, nunmehr das Prüfungskriterium der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik zu konkretisieren, und führt beispielhaft aus, welche Technologien in den sachlichen Anwendungsbereich fallen sollen. Dies sind zum einen sog. „Kritische Infrastrukturen“, die Einrichtungen in den Sektoren Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen betreffen. Der sachliche Anwendungsbereich soll sich aber auch auf die branchenspezifische Software, Überwachungsmaßnahmen, Cloud-Computing-Dienste und Produkte der Telematikinfrastruktur erstrecken. Insgesamt bleibt die Terminologie jedoch vage.

Durch die Änderungsverordnung wird ferner eine Meldepflicht für sämtliche in den Anwendungsbereich der sektorübergreifenden Prüfung fallenden Transaktionen eingeführt. Dies ist insoweit von Bedeutung, als nach der alten Regelung das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) das Prüfungsrecht innerhalb von drei Monaten nach dem Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags bzw. nach der Veröffentlichung eines Übernahmeangebots ausüben konnte. Nach der neuen Regelung beginnt dagegen die dreimonatige Frist erst ab entsprechender Kenntniserlangung. Die Meldepflicht soll die rechtzeitige Kenntniserlangung sicherstellen.

Die Parteien haben zwar nach wie vor die Möglichkeit, die dreimonatige Frist durch einen Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung zu verkürzen. Jedoch hat der Verordnungsgeber die Prüfungsfrist im Falle eines entsprechenden Antrags von bisher nur einem Monat auf nunmehr zwei Monate erweitert. Damit gibt es keinen Gleichlauf mehr mit der Monatsfrist des Bundeskartellamtes, was bisher die Transaktionsplanung vereinfachte. Sollte das BMWi ein vertieftes Prüfungsverfahren nach § 59 Abs. 1 AWV einleiten, verlängert sich die Prüfungsfrist von bisher weiteren zwei auf nunmehr vier Monate ab dem Zeitpunkt der Einreichung vollständiger Unterlagen. Hinzu kommt, dass das BMWi hinsichtlich der Vollständigkeit einen breiten Ermessensspielraum für sich beansprucht.

Auch der Anwendungsbereich der sektorspezifischen Prüfung nach §§ 60–62 AWV wurde erweitert. Die Meldepflicht erstreckt sich nunmehr auf bestimmte Güter nach der Ausfuhrliste, wie etwa Bild- oder Ausbildungsausrüstung für militärische Zwecke. Ferner hat der Verordnungsgeber auch hier die Prüfungsfristen erweitert. Die Prüfungsfrist beträgt nunmehr in einem ersten Schritt drei Monate anstatt wie bisher nur einen Monat. Sollte das BMWi eine vertiefte Prüfung einleiten, beträgt die Prüfungsfrist weitere drei Monate, während bisher auch für die vertiefte Prüfung eine Monatsfrist vorgesehen war.

Es bleibt abzuwarten, wie die neue AWV in der Praxis angewendet wird. Auch wenn „Offenheit“ nicht zwangsläufig einen Ausverkauf heimischer Industrien bedeuten muss, darf der Umstand, dass man „nicht naiv“ ist, keinen Protektionismus zur Folge haben. Fest steht jedoch, dass die Planung von Transaktionen nunmehr deutlich erschwert wird.

Dr. Dimitri Slobodenjuk, LL.M., ist Counsel im Düsseldorfer Büro der Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance. Er berät Unternehmen aus verschiedenen Industriesektoren zum europäischen bzw. deutschen Kartellrecht, insbesondere im Hinblick auf Fusionskontrolle, Kartell- und Missbrauchsverfahren, Compliance sowie Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen. Er ist außerdem auf außenwirtschaftsrechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen spezialisiert.

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