Prof. Dr. Hans Nieskens: Neues zur umsatzsteuerlichen Organschaft durch den EuGH, Urt. v. 16.7.2015 in der verb. Rs. C-108/14 – Larentia + Minerva und C-109/14 – Marenave – Was soll das?
Die deutschen Regelungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft finden sich in § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG und verlangen als Organträger eine juristische Person und im Verhältnis zum Organträger ein Unterordnungsverhältnis. Diese Sichtweise stimmt, wie der EuGH in der verb. Rs. Larentia, Minerva und Marenave nunmehr auf Vorlage des BFH entschieden hat, nicht mit der unionsrechtlichen Regelung in Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL überein. Ausgehend vom Wortlaut der unionsrechtlichen Regelung und gestützt durch den Grundsatz der Rechtsformneutralität kann jede Person, also auch eine nicht rechtfähige Personenvereinigung, Gemeinschaft oder Partnerschaftsgesellschaft, Organgesellschaft sein. Die vom BFH in ständiger Rechtsprechung geforderte Über- und Unterordnung zwischen Organträger und Organgesellschaft setzt unionsrechtlich lediglich eine „enge Verbundenheit“ zwischen den beteiligten Organgesellschaften voraus, die zwar bei einer Über- und Unterordnung gegeben sei, diese aber eben nicht zwingend voraussetze. Zwar hat der EuGH diese Wertung unter den Vorbehalt gestellt, dass die nationale Sichtweise nicht der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken und der Vermeidung von Steuerhinterziehung und –umgehung dient. Der BFH hat aber bei seiner Vorlage bereits deutlich gemacht, dass er diesen Vorbehalt unter Berücksichtigung der nationalen Regelung als „fernliegend“ betrachte.
Damit stände eigentlich einer Neubewertung der Organschaftsvoraussetzungen im nationalen Umsatzsteuerrecht nichts mehr im Wege. Alleine bleibt fraglich, wie die unionsrechtliche Sichtweise, so wie der EuGH sie sieht, Eingang in das nationale Recht finden soll. Es bieten sich nur zwei Wege an: Zum einen der sog. Anwendungsvorrang, also eine Berufungsmöglichkeit des Steuerpflichtigen unmittelbar auf das Unionsrecht. Diesen Weg hat der EuGH auf Nachfrage des BFH aber ausdrücklich in seiner Entscheidung verbaut. Der nationale Gesetzgeber habe erst noch die vom Unionsrecht aufgestellten Voraussetzungen präzisieren müssen. Deshalb könnten die Aussagen in Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL keine unmittelbare Wirkung entfalten. Damit bleibt zum anderen nur noch der Weg der sog. richtlinienkonformen Auslegung, also der unionsrechtlichen Auslegung und Interpretation der nationalen Voraussetzungen. Diese richtlinienkonforme Auslegung findet ihre Grenze aber stets am eindeutigen Wortlaut des nationalen Gesetzes und genau diesen sieht der BFH in seiner Vorlage als nicht interpretierbar an.
Was also bleibt? Lehnt der BFH – wie angekündigt – eine richtlinienkonforme Auslegung ab, bleibt letztlich alles beim Alten, wohl wissend, dass die nationale Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG nicht unionskonform ist. Es bliebe nur der Ruf nach dem Gesetzgeber, ein Ruf, der in der Weite des Föderalismus wohl verhallen wird. Richtigerweise sollte der BFH in Kenntnis der Divergenz zwischen Unionsrecht und nationalem Umsatzsteuerrecht § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG (gesetzeswortlaut-)abändernd rechtsfortbilden. Aber Vorsicht: Ob die Praxis damit glücklicher ist, bleibt erst noch abzuwarten. Richtlinienkonforme Auslegung, auch als Rechtsfortbildung, gewährt kein Wahlrecht, weder in die Organschaft, noch aus der Organschaft heraus. Der Praktiker ist mit seiner Gestaltung – Organschaft ja oder nein – letztlich alleine vom richterlichen Votum abhängig. Ob dies der Praktiker unter Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit versteht, darf mehr als bezweifelt werden.
Für eine detaillierte Analyse des Urteils siehe im aktuellen Heft, BB 2015, 2078 ff.
Prof. Dr. Hans Nieskens, RA/StB, Vorsitzender UmsatzsteuerForum e. V., Freising/Köln