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BB-Standpunkte
14.04.2014
BB-Standpunkte
Prof. Rolf Rattunde: Konzerne in der Insolvenz

Immer flexibler wird das Insolvenzrecht, und sanierungsfreundlicher dazu. Gerade gewöhnt sich die Wirtschaft an den eigenverwaltenden Unternehmer, der seine Sanierung ohne Insolvenzverwalter betreibt und, durch Beschluss seiner Gläubiger allein, sogar seine Shareholder restrukturieren kann. Jetzt legt die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf zur Reform des Konzerninsolvenzrechts nach. Gleichzeitig arbeiten Europäische Kommission und Europäisches Parlament an einer parallelen Änderung der europäischen Insolvenzrechtsverordnung zur Konzerninsolvenz.

Die gute Nachricht zuerst: Dass jedes Unternehmen seine eigene Insolvenz erleidet, wird nicht verändert. Einen Konzerndurchgriff, die Zusammenfassung aller Vermögensteile und Gläubiger in einer Gesamtinsolvenz, wird nicht eingeführt. Für Konzernarchitekten, die Shareholder und Stakeholder, bleibt das Recht auch in der Krise verlässlich. Niemand muss befürchten, seine Haftungsmasse an andere zu verlieren.

Stattdessen soll, im Inland und europaweit, ein Koordinierungsverfahren eingerichtet werden, mit dem die Zusammenarbeit der verschiedenen Gerichte und Verwalter verbessert werden soll. Hauptsächlich aber geht es um die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte und damit um die Macht der von ihnen eingesetzten Insolvenzverwalter. Konnte bisher theoretisch jedes Konzernunternehmen sein eigenes Insolvenzgericht, seinen eigenen Insolvenzverwalter und damit sein eigenes Schicksal haben, so soll es zukünftig regelmäßig den Gruppen-Gerichtsstand geben. Damit wird eines der zuständigen Gerichte für den gesamten Konzern zuständig und der von diesem bestellte Insolvenzverwalter dies auch für alle Konzernunternehmen. Praktisch wird gegenwärtig häufig ebenso verfahren, doch zukünftig wird die Konzernstruktur so auch rechtlich perpetuiert. Dazu passt, dass die europäische Reformvorschrift einem (ausländischen) Insolvenzverwalter eines internationalen Unternehmens weitaus größere Macht im Inland verschaffen soll, als nach der bisherigen Rechtslage. Er wird jetzt auch Inlandsvermögen verwerten dürfen und kann in das Inlands-Sekundärverfahren eingreifen. Auch hier soll eine - unterstellte - sanierungsfeindliche Zersplitterung vermieden werden.

Für den Konzerngerichtsstand soll es in den deutschen Flächenländern jeweils nur ein spezielles Insolvenzgericht geben. Bisher stand der Föderalismus einer Reduzierung der Insolvenzgerichte auf wenige, an großen Standorten konzentrierte, spezialisierte und erfahrene Gerichte im Wege. Für Konzerninsolvenzen ergäbe sich so eine Konzentration durch die Hintertür.

Aber die entscheidende Bedeutung für die Wirtschaft liegt in der zukünftigen Planbarkeit des zuständigen Gerichts für den gesamten Konzern. Und weil nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung von Unternehmen (ESUG), das gerade seinen zweiten Geburtstag feiert, dem Insolvenzrichter die Insolvenzverwaltung oder die Eigenverwaltung wirksam vorgeschlagen werden kann, liegt darin zugleich auch die Planbarkeit der gewählten Verfahrensarten und der Verwalterperson. Sogar der zuständige Richter soll derselbe bleiben; alle anderen deutschen Gerichte, bei denen eine Konzernfirma Insolvenz anmelden könnte, sollen an ihn verweisen. Und für die Auswahl des zuständigen Gerichts wird es, von gleichzeitigen Insolvenzen abgesehen, auf den zuerst gestellten Antrag ankommen.

Für kriselnde Konzerne und ihre Berater bedeutet dies, dass sie in der Auswahl des für sie zuständigen Richters oder Insolvenzverwalters weitgehende Planungsmöglichkeiten haben. Andererseits kann aber auch ein Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen, und der durch diesen veranlasste vorläufige Insolvenzverwalter dann einen Zuständigkeitsantrag für den Konzern. Brachte das ESUG die Möglichkeit des Wettkampfs unterschiedlicher Beteiligter um die richtige Verwalterperson, so brächte das neue Konzerninsolvenzrecht eine solche Möglichkeit für die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte.

Mehr denn je wird für alle Beteiligten einer Konzernsanierung gelten, möglichst frühzeitig Konzepte zu erarbeiten, und: möglichst frühzeitig Insolvenzanträge zu stellen. Die Wachsamkeit der Beteiligten und ihre Initiative werden immer mehr gefordert.

Das wird zukünftig auch für die Aufmerksamkeit der Insolvenzgerichte selbst und die des Gesetzgebers gelten. Wo Wahlmöglichkeiten bestehen, entstehen Missbrauchsmöglichkeiten. In den USA beklagen Rechtswissenschaftler die Konzentration der meisten Großinsolvenzen auf nur wenige, eigentlich auf zwei Gerichte (New York und Delaware), die sich durch möglichst "weiches" Recht gleichsam in einem Wettbewerb befänden. Und dem Europäischen Parlament geht es bei der Reform der Insolvenzrechtsverordnung eher um die Verhinderung eines Forum Shopping, wenn neuerdings verlangt wird, dass der zuständigkeitsbegründende Mittelpunkt des wirtschaftlichen Interesses (COMI) schon lange vor der Insolvenzantragstellung bestanden haben müsse. Auch der nationale Gesetzgeber wird mit der Missbrauchsangst konfrontiert werden. Sie hätte auch beinahe das ESUG verhindert. Aber wer nichts wagt, der nichts gewinnt, dass gilt für den Gesetzgeber wie für die Berater in Krisensituationen. Die Insolvenzrechtsreform, die mit dem ESUG vielversprechend begann, war die erste Stufe, die jetzt im Sommer in Kraft tretende Reform des Restschuldbefreiungsverfahrens für den Menschen ist seine zweite. Mit Abschluss der dritten Stufe, der Konzerninsolvenz, hat der Gesetzgeber sein Programm erledigt. Wissenschaft, Praxis und Wirtschaft können sich dann auf Kontinuität einstellen.

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