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BB-Standpunkte
05.09.2016
BB-Standpunkte
Jens Berger: IFRS 15 – Wolf im Schafspelz?

Viel wird über den neuen internationalen Standard IFRS 15 zur Umsatzlegung geschrieben. Nuancen werden analysiert, (vermeintliche) Paradigmenwechsel postuliert, Änderungsbedarf erkannt. Und auch wenn einige Unternehmen und Branchen große Aktivität entfalten, scheint das Gros der Bilanzierer dem neuen Standard entspannt entgegenzusehen.

Diese Gelassenheit bereitet offenkundig den Wertpapieraufsehern und deren Enforcement-Stellen zunehmend Unbehagen. Wenig überraschend haben zum Jahresende 2015 sowohl die European Securities and Markets Authority (ESMA) als auch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) in ihren Prüfungsschwerpunkten auf die Notwendigkeit einer frühzeitigen Kommunikation im Abschluss hinsichtlich der etwaigen Auswirkungen des neuen Standards hingewiesen. Interessanter ist jedoch die Stellungnahme von ESMA, die im Juli dieses Jahres veröffentlicht wurde. Hier fordert die ESMA noch einmal mit Nachdruck die Unternehmen auf, den Kapitalmarkt über die Auswirkungen von IFRS 15 frühzeitig und umfassend zu informieren. Dies umfasst sowohl qualitative als auch quantitative Informationen. Nach Ansicht der ESMA ist davon auszugehen, dass mit fortschreitender Umsetzung von IFRS 15 Informationen über die Auswirkungen der Anwendung verlässlich einschätzbarer werden und die Emittenten schrittweise mehr unternehmensspezifische qualitative und quantitative Informationen in ihren Abschlüssen offenlegen können. Die meisten Emittenten dürften die Auswirkungen der erstmaligen Anwendung von IFRS 15 bei der Aufstellung der Zwischenabschlüsse 2017 kennen oder verlässlich schätzen, damit sie IFRS 15-konforme Bilanzierungsmethoden zum 1.1.2018 umsetzen können. Verlässlich schätzbare quantitative Informationen dürfen in früheren Abschlüssen nicht deshalb unterbleiben, weil die tatsächlichen Zahlen in den Abschlüssen der erstmaligen Anwendung hiervon abweichen.

Was erwartet die ESMA nun konkret?

–   Informationen über die bei der erstmaligen Anwendung auszuübenden Bilanzierungswahlrechte,

–   eine Zerlegung der Gesamtauswirkung nach Art (Höhe, zeitlicher Anfall der Erlöse oder beides) pro Erlösstrom,

–   entsprechende Erläuterungen, um die Änderungen im Vergleich zu den bisherigen Erlösvorschriften deutlich zu machen,

–   Aufzeigen der Auswirkungen auf das Risikomanagement und alternative Leistungskennzahlen (alternative performance measures, APM) zu erläutern.

 

Die ESMA stellt sich – in Abhängigkeit v. a. der Wesentlichkeit der Auswirkungen – folgenden „idealen“ Zeitplan vor:

Abschluss 2016

–     Eine ausführliche Beschreibung und Erläuterung, wie die Grundkonzepte des IFRS 15 für die einzelnen Erlösströme umgesetzt werden. Sofern einschlägig, sind die Unterschiede zum derzeitigen Vorgehen aufzuzeigen.

–     Darlegung des Zeitplans für die Umsetzung von IFRS 15 einschließlich der geplanten Nutzung von Erleichterungen beim Übergang.

–       Sofern bekannt oder verlässlich schätzbar, eine Quantifizierung der möglichen Auswirkung der Anwendung von IFRS 15. Falls nicht, entsprechende zusätzliche qualitative Information, um die Auswirkung auf den Abschluss deutlich zu machen.


Zwischenabschluss 2017

Auch wenn der Standard zur Zwischenberichterstattung IAS 34 keine spezifischen Angaben fordert, ist die ESMA der Ansicht, dass Unternehmen – sofern wesentlich – ein Update der im vorigen Konzernabschluss gegebenen Informationen vornehmen sollten. Dies könnte insbesondere in den folgenden Fällen notwendig sein:

–   Das Unternehmen erwartet eine wesentliche Auswirkung aus der Anwendung von IFRS 15, konnte aber im Abschluss 2016 keine verlässlichen Informationen geben. Entsprechende quantitative Informationen werden vor Veröffentlichung des Zwischenabschlusses 2017 verfügbar.

–   Das Unternehmen kann – verglichen mit den Angaben im Abschluss 2016 – im Zwischenabschluss 2017 wesentlich spezifischere Informationen bereitstellen.

Abschluss 2017

Da die Abschlüsse 2017 nach dem Inkrafttreten von IFRS 15 veröffentlicht werden, sollten Unternehmen in der Lage sein, eine quantitative Beurteilung der Auswirkung von IFRS 15 auf ihren Abschluss zum 1.1.2018 geben zu können. Daher erwartet ESMA, dass die Abschlüsse 2017 eine Darstellung der quantitativen Auswirkung von IFRS 15 enthalten und die Änderungen zu den nach IAS 11 und/oder IAS 18 berichteten Beträgen erläutern, sachgerecht aufgeteilt. Weiterhin sollten die in vorigen Abschlüssen enthaltenen Angaben unter Berücksichtigung der tatsächlichen Implementierung von IFRS 15 weiter fortentwickelt und ausgearbeitet sein.

Woher kommt die Nervosität? Scheinen doch die Praktiker in vielen Fällen keinen Handlungsbedarf zu erkennen. Zum einen ist sicherlich eine Einstandsvermutung, dass durch den Wechsel der konzeptionellen Grundlage weg von einem Risiko-Chancen-Ansatz (IAS 18) hin zu einem Kontrollkonzept (IFRS 15) sich der Zeitpunkt und ggf. die Verteilung der Umsatzerlöse ändern werden. Daneben ist beachtlich, dass in jedem der nach IFRS 15 notwendigen fünf Beurteilungsschritte für die Umsatzlegung sich im Detail Änderungen ergeben können. Es können Nuancen sein, ggf. auch „unvorsichtige“ Formulierungen in Verträgen, die das Erlösrealisierungsmuster erheblich ändern. Dazu kommt auch, dass die Anhangangaben durch IFRS 15 deutlich ausgeweitet haben. Daten sind neu zu generieren, neu zu kombinieren und Reportingstrecken anzupassen. Dies alles muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass die Erlöserfassungssysteme – und -prozesse i. d. R. zu den „empfindlichen“ Elementen in einem Unternehmen gehören.

Was für Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?

  1. IFRS 15 betrifft ein elementares Gebiet der Rechnungslegung – die Umsatzrealisierung. Schon allein dies erklärt die Nervosität vieler Stakeholder.
  2. Die Vorschriften haben sich geändert – ob dies zu materiellen Auswirkungen führt, ist stark branchen- und unternehmensspezifisch.
  3. Es ist unklug, nach dem Bauchgefühl oder auf Basis oberflächlicher Analysen davon auszugehen, dass es keine wesentlichen Änderungen durch IFRS 15 geben wird. Zumal der Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen ist und aufmerksam beobachtet werden sollte.
  4. Nur eine ausreichende Analyse der fachlichen Anforderungen sowie daraus abgeleitet der notwendige Anpassungsbedarf an Prozesse, Daten und Systeme kann Gewissheit schaffen.
  5. Die Zeit für solche Analysen und Implementierungen wird immer knapper – ein Blick auf die Zeitschiene zeigt, dass nicht einmal 1,5 Jahre verbleiben, um die IFRS 15-Konformität. sicherzustellen. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Umsatzlegung auch in Zukunft im Fokus der Aufsichtsbehörden und Enforcement-Stellen bleiben wird.

Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Frankfurt a. M. und Leiter des deutschen IFRS Centre of Excellence.

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