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BB-Standpunkte
17.05.2018
BB-Standpunkte
Stefan Skulesch: Gewerbesteuer für Veräußerungsgewinne – BVerfG senkt Vertrauensschutz deutlich

Die Gesetzeslage erscheint auf den ersten Blick widersinnig: Erzielt ein Mitunternehmer, der keine natürliche Person ist, bei Verkauf seines Mitunternehmeranteils einen Veräußerungsgewinn, wird die Gewerbesteuer auf den Gewinn nicht bei ihm erhoben, sondern bei der Personengesellschaft. Die Personengesellschaft zahlt also die Gewerbesteuer des ausscheidenden Mitunternehmers. Genau diese Rechtsfolge sieht seit 2002 § 7 Satz 2 Nr. 2 GewStG vor. Intention des Gesetzgebers war dabei, Missbrauchsgestaltungen zu vermeiden.

Praktisch gesehen dürfte diese Vorschrift heute kein Problem mehr sein. Jeder M&A-Anwalt sollte wissen, dass sich durch entsprechende Steuerfreistellungsbestimmungen in Kaufverträgen eine einseitige Steuerbelastung der Mitunternehmerschaft vermeiden lässt. Schon bei der Gestaltung des Gesellschaftsvertrages kann ein Ausgleich des Steueraufwands zwischen Gesellschaftern und Gesellschaft vorgesehen werden. Die Steuerlast dem ausscheidenden Mitunternehmer zuzuordnen, der den Veräußerungsgewinn vereinnahmt, erscheint auch sachgerecht.

Dass sich das Bundesverfassungsgericht trotzdem mit der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift beschäftigen musste, war aber eher den exotischen Umständen des Gesetzgebungsverfahrens und dem unglücklichen zeitlichen Ablauf des Verkaufsprozesses geschuldet. Im Februar 2002 veräußerten die Kommanditisten der namhaften Brauerei Beck ihre Kommanditanteile. Bereits im Jahr 2001 wurde § 7 Satz 2 GewStG mit Wirkung zum 1. Januar 2002 eingeführt, aber vor der erstmaligen Anwendung durch ein weiteres Gesetzgebungsverfahren versehentlich wieder außer Kraft gesetzt. Der Gesetzgeber behob diesen Fehler im Juli 2002 rückwirkend zum 1. Januar 2002. Die Brauerei klagte gegen die Festsetzung der Gewerbesteuer.

Neue Grundsätze zum Vertrauensschutz und zur Rückwirkung von Gesetzen

Mit Urteil vom 10. April 2018 (Az. 1 BvR 1236/11) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass weder die Vorschrift an sich noch ihre Rückwirkung verfassungsrechtlich bedenklich seien. Während die Ausführungen der Karlsruher Richter zu den Fragen des Gleichheitsgrundsatzes und zum Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit wenig überraschend ausfielen, sind dagegen die Stellungnahmen zum verfassungsmäßigen Vertrauensschutz und der Rückwirkung von Gesetzen beachtlich und auch für künftige Verfahren zu beachten.

Entscheidend für die Zulässigkeit der Rückwirkung ist das Vertrauen der Gesellschafter auf die bestehende Rechtslage und dessen Schutzwürdigkeit. Als maßgeblichen Zeitpunkt, ab welchem das Vertrauen des Steuerpflichtigen nicht mehr schützenswert sei, qualifizierten die Richter nicht erst die Einbringung des Gesetzes in den Bundestag, sondern bereits die Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundesrat. Dies ist überraschend, da die Absicht erkennbar ist, für den Vertrauensverlust bereits an den frühestmöglichen Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens anzuknüpfen. Dies widerspricht der üblichen Praxis, da nach Zuleitung an den Bundesrat in der Regel noch eine Vielzahl von Änderungen erfolgen, falls das Gesetz überhaupt in Kraft tritt.

Außerdem spielte das „missglückte“ erste Gesetzgebungsverfahren keine Rolle. Vielmehr wurde zwischen den Verfahren im Jahr 2001 und im Juli 2002 eine Einheit angenommen, die bereits im Jahr 2001 jeglichen Vertrauensschutz entzogen hatte. Hier bleibt festzuhalten, dass dem Steuerpflichtigen, der im Februar 2002 von einer Steuerfreiheit ausgehen durfte, einseitig die gesetzgeberische Fehlleistung zum Nachteil gereicht.

Besonders beachtenswert ist jedoch, dass der Gesetzesentwurf von 2001 noch alle natürliche Personen von der Steuerpflicht ausnahm, unabhängig von einer direkten oder indirekten Beteiligung. Erst mit der „Nachbesserung“ im Juli 2002 wurde die Steuerfreiheit auf eine direkte Beteiligung an der Mitunternehmerschaft beschränkt. Karlsruhe argumentierte hier, dass das Vertrauen sich nicht auf einen bestimmten Gesetzestext beziehe, sondern lediglich auf den Fortbestand der alten Rechtslage.

Mit dieser sehr weitgehenden Interpretation stellen sich die Verfassungsrichter gegen ihr eigenes Urteil aus dem Jahr 2010 zur rückwirkenden Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze bei Kapitalanteilen von 25 auf 10 Prozent. Seinerzeit stellte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit fest, soweit davon Gewinne betroffen waren, die bis zur Verkündung hätten steuerfrei realisiert werden können. Der Sachverhalt lag nicht komplett anders, da zum Zeitpunkt der dinglichen Übertragung im Februar 2002 einerseits die vorgesehene Steuerpflicht wieder gekippt wurde, und andererseits deutlich weitergehende Konstellationen von der Steuerfreiheit umfasst waren.

Letztlich haben die Karlsruher Richter eine Verschärfung der Rechtslage zulasten der Steuerpflichtigen verursacht, deren konkrete Auslegung bei Sachverhalten mit Rückwirkungscharakter in der Zukunft noch zu beachtlichem Diskussionsbedarf führen wird.

 

Stefan Skulesch ist Notar, Rechtsanwalt, Steuerberater, Of Counsel im Frankfurter Büro der Wirtschaftskanzlei Bryan Cave Leighton Paisner. Sein Tätigkeitsspektrum umfasst die dauerhafte steuerrechtliche Begleitung von Unternehmen bei komplexen nationalen und grenzüberschreitenden Sachverhalten. Im Vordergrund stehen multinationale M&A-Transaktionen sowie gestaltende Fragestellungen bei geplanten Umstrukturierungen. Info: www.bclplaw.com

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