Prof. Dr. Wolfgang Jäckle: Geschäftsherrenmodell bei § 299 StGB – „Ja“ oder „Nein“?
Nach langen Jahren eines tiefen Dornröschenschlafs tut sich beim Gesetzgeber etwas in Sachen Korruptionsbekämpfung: Vor etwas mehr als einem Jahr wurde der Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung (heute: Mandatsträgerbestechung) verschärft und damit das Tor zur inzwischen erfolgten Ratifikation des UN-Abkommens gegen Korruption geöffnet. Derzeit, und zwar gleichfalls zum Zweck der Erfüllung internationaler Verpflichtungen, ist die Wirtschaft an der Reihe: Art. 7 und 8 des Europarat-Übereinkommens über Korruption wie auch Art. 2 Abs. 1 des EU-Rahmenbeschlusses zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor verlangen eine Änderung des Straftatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) dergestalt, dass das sog. Geschäftsherrenmodell normativ verankert wird; Art. 21 UN-Korruptionsabkommen spricht eine dahingehende praktisch wortgleiche Empfehlung aus. Nachdem 2007 ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf dem Diskontinuitätsgrundsatz zum Opfer gefallen war, liegt nunmehr zu dem Thema der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.1.2015 auf dem Tisch.
Dem unverändert bleibenden, historisch betrachtet im UWG wurzelnden und im internationalen Vergleich eine Außenseiterposition einnehmenden Wettbewerbsmodell (Abs. 1 Nr. 1) soll als neue Tatvariante das Geschäftsherrenmodell zur Seite gestellt werden (Abs. 1 Nr. 2). Unter diesem versteht man eine Regelung, bei der der Vorteil die Gegenleistung für eine Verletzung einer seitens des Angestellten oder des Beauftragten gegenüber dem Unternehmen bestehenden Pflicht darstellt (Unrechtsvereinbarung).
Da traditionell in Deutschland bei der Wirtschaftskorruption als geschütztes Rechtsgut jedoch der faire Wettbewerb angesehen wird, empfinden Teile der Wissenschaft und Praxis die geplante Neuerung als einen Paradigmenwechsel, und kritisieren ihn entsprechend heftig. Ein häufig zu hörendes Argument ist, dass das zur Verfügung stehende zivil- und arbeitsrechtliche Instrumentarium die Vermögensinteressen des Betriebsinhabers bei einer Pflichtverletzung bereits ausreichend schütze, so dass es des Schwerts des Strafrechts gar nicht bedürfe. Jedenfalls aber seien nicht überwindbare Dissonanzen mit dem Untreuetatbestand des § 266 StGB zu befürchten.
Diese Argumentationslinien greifen zu kurz, weil sie keinerlei Bezüge zur Ebene des EU-Rechts herstellen. Wie Kubiciel (ZIS 2014, 667, 670) überzeugend ausführt, hat sich gemäß den Grundsätzen der „Pupino“-Entscheidung des EuGH die Gesetzesinterpretation so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck eines EU-Rahmenbeschlusses zu orientieren. Das demzufolge erforderliche Abstellen auf die Erwägungsgründe (http://db.eurocrim.org/db/de/doc/187.pdf) liefert die notwendige Abgrenzungsschärfe zu § 266 StGB: Dort (Nr. 9) heißt es, Bestechung im privaten Sektor verzerre den Wettbewerb im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen und hemme eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung. Folgerichtig findet sich im geplanten Gesetzestext auch bezüglich § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB die Einschränkung, wonach die Pflichtverletzung bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen geschehen muss. Die gebotene unionsrechtskonforme Auslegung führt daher zu dem Ergebnis, dass es eben nicht (wie bei der Untreue) primär, sondern allenfalls reflexartig um den Schutz des Vermögens des Unternehmens geht. Der Verweis auf das Zivil- und Arbeitsrecht liegt somit gleichfalls neben der Sache.
Wird das Geschäftsherrenmodell Wirklichkeit, werden – dieser Hinweis erscheint wichtig – vorsätzlich begangene Verstöße gegen die inzwischen weit verbreiteten Corporate-Compliance-Vorschriften potentiell dann ins Blickfeld staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen geraten, wenn ihr Zweck in dem Schutz des Wettbewerbs besteht. Inkonsequent, vielleicht aber auch nur nicht genügend durchdacht, erscheint nach all dem, dass der Gesetzgeber den neuen § 299 StGB nicht im Wege einer Änderung des § 301 StGB als Offizialdelikt ausgestalten will. Angesichts der weiten Verbreitung, welches das Geschäftsherrenmodell (wenn auch in unterschiedlichen Varianten) in zahlreichen EU-Staaten gefunden hat, darf resümierend festgehalten werden, dass das Vorhaben einen wichtigen Schritt hin zur Selbstverständlichkeit darstellt, wonach ein einheitlicher Wirtschaftsraum nach einer Harmonisierung des Standards strafbarer Korruption ruft. Würde jetzt noch die Verantwortlichkeit der juristischen Personen des privaten Rechts im Strafgesetzbuch verankert, und ein Bundes-Korruptionsregistergesetz geschaffen, so könnte das deutsche Korruptionsstrafrecht international endlich den Rang einnehmen, der ihm gebührt.
Prof. Dr. Wolfgang Jäckle ist Leiter der AG Politik von Transparency International Deutschland e.V. und war Sachverständiger bei der Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses zur Mandatsträgerbestechung.