Prof. Dr. jur. Walter Frenz: Europa konfus à la CETA?!
Am 30.10.2016 wurde das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada doch noch unterzeichnet. Beim ersten vorgesehenen Termin hatte der kanadische Ministerpräsident Trudeau den für 27.10.2016 geplanten Gipfel zur Unterzeichnung des CETA-Abkommens mit der Europäischen Union abgesagt, da sich die Region Wallonien auch nach langen Gesprächen am 26.10.2016 außerstande sah, das Abkommen mitzutragen. Noch am 27.10.2016 haben sich die belgischen Regionalpolitiker untereinander geeinigt, welche Nachforderungen sie an das Handelsabkommen stellen wollen. Das wallonische Parlament stimmte zu. Damit war die Tür wieder offen. Auch die 27 anderen Mitgliedstaaten und vor allem Kanada zogen mit.
Beinahe wäre schon am Samstag, dem 22.10.2016, die kanadische Handelsministerin Freeland aus Brüssel abgereist. Der wallonische Ministerpräsident Magnette hatte es abgelehnt, der Ratifikation des CETA-Abkommens zwischen Kanada und der Europäischen Union zuzustimmen. Seine Zustimmung war notwendig, weil der belgische Zentralstaat sie allein nicht erteilen konnte, sondern hier die Regionen einbeziehen musste. Die Mitgliedstaaten ihrerseits waren zu beteiligen, weil die Kommission zwar zunächst ihre ausschließliche Außenhandelszuständigkeit reklamierte, indes auf Proteste der Mitgliedstaaten und von NGOs die Mitgliedstaaten formal einbezog.
Nach der ablehnenden Haltung Walloniens sprach Bundeswirtschaftsminister Gabriel schon vorletztes Wochenende davon, dass die Welt kopfschüttelnd auf Europa schaut. Dabei hatte er selbst auch größte Mühe, das CETA-Abkommen in seiner Partei zustimmungsfähig zu machen. Das wallonische Parlament hat grundsätzliche Bedenken sozialer Natur sowie im Hinblick auf die Erhaltung von Umweltschutzstandards. Nunmehr haben sich die belgischen Regionalpolitiker auf gemeinsame Nachforderungen verständigt. Damit ging es durchaus noch um Inhalte. EU-Parlamentspräsident Schulz redete am 22.10.2016 sowohl mit der kanadischen Handelsministerin und brachte sie nach einem gemeinsamen Frühstück davon ab, abzureisen, als auch mit dem wallonischen Ministerpräsidenten. Allerdings betonte er, dass die Verhandlungen abgeschlossen seien und der Ball nun bei Europa liege.
Auch nach der Einigung der belgischen Regionen vom 27.10.2016 wurden nicht etwa die Inhalte des Abkommens mit Kanada nochmals neu verhandelt. Formal wurden Auslegungsfragen geklärt. Diese gehen allerdings in ein verbindliches Zusatzdokument ein, welches das Verständnis des Vertragstextes festlegt.
Dieser Prozess und die damit verbundene Gefährdung des Abkommens mit Kanada zeigen, welche Probleme die Einbeziehung der Mitgliedstaaten in die EU-Handelspolitik birgt. Dabei besteht eigentlich eine ausschließliche EU-Zuständigkeit für die Handelspolitik. Diese sollte gerade umfassend auf ausländische Investitionen ausgedehnt werden. Unternehmens- und Portfolioinvestitionen sind schwer voneinander abgrenzbar. Vor allem bedürfen beide des Eigentumsschutzes. Dieser ist damit als durch die Handelspolitik abgedeckt anzusehen (etwa Herrmann, EuZW 2010, 207, 210 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 6, 2011, Rn. 5043; a. A. Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 14 f.). Gerade darauf zielt auch das CETA-Abkommen. Ebenso wird die internationale Schiedsgerichtsbarkeit erfasst, welche in Eigentumsfragen angerufen werden kann. Dagegen wandte sich der wallonische Ministerpräsident Magnette zwar entschieden und sah darin ein „Grundübel“ (FAZ Nr. 247 v. 22.10.2016, S. 6). Indes halten internationale Konzerne diesen Weg für unabdingbar, wie sogleich in Auseinandersetzung mit der BVerfG-Entscheidung vom 13.10.2016 deutlich wird. Im CETA-Abkommen ist vorgesehen, für Streitigkeiten erst eine Schiedsgerichtsbarkeit zu bilden. Die belgischen Regionen verlangten im Rahmen der geforderten Zusatzerklärung, dass dieser nur Personen mit Qualifizierung für höchste Richterämter angehören dürfen; zudem darf keine Abhängigkeit von Wirtschaftsunternehmen bestehen. Es soll eine fallunabhängige Bezahlung erfolgen. Insoweit können aber noch nähere Details festgelegt werden, weil die Schiedsgerichtsbarkeit von der vorläufigen Anwendbarkeit des CETA-Abkommens nicht umfasst ist (FAZ Nr. 254 v. 31.10.2016, S. 15).
Auch über die Frage der Schiedsgerichtsbarkeit wird damit die Außenhandelspolitik Europas gemacht. Soll dies effektiv und reibungslos geschehen, muss gerade eine ausschließliche Zuständigkeit befürwortet werden. Diese nützt dann auch den Mitgliedstaaten und den Regionen, wenn nämlich der Welthandel vorangetrieben werden kann und darüber Arbeitsplätze geschaffen werden, die hohen Arbeitslosenquoten wie in Wallonien entgegenwirken.
Aus diesem Grund ist es unabdingbar, dass die EU tatsächlich ihre ausschließliche Vertragsschlusskompetenz nach Art. 3 Abs. 1 lit. e), 2 AEUV wahrnimmt. Dies hätte auch bei CETA geschehen müssen. Umso wichtiger ist, dass dieser Weg bei TTIP, dem Abkommen mit den USA, beschritten wird. Ansonsten droht dieses erst recht an den Schwierigkeiten zu scheitern wie nunmehr CETA. Beispiel dafür ist die Haltung in der SPD, welche CETA zwar zähneknirschend zustimmte, aber TTIP gerade als anderen Fall ansieht. Bundeswirtschaftsminister Gabriel differenzierte hier sehr klar, um die Zustimmung für CETA zu bekommen. Umso wichtiger ist, dass die EU-Kommission dann ihre eigene ausschließliche Zuständigkeit wahrnimmt und gerade im Hinblick auf TTIP verteidigt. Soweit Kompetenzgrenzen fraglich sind (näher Tamm/Tonner, EWS 2016, 198), besteht die Möglichkeit der Abtrennung.
Der Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien bezeichnete in einem Interview vom 27.10.2016 auf N24 das Vorgehen bei CETA schon als Warnschuss und verlangte die Einbeziehung hoher sozialer und ökologischer Schutzstandards auch bei TTIP. Entweder die Europäische Union und auch die USA akzeptieren diesen Weg – oder aber TTIP scheitert ebenfalls an der notwendigen Zustimmung Belgiens auf der Basis des Einvernehmens der Regionen. Auch TTIP ist damit abhängig vom Wohlwollen Walloniens, der Hauptstadtregion Brüssel und der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens – Flandern war hingegen von Anfang an für CETA. Damit hängt nunmehr die Außenhandelspolitik der Europäischen Union vom Einverständnis einiger Regionen ab. Dies kann schwerlich auf Dauer so bleiben, wenn auch andere Staaten für internationale Handelsabkommen gewonnen und mit Verlässlichkeit zur Vertragsunterzeichnung geführt werden sollen. Es sollte ein Rechtsgutachten des EuGH eingeholt werden, jedenfalls wenn nicht Karlsruhe im Hauptsacheverfahren zum CETA-Abkommen vorlegt, am besten aber möglichst bald, um eine abschließende Klärung zu erhalten.
Vor diesem Hintergrund ist auch die neueste Entscheidung des BVerfG vom 13.10.2016 (2 BvE 3/16 u.a.) bedenklich, auch wenn sie nur im einstweiligen Rechtsschutz erging. Das Gericht sprach der Europäischen Union eine umfassende Außenhandelskompetenz im Hinblick auf das CETA-Abkommen ab, nicht zuletzt, weil nach Art. 345 AEUV der Eigentumsschutz den Mitgliedstaaten zugewiesen ist. Dabei hat es allerdings nicht die notwendige Kombination von Investitionen in anderen Mitgliedstaaten und der Sicherung des Eigentums dort über internationale Abkommen bedacht. Mag zwar grundsätzlich der Eigentumsschutz den Mitgliedstaaten obliegen, ist doch der Eigentumsschutz für internationale Investitionen gerade unter dem Blickwinkel des Außenhandels zu betrachten. Staatenübergreifende Investitionen werden nur dann getätigt, wenn auch der Eigentumsschutz wirksam eingefordert werden kann. Aktuell zeigt sich dies bei dem Verfahren des Staatskonzerns Vattenfall vor dem internationalen Investitionsschiedsgericht in Washington im Hinblick darauf, dass dieser seine Investitionen in Atomkraftwerke durch den Ausstieg nach dem Fukushima-Unfall in Japan im März 2011 praktisch entwertet sieht und daher eine Enteignungsentschädigung geltend macht. Dies könnte er nicht effektiv, wenn nicht die internationale Schiedsgerichtsbarkeit insofern etabliert wäre. Genau dies möchte auch das CETA-Abkommen wie im Übrigen das TTIP-Abkommen.
Daher hat das BVerfG praktisch der EU-Außenhandelspolitik die Effektivität genommen. Das widerspricht seiner grundsätzlich integrationsoffenen Haltung im OMT-Urteil vom 21.6.2016 (2 BvE 13/13 u.a.) und lässt wiederum aufkommen, dass das BVerfG die EU-Kompetenzen eher restriktiv interpretiert. Von daher muss es auch die Frage der EU-Außenhandelskompetenz wie schon die Frage nach der Möglichkeit des OMT-Beschlusses der Europäischen Zentralbank erst dem EuGH vorlegen, um dort die für sich selbst letztlich maßgebliche Auslegung zu erhalten und dann nochmals über die Frage und Reichweite der EU-Außenhandelskompetenz zu befinden. Dazu hat es auch noch im Hauptsacheverfahren Gelegenheit, ging es doch bisher nur um einstweiligen Rechtsschutz.
Der Außenhandel ist ein sensibler Bereich, der nicht durch innereuropäische Schwierigkeiten und Konflikte geprägt werden darf. Die Europäische Union darf in diesem wichtigen Feld nicht zum unzuverlässigen Partner werden. Das gilt auch bei einer formalen Einbeziehung der Mitgliedstaaten in TTIP.
Prof. Dr. jur. Walter Frenz ist seit 1997 Professor für Berg-, Umwelt- und Europarecht an der RWTH Aachen University. Er ist Verfasser eines sechsbändigen Handbuchs zum Europarecht, Bd. 2 zum Kartellrecht, 2. Aufl. 2015, in Engl. 2016 (Handbook of EU Competition Law).