Europäische Kommission: Erste Beihilfenrückforderungsbeschlüsse im Rahmen groß angelegter Unternehmensbesteuerungsuntersuchung gefasst
Am 21.10.2015 hat die Europäische Kommission ihre ersten beiden Beschlüsse in der breit angelegten Untersuchung der Unternehmensbesteuerungspraxis der Mitgliedsstaaten erlassen. Die ab Juni 2014 eröffneten förmlichen Beihilfenprüfverfahren beziehen sich neben den jetzt entschiedenen Verfahren in Bezug auf Fiat (Luxemburg) und Starbucks (Niederlande) zudem auf Steuervorbescheide an Apple (Irland) und Amazon (ebenfalls Luxemburg), sowie die belgische Regelung für Gewinnüberschüsse. Die beihilfenrechtlichen Untersuchungen sind Teil einer breiteren Strategie der Kommission zur Reform der Unternehmensbesteuerung in der EU, um sie „fairer, effizienter und wachstumsfreundlicher“ zu machen. Neben den erwähnten formellen Verfahren hat die Kommission seit Dezember 2014 an alle Mitgliedstaaten, auch Deutschland, Auskunftsersuchen zu Unternehmensbesteuerungen gerichtet, deren Rücklauf zurzeit detailliert untersucht wird. Mit der Eröffnung weiterer Verfahren ist zu rechnen.
Die Beschlüsse der letzten Woche betreffen Fiat Chrysler Finance Europe S.A. (FCF) in Luxemburg und Starbucks Manufacturing EMEA BV („Starbucks Manufacturing“) in den Niederlanden. Die beiden Unternehmen hatten in Bezug auf die anzuwendenden Verrechnungspreise für bestimmte Leistungsbeziehungen innerhalb der Fiat und Starbucks Konzerne mit den luxemburgischen, beziehungsweise niederländischen Steuerbehörden Vereinbarungen getroffen (sog. Advance Pricing Agreements, „APAs“). Die Kommission war mit den in den APAs verwendeten Methoden nicht einverstanden und kam zu dem Schluss, dass die APAs die Steuerlast der beiden Unternehmen künstlich verringert haben.
Durch diese und die noch zu erwartenden Beschlüsse scheint die Kommission Präzedenzfälle für die zukünftige Beurteilung von beihilfenrechtlichen Maßnahmen in der konkreten Unternehmensbesteuerung schaffen zu wollen. Laut Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager senden die Entscheidungen eine klare Botschaft an alle Mitgliedstaaten und multinationalen Unternehmen, nach der die Steuervermeidungsstrategien multinationaler Konzerne zukünftig mit Hilfe des Beihilfenrechts in die Schranken verwiesen würden, allem Anschein nach mit einer strikten Anwendung des sog. „arm’s length principle“, das eine steuerliche Besserstellung multinationaler Konzernunternehmen gegenüber eigenständigen Unternehmen verhindern soll.
Die Niederlande und Luxemburg müssen nun die unvereinbaren staatlichen Beihilfen von den Begünstigten zurückfordern. Zur Berechnung des zurückzufordernden Betrages müssen sie die in den Beschlüssen dargelegten Formeln anwenden. Nicht völlig ausgeschlossen ist es indes, dass der Rückforderung im Einzelfall Einwendungen aus bilateralen Einkommenssteuerabkommen entgegengehalten werden können. Nicht nur aus diesem Grund werden die Beschlüsse sehr wahrscheinlich vor dem Gericht der Europäischen Union angefochten werden. Sowohl Luxemburg als auch die Niederlande haben bereits entsprechende Signale gesendet.
In jedem Fall sollten multinationale Unternehmen mit Tätigkeiten in der EU ihre Verrechnungspreise im Lichte der Beschlüsse der Kommission und der kommenden diesbezüglichen Rechtsprechung der Unionsgerichte überprüfen. Das trifft auch auf die Besteuerungspraxis in Deutschland zu. Es ist irrelevant, ob die Verrechnungspreise in einer APA vereinbart, in einem Steuervorbescheid einseitig festgelegt oder nur de facto von den Steuerbehörden akzeptiert werden. Zukünftig sitzt stets die Kommission mit am Verhandlungstisch.
Für weitere Informationen sei auf den in Kürze im Betriebsberater erscheinenden Aufsatz „Unternehmensbesteuerung und EU-Beihilfenrecht“ des Autors verwiesen.
Christop Arhold ist Rechtsanwalt bei White & Case in Berlin/Brüssel