Dr. Nicolas Kredel, LL.M.: Erleichterung bei der Zusammenschlusskontrolle von Gemeinschaftsunternehmen im Ausland
Das Bundeskartellamt hat Ende September ein neues Merkblatt zu den Inlandsauswirkungen von Auslandszusammenschlüssen herausgegeben. Ziel ist es, Zusammenschlüsse, die sich im Inland nicht spürbar auswirken, von der fusionskontrollrechtlichen Anmeldepflicht auszunehmen und so den Aufwand für beteiligte Unternehmen und Bundeskartellamt zu reduzieren. Die neue Praxis ist zu begrüßen; jedoch lässt das Merkblatt teils die erforderliche Klarheit vermissen.
Das Bundeskartellamt führt regelmäßig mehr als 1000 Fusionskontrollverfahren pro Jahr durch. Nur ein Bruchteil der Vorhaben wird untersagt. Der Grund dafür liegt darin, dass die für eine fusionskontrollrechtliche Anmeldepflicht maßgeblichen Schwellenwerte sehr niedrig liegen. Eine Anmeldepflicht in Deutschland ist bereits gegeben, wenn im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr (i) die beteiligten Unternehmen weltweit zusammen mehr als 500 Mio. Euro sowie (ii) ein beteiligtes Unternehmen in Deutschland mehr als 25 Mio. Euro und (iii) ein anderes beteiligtes Unternehmen in Deutschland mehr als 5 Mio. Euro erzielten.
Zwar setzt die territoriale Zuständigkeit des Bundeskartellamts voraus, dass ein Vorhaben auch spürbare Auswirkungen auf Märkten hat, die das Inland ganz oder teilweise umfassen (§ 130 Abs. 2 GWB). Das Argument, dass ein Auslandszusammenschluss (beispielsweise die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens für den chinesischen Markt) keine spürbaren Auswirkungen auf dem deutschen Markt hat, wurde mit Verweis auf die Überschreitung der Inlandsumsatzschwellen nicht gehört.
Mit dem neuen Merkblatt stellt das Bundeskartellamt seine Praxis um: Es unterscheidet drei mögliche Kategorien: (i) klare Fälle mit Inlandsauswirkung, (ii) klare Fälle ohne Inlandsauswirkung und (iii) "graue" Fälle, die eine Einzelfallprüfung verlangen. Dies wirkt auf den ersten Blick durchaus übersichtlich und leicht verständlich. Erfreulich ist auch, dass Fallbeispiele und ein Schaubild eingefügt wurden, um den Ansatz des Bundeskartellamtes leichter verständlich zu machen. Bei näherem Hinsehen ist jedoch festzustellen, dass die Regelungen des neuen Merkblattes nicht so übersichtlich und klar sind, wie man es sich gewünscht hätte.
So werden nur drei mögliche Konstellationen klar als Fall mit bzw. ohne Inlandsauswirkung identifiziert. In allen übrigen Fällen wird weiterhin eine Einzelfallprüfung notwendig sein.
- Ein Fall mit klarer Inlandsauswirkung (d.h. bei Überschreitung der Umsatzschwellen: Anmeldepflicht!) liegt grundsätzlich vor, wenn beim Erwerb eines anderen Unternehmens die beiden Beteiligten die oben skizzierten Umsatzschwellen überschreiten (insbesondere also, wenn u.a. das Zielunternehmen mehr als EUR 5 Mio. in Deutschland erzielt). Auch bei Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens im Ausland (oder maßgeblicher Beteiligung an einem solchen) ist für eine Inlandsauswirkung ausreichend, dass dieses Umsätze von mehr als EUR 5 Mio. in Deutschland erzielt oder erzielen soll.
- Ein klarer Fall ohne Inlandsauswirkung liegt dagegen nur vor, wenn es (i) um ein reines Auslands-Gemeinschaftsunternehmen geht und zudem (ii) die Unternehmensgruppen der Mütter auf dem sachlich relevanten Markt des Gemeinschaftsunternehmens bzw. auf diesem vor- oder nachgelagerten Märkten im Inland keine Wettbewerber sind. Sind sie doch Wettbewerber, werden - erleichternd - keine Inlandsauswirkungen angenommen, wenn der gemeinsame Marktanteil der Mütter auf dem relevanten Markt unter 20% liegt.
- In allen übrigen Fallkonstellationen soll es auf die Umstände des Einzelfalles ankommen. Klare und leicht erfassbare Kriterien werden dabei allerdings nicht an die Hand gegeben. Ein wichtiger Umstand im Rahmen der Einzelfallprüfung ist, ob ein Gemeinschaftsunternehmen nur marginal auf Inlandsmärkten tätig ist. Für die Prüfung relevante Kriterien sind unter anderem Umsätze und Marktanteile des Gemeinschaftsunternehmens (Schwelle: 5%) im Inland sowie Spillover-Effekte aufgrund einer (potentiellen) Tätigkeit der Mutterunternehmen auf demselben sachlich relevanten Markt oder auf einem vor- oder nachgelagerten Markt im Inland.
Für einige Auslandszusammenschlüsse, deren Kontrolle tatsächlich von vornherein nicht sinnvoll ist, können sich die Unternehmen eine Anmeldung nun sparen. Bei einer Vielzahl der Fälle wird jedoch nach wie vor eine erhebliche Unsicherheit bestehen. Dies rührt insbesondere daher, dass bei einer Vielzahl von Zusammenschlüssen es auf die Umstände des Einzelfalles ankommen dürfte. Mit dem Abstellen auf die Marktanteilsschwellen hat das Bundeskartellamt ein Element in die formelle Fusionskontrollprüfung eingeführt, das bislang im Interesse der Klarheit (Anmeldepflicht ja oder nein?) gerade nicht maßgeblich war. Denn die Berechnung der Marktanteile setzt die richtige Marktabgrenzung und damit oft eine qualitative Auseinandersetzung mit der wettbewerblichen Situation auf den relevanten Märkten voraus. Das Ergebnis ist oftmals alles andere als eindeutig - so wie wir es aus Ländern wie Spanien und Portugal kennen, welche die Anmeldepflicht von Zusammenschlüssen von den Marktanteilen der beteiligten Unternehmen abhängig machen.
Unter dem Strich ist aber festzuhalten: Das Bundeskartellamt hat einen Schritt in die richtige Richtung gemacht und das Leben erleichtert - sowohl den Unternehmen als auch sich selbst.
Dr. NicolasKredel, LL.M. (Michigan), ist Partner bei Baker & McKenzie, Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Solicitors am Standort Düsseldorf. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt im deutschen und europäischen Kartellrecht.