Prof. Dr. Hans Christian Röhl: Ent-Nationalisierung des Bankwesens
In diesen Tagen erscheint Heft 4/2014 der Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft (ZVglRWiss), das Referate einer Tagung an der Universität Konstanz zum Thema „Ent-Nationalisierung des Bankwesens“ zusammenfasst. Ausgangspunkt der Beiträge ist ein Widerspruch: Obwohl Banken ein internationales Geschäft betreiben, sind die Verbindungen zu ihrem Sitzstaat viel intensiver als bei einem normalen Unternehmen. Diese Verbindungen und ihre nachteiligen Konsequenzen sind in der Finanz- und Staatsschuldenkrise der vergangenen Jahre deutlich zu Tage getreten; sie wie einen gordischen Knoten zu durchschlagen (vgl. Hannes Rehm, Die Verstrickung von Banken und öffentlichem Sektor), erscheint schwierig. Das liegt daran, dass die Verbindung zwischen dem Staat und „seinen“ Banken mehrdimensional ist, eine Ent-Nationalisierung sich also auf mehrere Aspekte beziehen muss, wie Christoph Ohler in seiner Intervention „Die Entkoppelung von Staat und Banken – – ein einlösbares Versprechen?“ aufzeigt.
Zu nennen ist zunächst das nachhaltige staatliche Interesse an einem funktionierenden Bankensystem für die Volkswirtschaft, das in den besonderen Funktionen der Banken begründet ist (dazu Röhl, in: Fehling/Ruffert, Regulierungsrecht, § 18 Rn. 14; allgemein Calliess, VVDStRL 71 (2012), 113, 118 f.). Dieses Interesse führt dazu, dass bei Instituten einer bestimmten Größe eine Auflösung der Bank nicht mehr in Betracht kommt und im Ergebnis der Staat wegen des volkswirtschaftlichen Interesses zur Bankenrettung greift („bail out“). Hans-Helmut Kotz untersucht in seinem Einleitungsreferat „The State and Its Banks – De-Coupling, a Vain Hope?“ die Frage nach den Bedingungen, die eine Entkoppelung (= ordentliche Bankinsolvenz) möglich machen, und fragt, ob Banken ab einer bestimmten Größe bzw. einem gewissen Grad der Vernetzung aus ökonomischen Gründen zwangsläufig systemisch sind, also in die Rolle einer quasi-staatlichen Institution hineinwachsen. Eine mögliche Lösung auf das Erpressungspotential bildet ein geordnetes Abwicklungsverfahren für Banken, das auf die gegenüber Privaten besondere Abwicklungssituation reagiert. Günter Franke, Jan Krahnen und Thomas von Lüpke analysieren in ihrem Papier „Effective Resolution of Banks: Problems and Solutions“ den durch die Abwicklungsrichtlinie eingeführten Mechanismus (vgl. Gesetzentwurf des BRRD-Umsetzungsgesetzes) und zeigen auf, welche komplizierten Erwägungen nicht nur die Richtlinie begleiten, sondern auch eine erfolgreiche Anwendung in der Praxis erfordern wird. In seinem Kommentar weist Jens-Hinrich Binder auf weitere offene Fragen hin, die zeigen, wie dadurch die Aufgabe der Bankeninsolvenz zu einer Frage des Risikomanagements wird.
Der Staat ist zudem als Träger der Bankenaufsicht mit den Banken verbunden. Diese nationalstaatliche Organisation kann durch ihre Nähe zu den überwachten Instituten und der daraus folgenden Vertrautheit mit ihren Strukturen und dem Zustand des jeweiligen Marktes für einen hinreichenden Wissensstand auf der Seite der Bankenaufsicht sorgen. Diese Nähe kann mit einer mangelnden Distanz erkauft sein, vor allem mag ein nationalstaatlicher bias im Rahmen der Aufsicht folgen, hinter dem sowohl wirtschaftliche („national champion“) als auch fiskalische nationale Interessen (Staatsanleiheproblematik) stehen mögen. Hinzu tritt die mangelnde Reichweite nationaler Handlungskompetenzen im Hinblick auf die internationale Tätigkeit der Banken. Das sind die Gründe für einen Transfer der Bankenaufsicht auf die Europäische Ebene (SSM), dem Hendrik Haag und Peter Lutz nachgehen. Insbesondere beschreiben sie, welche komplizierten Anpassungsmechanismen der Vollzug eines solchen Transfers sowohl auf der Behördenseite als auch auf der Seite der Regelungsadressaten nach sich zieht; Anpassungsmechanismen, für die zum Teil aber auch Erfahrungen aus anderen Rechtsbereichen herangezogen werden können (vgl. etwa die Beiträge in: Schmidt-Aßmann/Schöndorf-Haubold, Der Europäische Verwaltungsverbund, 2005).
Nachhaltige Konsequenzen hat die Eigenschaft des Staates als Schuldner der Banken, wenn dieses Interesse dazu führt, dass die Risikogewichtung von Staatstiteln nicht funktioniert: Schon mit Blick auf ihre eigenen Haushalte ist nicht unbedingt zu erwarten, dass die Staaten die risikogerechte Bepreisung der Staatsanleihen durchsetzen werden. Gleiches wiederholt sich auf kommunaler Ebene: Würde man etwa eine mögliche Zahlungsunfähigkeit der Kommunen in die Preise für die Kommunalkredite mit einbeziehen, würde das möglicherweise Verantwortung und Haftung zusammenführen.
Weil das die Kosten für öffentliche Dienstleistungen in den entsprechenden Kommunen erhöhen würde, ist schon die politische Durchsetzbarkeit zweifelhaft. Auf diese enge Verknüpfung reagiert der Vorschlag von Hannes Rehm („Die Verstrickung von Banken und öffentlichen Institutionen – wie kann der gordische Knoten zerschlagen werden?“): Indem die Staatsanleihen aus Bankbilanzen herausgenommen werden, werden sie gewissermaßen wieder in die nationale Verantwortung zurückgeführt, d. h. das national verantwortete Risiko bleibt im Nationalstaat, so dass nicht das Risiko einer gemeinschaftlichen Haftungsübernahme entsteht.
Auch die Ausgestaltung des Bankensektors ist in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU durchaus unterschiedlich. Ob eine Vereinheitlichung den Risiken begegnen kann, etwa durch die unionsweite Einführung eines Trennbankensystems (dazu Rüdiger Wilhelmi und Philipp Büchler) oder einheitlicher Regeln für die Corporate Governance der Banken (dazu Peter O. Mülbert), oder ob nicht auch nationale Besonderheiten wie ein diversifiziertes Bankensystem unter Einschluss staatlichen Eigentums an Banken wie im Falle der deutschen Sparkassen ihre Berechtigung haben (dazu Hans-Günter Henneke und Heinz Hilgert „Die Rolle des öffentlichen Bankensektors“) ist eher ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Ebenfalls als Differenz zwischen unionaler und mitgliedstaatlicher Ausgestaltung des Bankensektors lässt sich das Recht der Anlageberatung beschreiben, das in Deutschland zwischen aufsichtsrechtlichen, auf EU-Regelungen beruhenden Vorgaben und zivilrechtlichen, noch nicht harmonisierten Standards steht. Dieses nicht harmonisierte Nebeneinander aufsichts- und zivilrechtlicher Beratungsvorgaben analysierte Jens Koch (ZBB 2014, 201). Der Beitrag von Andreas Hackethal und Steffen Meyer „Grenzen des Informationsmodells im Anlegerschutz – die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive“ stellt die informationstheoretischen Grundlagen dieser Regelungen ganz grundsätzlich in Frage.
Was können Recht und Ökonomik bei diesem Thema gemeinsam erreichen? Diese Fragestellung ruft auf den ersten Blick nach einem weiteren Beitrag zum Thema „Interdisziplinarität“. Ein solcher Beitrag ist jedoch überflüssig. Wenn es ein Thema von gemeinsamem Interesse gibt, an dem beide Fächer ansetzen, braucht es zunächst keine theoretischen Vorüberlegungen, sondern das gemeinsame Gespräch, den Dialog. Die Fragestellung der Ent-Nationalisierung des Bankwesens ist von vornherein eine, die ökonomische und juristische Fragestellungen in einer besonderen Intensität verknüpft: Es geht um die Regulierung eines Kernbereichs der Volkswirtschaften. Keines der beiden Fächer kann hier, wenn es ihm ernsthaft um die Lösung von Problemen geht, die Erkenntnisse des jeweils anderen Fachs ausblenden. Hinzu tritt, dass eine intensive Einbeziehung der Erfahrungen aus der behördlichen Praxis und der Beratungspraxis erforderlich ist, die die Tagung in besonderer Weise geleistet hat.
Das gilt insbesondere deshalb, weil das Recht, weil der nationale und der europäische Gesetzgeber nach wie vor mit einer zu einfachen Vorstellung vom Gesetz und dessen Vollzug arbeiten. Die vielfältigen Spielräume in der Normanwendung und das Verhalten der Adressaten der Regulierung müssen in die Erwägungen mit einbezogen werden. Wir haben es mit Adressaten zu tun, die sich in vielfacher Weise den Zumutungen der Regulierung entziehen können, entweder weil sie intelligente Strategien entwickeln, die Regulierungsanforderungen zu umgehen, oder aber, weil es ihnen gelingt, auf die eine oder andere Weise auf die Spielräume der Normauslegung Einfluss zu nehmen, entweder durch direkte Intervention über die Politik oder aber durch die Installation von Expertise. Diese vielfältigen Interdependenzen und die Erfahrungen mit dem Normvollzug – auch aus anderen Regulierungsbereichen - kann auf der anderen Seite die Ökonomie in ihre Überlegungen mit einbeziehen, das zeigen die Überlegungen von Franke et al. Normanwendung, das zeigt sich deutlich, ist ein komplexer Prozess; es geht um das Verhalten von Organisationen und deren Handlungsoptionen. Hier gibt es keine one size fits all-Regelung, sondern mühsame Detailarbeit, in der Erfahrungen mit Normkonkretisierung von Juristenseite und Überlegungen zu Handlungsoptionen und Konsequenzen von Ökonomenseite zusammenfließen müssen.
Prof. Dr. Hans Christian Röhl, Universität Konstanz