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BB-Standpunkte
15.06.2015
BB-Standpunkte
Jens Berger: Draft Endorsement Advice zu IFRS 9 – Versetzung mit Vorbehalt

Anfang Mai hat die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) ihr vorläufiges und im Gesamtbild positives Votum für eine Übernahme von IFRS 9 (sog. Draft Endorsement Advice, DEA), dem neuen Standard zur Bilanzierung von Finanzinstrumenten, in das EU-Recht veröffentlicht und zur Diskussion gestellt. IFRS 9 ist in der EU (und auch dem Rest der Welt) nicht unumstritten, und von einem reibungslosen und schnellen Endorsement gingen nicht einmal hartgesottene IFRS-Optimisten aus. Dabei darf man nicht unterschlagen, dass es einige Unternehmen gibt, die händeringend auf das Endorsement warten – z. B., um die neuen Vorschriften zum Hedge Accounting anwenden zu können.

Die Lektüre des DEA ist durchaus empfehlenswert, denn einige der Kernaussagen sind bemerkenswert und werden auch im weiteren Verlauf zu Diskussionen führen. Da wäre zunächst die Beurteilung der überarbeiteten Abschnitte von IFRS 9 zu erwähnen. Laut EFRAG führen alle Überarbeitungen zu einer besseren Abbildung als unter dem Vorgängerstandard IAS 39 – davon ausgenommen ist der Abschnitt zu Klassifizierung und Bewertung, zu dem EFRAG kein abschließendes Urteil fällen mag. Mithin empfiehlt jedoch EFRAG die uneingeschränkte inhaltliche Übernahme von IFRS 9. Daneben vergleicht EFRAG die IFRS-Vorschriften mit dem aktuellen Stand der Diskussionen unter US-GAAP und feuert dabei eine Salve über den Atlantik, indem man zu dem Schluss gelangt, dass IFRS 9 zu einer höherwertigen Finanzberichterstattung als US-GAAP führt. Ferner wird festgehalten, dass die Neuregelungen Auswirkungen auf das Anlegerverhalten haben und durchaus beträchtliche Kosten für Ersteller und Nutzer von IFRS-Abschlüssen entstehen können (NB: ganz zu schweigen von den Kosten für die Abschlussprüfer…).

Von entscheidender Bedeutung für die weitere (politische) Debatte ist die Forderung von EFRAG an den IASB, doch bitte eine Verschiebung von IFRS 9 für Versicherungsaktivitäten zu erarbeiten. Dies ist verbunden mit der Ankündigung, sich bei Nichtvollzug Gedanken darüber zu machen, ob man nicht auf EU-Ebene aktiv werden sollte, politisch eine solche Verschiebung zu erreichen. Hintergrund ist die schleppende Fertigstellung des neuen Standards zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen, der einen maßgeblichen Teil der Bilanzierung der Passivseite von Versicherern völlig neu regelt. Während IFRS 9 für Geschäftsjahre beginnend ab dem 1.1.2018 anzuwenden ist, steht für den neuen Versicherungsstandard der Erstanwendungszeitpunkt noch nicht fest – sicher ist jedoch, dass es eben nicht der 1.1.2018, sondern später sein wird. Somit müssten Versicherer faktisch eine Doppeleinführung vollziehen – zuerst IFRS 9 und dann, ggf. deutlich später, den Nachfolger zu IFRS 4, wobei sich die Standards in ihrer Anwendung gegenseitig beeinflussen. Vor allem in den Perioden zwischen 2018 und dem Erstanwendungszeitpunkt des neuen Versicherungsstandards werden, so die Aussagen vieler, die Zahlen von Versicherern wenig relevant sein und die Vergleichbarkeit aufgrund vermuteter Bilanzierungsinkongruenzen erschwert. Daneben müsste man bei Anwendung der Neuregelung von Versicherungsverträgen l die Entscheidungen auf der Kapitalanlageseite erneut überdenken können, um dann zumindest prospektiv wieder ein zutreffendes Bild der Vermögens, Finanz- und Ertragslage vermitteln zu können.

In einer ersten Reaktion mag man sich spontan dieser Argumentation anschließen. Jedoch werden einem vor allem drei Aspekte entgegengehalten werden. Erstens sei die Abgrenzung, was eine Versicherungsaktivität ist, nicht trivial. Ob dies wirklich so ist, mag dahingestellt bleiben, handelt es sich bei Versicherungsaktivitäten regelmäßig um einen regulierten Bereich, der durch den Gesetzgeber bzw. der Aufsicht von anderen Aktivitäten abgegrenzt wird – dies gilt sicherlich in der EU, aber ist auch weltweit der Regelfall. Zweitens würden sich Folgewirkungen bei Gewährung einer solchen Ausnahme ergeben. Als Beispiel wird häufig folgendes angeführt: Was passiert, wenn ich finanzielle Vermögenswerte von meinen Versicherungsaktivitäten in meinen Bankbereich umwidme? Auch hier muss man aber fragen dürfen, ob dies ein dem Grunde und der Höhe nach häufiges Phänomen ist – denn solche Transfers dürften ebenfalls regulatorischen Erfordernissen unterworfen sein, mithin vielleicht ein überschätztes Problem. Drittens können solche „branchenspezifischen Regelungen“ Begehrlichkeiten wecken, auch in der Zukunft Sonderregelungen für Branchen zu schaffen. Der IASB hat in der Vergangenheit solche Rufe nach branchenspezifischen Regelungen immer abgelehnt. Hier sei vermerkt, dass die Ausnahme nicht für Versicherungsunternehmen gelten soll, sondern für Versicherungsaktivitäten – dass es hier die Versicherungsunternehmen in besonderem Maße trifft, liegt in der Natur des Geschäfts und des Regelungsinhaltes des neuen Standards für Versicherungsverträge.

Trotzdem sollte die Entscheidung für eine solche Ausnahme nicht leichten Herzens getroffen werden. Daher tut EFRAG gut daran, von denjenigen Stakeholdern, die für eine solche Ausnahme plädieren, stichhaltige Begründungen einzufordern – idealiter quantitativer Natur. Wie groß ist also der Effekt einer versetzten Anwendung, in welchem Umfange wird die Relevanz eingeschränkt durch eine versetzte Anwendung? Die Verfechter und Betroffenen der begrenzten Verschiebung von IFRS 9 sind gut beraten, eine entsprechend solide Argumentationsbasis aufzubauen. Weder der IASB noch EFRAG werden sich diese Entscheidung leicht machen – mit guten und stichhaltigen Begründungen wird es ihnen sicherlich leichter fallen. Wenn das Problem also so groß ist, wie kolportiert wird, ist das Zeit- und Ressourceninvestment zur „Beweisführung“ zweifelsohne lohnenswert.

Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Frankfurt a. M. und Leiter des deutschen IFRS Centre of Excellence.

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