Dr. Matthias Scholz, LL.M.: Digitale Agenda 2014-2017 – lasst die Unternehmen endlich innovativ sein
Deutschland hat kein Silicon Valley. Zwar gewinnt Berlin in jüngster Zeit an Reputation als internationales Cluster im weltweiten Ökosystem innovativer Unternehmen, aber von der Finanz- und Innovationskraft des Silicon Valleys wird es bis auf Weiteres weit entfernt bleiben. Diese Situation ist Grund genug, sich Gedanken darüber zu machen, was die drei wesentlichen Dinge sind, die die deutsche Internetwirtschaft benötigt:
Wagniskapital
Um die Innovationsfähigkeit der deutschen Internetwirtschaft zu erhöhen, hat die Bundesregierung am 16.9.2015 neben weiteren drei Maßnahmen zur Umsetzung der Digitalen Agenda 2014 – 2017 beschlossen, bestehende Förderprogramme erheblich auszubauen und Anreize für die Gewährung von Wagniskapital zu setzen. Noch in diesem Jahr soll ein 500 Mio. Euro starker ERP/EIF-Wachstumsfonds an den Markt gehen und eine Aufstockung des ERP/EIF-Venture-Capital-Dachfonds auf 1,7 Mrd. Euro ist fest eingeplant. Das ist ein guter Anfang, aber im Vergleich zu den ca. 15 Mrd. USD Wagniskapital, die jährlich im Silicon Valley investiert werden, immer noch bescheiden.
Der Staat alleine wird nicht genug Wagniskapital für die deutsche Internetwirtschaft aufbringen können. Diese benötigt "Stupid German Money". Der Begriff "Stupid German Money" wurde ursprünglich von der amerikanischen Filmwirtschaft geprägt und bezeichnete Gelder aus geschlossenen Medienfonds. Deutsche Investoren hatten wegen hoher Abschreibungsmöglichkeiten und in der Hoffnung auf zusätzliche Gewinne aus der Verwertung der mit dem Geld hergestellten Spielfilme jahrelang die amerikanische Filmwirtschaft unterstützt. Vergleichbare und vom Finanzamt anerkannte Steuersparmodelle könnten Wagniskapital für die deutsche Internetwirtschaft bereitstellen.
Schnelle Kommunikationsnetze
Mit der Neuvergabe von Frequenzbändern, die bisher dem terrestrische Fernsehen vorbehalten waren ergibt sich eine besondere Gelegenheit, die Geschwindigkeit und Abdeckung der Versorgung mit Datennetzen in Deutschland auf eine qualitativ neue Ebene zu heben. Diese digitale Dividende muss der Internetwirtschaft ohne Diskriminierung zur Verfügung stehen. Der Marktzugang technisch etwa überlegener Lösungen darf nicht dadurch behindert werden, dass sie nur über einen langsamen Netzzugang verfügen. Aus Sicht der Internetwirtschaft ist daher die Initiative der Bundesregierung, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern, zu begrüßen. Soweit das Kabinett allerdings die Netzneutralität für einzelne Anwendungen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der allgemeinen Daseinsvorsorge einschränken möchte, übersieht es, dass insoweit technische und nicht rechtliche Lösungen gefunden werden müssen.
Die Möglichkeit zur "Disruptive Innovation"
Die Internetwirtschaft braucht die Freiheit, Dinge auszuprobieren. Den Technikern der Internetwirtschaft geht es in erster Linie um die Machbarkeit technischer Problemlösungen und den Kaufleuten geht es darum, dass entweder bestehende Geschäftsmodelle abgelöst werden oder neue geschaffen werden. Aufgabe der Politik ist es einerseits, den bestehenden Rechtsrahmen an die technische Entwicklung anzupassen und andererseits ein Umfeld zu schaffen in dem disruptive Innovation möglich bleibt.
Deutschland hat eine enorm hohe Regelungsdichte, die häufig disruptive Innovation verhindert. Selbst wenn der Gesetzgeber erkennt, dass Gesetze Innovation verhindern, erfolgen die Änderungen nur zaghaft. Jüngstes Beispiel ist die aktuelle Diskussion um das vom Bundeskabinett beschlossene „Zweite Telemedienänderungsgesetz“, welches es Unternehmern erleichtern soll, Internetzugänge über WLAN (etwa Hotspots) anzubieten. Das Gesetz schränkt die Störerhaftung (§ 1004 BGB) des WLAN-Hotspot-Betreibers ein, fordert dafür allerdings, dass es seinen WLAN-Hotspot durch angemessene Sicherheitsmaßnahmen gegen die unberechtigte Nutzung gesichert hat und den Nutzern das Versprechen abnimmt, über das WLAN keine Rechtsverletzungen zu begehen. Der Hotspot-Betreiber wird von den vorbeilaufenden Nutzern keine Versprechen einsammeln können. Die Versprechen an sich sind dabei eigentlich bedeutungslos, denn es ist dem Nutzer sowieso verboten, Rechtsverletzungen zu begehen. Es bringt der Gesellschaft wenig, wenn das Versprechen eingesammelt wird und gleichzeitig die entsprechende Verpflichtung des Betreibers den freien Zugang zu WLAN-Hotspots verhindert.
Wichtige Regelungslücken schließen Deutschland und die EU nicht oder zumindest nicht schnell genug. Die Internetwirtschaft ist auf dem Weg in die Industrie 4.0 und es besteht große Einigkeit darüber, dass die wichtigste Ressource die Daten sind, die im “Internet of Things“ entstehen. Diese Daten werden die Grundlage für neue Geschäftsmodelle sein. Wenn es einzelnen Marktteilnehmern gelingt, den Zugriff auf diese Daten zu monopolisieren, werden alle anderen Marktteilnehmer zu abhängigen Zulieferern degradiert. Wenn also die Internetwirtschaft in Deutschland/Europa eine Chance haben soll, muss sichergestellt werden, dass die Internetwirtschaft Zugriff auf diese Daten behält. Die größten Datensammler (Soziale Netzwerke, Suchmaschinen und SaaS Cloud Anbieter) sind allesamt nicht in Deutschland oder in Europa. Damit sind die Daten grundsätzlich dem Zugriff entzogen. Besitz/Eigentum an den Datenspeichern vermittelt hier eine Monopolstellung. Russland verlangt seit September 2015, dass die Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten ausschließlich auf russischem Staatsgebiet erfolgen muss. China denkt über ähnliche Regelungen nach. Wenn sichergestellt wird, dass bestimmte Standards (zum Beispiel zu Datenschutz und Datensicherheit) eingehalten werden, muss es den Marktteilnehmern selbst überlassen bleiben, wo Daten gespeichert und verarbeitet werden. Lokale Pflichten zur Datenvorhaltung vor Ort stellen Handelshemmnisse dar und müssen möglichst vermieden werden. Damit die deutsche/europäische Internetwirtschaft allerdings zukünftig nicht nur eine wirtschaftlich untergeordnete Rolle spielt, muss der Zugang zu Daten auf andere Weise sichergestellt werden. Bei Software nimmt der Gesetzgeber den Schutz von Informationen ausdrücklich vom Schutz durch das Urheberrecht aus, wenn diese Informationen zur Herstellung der Interoperabilität zwischen unabhängig voneinander geschaffenen Computerprogrammen dies erfordert. Dieser Weg bietet sich bei Daten nicht an, da es hier nicht darum geht, ein staatlich gewährtes Monopolrecht (Urheberrecht) einzuschränken, sondern um originäre Teilhabe an einem Datenschürfrecht. Vielleicht kann hier das Kartellrecht helfen.
Dr. Matthias Scholz, LL.M., Rechtsanwalt, Partner bei Baker & McKenzie Partnerschaft von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern mbB, Frankfurt a. M.