Dr. Sebastian Longrée: Die neue Musterfeststellungsklage – Muster ohne Wert … oder doch „amerikanische Verhältnisse“ ante portas?!
Am 14.06.2018 hat der Bundestag für die Einführung von Musterfestfeststellungsklagen im Zivilprozessrecht gestimmt. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde in einer vom Rechtsausschuss geänderten Fassung angenommen.
Die Grundidee des Gesetzentwurfs ist es, bestimmten Verbänden die Befugnis zu verleihen, für einzelne Verbraucher unmittelbar gegen ein Unternehmen zu klagen. Aber nicht nur Verbraucher sollen hiervon profitieren können. Auf der Zielgeraden einigte man sich noch darauf, mittelbar auch Unternehmer miteinzubeziehen, wenn diese einen vergleichbaren Schadensfall erlitten haben. In diesem Fall soll ihnen nun die Möglichkeit offen stehen, einen Aussetzungsantrag zu stellen, um den Ausgang des Musterfeststellungsverfahren abzuwarten. Auch andere Baustellen wurden kurzfristig (vermeintlich) noch beseitigt. So wurde zum einen das als „Windhundverfahren“ kritisierte Procedere dahingehend geändert, dass am selben Tage eingereichte Musterfeststellungsklagen deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft, verbunden werden können. Im Übrigen verbleibt es aber dabei, dass nachfolgende Musterfeststellungsklagen deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft, nicht mehr erhoben werden können. Daneben wurden auf Betreiben des Rechtsausschusses noch diverse weitere Änderungen vorgenommen. So wurde die Anmeldung der Verbraucher zum Klageregister vereinfacht, indem konkrete Angaben zur Forderungshöhe nun verzichtbar sind. Auch wurden die im Klageregister öffentlich bekanntzumachenden Informationen erweitert. Mit Blick auf den Instanzenzug einigte man sich auf eine erstinstanzliche Zuständigkeit bei den Oberlandesgerichte. Zugleich wurde gesetzlich festgeschrieben, dass die Sache immer grundlegende Bedeutung hat, damit eine endgültige Entscheidung durch den BGH stets möglich ist. Inwieweit damit alle Baustellen beseitigt oder vielleicht – z. B. mit Blick auf die mittelbare Beteiligung von geschädigten Unternehmern – neue hinzugekommen sind wird sich in der Praxis zeigen.
Abseits jener legislativen (Fein-) Justierungen ist der Mechanismus des Musterfeststellungsverfahrens schnell erklärt. Verbände, die ihre besondere Verbindung zum Verbraucherschutz u.a. über den Eintrag in einer beim Bundesamt für Justiz geführten Liste nachweisen, können auf der Grundlage von mindestens 10 gleichartig betroffenen Verbrauchern eine Musterfeststellungsklage mit sog. Feststellungszielen erheben. Feststellungsziele sind das Vorliegen oder Nichtvorliegen von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen. Die Musterfeststellungsklage wird dann in ein elektronisches Klageregister aufgenommen und dort öffentlich bekannt gemacht. In einem zweiten Schritt ist es erforderlich, dass sich mindestens 50 betroffene Verbraucher der Klage anschließen, indem sie ihre Ansprüche zur Eintragung in das Klageregister anmelden. Ist auch diese Hürde genommen, ist die Musterfeststellungsklage zulässig. Eine unmittelbare Entschädigung der Verbraucher ist hingegen nicht vorgesehen. Der einzelne Verbraucher muss auf der Grundlage der bindenden Feststellungen im Musterfeststellungsurteil seinen kausalen Schaden vom Unternehmen einfordern und für den Fall der nicht freiwilligen Zahlung selbst gegen das Unternehmen vor Gericht ziehen.
Der Mehrwert für den Verbraucher besteht hier in der Möglichkeit, den Ausgang des Musterfeststellungsverfahrens abwarten zu können ohne die Verjährung seiner Ansprüche und ein Prozessrisiko zu befürchten. Ein weiterer Vorteil liegt in der vorgesehenen Vergleichsmöglichkeit im Musterfeststellungsverfahren. Gelingt hier ein Vergleich, der u.a. wirksam wird, wenn weniger als 30 % der im Klageregister angemeldeten Verbraucher ihren Austritt aus dem Vergleich erklären, hat dieser unmittelbar finanzielle Folgen.
Aus Sicht der Unternehmen wird die Frage aufgeworfen, ob diese nunmehr einer „Klageindustrie ausgesetzt“ werden. Richtig dürfte sein, dass mit dem gewählten Ansatz „amerikanische Verhältnisse“ nicht zu erwarten sind. Auf der anderen Seite dürfte jedoch davon auszugehen sein, dass im Bereich von „systematischen Massenfehlern“ bisherige Bagatellfälle zu ernsthaften Folgen für Unternehmen führen können. Auf der anderen Seite könnte das für die Verbraucher zunächst kostenfreie Musterfeststellungsverfahren anderen aktuell auf dem Rechtsmarkt erprobten Modellen von vermeintlichen „Sammelklagen“ das Wasser zumindest teilweise abgraben. Das hätte für Unternehmen zumindest den Vorteil, dass man sich zunächst auf die Verteidigung in einem Musterverfahren konzentrieren könnte. Ist man hier erfolgreich, dürfte das wiederum die Motivation für weitere Angriffe in derselben Sache massiv schwächen.
Alles in Allem wird die neue Musterfeststellungsklage daher noch einigen Diskussionsstoff liefern. Aber auch darüber hinaus bleibt das Thema spannend. Dafür dürfte allein die parallel laufende Initiative der Europäischen Kommission sorgen, die mit ihrem Vorschlag für „Verbandsklagen auf europäische Art“ für Aufsehen sorgt.
RA Dr. Sebastian Longrée ist Partner bei Kümmerlein Rechtsanwälte und Notare in Essen.