R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
BB-Standpunkte
14.09.2015
BB-Standpunkte
Jens Berger: Die Krux mit der Abzinsung

Die Niedrigzinsphase bewegt derzeit nicht nur Banken und Versicherer, sondern auch den „gemeinen“ Rechnungsleger in vielen Industrieunternehmen.

Warum?

Mit der Internationalisierung der Rechnungslegung – und das gilt nicht nur für IFRS, sondern auch für HGB – hat die Abzinsung großflächigen Einzug in die doppelte Buchführung gehalten. Abgezinst bzw. diskontiert werden v. a. langfristige Vermögenswerte/-gegenstände und Schulden. Bekannte Beispiele sind Pensionsverpflichtungen und sonstige langfristige Schulden wie die jüngst wieder in der politischen Diskussion stehenden Rückstellungen für den Rückbau von Atomkraftwerken u. ä. Aus dem Blickwinkel der Finanzwissenschaft ist die Abzinsung zukünftiger Ein- und Auszahlungen selbstverständlich: 100 Euro, die man in zehn Jahren erhält/zahlt, sind weniger wert, als wenn diese heute zu-/abfließen würden (der Zeitwert des Gelds). Je ferner diese Zukunft, umso stärker wird dieser Effekt. Theoretisch gibt es an dieser Logik und somit der grundsätzlichen Notwendigkeit zur Abzinsung wenig auszusetzen – dem Grunde nach auch aus bilanztheoretischer Sicht nicht, sind doch z. B. Rückstellungen nichts anderes als ein Mittel der Innenfinanzierung und sollten somit wie jede andere Finanzierung abgebildet werden. Daneben hat die Abzinsung durchaus „entlastende“ Wirkung auf die Bilanz, werden doch v. a. langfristige Schulden nicht mit ihrem Erfüllungsbetrag bilanziert, sondern mit dem Barwert dessen. Nimmt man das Beispiel der Pensionsverpflichtungen (ich verbleibe nun für den restlichen Verlauf dieses Standpunkts auf der Passivseite), die eine sehr lange durchschnittliche Laufzeit haben, kann der Unterschied zwischen Barwert und Erfüllungsbetrag sehr bedeutend werden. Entscheidend in dieser Betrachtung ist der Zinssatz, der bei der Abzinsung Anwendung findet. Und hieran scheiden sich aktuell die Geister. „Schuld“ daran ist das aktuelle Niedrigzinsumfeld. Mit der Bewegung der Zinsen gegen Null vermindert sich auch Effekt aus der Diskontierung. Da Barwerte unter IFRS i. d. R. auf Basis von Stichtagszinsen ermittelt werden, nähern sich Barwert und Erfüllungsbetrag im aktuellen Zinsumfeld an. Der Differenzbetrag landet grundsätzlich in der GuV (manchmal auch im sonstigen Ergebnis, dem OCI). Dieser Aufwand belastet natürlich das Ergebnis, und die Zinsen sinken seit Jahren. Daneben reagieren v. a. langfristige Schulden sehr sensibel auf Zinsänderungen – m. a. W. kleine Änderung, großer GuV-Effekt. HGB-Bilanzierer sind etwas besser davon gekommen, wird der handelsrechtliche Zins doch auf Basis des durchschnittlichen Marktzinssatzes der letzten sieben Jahre unter Berücksichtigung der Restlaufzeit ermittelt. Somit werden kurzfristige Schwankungen gemildert, nachhaltige Trends vermag diese Methode jedoch auch nicht zu negieren. Da das Zinsniveau nun seit Jahren äußerst niedrig ist, kommen die Effekte nun auch in der HGB-Bilanz an – mit entsprechenden Konsequenzen.

Was tun?

Die IFRS bieten einen bunten Strauß an zu verwendenden Zinssätzen, die oftmals aber die gleiche Zielsetzung verfolgen: den Zeitwert des Gelds abzubilden. Dazu kommen dann je nach Standard weitere Bestandteile (z. B. das Bonitätsrisiko). Von einer einheitlichen Basis kann also nicht die Rede sein, und schon allein daher scheint Handeln geboten. Das ist auch dem International Accounting Standards Board deutlich geworden, der ein Forschungsprojekt auf die Agenda genommen hat, um herauszufinden, ob die Unterschiede gerechtfertigt sind bzw. ob es in einzelnen Standards Handlungsbedarf gibt. Kurzfristig ist hier aber nicht mit Ergebnissen zu rechnen. Unter HGB hat das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) die Möglichkeit geboten, Anpassungen am o. g. Verfahren vorzunehmen. Dies wurde auch von der Wirtschaft gefordert. Auch wenn bei der Verabschiedung des BilRUG keine Änderungen vorgenommen wurden, so hat der Bundestag der Bundesregierung im Wege der Entschließung den Auftrag mitgegeben, sich des Themas kurzfristig anzunehmen. Vorgeschlagen wird in der Entschließung die Streckung des Durchschnittsermittlungszeitraums. Dies scheint auch bei mehrmaligem Nachdenken keine konzeptionell nachhaltige Lösung. V. a. ist damit zu rechnen, dass bei steigenden Zinsen die Unternehmen durchaus Interesse hätten, vom „positiven“ Effekt zu profitieren.

M. E. ist eine grundlegende Beschäftigung mit dem Thema vonnöten, ein Schnellschuss wäre zu vermeiden bzw. dann eindeutig als temporär zu deklarieren. Dabei sind v. a. folgende Bereiche zu adressieren – sowohl unter IFRS als auch HGB:

  • Was ist die Zielsetzung der Abzinsung (reine Abbildung des Zeitwerts des Gelds oder Berücksichtigung andere Bestandteile)?
  • Welches Konzept der Zinsermittlung bildet die Basis (risikoloser Zins, WACC, etc.)?
  • Kann es für unterschiedliche Posten unterschiedliche Konzepte der Zinsermittlung geben?
  • Soll ein strenges Stichtagsprinzip gelten, oder ist insbesondere bei langfristigen Schulden eine Glättung durch Durchschnittsbildung anzustreben?
  • Wo sollen die Änderungen in den Zinsen ausgewiesen/erfasst werden: in der GuV oder im OCI bzw. unmittelbare Verrechnung direkt mit dem Eigenkapital?

Die Beantwortung dieser Fragen ist sicherlich nicht einfach, aber notwendig, soll die Lösung im Ergebnis zu relevanten Informationen für die Abschlussadressaten führen und damit auch nachhaltig sein. Sollte das Zinsniveau in der Eurozone wieder steigen, dürfte die Anzahl derer sinken, die eine schnelle (und v. a. ergebnisentlastende) Änderung fordern. Dann erst gibt es wieder Raum für eine ergebnisoffene Diskussion.


Dipl.-Kfm. Jens Berger, CPA, ist Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte in Frankfurt a. M. und Leiter des deutschen IFRS Centre of Excellence.

stats