Dr. André-M. Szesny: Die Causa Volkswagen zeigt: Wir brauchen kein Verbandsstrafgesetzbuch!
Die Einführung eines Verbandsstrafgesetzbuches war schon fast vom Tisch. Der Entwurf des nordrhein-westfälischen Justizministeriums war heiß diskutiert worden, doch ein Umsetzungswille auf Bundesebene war nicht in Sicht. Im Gegenteil: Der Koalitionsvertrag hatte klar gemacht: Die Sanktionierung von Unternehmen soll auch weiterhin im Ordnungswidrigkeitenrecht geregelt sein. Nur noch ein großer Compliance-Fall – so hörte man aus Koalitionskreisen – könne das Blatt noch wenden. Dann kamen die Fälle „DFB“ und „Volkswagen“, und die Diskussion flammte wieder auf.
„Strafe muss sein“, so lautet das Credo der Befürworter eines Strafrechts speziell für Unternehmen: Die bloße Bebußung von Unternehmen, wie sie die derzeitige Rechtslage ermöglicht, reiche nicht aus. Vielen Argumenten der Befürworter eines Unternehmensstrafrechts wurde bereits überzeugend begegnet. Nachvollziehbar ist indes ihr wohl zentrales Anliegen: Es soll nicht wie im Moment im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden liegen, ob sie gegen das Unternehmen als Sanktionsadressat ermitteln. Es soll Verfolgungszwang herrschen – und den gebe es wegen des dort herrschenden Legalitätsprinzips nun einmal nur im Strafrecht.
Vergessen wird hier, dass es auch unter der Ägide des Legalitätsprinzips raumgreifende Ausnahmen vom Verfolgungszwang gibt, die in der Praxis gerade in Wirtschaftsstrafverfahren oftmals angewendet werden: Die Einstellung gegen teilweise empfindlichste Auflagen und Weisungen ist der derzeit wohl häufigste Verfahrensabschluss bei natürlichen Personen. Diese gesetzlich gewollte Ausnahme vom Verfolgungszwang ist auch erforderlich. Denn nicht jeder Fall geringer bis mittlerer Kriminalität kann und soll bis zu Ende ausermittelt werden – ansonsten würde wirklich wichtige Arbeit schlicht liegenbleiben, die Strafverfolgung käme zum Erliegen. Opportunitätsentscheidungen sind nicht nur objektiv erforderlich, sie sind auch geeignet, gerechte und vermittelnde Entscheidungen herbeizuführen. Das ist keine Verfolgungslücke, sondern Vorteil unseres Sanktionenrechts.
Absoluten Verfolgungszwang gibt es also nicht, auch nicht im Strafrecht. Damit ist aber die zentrale Forderung der Befürworter eines Unternehmensstrafrechts Makulatur. Und dass auch das geltende Recht in der Lage ist, Unternehmen angemessen zu sanktionieren, zeigt gerade der Fall Volkswagen: Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens entschieden, die Volkswagen AG am Strafverfahren gegen ihre Verantwortlichen zu beteiligen, sie also als möglichen Bußgeldadressaten qualifiziert. Die drohenden Folgen wiegen schwer: Der Vorwurf, der Automobilhersteller habe Händler und Kunden beim Verkauf der manipulierten Kraftwagen betrogen, kann zu einer Bebußung von VW von bis zu 10 Mio. Euro führen. Pro Fall. Plus Gewinnabschöpfung. Wer multiplizieren kann, kann sich die Dimensionen einer solchen Unternehmensgeldbuße leicht ausrechnen. Dieser Sanktionsrahmen reicht völlig aus – nicht nur um Unternehmen zu sensibilisieren, sondern sie in eine erhebliche wirtschaftliche Bredouille zu bringen. Und jetzt wird dem Ex-Vorstand auch noch der Vorwurf der Marktmanipulation gemacht: Er habe den Einbau der manipulierten Teile und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen zu spät publik gemacht; die fällige Ad hoc-Mitteilung sei nicht rechtzeitig abgegeben worden. Noch einmal bis zu 10 Mio. Euro, die übrigens auch dann fällig werden können, wenn es nicht zu einer Identifizierung oder gar Verurteilung der verantwortlichen natürlichen Personen kommt.
Das derzeit geltende Recht ist also durchaus nicht weniger streng als es ein Strafrecht für Unternehmen wäre. Das hat sich in der Vergangenheit nicht nur in anderen „großen“ Compliance-Fällen wie Siemens, MAN oder Ferrostaal gezeigt, sondern auch in zahllosen kleineren Verfahren, die nicht in den Gazetten diskutiert werden.
Der für ein Verbandsstrafrecht angeführte mutmaßliche Vorteil des Verfolgungszwangs ist also keiner. Das derzeitige Unternehmensbußgeldrecht mit seinen empfindlichen Sanktionen sichert eine angemessene Verfolgung von Firmen. Man mag darüber nachdenken, ob weitere Sanktionen – wie die Verbandsauflösung für rein kriminelle Unternehmungen, Vergabesperren oder der sog. „öffentliche Pranger“ – dem derzeitigen Instrumentarium hinzugefügt werden sollten. Das kann aber im Rahmen des derzeitigen Verbandsgeldrechts geschehen. Ein spezielles Strafrecht für Unternehmen ist dafür weder erforderlich noch geeignet.
Dr. André-M. Szesny, LL.M., ist Partner der Wirtschaftskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und leitet die dortigen Praxisgruppe Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Er berät und verteidigt Einzelpersonen und Unternehmen in Wirtschaftsstrafverfahren und in Fragen der Compliance.