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BB-Standpunkte
24.02.2014
BB-Standpunkte
Prof. Dr. Christoph Schalast: Der OMT-Vorlagebeschluss des Bundesverfassungsgerichts: ein Trojanisches Pferd?

Erstmals seit der Errichtung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vor über 50 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gem. Art. 267 AEUV eine Rechtsfrage zur Vorabentscheidung in Luxemburg vorgelegt. Allein dieser Umstand ist schon bemerkenswert, nicht zuletzt, wenn man sich den Inhalt von Art. 267 AEUV vor Augen führt, nachdem der EuGH über die Auslegung der Verträge entscheidet. Jedes innerstaatliche Gericht, das in letzter Instanz entscheidet - und wenn es entscheidet, dann entscheidet das BVerfG regelmäßig letztinstanzlich -, ist zur Vorlage verpflichtet.

Doch zunächst: Worum geht es? Eine Reihe von Beschwerdeführern, u. a. Peter Gauweiler, eine Reihe namhafter Wirtschaftswissenschaftler sowie die Fraktion der Linken im Bundestag, greifen den so genannten "OMT"-Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 6.9.2012 an. Unter OMT/Outright Monitary-Transaction versteht man die Ankündigung der EZB, Staatsanleihen bestimmter Mitgliedstaaten in unbegrenzter Höhe zu erwerben. Voraussetzung hierfür ist, dass sie sich verbindlich zu Reformen in Abstimmung mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bzw. der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) verpflichten. Im Kern geht es damit um das bereits legendäre "Whatever it takes" von Mario Draghi - eine Aussage, die nach Einschätzung vieler Beobachter von erheblicher Bedeutung für die Beruhigung der Finanzmärkte in den letzten 18 Monaten war.

Bis heute handelt es sich allerdings um eine bloße Ankündigung, die EZB hat das Programm noch nicht in Kraft gesetzt. Doch ist es schwer vorauszusagen, was geschieht, wenn sie dazu nicht oder nur im begrenzten Rahmen berechtigt ist. Intuitiv fragt man sich an dieser Stelle zunächst einmal: Hat darüber ein nationales Gericht zu entscheiden?

Dieses Problem sah auch das BVerfG und musste daher zwei Vorfragen klären:

• Ist es überhaupt für diese Rechtsfrage zuständig?
• Falls ja, muss es die Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, soweit es sich um die Auslegung des AEUV handelt?

Im Kern zeigen sich insoweit bei diesem Vorlagebeschluss deutlich die weiterhin unklaren Grenzen der Zuständigkeitsverteilung zwischen EuGH und BVerfG, was in der Vergangenheit - etwa im Rahmen der "Solange-Rechtsprechung" oder dem "Lissabon Urteil" - immer wieder zu vielfältiger, vor allem internationaler, Kritik an dem Karlsruher Prüfungsmaßstab sowie Zuständigkeitskriterien geführt hatte.

Für Klagen gegen Handlungen der Organe der Europäischen Union wurde durch das Unionsrecht ein eigenes Instrument, die Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV, geschaffen. Diese Norm bestimmt abschließend, wer klagebefugt ist: Dies sind ausschließlich die Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission. Natürliche oder juristische Personen sind nur klagebefugt, soweit sie unmittelbar durch eine Entscheidung betroffen sind. Keine der Parteien, die vor das BVerfG gezogen sind, könnten demnach in Luxemburg gegen die OMT-Entscheidung vorgehen.

Ob eine solche Nichtigkeitsklage eingereicht werden soll, steht damit im Ermessen der Bundesregierung. Und nur das Verhalten und eventuelle Verpflichtungen der deutschen Staatsorgane könnten ein späteres Urteil aus Karlsruhe zum Inhalt haben. Darauf hat die Richterin Lübbe-Wolff in ihrer abweichenden Meinung hingewiesen und darüber hinaus deutlich gemacht, dass bereits die Annahme der Zuständigkeit und die damit verbundene Berechtigung zu einem Vorlagebeschluss sowie der Vorbehalt einer eigenen abschließenden Entscheidung das Ermessen der Regierung unzulässig einschränkt. Denn, und dies sollte man nicht vergessen, das BVerfG hat in seinem Beschluss nicht nur dem EuGH die Frage der Vereinbarkeit des OMT-Beschlusses mit dem AEUV vorgelegt, sondern darüber hinaus umfassend seine eigene Auffassung dazu, warum dieser Beschluss gegen Art. 123 AEUV verstößt und wie dies gegebenenfalls durch einschränkende Auslegung geheilt werden könnte, dargelegt. Im Raum steht damit die Möglichkeit - falls der EuGH sich nicht der vorgeschlagenen Interpretation anschließt -, dass Karlsruhe einem Luxemburger Votum nicht folgt. Im schlimmsten Fall droht eine abschließende Entscheidung des BVerfG - im Widerspruch zur Auslegung durch den EuGH - im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Handelns eines EU-Organs auf Grundlage der Ultra-vires-Doktrin.

Damit wirft der Beschluss mehr Fragen auf, als er beantwortet. Zunächst einmal ist er ein "Trojanisches Pferd" für den EuGH, denn seine Zuständigkeiten werden insbesondere mit der Androhung einer Ultra-vires-Entscheidung in Zweifel gezogen. Auch die weiteren Konsequenzen sind problematisch. Die Anwendung der Ultra-vires-Lehre - die bisher als eher abstrakte Option im Raum stand - führt im Ergebnis dazu, dass bei künftigen Entscheidungen europäischer Organe im Rahmen der Währungspolitik, aber auch darüber hinaus, immer auf 28 Verfassungsgerichte geachtet werden müsste. Entscheidungen in Krisensituationen könnten dann oftmals für Jahre unter dem Damoklesschwert einer späteren Kassierung durch ein nationales Verfassungsgericht stehen, was eine erhebliche Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Union mit sich brächte!

Damit bildet der Vorlagebeschluss einen weiteren wichtigen Mosaikstein im Rahmen der Diskussion über die künftige Struktur der EU. So lange diese nicht einen weiteren substantiellen Integrationsschritt geht, wird dieses Dilemma nicht abschließend gelöst werden können. Die Aufgabe des EuGH ist es jetzt, durch eine kluge und abwägende Entscheidung - ohne beleidigt zu sein - zunächst die Zulässigkeit des Vorlagebeschlusses zu beurteilen und - wenn er diese bejaht - zum OMT-Beschluss und dem "obiter dictum" aus Karlsruhe klar Stellung zu beziehen.

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