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BB-Standpunkte
28.04.2014
BB-Standpunkte
Prof. Dr. Christoph G. Paulus: Das ESUG als deutsche Antwort auf das Scheme of Arrangement - und doch nicht das letzte Wort?

Im Juni 2010 fand im Bundeswirtschaftsministerium eine gemeinsam Tagung des BMJ und des BMWi statt, auf der es um die Frage ging, ob Deutschland ein eigenständiges Instrumentarium zur Insolvenzabwendung benötige. Die Vortragenden waren unterschiedlicher Ansicht (vgl. Paulus, WM 2010, 1337), doch überwog vor allem im politischen Bereich die Skepsis. Im Frühjahr 2011 kamen zu diesen eher grundsätzlichen Erwägungen die ersten praktischen Fälle deutscher Unternehmen hinzu, die ihre finanziellen Probleme in der Weise bewältigten, dass sie sich mittels des englischen Rechts vor ihrer sich abzeichnenden Insolvenz in Deutschland retteten - nicht durch Migration, sondern indem sie von Deutschland aus das englische Verfahren instrumentalisierten. Die Reaktion des deutschen Gesetzgebers bestand bekanntlich darin, dass er das ESUG einführte und damit die Antwort auf die englischen Vorgaben gefunden zu haben glaubte.

Die englischen Vorgaben haben allerdings andernorts vielfältige Nachahmer gefunden; dem Vernehmen nach schickt sich derzeit sogar ein Land wie Dubai an, ein dem Scheme nachempfundenes Verfahren zu entwerfen, um nicht auf das englische Recht und dessen Rechtsprechung angewiesen sein zu müssen. Parallel zu dieser Entwicklung und das neu geschaffene (wohlgemerkt: als ein weiteres Werkzeug im Kasten zu begrüßende) ESUG mit seinem Beharren auf einem Insolvenzeröffnungsgrund gleichsam überholend, betont die Kommission in Brüssel zunehmend die Notwendigkeit zu einer Wirtschaftspolitik der zweiten Chance. Darüber hinaus judiziert der EuGH in der Sache "Handlowy" in dem Sinne, dass die Insolvenzvermeidung dem allgemeinen Insolvenzrecht einzuverleiben sei.

Und nunmehr, am 12.3.2014, kommt aus Brüssel eine Kommissionsempfehlung, die - ein wenig vereinfachend ausgedrückt - sämtlichen Mitgliedstaaten die Einführung eines Verfahrens auferlegt, das an das Scheme of Arrangement angelehnt ist. Hintergrund dafür sind Geschichten wie die von Henry Ford, dessen erster Anlauf zur Gründung eines Unternehmens nach 18 Monaten scheiterte, dann aber im erneuten Anlauf zur Entwicklung eines Weltunternehmens führte.

Dass derlei Geschichten gegenwärtig solche Auswirkungen und einen derartigen Vorzeigewert haben, ist ein Beleg dafür, dass die volkswirtschaftlich zentrale Bedeutung des Insolvenzrechts endlich auch in der Politik erkannt worden ist (vgl. bereits Paulus, FS Görg, 2010, 361 ff.). Des Weiteren impliziert die Kommissionsempfehlung, dass das Insolvenzrecht gerade nicht mehr ein fest auf den Zeitpunkt des Eintritts der Eröffnungsgründe beschränktes Rechtsgebiet ist, sondern dass es partiell weit in die Zeit davor hineinreicht und damit eine neue Standortbestimmung im Kontext mit dem herkömmlichen Wirtschaftsrecht gesucht und gefunden werden muss (dazu Paulus, BB 2008, 2513 ff.); Insolvenzrecht in diesem weiten Sinn fördert ganz allgemein Unternehmertum und soll auch gezielt zu diesem Zweck eingesetzt werden. Und schließlich nötigt der Brüsseler Vorstoß den deutschen Gesetzgeber unbeschadet der selbst verordneten Beobachtungsphase schon jetzt dazu, sich mit den vorgeschlagenen Neuerungen auseinanderzusetzen.

Die Empfehlungen sind gerade aus deutscher Sicht weitreichend. So nennen die Erwägungsgründe als Ausgangspunkt nicht nur die Harmonisierungsvorteile auch und besonders für kleine und mittlere Unternehmen, die grenzüberschreitend agieren wollen; vielmehr gehe es bei Präventionsmaßnahmen auch um Arbeitsplatzerhaltung, um die Vorteile für die Wirtschaft insgesamt (einschließlich des Kreditwesens und der Selbstständigkeit) bis hin zu dem richtig verstandenen Interesse des Steuerfiskus an geretteten Unternehmen (Erwgsgrd. 14: ein gewichtiges Argument in der Auseinandersetzung mit dem hiesigen Fiskus und die Kommission um die § 3 Nr. 66 EstG, § 8c Ia KStG!).

Um diese Vorteile realisieren zu können, solle ein Verfahren eingeführt werden, das zum Schutze des rechtschaffenen Schuldners bereits bei finanziellen Schwierigkeiten einsetze, das flexibel sei, und bei dem das Gericht möglichst darauf beschränkt sein solle, gegebenenfalls einen auf vier Monate begrenzten Gläubigerstop anzuordnen. Das Gericht solle abschließend anlässlich der Prüfung des in dem Verfahren mit den Gläubigern vereinbarten Plans überprüfen, ob die Gläubigerrechte gewahrt sind und ob der Schuldner rechtschaffen bzw. sein Unternehmen sanierungsfähig ist. Gleichsam im Vorbeigehen wird als möglicherweise ebenfalls für die Empfehlungen relevant die Beschränkung der Restschuldbefreiungsphase auf drei Jahre festgelegt.

Die Empfehlungen beschränken sich aber nicht nur auf derlei allgemeine Aussagen; sie werden vielmehr deutlich konkreter in Gestalt von zwölf Modellvorschriften: So solle etwa ein Mehrheitsbeschluss die überstimmten Gläubiger binden und sollen Sanierungskredite von einer eventuellen nachfolgenden Anfechtbarkeit ausgenommen sein; der eigenverwaltende Schuldner solle keineswegs zwangsläufig von einem Sachwalter (oder auch Mediator) beaufsichtigt sein, und er solle unter konkret benannten Bedingungen Gläubiger von Zugriffsversuchen auf sein Vermögen abhalten können. Der Plan solle an einen bestimmten Aufbau gebunden sein, und er solle auch für lediglich eine bestimmte Gruppe von Gläubigern möglich sein (sofern die anderen Gläubiger hierdurch in ihren Rechten nicht betroffen werden).

Viele werden dieses Vorpreschen der Kommission nicht gutheißen; es ist gleichwohl ein richtiger und konsequent weitergedachter Schritt in eine Richtung, in der das Insolvenzrecht in einem weit verstandenen Sinn eine zentrale Bedeutung für die Wirtschaft eines ganzen Landes und damit für die Union insgesamt einnimmt.

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