Timo Seyffer und Thomas Hey: Coronavirus – Welche Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis gibt es?
Das neuartige Coronavirus breitet sich immer stärker aus. Erste Infizierungen sind nun auch in Deutschland registriert. Die World Health Organization hat einen internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Die Auswirkungen, die das Coronavirus auf das Arbeitsverhältnis haben kann, zeigten sich bisher vor allem an dem Beispiel des von dem Coronavirus konkret betroffenen Automobilherstellers in Bayern. Dort reagierte man mit einer vorübergehenden Schließung des Stammsitzes. Arbeitnehmer sollten sich auf eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus untersuchen lassen und Dienstreisen an ausländische Standorte wurden abgesagt. Auch andere Unternehmen haben bereits verschiedene Schutzmaßnahmen ergriffen. Als arbeitsvertragliche Nebenpflicht obliegt es ihnen, dafür Sorge zu tragen, dass die Erbringung der Arbeitsleistung ohne eine Gesundheitsgefährdung der Arbeitnehmer erfolgen kann. Hieraus ergeben sich in der Praxis für Arbeitgeber einige wesentliche Fragestellungen, die nachfolgend beantwortet werden sollen.
1. Darf ich als Arbeitgeber eine Reise nach China anordnen?
Regelmäßig ja. Arbeitnehmer dürfen diese Anordnung nicht grundsätzlich aus Angst vor dem Coronavirus verweigern. Mit der Anordnung einer Dienstreise üben Arbeitgeber ihr arbeitsvertragliches Weisungsrecht aus. Dieses wird nur dadurch eingeschränkt, dass eine Weisung nach § 315 Abs. 1 BGB „billigem Ermessen“ entsprechen muss. Hierfür sind vom Arbeitgeber die Interessen des betroffenen Arbeitnehmers gegen seine eigenen Interessen abzuwägen. Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entspringt dabei, dass er seine Arbeitnehmer nicht willkürlich Gefahren aussetzen darf. Soweit beispielsweise wegen Ansteckungsgefahr eine Reisewarnung des Auswärtigen Amts vorliegen sollte, wie es momentan für die Provinz Hubei (Hauptstadt: Wuhan) der Fall ist, dürfte die Anordnung einer Dienstreise vor diesem Hintergrund „billigem Ermessen“ nicht mehr entsprechen und wegen Unzumutbarkeit entsprechend § 275 Abs. 3 BGB unzulässig sein. Für andere Regionen können Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtend anweisen nach China zu reisen. Ein rein abstraktes Infektionsrisiko ist nicht geeignet, eine Unzumutbarkeit für den Arbeitnehmer zu begründen. Je nach Schwere der Folgen einer Nichtdurchführung der Reise stehen dem Arbeitgeber die üblichen arbeitsrechtlichen Mittel zur Verfügung (Ermahnung, Abmahnung, Kündigung). Sollten Arbeitnehmer sich beharrlich weigern oder der Nichtantritt für den Arbeitgeber unzumutbare Nachteile, wie beispielsweise den Verlust eines wichtigen Kunden, zur Folge haben, kann dies im Einzelfall zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner individuellen Situation, beispielsweise einer Vorerkrankung, die Reise im konkreten Fall nicht antreten kann.
2. Was müssen Arbeitgeber tun, wenn Arbeitnehmer in Risikogebieten tätig sind?
Um ihren Fürsorgepflichten Genüge zu tun und um sich im Falle einer Infizierung eines Arbeitnehmers nicht schadensersatzpflichtig zu machen, sollten Arbeitgeber sich laufend über den Sicherheitsstand vor Ort informieren. Spricht das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für eine Region aus, in die Arbeitnehmer reisen sollen bzw. sich aktuell befinden, müssen Arbeitgeber diesen dabei helfen, dieses Gebiet wieder zu verlassen. Dazu zählt die Buchung eines Flugtickets und die Zurverfügungstellung eines permanenten Ansprechpartners.
3. Sind Arbeitgeber im Betrieb dazu verpflichtet Schutzmaßnahmen zu ergreifen?
Arbeitgeber trifft grundsätzlich eine allgemeine arbeitsvertragliche Nebenpflicht zum Ergreifen von Schutzmaßnahmen sowie zur Risikominimierung. So sollten diese die Belegschaft über empfehlenswerte Verhaltensweisen wie der Verringerung von zwischenmenschlichen Kontakten sowie typische Krankheitssymptome informieren und Risikogruppen ermitteln. Darüber hinaus sollten sie die Einhaltung der Hygienevorschriften überprüfen. In Abstimmung mit dem Betriebsrat sollten Arbeitgeber diese gegebenenfalls verschärfen. Ebenso sollte mit dem Betriebsrat ein Schutzkonzept für den Fall konkreter Hinweise auf eine Infektion im Betrieb erarbeitet und hierüber gegebenenfalls eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden. Arbeitgeber sollten in diesem Rahmen für den Fall, dass es konkrete Hinweise auf Infektionsrisiken im Betrieb gibt, zum Anordnen des Tragens von Schutzmasken, von Arbeiten in Homeoffice und von regelmäßigem Desinfizieren der Hände berechtigt werden.
Da das Risiko einer Infizierung in Deutschland derzeit noch als gering eingestuft wird, müssen rechtlich nicht zwingend alle aktuell denkbaren Schutzmaßnahmen von Arbeitgebern umgesetzt werden. Auf eine allgemeine Prävention sowie die Ermittlung von Risikogruppen sollte dennoch nicht verzichtet werden. Weitere Maßnahmen sind indessen bei aus China zurückgekehrten Arbeitnehmern angezeigt.
4. Arbeitnehmer haben sich in China aufgehalten – dürfen diese vom Betrieb ferngehalten werden?
Haben Arbeitnehmer sich in einem Risikogebiet aufgehalten, dürfen Arbeitgeber diese zum Schutze der übrigen Belegschaft grundsätzlich bezahlt von der Arbeit freistellen, bis die Frage der Infektion geklärt ist. Auf Verlangen ihrer Arbeitgeber müssen Arbeitnehmer darüber, wo in China sie sich aufgehalten haben, Auskunft erteilen. Eine Aufforderung zur Untersuchung durch einen Arzt ist aber nur bei akutem Verdacht einer Infektion, etwa bei intensivem Kontakt des Arbeitnehmers mit einer infizierten Person, zulässig. Besteht eine Infizierung oder ein konkreter Verdacht einer solchen Infizierung, sollte frühzeitig eine Abstimmung mit den zuständigen Gesundheitsbehörden stattfinden. Sämtliche Arbeitnehmer, die potentiell mit dem infizierten Kollegen in Kontakt gekommen sind, sollten ebenfalls zu einer ärztlichen Untersuchung aufgefordert werden. Auch gegenüber diesen Mitarbeitern sollte bis zum Feststehen der Untersuchungsergebnisse eine Freistellung oder eine Home-Office Tätigkeit angewiesen werden.
5. Dürfen Arbeitnehmer zu Hause bleiben, wenn sie vermuten, sich infiziert zu haben?
Nein. Damit verweigern Arbeitnehmer ohne ausreichenden Grund die Arbeit. Arbeitgeber können sie dafür abmahnen und unter besonderen Umständen auch außerordentlich kündigen.
Arbeitnehmer müssen ihre Arbeitgeber stattdessen über eine solche Situation informieren. Über eine Freistellung entscheiden allein die Arbeitgeber.
6. Dürfen Arbeitnehmer bei der Arbeit ihre eigene Atemschutzmaske tragen?
Das hängt von der konkreten Tätigkeit ab. In Hochrisikobereichen wie etwa Krankenhäusern können Arbeitgeber dies nicht verbieten, sondern werden unter Umständen bei einer konkreten Verdachtslage schon selbst zur Bereitstellung von Schutzkleidung verpflichtet sein. Anders ist dies bei Tätigkeiten im Außendienst oder mit Repräsentationsfunktion. Hier würde das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers gegenüber dem Wunsch des Arbeitnehmers auf Tragen einer Atemschutzmaske höher wiegen.
7. Was dürfen Arbeitgeber bei einem Teilausfall der Belegschaft unternehmen?
Wenn eine Vielzahl von Arbeitnehmern aufgrund des Virus ausfallen sollte und deshalb ein Auftrag oder ein Projekt gefährdet wird, dürfen arbeitsfähige Arbeitnehmer grundsätzlich zu Mehrarbeit und Überstunden verpflichtet werden. Wenn die Produktion wegen Engpässen bei wichtigen Zulieferern oder Ausfällen eigener Arbeitnehmer zu stoppen droht, kommt nach Abstimmung mit dem Betriebsrat auch die Einführung von Kurzarbeit in Betracht.
8. Wo liegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats?
Ein Betriebsrat hat bei Regelungen, die auf einen Schutz vor dem Coronavirus gerichtet sind, grundsätzlich nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Gesundheitsschutz) mitzubestimmen. Das heißt, dass die jeweilige Regelung durch den Arbeitgeber nur eingeführt werden kann, wenn der Betriebsrat ihr zustimmt. Andernfalls ist diese unwirksam.
Bei Hygienevorschriften wie der Einführung einer Pflicht der Arbeitnehmer zur regelmäßigen Desinfektion der Hände oder dem Anlegen von Schutzmasken ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht auch aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, weil damit die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb geregelt wird. Bei Einführung von Kurz- oder Mehrarbeit hat ein Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Möchten Arbeitgeber Arbeitnehmer in Home-Office arbeiten lassen, ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsart regelmäßig aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, weil in der Folge die Arbeitszeit geregelt wird und aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, weil die Verbindung zum Betrieb via E-Mail und Telefon erfolgt.
9. Besteht ein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn eine Behörde ein berufliches Tätigkeitserbot anordnet?
Sollten Behörden aufgrund der Infektion eines Arbeitnehmers bzw. dem Verdacht einer Infektion Tätigkeitsverbote anordnen, stellt dies grundsätzlich einen vorübergehenden und persönlichen Verhinderungsgrund gem. § 616 BGB dar, der den Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Arbeitgeber sind gegenüber ihren übrigen Arbeitnehmern und der Allgemeinheit verpflichtet, den Betrieb von Ansteckungsgefahren freizuhalten. Möchten sich Arbeitgeber einer Entgeltfortzahlung verwehren, müssen sie § 616 BGB vorher abbedingen. Dann greift im Falle eines behördlich verhängten Tätigkeitsverbots § 56 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten (IfSG). Dieser regelt in Absatz 5, dass Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern für eine Dauer von sechs Wochen eine Entschädigung in Höhe des Verdienstausfalls zahlen müssen. Danach erhalten Arbeitnehmer eine Entschädigung in Höhe des Krankengeldes. Den entsprechenden Betrag können sich Arbeitgeber anschließend von der zuständigen Behörde erstatten lassen.
Auch Freiberufler und Selbstständige erhalten Verdienstausfall nach dem IfSG. Die Entschädigung bemisst sich nach den letzten Jahreseinnahmen, die dem Finanzamt gemeldet wurden.
10. Müssen Arbeitnehmer in Quarantäne arbeiten, wenn Arbeitgeber mobiles Arbeiten erlauben?
Wenn sich Arbeitnehmer in Quarantäne befinden und die nötigen Arbeitsmittel wie beispielsweise einen Laptop bei sich haben, gebietet es die arbeitsvertragliche Treuepflicht, auch auf der Isolierstation zu arbeiten. Dies gilt allerdings nur bei noch vorhandener Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers.
11. Notfallplan
Für den Fall eines Ausbruchs des Coronavirus im Betrieb sollten folgende Notfallmaßnahme vorbereitet und durchgeführt werden:
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Einrichtung eines Krisenstabs zur Koordinierung und zum Informationsaustausch
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Arbeitnehmer, die infiziert sind oder bei denen der Verdacht einer Infektion besteht, sollten von der Arbeit freigestellt werden.
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Auf Schwangerschaften ist zu achten.
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Nach Möglichkeit sollten Arbeitnehmer in Home-Office arbeiten.
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Für Bürotätigkeiten könnten Coworking Spaces reserviert werden, damit Arbeitsteams weiterhin effektiv zusammenarbeiten können. Auch eine Zusammenarbeit in Privathäusern kann organisiert werden.
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Es sollte nur das Kernpersonal, welches zur Aufrechterhaltung der Produktion bzw. des Dienstleistungsangebots essentiell ist, weiter im Betrieb arbeiten. Vorübergehend nicht benötigtes Personal sollte von der Arbeit freigestellt werden.
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Unbesetzte Schlüsselfunktionen sollten mit Fremdpersonal besetzt werden.
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Im produzierenden Gewerbe sollten Lagerkapazitäten hochgefahren werden. An Double-Source Produktionen in anderen Betriebsstätten ist zu denken.
12. Fazit
In Zeiten von erhöhten Gesundheitsrisiken bestehen für Arbeitgeber verschiedene Befugnisse und Möglichkeiten, ihre Arbeitnehmer zu schützen und den Betrieb gleichzeitig aufrechtzuerhalten. Diese richten sich nach den allgemeinen arbeitsrechtlichen Regelungen. Erlangen Arbeitgeber Kenntnis von konkreten Erkrankungen in der Belegschaft oder Kenntnis eines besonderen Risikos, trifft diesen neben der bis dahin bestehenden allgemeinen Präventionsaufgabe die Pflicht, darüber hinausgehende besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Arbeitnehmer haben hierdurch in der Regel keine wirtschaftlichen Nachteile. Sie sind jedoch gehalten, sich an die Schutzmaßnahmen und an die Weisungen des Arbeitgebers zu halten.
Timo Seyffer ist Associate bei Bird & Bird LLP und berät in- und ausländische Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts.
Thomas Hey, RA/FAArbR, (re.), ist Partner bei Bird & Bird LLP und berät Mandanten in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, des Mitbestimmungsrechts und des Tarifvertragsrechts.