Caroline Scholke: COVID-19 – Infizierung des europäischen Beihilferechts?
Seit Beginn der wirtschaftlichen Einbrüche aufgrund der Corona-Krise ergehen die Entscheidungen der EU-Kommission zur Genehmigung staatlicher Beihilfen Schlag auf Schlag. Während bisher das Notifizierungsverfahren bei der EU-Kommission von der Einreichung der Anmeldung bis zur Genehmigung mehrere Monate dauerte, benötigen die krisenbedingten Genehmigungen meist wenige Tage bzw. längstens wenige Wochen.
Doch das scheint einigen nicht schnell genug zu gehen. So forderte Österreich sowohl eine Lockerung als auch eine temporäre punktuelle Aussetzung des europäischen Beihilferechts für die Zeiten nach der Krise, um flexibel und möglichst unbürokratisch auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der betroffenen Unternehmen zu reagieren.
Die Forderung der Aussetzung der beihilferechtlichen Vorschriften ist – insbesondere aus Sicht der betroffenen Unternehmen – nachvollziehbar. Sie steht jedoch im Widerspruch zu Sinn und Zweck der EU-Beihilfekontrolle. Diese soll den fairen und freien Wettbewerb im Binnenmarkt gewährleisten. Zudem stellt die EU-Beihilfekontrolle sicher, dass die nationalen Maßnahmen die betroffenen Unternehmen wirksam unterstützen und es insbesondere nicht zu schädlichen Subventionswettläufen zu Lasten schwächer aufgestellter Mitgliedstaaten kommt. Wenig überraschend tritt auch die Wettbewerbskommissarin, Margrethe Vestager, den Forderungen Österreichs entgegen und stellt klar, dass unkoordinierte einzelstaatliche Maßnahmen letztlich nicht nur nachteilig für alle europäischen Bürger und Unternehmen wären, sondern dass damit auch Gefahr gelaufen würde, das "level playing field" in der EU zu untergraben.
Die EU-Kommission hat schnell auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Unternehmen im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch reagiert und die beihilferechtlichen Vorschriften bereits erheblich flexibilisiert. Mit dem "Befristeten Rahmen" für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts der derzeitigen Krise vom 19. März 2020, der am 8. Mai 2020 zum zweiten Mal erweitert wurde, ermöglicht die EU-Kommission bereits den Mitgliedstaaten die wirksamere Unterstützung der Wirtschaft mittels verschiedener Maßnahmen. Weitere Maßnahmen werden von der EU-Kommission fortlaufend geprüft.
Dass sich das europäische Beihilferecht bewährt hat, zeigt ein Rückblick auf die Finanzkrise im Jahr 2008. Damals hat die EU-Kommission ebenfalls mit einer Reihe von Regelungen – insbesondere der sog. Bankenmitteilung und einem "Befristeten Rahmen" – kurzfristig und flexibel auf die Finanzkrise reagiert. Bereits in den damaligen Q&As zum "Befristeten Rahmen" wurde klargestellt, dass gerade in Zeiten einer Finanz- bzw. Wirtschaftskrise die EU-Beihilfekontrolle von besonderer Bedeutung sei, um einerseits der Versuchung wettbewerbsschädigender Beihilfen und andererseits einem Subventionswettlauf entgegenzuwirken. Zwar hat es einige Jahre gedauert, bis sich die europäische Wirtschaft wieder erholen konnte. Allerdings hat die EU-Beihilfekontrolle nicht nur für die Beibehaltung eines unverzerrten Wettbewerbs im Binnenmarkt und damit zur Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen und der europäischen Wirtschaft insgesamt beigetragen, sondern auch letztlich den Aufschwung der europäischen Wirtschaft nach der Krise gestützt.
Die Beibehaltung der EU-Beihilfekontrolle hat sich daher in der Finanzkrise bewährt. Nichts anderes ist auch für die gegenwärtige Krise zu erwarten. Daher besteht kein Grund, die EU-Beihilfevorschriften gänzlich auszusetzen. Schließlich können die Mitgliedstaaten eine Regelung mit einem umfassenden Maßnahmenkatalog bei der EU-Kommission anmelden. Nach der Genehmigung durch die EU-Kommission können notwendige Einzelbeihilfen auf dieser Grundlage ohne eine erneute Einzelanmeldung und damit ohne eine zeitliche Verzögerung gewährt werden.
Caroline Scholke, LL.M. (King's College London), ist als Senior Associate im Düsseldorfer Büro von Clifford Chance tätig. Sie berät nationale und internationale Mandanten in allen Bereichen des deutschen und europäischen Kartellrechts sowie im europäischen Beihilferecht.