Dr. Niels Henckel: Bilanzierung von Altersversorgungsverpflichtungen – Zwei bisher wenig beachtete Änderungen des IDW RS HFA 30 verdienen Aufmerksamkeit
Kurz vor Jahresende wurde IDW RS HFA 30 n. F. zur handelsrechtlichen Bilanzierung von Altersversorgungsverpflichtungen verabschiedet. Die Änderungen gegenüber der bisherigen Fassung betreffen vor allem jüngere Gesetzesänderungen. Zu nennen sind
– das Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie mit dessen Auswirkungen auf den Abzinsungszinssatz, flankiert durch eine Ausschüttungssperre, sowie
– das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz mit dessen Auswirkungen auf Anhangangaben betreffend die Altersversorgung.
Zwei andere Änderungen, die ohne gesetzlichen Anlass vorgenommen wurden, fanden m. E. zu Unrecht vergleichsweise wenig Beachtung.
Für die Bilanzierung von Altersversorgungsverpflichtungen gelten teilweise besondere, privilegierende, von den allgemeinen Regeln abweichende Vorschriften. Anzuführen sind die Saldierung mit zum Zeitwert bewertetem Deckungsvermögen (§ 246 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 253 Abs. 1 S. 4 HGB), die Bewertung wertpapiergebundener Zusagen (§ 253 Abs. 1 S. 3 HGB), die Ermittlung des Zinssatzes für eine pauschale Restlaufzeit (§ 253 Abs. 2 S. 2 HGB) sowie die Abzinsung mit einem über zehn Jahre geglätteten Abzinsungszinssatz (§ 253 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 HGB). Teilweise gelten diese Regeln nur für Altersversorgungsverpflichtungen, teilweise zusätzlich auch für mit diesen vergleichbare langfristig fällige Verpflichtungen. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber diese Regeln nur für genau definierte und eben keine anderen Fälle geschaffen hat.
Die Auslegung des Berufsstands der Wirtschaftsprüfer orientierte sich bisher am Arbeitsrecht (§§ 1 Abs. 1, 17 Abs. 1 S. 2 BetrAVG: wenn einem Arbeitnehmer Leistungen der Alters-, Invaliden- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber zugesagt werden). Ausweislich der Begründung zum BilMoGsetzt eine Altersversorgungsverpflichtung das Bestehen einer Schuld gegenüber einem Mitarbeiter voraus. Darauf, dass der Gesetzgeber mit „Mitarbeiter“ solche eines fremden Unternehmens gemeint haben könnte, deutet nichts hin. Nach bisher h. M. nahm man daher an, dass einer Schuld gegenüber einem Mitarbeiter ein Beschäftigungsverhältnis, also eine Tätigkeit für den Bilanzierenden, zugrunde liegen müsse. Die Definition in IDW RS HFA 30 n.F. Tz. 7 wurde nun ausgeweitet, und damit der Anwendungsbereich der besonderen Vorschriften: „Unter Altersversorgungsverpflichtungen […] sind solche Verpflichtungen gegenüber Versorgungsberechtigten zu verstehen, die aufgrund einer aus Anlass einer Tätigkeit für ein Unternehmen zugesagten Leistung der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung entstehen […]“ Bisher hieß es: „[…] für das Unternehmen […]“. Das soll eine Anpassung an jüngere BFH-Rechtsprechung zu entgeltlich übernommenen, ungewissen Verpflichtungen darstellen. Dieser Schluss ergibt sich m. E. jedoch zumindest nicht zwangsläufig, betrafen die mutmaßlich gemeinten Urteile vom 12.12.2012 (I R 69/11 und I R 28/11) doch die Bilanzierung beim übernehmenden Rechtsträger nach einer Ausgliederung bzw. beim Betriebsübernehmer nach einem Betriebsübergang. Dass diese eine Pensionsrückstellung anzusetzen haben, wurde m. E. bisher nicht bestritten. Fraglich ist dies aber beim Schuldbeitretenden, der einer fremden Altersversorgungsverpflichtung beitritt (also keine Schuldübernahme vorliegt), jedoch nie Arbeitgeber der Versorgungsberechtigten war oder wird. Das BFH-Urteil vom 26.4.2012 (IV R 43/09) betrifft zwar einen Schuldbeitritt, jedoch nicht die Bilanzierung beim Schuldbeitretenden, sondern die beim Primärverpflichteten. Dass der BFH eine Aussage zum Ausweis der Freistellungsverpflichtung beim Schuldbeitretenden treffen wollte, ist zweifelhaft. Vermutlich war es eher der Wunsch der Bilanzierungspraxis, den Anwendungsbereich der besonderen Vorschriften über die gesetzlich explizit zugelassen Fälle hinaus auszuweiten, der zu der Änderung geführt hat. M. E. hätte es für die Behandlung einer durch Schuldbeitritt zu einer Altersversorgungsverpflichtung entstandenen Freistellungsverpflichtung als Altersversorgungsverpflichtung einer gesetzlichen Fiktion bedurft.
Die Bilanzierung bei Schuldbeitritten erfährt auch auf der Ebene des Primärverpflichteten weitreichende Veränderungen. Obwohl Schulden nach § 246 Abs. 1 S. 3 HGB stets in der Bilanz des zivilrechtlichen Schuldners aufzunehmen sind, wird es für zulässig bzw. zwingend gehalten, dass deren Ansatz beim Primärverpflichteten nach einem Schuldbeitritt mit vollständiger, im Innenverhältnis erklärter Erfüllungsübernahme unterbleibt. Nach bisher h. M. setzte dies voraus, dass eine Gesamtschuld besteht und die Inanspruchnahme des Primärverpflichteten durch die Versorgungsberechtigten so gut wie ausgeschlossen ist (vgl. statt vieler Henckel, BetrAV 2015, 651 m. w. N.). War die Bonität des Schuldbeitretenden nicht einwandfrei oder bestand die Möglichkeit zur nachträglichen Belastung des Primärverpflichteten, stand dies der Nettobilanzierung entgegen. In IDW RS HFA 30 n. F. Tz. 101a wurde das Wort „sofern“ durch „soweit“ ausgetauscht – mit weitreichenden Folgen: Anders als bisher sind Pensionsrückstellungen auszubuchen, soweit keine Inanspruchnahme aus der gesamtschuldnerischen Haftung droht. Damit ist eine Entpassivierung schon dann anteilig zulässig, wenn den Altersversorgungsverpflichtungen beigetreten wird, aber einzelne (bspw. biometrische oder Zinsänderungs-)Risiken beim Primärverpflichteten verbleiben. Dass die Inanspruchnahme des Primärverpflichteten durch die Versorgungsberechtigten so gut wie ausgeschlossen ist, ist nicht mehr notwendig; auch Nachbelastungsklauseln schaden nicht mehr. Vielmehr erscheint es nur insoweit unzulässig, die Pensionsrückstellung auszubuchen, in dem die zurückbehaltenen Risiken einen positiven, abgezinsten Erfüllungsbetrag haben.
M. E. ist auch diese Änderung bedenklich, weil beim rechtlichen Schuldner der Altersversorgungsverpflichtung entgegen § 246 Abs. 1 S. 3 HGB nun regelmäßig keine Rückstellung mehr zum Ansatz kommen dürfte. Der Wille des Gesetzgebers war es jedoch lt. Gesetzesbegründung zum BilMoG, Schulden verpflichtend anzusetzen, solange der Schuldner im Außenverhältnis rechtlich verpflichtet ist. Eine wirtschaftliche Zurechnung von Schulden ähnlich der von Vermögensgegenständen verbietet sich nach dem Gesetzeswortlaut. Auch eine Berücksichtigung des Freistellungsanspruchs mittels kompensatorischer Bewertung der Altersversorgungsverpflichtung kommt nicht in Betracht. Dies würde nämlich voraussetzen, dass es sich bei diesem um einen nicht aktivierbaren Anspruch handelt. Ein Freistellungsanspruch ist aber aktivierbar, weil die sich aus der Freistellung ergebende Vermögensmehrung im Umfang der passivierten Verpflichtung endgültig gesichert ist. Der Grundsatz der Nicht-Bilanzierung erfolgswirksam zu erfassender, aufschiebend bedingter Ansprüche vor Bedingungseintritt wird nicht verletzt. Außerdem würde eine kompensatorische Bewertung voraussetzen, dass der Anspruch in verbindlicher Weise der Entstehung bzw. Erfüllung der Verpflichtung nachfolgt. Die Altersversorgungsverpflichtung ergibt sich jedoch aus einer Versorgungszusage und der Freistellungsanspruch aus der Erfüllungsübernahme, sie resultieren nicht aus demselben Sachverhalt.
Es ist zu begrüßen, dass IDW RS HFA 30 n.F. Unterstützung bei der Auslegung der geänderten Gesetzesvorschriften leistet. Mit darüber hinaus vorgenommenen Änderungen werden allerdings Auffassungen aufgegeben, für die die m. E. überzeugenderen Gründe sprachen. Deshalb verdienen gerade diese Änderungen Aufmerksamkeit.
Dr. Niels Henckel ist Wirtschaftsprüfer in der Zentralabteilung Rechnungslegung (Accounting Advisory Group) der BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft am Standort Düsseldorf. Er berät Mandanten und Kollegen der unterschiedlichen Bereiche der BDO AG zu Fragen vor allem der nationalen Rechnungslegung.