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BB-Standpunkte
10.02.2020
BB-Standpunkte
Dr. Alexander Bissels, RA/FAArbR: BAG entscheidet zu Equal Pay – Obacht bei der Arbeitsvertragsgestaltung!

Das BAG hat im Oktober 2019 über einen Equal Pay-Fall entschieden (Urt. v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18), der bereits laut der dazu veröffentlichten Pressemitteilung erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsvertragsgestaltung mit Zeitarbeitnehmern haben kann. Sollten in diesem Zusammenhang Fehler gemacht werden bzw. gemacht worden sein, besteht die Gefahr, dass der Equal Pay-/Equal Treatment-Grundsatz nicht wirksam abbedungen worden ist, sondern dass dieser ab dem ersten Tag des Einsatzes – mit sämtlichen damit verbundenen Konsequenzen (u.a. Nachzahlungsansprüche der Zeitarbeitnehmer, Verwirklichung einer Ordnungswidrigkeit, Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen u.a.) – zu beachten gewesen wäre. Inzwischen liegen die vollständig abgesetzten Entscheidungsgründe vor, die diesen Befund bestätigen.

Aus diesen ergibt sich, dass der 4. Senat des BAG davon ausgeht, dass es zur Abbedingung des Gleichstellungsgrundsatzes erforderlich ist, dass ein Tarifwerk der Zeitarbeit aufgrund einer beidseitigen Tarifbindung von Personaldienstleister und Zeitarbeitnehmer (in der Praxis die Ausnahme) oder aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel (in der Praxis die Regel) grundsätzlich uneingeschränkt und in Gänze angewendet wird. Dies gilt grundsätzlich auch für im Tarifvertrag geregelte Arbeitsbedingungen, die an sich nicht zwingend vom gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz erfasst wären (vgl. BAG v. 23.3.2011 – 5 AZR 7/10), insbesondere für die in den Tarifverträgen vorgesehenen Ausschlussfristen (vgl. BAG v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18 Rn. 37).

Das BAG erkennt jedoch an, dass von dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifwerk der Zeitarbeit abgewichen werden kann, wenn arbeitsvertraglich Regelungen vereinbart werden, die entweder Gegenstände betreffen, die ihrerseits tariflich nicht geregelt sind, oder die zu Gunsten des Zeitarbeitnehmers von den tariflichen Bestimmungen abweichen. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, gilt bei arbeitsvertraglichen "Modifikationen" des Tarifvertrages ab dem ersten Tag der Überlassung der gesetzliche Gleichstellungs- und damit insbesondere der Equal Pay-Grundsatz. Eine Geringfügigkeitsschwelle sieht das BAG grundsätzlich nicht vor. Ein "Verschulden" des den Arbeitsvertrag in der Regel aufsetzenden Personaldienstleisters wird vom BAG ebenfalls nicht verlangt. Ob dabei tatsächlich jede auch noch so geringfügige arbeitsvertragliche, zu Lasten des Zeitarbeitnehmers wirkende Abweichung von den tariflichen Bestimmungen schadet, ist durchaus zweifelhaft. Letztlich dürfte eine differenzierte Betrachtung geboten sein, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, ob die von § 8 Abs. 1 AÜG erfassten Arbeitsbedingungen betroffen sind und in welchem Umfang Änderungen zu Lasten des Zeitarbeitnehmers vorgenommenen wurden. Für eine solche bestand aufgrund der in dem vom BAG entschiedenen Fall von dem Personaldienstleister vorgenommenen drastischen Modifikationen der tariflichen Regelungen im Arbeitsvertrag keine Notwendigkeit.

Im Fokus dürften in der Praxis dabei u.a. Ausschlussfristen stehen: Sollte in dem mit dem Zeitarbeitnehmer abgeschlossenen Arbeitsvertrag eine solche vorgesehen worden sein, die unabhängig von der tariflichen Bestimmung gelten soll, mag dies nach der Entscheidung des BAG weiterhin uneingeschränkt zulässig sein, solange und soweit die arbeitsvertragliche Verfallfrist den tariflichen Vorgaben 1:1 entspricht (diese Voraussetzung dürfte aus AGB-rechtlichen Gründen in der Regel nicht erfüllt sein, wenn – wie oftmals in den von den Personaldienstleistern verwendeten Arbeitsverträgen – eine konstitutiv wirkende Ausschlussfrist vereinbart werden soll) oder diese Abweichungen enthält, die ausschließlich zu Gunsten des Zeitarbeitnehmers wirken. Im Ergebnis sollte zumindest das von dem Personaldienstleister verwendete Arbeitsvertragsmuster bzgl. der Ausschlussfrist einer entsprechenden Überprüfung unterzogen werden, um für die Zukunft die Beachtung der vom BAG aufgestellten Grundsätze sicherzustellen und die (wirksame) Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz gewährleisten zu können.  
Dies gilt grundsätzlich auch mit Blick auf weitere Abreden in dem verwendeten Arbeitsvertragsmuster, insbesondere wenn der angewendete bzw. in Bezug genommene Tarifvertrag bereits (Teil-)Regelungen vorsieht und arbeitsvertraglich darüber hinaus gehende Bestimmungen vereinbart werden – wie in der Praxis häufig in Zusammenhang mit der Urlaubsgewährung oder mit dem altersbedingten Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Dabei wird bei der Beantwortung der Frage eine maßgebliche Rolle spielen, ob die Tarifverträge mit derartigen (Teil-)Regelungen als abschließend zu verstehen sind (mit der Folge, dass arbeitsvertraglich ergänzende Bestimmungen nur zu Gunsten des Zeitarbeitnehmers vereinbart werden können) oder ob für die Arbeitsvertragsparteien weiterhin ein eigener Gestaltungs- und Regelungsspielraum verbleibt, der durch ergänzende und konkretisierende vertragliche Abreden ausgefüllt werden darf. Im Einzelfall wird eine rechtssichere Antwort kaum möglich sein (außer für den Fall einer gänzlichen Nichtregelung eines inhaltlich abgrenzbaren Themenkomplexes im Tarifvertrag), so dass durch die Entscheidung des BAG eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit begründet wird, ob durch die verwendeten Arbeitsverträge der Gleichstellungsgrundsatz wirksam abbedungen worden ist oder nicht. Problematisch ist dies nicht nur hinsichtlich etwaiger Nachforderungen von Zeitarbeitnehmern, sondern auch mit Blick auf die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und auf Prüfungen durch die BA. 
Einen (weiteren schwelenden) Konflikt konnte das BAG in dessen Urteil vom 16.10.2019 ausdrücklich offenlassen, nämlich ob die gesetzlich als zulässig anerkannte Möglichkeit, den Gleichstellungsgrundsatz durch die Anwendung der Tarifverträge der Zeitarbeit oder eine entsprechende Bezugnahme auf diese abzubedingen, mit europarechtlichen Vorgaben aus der Zeitarbeitsrichtlinie in Einklang steht. Dies wird teilweise bestritten. Die damit befassten Instanzgerichte sind – soweit bekannt – bislang unisono von einer Europarechtskonformität ausgegangen und haben die von Zeitarbeitnehmern anhängig gemachten Klagen auf Equal Pay abgewiesen (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 6.12.2018 – 14 Sa 27/18; LAG Nürnberg v. 20.2.2019 – 2 Sa 402/18; LAG Nürnberg v. 5.3.2019 – 5 Sa 230/18; dazu: Bissels/Falter, jurisPR-ArbR 16/2018 Anm. 3; ArbG Gießen v. 14.2.2018 – 7 Ca 246/17, beendet durch einen Vergleich in der Berufung beim Hess. LAG, Az. 13 Sa 360/18). Beim BAG sind zu dieser Frage gleich drei Revisionen anhängig (Az. 5 AZR 22/19, 5 AZR 131/19, 5 AZR 143/19). In dem letztgenannten Verfahren ist ein Termin für den 29.4.2020 anberaumt worden; sollte das BAG in diesem die Entscheidung des LAG Nürnberg vom 20.2.2019 aus europarechtlichen Erwägungen kippen (oder dem EuGH vorlegen), steht die Zeitarbeitsbranche vor einem ganz anderen Problem, nämlich dass eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz durch die Tarifverträge der Zeitarbeit nicht mehr möglich ist und auch in der Vergangenheit nicht möglich war, verbunden mit allen Konsequenzen, die insbesondere den CGZP-Anwendern noch gut in Erinnerung sein dürfte – mit einem Unterschied, nämlich dass "Sonderprüfungen" der DRV, die regelmäßig mit einer (erheblichen) Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen verbunden sein können, flächendeckend durchgeführt werden könnten. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Kelch an der Zeitarbeitsbranche vorbeigehen und das BAG unter Berücksichtigung der dem Gericht zustehenden Bewertungsspielräume mit Augenmaß entscheiden wird.

Dr. Alexander Bissels, RA/FAArbR, ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche Sigle. Er berät Unternehmen auf sämtlichen Gebieten des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere zu Fragen zum Fremdpersonaleinsatz (Arbeitnehmerüberlassung/Werkvertrag).

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