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BB-Standpunkte
26.09.2016
BB-Standpunkte
Dr. Alexander Bissels/Kira Falter: BAG bestätigt die sog. Fallschirmlösung bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung

I.          Hintergrund

Nach ganz überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung schützt eine vorsorglich eingeholte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis vor den unerwünschten Folgen eines "Scheinwerkvertrages"; die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses zwischen dem de facto als Zeitarbeitnehmer eingesetzten Mitarbeiter und dem Kundenunternehmen wird durch diese verhindert, selbst wenn sich der an sich vereinbarte Werkvertrag im Nachgang als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung darstellen sollte (vgl. nur: LAG Baden-Württemberg v. 18.06.2015 – 6 Sa 52/14; LAG Rheinland-Pfalz v. 28.05.2015 – 2 Sa 689/14; LAG Baden-Württemberg v. 10.10.2014 - 17 Sa 22/14; Bissels/Falter, DB 2015, 1842). Eine vorsorglich eingeholte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis wirkt in diesem Fall folglich wie ein "Fallschirm".

Allerdings ist die herrschende Ansicht nicht unumstritten. Nach einer Mindermeinung soll es ein widersprüchliches Verhalten sowohl des Dienstleisters als auch des Kundenunternehmen darstellen, sich bei einem an sich vereinbarten Werkvertrag nunmehr auf ein Arbeitnehmerüberlassungsverhältnis bei bestehender (Vorrats-)Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu berufen. Die Parteien hätten sich während der gesamten Vertragslaufzeit gerade außerhalb des AÜG stellen wollen und somit bewusst den durch das AÜG vermittelten Sozialschutz des Klägers zu verhindern versucht. Vor diesem Hintergrund soll vielmehr ein Arbeitsvertrag zwischen dem "Zeitarbeitnehmer" und dem Kundenunternehmen als zustande gekommen gelten (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 03.12.2014 – 4 Sa 41/14; im Ergebnis auch: Brose, DB 2014, 1739).

II.         BAG: Der Fallschirm trägt (zunächst) weiter!

Dieser Auffassung hat der 9. Senat des BAG inzwischen eine Absage erteilt und damit die "Fallschirmlösung" ausdrücklich bestätigt (Urt. v. 12.07.2016 – 9 AZR 352/15).

1.         Sachverhalt

Die Klägerin ist technische Zeichnerin. Sie war bei der Beklagten, einem Automobilunternehmen, seit dem Jahr 2004 bis zum 31.12.2013 tätig. Grundlage ihrer Tätigkeit waren zwischen der Beklagten und der Vertragsarbeitgeberin der Klägerin als Werkverträge bezeichnete Vereinbarungen. Die Vertragsarbeitgeberin verfügte über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Die Klägerin meint, ihre Vertragsarbeitgeberin und die Beklagte hätten nur Scheinwerkverträge geschlossen, um die Arbeitnehmerüberlassung zu verdecken. Die Beklagte könne sich deshalb nicht auf die erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung berufen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 07.05.2015 – 6 Sa 78/14), mit der die Klägerin insbesondere festgestellt haben wollte, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis besteht.

2.         Begründung

Die Revision der Klägerin hatte vor dem BAG laut einer Pressemitteilung vom 12.07.2016 keinen Erfolg. Zwischen der Beklagten und der Klägerin sei auch dann kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, selbst wenn die Klägerin auf der Grundlage eines Scheinwerkvertrags als Zeitarbeitnehmerin der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden wäre. Dies gelte jedenfalls, wenn ein Arbeitgeber – wie vorliegend - über die nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis verfüge und der Einsatz der Zeitarbeitnehmerin nicht als Arbeitnehmerüberlassung, sondern als Werkvertrag bezeichnet worden sei (verdeckte Arbeitnehmerüberlassung).

Maßgeblich - so der 9. Senat wörtlich - sei, dass die Vertragsarbeitgeberin der Klägerin über die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verfügt habe. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG fingiere i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses ausschließlich bei einer fehlenden Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift bei einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe für eine solche nicht offene Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet.

3.         Entscheidung über weitere Revisionen

Der 9. Senat hat am 12.07.2016 zudem über zahlreiche weitere vergleichbare Fälle entschieden, in denen sich das in Anspruch genommene Kundenunternehmen auf die vorsorgliche Überlassungserlaubnis des eigentlichen Vertragsarbeitgebers berufen hat (Az. 9 AZR 51/15 zu LAG Baden-Württemberg v. 04.12.2014 – 4 Sa 41/14; Az. 9 AZR 359/15 zu LAG Baden-Württemberg v. 18.06.2015 – 6 Sa 52/14; Az. 9 AZR 537/15 zu LAG Rheinland-Pfalz v. 28.05.2015 – 2 Sa 689/14; Az. 9 AZR 595/15 zu LAG Baden-Württemberg v. 12.08.2015 – 21 Sa 98/14).

III.        Konsequenzen für die Praxis

1.         Equal pay-Ansprüche nicht ausgeschlossen

Die Entscheidung des BAG ist richtig. Jedoch ist in diesem Zusammenhang folgender, für den Dienstleister nicht unerheblicher Umstand zu beachten: Liegt eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vor, dürfte im Zweifel auch ein equal pay-Anspruch der de facto überlassenen Arbeitnehmer entstanden sein. Dieser dürfte in den verwendeten Arbeitsverträgen im Zweifel nicht abbedungen worden sein, z.B. durch eine Bezugnahme auf die Tarifverträge der Zeitarbeit, ist doch "offiziell" gerade keine Arbeitnehmerüberlassung vereinbart und durchgeführt worden, so dass auch keine Notwendigkeit bestanden hat, die entsprechenden Tarifverträge anzuwenden. Ist das Vergleichsentgelt der im Kundenbetrieb eingesetzten Stammbeschäftigten höher, können folglich Nachzahlungsansprüche der Mitarbeiter entstehen, denen aber etwaig arbeitsvertragliche, AGB-rechtlich wirksame Ausschlussfristen entgegengehalten werden können; in der Praxis werden derartige Ansprüche auch eher selten und regemäßig nicht mit "Breitenwirkung" geltend gemacht. Schwerer wiegen können hingegen etwaig von den Sozialversicherungsträgern verlangte Nachforderungen; Ausschlussfristen greifen hier nicht. Nach der überwiegenden Ansicht kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob der "Zeitarbeitnehmer" seinen Anspruch gegen den Dienstleister geltend gemacht hat (Anwendung des Entstehungsprinzips).

2.         Mithaftung des Kunden nicht ausgeschlossen

Auch für den Kunden kann die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung – zumindest finanziell – ein Risiko darstellen: Das BAG hat für den Fall, dass in rechtsmissbräuchlicher Weise die Anwendung der bei dem Kunden geltenden Arbeitsbedingungen umgangen werden soll, angenommen, dass dies ggf. zu Leistungspflichten des Entleihers führen kann (vgl. BAG v. 15.05.2013 - 7 AZR 494/11). Das LAG Rheinland-Pfalz hat daraus abgeleitet, dass unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs eine akzessorische Mithaftung des Kunden für equal pay-Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Verleiher denkbar sein könnte (vgl. Urt. v. 28.05.2015 - 2 Sa 689/14). Das BAG hat am 12.07.2016 auch über die Revision gegen dieses Urteil entschieden (Az. 9 AZR 537/15). Es bleibt abzuwarten, bis die vollständig abgesetzten Gründe vorliegen, um analysieren zu können, ob der 9. Senat diesen Aspekt (erneut) aufgenommen und diskutiert hat.

3.         Ordnungswidrigkeit

Darüber hinaus können bei der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung (fahrlässig) Ordnungswidrigkeiten verwirklicht werden (vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 7a, 9, 10, 17, 18 AÜG), die im Zweifel Ermittlungsverfahren der zuständigen Behörden nach sich ziehen können.

IV.       AÜG-Reform: Faktische Abschaffung der Fallschirmlösung geplant

Abgesehen davon ist für die Zukunft zu beachten, dass der Gesetzgeber der "Fallschirmlösung" voraussichtlich mit Wirkung zum 01.01.2017 einen Riegel vorschieben wird. Aus den bislang bekannt gewordenen Gesetzesentwürfen zur Regulierung des Fremdpersonaleinsatzes geht hervor, dass sich zukünftig auf die legitimierende Wirkung einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis nur derjenige berufen können soll, der den zugrunde liegenden Vertrag ausdrücklich als "Arbeitnehmerüberlassung" bezeichnet; ansonsten wird ein Arbeitsverhältnis zum Kundenunternehmen fingiert (vgl. § 1 Abs. 1 S. 5 i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1a, 10 Abs. 1 AÜG-E).

Sollten diese Pläne Gesetzeskraft erlangen, wofür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, würde dies gleichzeitig das Ende der "Fallschirmlösung" bedeuten. Gerade in Grenzbereichen, in denen nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen ist, ob noch ein Werk-/Dienstvertrag oder schon eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, kann sich der Auftragnehmer durch eine vorsorglich eingeholte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Dienstleisters nicht mehr ohne weiteres "freizeichnen". Vielmehr müssen sich die Beteiligten aktiv für die Durchführung einer Arbeitnehmerüberlassung entscheiden und dies im Vertrag entsprechend kennzeichnen, um die legitimierende Wirkung der Erlaubnis nach § 1 AÜG für sich in Anspruch nehmen zu können. Dies führt zu dem zweifelhaften Ergebnis, dass sich die Parteien "sicherheitshalber" dafür entscheiden werden, den Vertrag als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen, obwohl de facto ein Werkvertrag durchgeführt wird. Der "Scheinwerkvertrag" würde damit seine Entsprechung in einer "Scheinarbeitnehmerüberlassung" finden.

Dr. Alexander Bissels, RA/FAArbR, ist Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche Sigle. Er berät Unternehmen auf sämtlichen Gebieten des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere zu Fragen zum Fremdpersonaleinsatz (Arbeitnehmerüberlassung/Werkvertrag).

Kira Falter ist Rechtsanwältin bei CMS Hasche Sigle in Köln. Sie berät nationale und internationale Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere bei der Begründung und Beendigung von Arbeits- und Dienstvertragsverhältnissen, der Vorbereitung und Durchführung von Umstrukturierungen, Outsourcing und Personalanpassungsmaßnahmen.

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