Burkhard Göpfert: Arbeitsrechtlicher Umgang mit Pandemien - "Der Staat muss nicht zum Ersatz-Arbeitgeber werden"
Wenn eine Pandemie wie Corona den Betrieb erreicht, sind nicht nur Umsatz und Gewinn gefährdet. Auch in der Personalabteilung und bei den Arbeitnehmervertretern schrillen die Alarmglocken, denn die Belegschaft ist auf vielen Feldern direkt betroffen: Die Zeiten und der Ort der Arbeit kann sich ändern sowie der Gesundheitsschutz und die Vergütung. Der renommierte Arbeitsrechtler Dr. Burkard Göpfert, Partner der Kanzlei Kliemt in München, hat gemeinsam mit Holger Dahl dazu den hochaktuellen Leitfaden „Arbeitsrechtlicher Umgang mit Pandemien“ geschrieben. Zu den wichtigsten Fragen nimmt er hier kompakt Stellung.
Herr Dr. Göpfert, eine Pandemie wie jetzt bei Corona gab es in der Bundesrepublik noch nie, deshalb existiert auch keine Rechtsprechung dazu – worauf stützen sich Ihre Einschätzungen juristisch?
In der Tat kennen wir Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer Pandemie nur hinsichtlich einzelner Regelungskomplexe. Daher sind lediglich Ableitungen aus den generell maßgeblichen Gesetzen möglich. Dies sind zum Beispiel: Bundesurlaubsgesetz, Kündigungsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz und natürlich sämtliche Sozialgesetzbücher. Auf dieser Grundlage lassen sich aber auch die meisten Fragestellungen lösen.
Wenn Aufträge wegbrechen, gilt Kurzarbeit häufig als probates Mittel zur Abfederung vorübergehender Unterbeschäftigung. Was ändert sich gegenüber den gewohnten Beantragungs-Abläufen in einer Pandemie?
Es gibt jetzt einige Sonderregelungen zur Kurzarbeit: So reicht es beispielsweise, wenn zehn Prozent der Belegschaft von einem Entgeltausfall betroffen sind. Zudem werden von den Agenturen für Arbeit an die geltenden Begründungspflichten bei der Anzeige von Kurzarbeit teilweise geringere Anforderungen gestellt; bei einigen Agenturen soll sogar die Angabe „Corona-bedingt“ ausreichen. Darüber hinaus erkennen wir zunehmend arbeitgeberfreundliche Interpretation der Vorschriften, etwa um Arbeitnehmer möglichst lange in Kurzarbeit zu halten, obwohl sich Kündigungen abzeichnen. Wichtig ist dabei natürlich, dass zwischen konjunkturbedingten beziehungsweise unternehmensspezifischen Gründen einerseits und der Pandemie als Auslöser für die Kurzarbeit andererseits unterschieden wird.
Wie schnell können die Betriebsparteien Kurzarbeit einführen? Und was müssen sie dabei beachten?
Entsprechende Betriebsvereinbarungen kann man an einem Tag verhandeln, manchmal dauert es länger, aber die Verhandlung abzuschließen plus den Antrag bei der Arbeitsagentur zu stellen, ist innerhalb einer Woche möglich. Das war übrigens in der Finanzkrise genauso, und von diesem Erfahrungsschatz in Unternehmen und Verwaltung profitieren wir jetzt alle.
In der Baubranche gibt es für schwer kalkulierbare, umweltbedingte Phasen der Auszeit das „Schlechtwettergeld“. Dieses hilft rasch und zwar ohne aufwändiges Mitbestimmungsprocedere. Wäre so etwas nicht auch für Pandemien denkbar?
Da muss man aufpassen, denn zurzeit werden derartig viele Töpfe aufgemacht für Kleinstunternehmen, Künstler und andere Unternehmen, dass eigentlich der Werkzeugkasten bei uns in Deutschland schon gut bestückt ist. Vor diesem Hintergrund ist eine Art Minimalentgelt, so wie jetzt in England oder Amerika diskutiert, hierzulande nicht nötig. Der Staat muss nicht zum Ersatzarbeitgeber werden! Viel besser ist es, wenn die Betriebe in der Krise aufrechterhalten werden und auch die Struktur: Hier das Unternehmen, das den Lohn zahlt, dort Arbeitnehmer, der den Lohn für seine Tätigkeit erhält – so bleibt nämlich auch die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber erhalten.
Um Ansteckungen zu verhindern, sollen beziehungsweise wollen viele Beschäftigte ins Homeoffice wechseln. Müssen dafür Arbeitgeber und Arbeitnehmer dem zustimmen?
Ja, Arbeitnehmer müssen gefragt werden, niemand kann gegen seinen Willen ins Homeoffice geschickt werden. Solche Vereinbarungen lassen sich innerhalb von zwei Tagen schließen, entweder allgemein mit den Belegschaftsvertretern oder aber individuell. Entsprechende Vordrucke flatterten bereits nach wenigen Pandemie-Tagen massenhaft durch das Internet. Wer allerdings in Quarantäne ist und dann trotz Arbeitsfähigkeit und Möglichkeit die Arbeit im Homeoffice verweigert, kann seinen Vergütungsanspruch verlieren. Falls ein Mitarbeiter nicht die volle Arbeitszeit im Einsatz sein will, muss er Urlaub nehmen.
Hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf eine büroähnliche Ausstattung, um zur Arbeit zuhause angehalten zu werden?
Derzeit funktioniert das Arbeiten in den meisten Fällen ohne komplette Ausstattungen, da alle davon ausgehen, dass diese Situation von kurzer Dauer ist. Falls diese Lage sich aber doch länger hinzöge, würden Fragen der Ausstattung und Kosten wieder thematisiert werden. Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich schon einen Anspruch darauf, dass ihm die zur Arbeit erforderlichen Geräte gestellt und etwaige Kosten für Datenanschluss und ähnliches erstattet werden.
Wie sind die Beschäftigten bei der Arbeit zuhause versichert?
Es muss morgens eine Anmeldung geben zum Homeoffice, dann gilt die Versicherung über die Berufsgenossenschaft BG). Die Anmeldung wird vom Arbeitgeber an die BG übermittelt, aber es reicht in der aktuellen Situation, dass der Arbeitnehmer die Beginn- und Endzeiten selbst erfasst.
Im Falle eines Unfalls müssen diese jedoch nachgewiesen werden. Allerdings sind im Homeoffice nicht enorm viele mögliche Unfälle vorstellbar.
Auch wenn infolge der Pandemie nicht gearbeitet wird, bleibt der Vergütungsanspruch der Belegschaft ja grundsätzlich bestehen. Erhält ein Arbeitgeber die Löhne und Gehälter vom Staat zurückerstattet, falls Mitarbeiter aufgrund von Quarantäne nicht arbeiten können beziehungsweise dürfen?
Der Arbeitgeber trägt das Betriebsrisiko, dazu gehört auch die Quarantäne-Phase eines Mitarbeiters; hier gelten für die Lohnfortzahlung dann zunächst die allgemeinen Regelungen.
Wenn jedoch das Gesundheitsamt die Quarantäne anordnet, bekommt der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber nach dem Infektionsschutzgesetz eine Entschädigung, wenn keine anderen Entgeltfortzahlungsansprüche bestehen; diese kann der Arbeitgeber dann von der zuständigen Behörde erstattet verlangen.
Wie ist die Lage von Zeitarbeitern und freien Mitarbeitern, insbesondere hinsichtlich Vergütung und Kündigungsfristen?
Bei Zeitarbeitern richtet sich diese nach dem Vertrag des Mitarbeiters mit seinem Verleiher. Der Entleiher hingegen kann die Zeitarbeitsmitarbeiter mit sehr engen Fristen nach Hause schicken, das Risiko trägt eben der Verleiher; daher auch die jetzigen Erleichterungen bei der Kurzarbeit. Bei den freien Mitarbeitern gilt das Dienstvertragsrecht mit meist sehr kurzen Kündigungsfristen, beispielsweise vier Wochen.
Aber häufig stellt sich die Frage, ob es wirklich freie Mitarbeiter sind oder nicht doch Kurzarbeitsberechtigte.
In der neuartigen Pandemie-Situation könnten innovative Arbeitszeit-Modelle zur Anwendung kommen. Gibt es bereits Ansätze, wie sich Arbeitsumfang und -zeit in einer solchen Phase individueller gestalten ließen?
Vereinzelt wird diskutiert, ob im Homeoffice die tägliche Arbeitszeit auf 6 Stunden heruntergefahren wird, um dadurch dann nach dem Ende der Pandemie möglicherweise anfallende Überstunden auszugleichen. Vor der Pandemie sah man häufig Arbeitszeitregelungen mit flexibler Arbeitszeit, beispielsweise von erlaubten 30 Stunden minus pro Monat bis hoch zu 50 Plus-Stunden. Jetzt werden durchaus auch bis zu 50 Stunden minus toleriert, aber das sollten sich Unternehmen jeweils für ihre Belegschaft genau anschauen. Denn wenn beispielsweise über Kurzarbeit nachgedacht wird, kann es für überdurchschnittlich gut Verdienende ein Schock sein, da Kurzarbeitergeld in Abhängigkeit zur Beitragsbemessungsgrenze gezahlt wird.
Daher sind oft die „atmenden“ Modelle interessanter, bei denen jetzt weniger gearbeitet wird – bei voller oder eben tatsächlich niedrigerer Vergütung mit vereinbarter Nachhol-Option in späteren Zeiten.
Sind neue Arbeitszeitformen leichter vom Arbeitgeber oder auch vom Arbeitnehmer durchzusetzen unter Hinweis auf die vorübergehende Ausnahmesituation?
Hier sind tatsächlich alle Tabus gefallen: Homeoffice ist gesellschaftsfähig, und das wird nach der Pandemie so bleiben; es wird einen völlig neuen Etablierungsgrad erreichen.
Es gibt nicht mehr die Einteilung der Arbeitswelt in misstrauische Arbeitgeber, die am liebsten die ganze Belegschaft bei sich und unter Kontrolle haben wollen, und auch nicht mehr in solche, die am liebsten alle Bürokosten sparen und nur noch für Homeoffice plädieren.
Büro ausfallen, bieten Videokonferenzen möglicherweise Ersatz für Besprechungen. Können Meetings ohne weiteres per Videokonferenz abgehalten werden?
Grundsätzlich ja. Es ist beeindruckend, wie gut und schnell das flächendeckend technisch funktioniert – die entscheidende Frage wird sein, inwieweit die persönliche Wertschätzung nicht mehr mit der persönlichen Anwesenheit verknüpft wird. Doch werden wir auf alle Fälle in Zukunft deutlich weniger leibhaftige Zusammenkünfte einplanen und weniger Geschäftsreisen planen.
Was ist bezüglich des Datenschutzes bei Videokonferenzen zu beachten?
Die Videokonferenz ist kein datenschutzfreier Raum! Es ist Aufgabe der Konferenz-Teilnehmer, mögliche Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes zu erkennen und nicht zuzulassen. Rechtzeitige Hinweise von Datenschutzbeauftragten sind hilfreich, und viele Unternehmen haben schon entsprechende Betriebsvereinbarungen. Bei einer Videokonferenz gilt die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes: Es muss von allen Beteiligten vorab akzeptiert sein, wenn die Konferenz aufgezeichnet werden soll.
In der Pandemie gilt dem Gesundheitsschutz höchstes innerbetriebliches Augenmerk. Wofür ist der Arbeitgeber verantwortlich, wofür der Arbeitnehmer?
Für den Schutz im Unternehmen ist der Arbeitgeber verantwortlich; er hat dafür zu sorgen, dass ein infizierter Mitarbeiter nicht auf das Gelände kommt. Umgekehrt hat der Mitarbeiter die Pflicht, über etwaige Gefährdungsumstände ungefragt Auskunft zu geben.
Zum Schluss eine Frage, die strategisch denkende Unternehmer bewegen könnte: Welche Chancen bietet die Sondersituation einer Pandemie, um grundlegende Restrukturierungen anzugehen?
Eine Sondersituation wie die aktuelle schließt Restrukturierungen nicht aus, sondern macht sie gerade erst dringlich: Teile der Belegschaft werden nicht mehr arbeiten können, oder immer wieder mal nicht arbeiten können. So wird das noch über zwei Jahre mindestens gehen, und dazu kommen noch die Fragen des Geschäftsmodells mit enormer Wucht hinzu. Unternehmen, die schon vor der Krise Probleme hatten, werden diese auch hinterher haben, womöglich verschärft. Andere werden Probleme bekommen, weil sich das Kundenverhalten ändern wird, wie eben Reiseanbieter oder Hotels. Also müssen sich alle Arbeitgeber schon jetzt, weil die Beratungs- und Kündigungsfristen so lange sind, die Frage stellen: Wie kommen wir da wieder raus? Und mit wem und an welchen Standorten? Das wird bereits jetzt erforderlich und die Herausforderung ist gewaltig. Das sieht auch die Bundesregierung: Daher werden die Hilfen bis Ende des Jahres aufrechterhalten, weil viele Unternehmen dann erkennen: Uns braucht es nicht mehr!
Burkard Göpfert ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei Kliemt Arbeitsrecht in München. Er berät vorwiegend in komplexen Transformations-, Integrations- und Umstrukturierungsprojekten sowie bei der Harmonisierung von Arbeitsbedingungen. Er ist Autor und (Mit-)Herausgeber zahlreicher Fachbücher zu den Themen Umstrukturierung und Arbeitsrecht sowie Lehrbeauftragter an der Universität Passau und leitet seit über 10 Jahren die Jahrestagung „Restrukturierung“ des Handelsblatts. Burkard Göpfert ist u. a. Mitherausgeber der ZIP. |
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