BAG: Zur Initiativlast des Arbeitnehmers bei tariflichem Mehrurlaub
BAG, Urteil vom 25.8.2020 – 9 AZR 214/19
ECLI:DE:BAG:2020:250820.U.9AZR214.19.0
BB-Online BBL2021-179-1
Amtlicher Leitsatz
Befristet ein Tarifvertrag den Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub eigen-ständig und verlangt er zudem, dass der Arbeitnehmer den Mehrurlaub zur Meidung seines Verfalls vor einem bestimmten Termin geltend zu machen hat, trägt - abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG - regelmäßig nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer die Initiativlast für die Verwirklichung des Mehrurlaubsanspruchs.
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger der tarifliche Mehrurlaub aus dem Jahr 2016 noch zusteht.
Der Kläger ist seit 1983 bei der Beklagten beschäftigt. Der zwischen dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V., Bonn und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Hauptvorstand, Hamburg geschlossene Bundesmanteltarifvertrag für die Angestellten, gewerblichen Arbeitnehmer und Auszubildenden in der Süßwarenindustrie vom 1. Februar 2005 (im Folgenden BMTV), der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung findet, regelt in den für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassungen ua.:
„§ 12 Urlaub
Den Arbeitnehmern steht in jedem Urlaubsjahr ein Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen zu. Sie gelten, soweit nicht in gesetzlichen Vorschriften zwingend andere Regelungen enthalten sind.
I. Urlaubsanspruch und Urlaubsdauer
A. Urlaub für ständig beschäftigte Arbeitnehmer
1. Der Anspruch auf den vollen Jahresurlaub kann erstmalig nach einer ununterbrochenen sechsmonatigen Betriebszugehörigkeit (Wartezeit) geltend gemacht werden.
2. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
Das erste Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr, in dem die Wartezeit erfüllt ist.
…
9. Die Dauer des Urlaubs beträgt für alle Arbeitnehmer 30 Tage.
…
IV. Allgemeines
1. Der Urlaub soll zusammenhängend nach Möglichkeit in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober gewährt werden.
Soweit zwingende betriebliche Gründe dem entgegenstehen, kann eine abweichende Regelung unter Mitbestimmung des Betriebsrates und Beachtung des Bundesurlaubsgesetzes getroffen werden. Der Urlaubsplan wird im Einverständnis mit dem Betriebsrat aufgestellt.
Der Zeitpunkt des Urlaubsantritts des einzelnen Arbeitnehmers wird vom Arbeitgeber nach Maßgabe des Betriebsverfassungsgesetzes nach den Betriebsnotwendigkeiten unter weitestmöglicher Berücksichtigung der Wünsche der Beschäftigten festgelegt. Der Arbeitgeber ist berechtigt, im Einverständnis mit dem Betriebsrat den Urlaub für den gesamten Betrieb oder für Betriebsabteilungen geschlossen zu gewähren.
…
3. Der Urlaubsanspruch erlischt am 31. März des folgenden Kalenderjahres, sofern er nicht vorher vergeblich geltend gemacht worden ist.
4. Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden, sofern die Krankheit durch ärztliches Zeugnis nachgewiesen wird, die Krankheitstage nicht auf den Urlaub angerechnet.
Der Arbeitnehmer hat sich jedoch nach terminmäßigem Ablauf seines Urlaubs oder, falls die Krankheit länger dauert, nach Beendigung der Krankheit dem Betrieb zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen.
…
§ 14 Ausschlussfrist
Gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten seit Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Der Lauf der Ausschlussfrist ist in Fällen der Erkrankung des Arbeitnehmers gehemmt bis zum Tag seiner Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.“
Vom 19. Januar 2016 bis zum 2. Juni 2017 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Am 25. August 2017 beantragte er Urlaub. Die Beklagte teilte ihm daraufhin am 28. August 2017 mit, aus dem Jahr 2016 seien ihm 20 Arbeitstage gesetzlichen Mindesturlaubs verblieben, während 10 Arbeitstage tariflichen Mehrurlaubs zum 31. März 2017 verfallen seien.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, § 12 IV Ziffer 3 BMTV sei entsprechend § 7 BUrlG unionsrechtskonform auszulegen. Danach bestehe sein Mehrurlaubsanspruch fort, weil es ihm wegen Krankheit nicht möglich gewesen sei, den Urlaub zu nehmen, und die Beklagte ihn weder aufgefordert habe, den Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen habe, dass nicht beantragter Urlaub verfallen könne. Er begehre die Feststellung seiner Urlaubsansprüche unabhängig davon, ob diese als Primäranspruch oder Ersatzurlaubsanspruch bestünden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass er für das Jahr 2016 einen Ersatzurlaubsanspruch in Höhe von 10 Tagen hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der tarifliche Mehrurlaub des Klägers für das Jahr 2016 sei mit Ablauf des 31. März 2017 ersatzlos verfallen. Die Tarifvertragsparteien hätten in § 12 BMTV, wie § 12 Satz 2 Eingangsabsatz BMTV und § 12 IV Ziffer 3 BMTV verdeutlichten, für den tariflichen Urlaubsanspruch ein vollständig eigenständiges Urlaubsregime geschaffen, das von den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abweiche. Eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 12 IV Ziffer 3 BMTV komme deshalb nicht in Betracht.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Aus den Gründen
8 Die Revision hat keinen Erfolg. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen aus dem Jahr 2016 keine (restlichen) Urlaubsansprüche oder Ersatzurlaubsansprüche zu.
9 A. Die Klage ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Der Kläger hat ein besonderes Interesse an der von ihm begehrten Feststellung, weil die Beklagte den von ihm behaupteten Anspruch auf (Ersatz-)Urlaub bestreitet (vgl. BAG 5. August 2014 - 9 AZR 77/13 - Rn. 11 ff.; 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 11 f., BAGE 137, 328).
10 B. Die Klage ist unbegründet.
11 I. Der Senat kann ohne Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. hierzu BAG 15. April 2015 - 4 AZR 796/13 - Rn. 21 mwN, BAGE 151, 235) über den Bestand des primären Mehrurlaubsanspruchs aus dem Jahr 2016 entscheiden. Der Kläger hat ausweislich der Klagebegründung, die bei der Auslegung des Klageantrags zu berücksichtigen ist (vgl. BAG 5. August 2014 - 9 AZR 77/13 - Rn. 12), bereits in den Vorinstanzen im Rahmen des zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalts die Feststellung des Urlaubsanspruchs unabhängig davon verlangt, auf welcher Anspruchsgrundlage dieser ggf. noch besteht. Er hat den Klageantrag durchgängig auf die von ihm vertretene Rechtsansicht gestützt, der Mehrurlaub habe nicht verfallen können, weil § 12 IV Ziffer 3 BMTV entsprechend § 7 BUrlG unionsrechtskonform auszulegen sei. Soweit sich der im Berufungsverfahren auf Anregung des Gerichts gestellte Klageantrag auf Ersatzurlaub bezieht, handelt es sich um eine Bewertung der Rechtsfolgen, die sich aus dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt ergeben (vgl. BAG 24. September 2019 - 9 AZR 481/18 - Rn. 10 ff.).
12 II. Dem Kläger steht der tarifliche Mehrurlaub aus dem Jahr 2016 nicht mehr zu.
13 1. Der BMTV findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) Anwendung. Der Kläger erwarb zu Beginn des Jahres 2016 einen tariflichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen (§ 12 I A Ziffer 1, Ziffer 2 und Ziffer 9 BMTV), der den gesetzlichen Urlaubsanspruch einschloss (§§ 1, 3, 4 BUrlG). Der Urlaubsanspruch ist, soweit er über den Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub hinausging, nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Dies steht zwischen den Parteien außer Streit.
14 2. Der tarifliche Mehrurlaub des Klägers für das Jahr 2016 ist gemäß § 12 IV Ziffer 3 BMTV verfallen, weil der Kläger dessen Gewährung erstmals nach dem 31. März 2017 verlangt hat. Die zwischen dem 19. Januar 2016 und dem 2. Juni 2017 durchgehend bestehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers stand allein dem Erlöschen seines Anspruchs auf gesetzlichen Mindesturlaub aus dem Jahr 2016 entgegen. Der Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub ist selbst dann gemäß § 12 IV Ziffer 3 BMTV erloschen, wenn zugunsten des Klägers unterstellt wird, die Beklagte habe den Kläger weder aufgefordert, den Mehrurlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht geltend gemachter Mehrurlaub mit Ablauf des 31. März 2017 verfallen kann.
15 a) Gemäß § 12 IV Ziffer 3 BMTV erlischt der Urlaubsanspruch am 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres, sofern er nicht vorher vergeblich geltend gemacht worden ist. Entgegen der Ansicht des Klägers unterliegt danach der Verfall des tariflichen Mehrurlaubs nicht dem gleichen Fristenregime wie der des gesetzlichen Mindesturlaubs. Dies ergibt die Auslegung der Tarifbestimmung.
16 aa) § 7 Abs. 3 BUrlG ist unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer - wie der Kläger - bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und es ihm deshalb nicht möglich ist, den Urlaub zu nehmen. Der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch tritt in diesem Fall zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und ist damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Er kann, ohne Verstoß gegen das Unionsrecht, bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit frühestens 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen (vgl. grundl. EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 28, 38, 44; bestätigt durch EuGH 29. November 2017 - C-214/16 - [King] Rn. 55 ff. und zuletzt 25. Juni 2020 - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.; BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - Rn. 23, 32 ff., BAGE 142, 371; vgl. auch 16. Oktober 2012 - 9 AZR 63/11 - Rn. 9; 18. März 2014 - 9 AZR 669/12 - Rn. 14). Besteht die Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres fort, liegen besondere Umstände vor, die die Befristung des Urlaubsanspruchs zum Schutz eines überwiegenden Interesses des Arbeitgebers vor dem unbegrenzten Ansammeln von Urlaubsansprüchen rechtfertigen, obwohl es dem erkrankten Arbeitnehmer nicht möglich war, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen (EuGH 25. Juni 2020 - C-762/18 und C-37/19 - [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 71 ff.). Ein Zeitraum von 15 Monaten, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, entspricht nach der Feststellung des Gerichtshofs der europäischen Union unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Anforderungen der Richtlinie 2003/88/EG und läuft dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht zuwider, weil er dessen positive Wirkung für den Arbeitnehmer als Erholungszeit gewährleistet (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 43; BAG 7. Juli 2020 - 9 AZR 401/19 (A) - Rn. 31).
17 bb) Wäre § 12 IV Ziffer 3 BMTV entsprechend § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform auszulegen, bliebe der durch § 12 I A Ziffer 1, Ziffer 2 und Ziffer 9 BMTV begründete Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub, wenn er infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht genommen werden konnte, über den 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres hinaus erhalten und unterläge dem für dieses Urlaubsjahr geltenden Fristenregime. Sein Erlöschen wäre regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer - wie der Kläger - die Gewährung des Mehrurlaubs nach seiner Wiedergenesung vor dem 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres verlangt.
18 cc) Der BMTV regelt jedoch die Befristung des tariflichen Anspruchs auf Mehrurlaub abweichend vom Bundesurlaubsgesetz. Eine den gesetzlichen Bestimmungen entsprechende unionsrechtskonforme Auslegung von § 12 IV Ziffer 3 BMTV kommt deshalb nicht in Betracht.
19 (1) Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt (vgl. BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 541/15 - Rn. 35 mwN). Für einen vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien müssen deutliche Anhaltspunkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen (vgl. BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 541/15 - Rn. 36). Der eigenständige, dem Gleichlauf der Urlaubsansprüche entgegenstehende Regelungswille muss sich auf den jeweils in Rede stehenden Regelungsgegenstand beziehen. Es genügt nicht, wenn in einem Tarifvertrag von Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes abgewichen wird, die mit den im Streit stehenden Regelungen nicht in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 22. Januar 2019 - 9 AZR 149/17 - Rn. 28). Ein Gleichlauf mit der Befristung des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG ist danach nicht gewollt, wenn die Tarifvertragsparteien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Vereinbarungen getroffen haben (BAG 14. Februar 2017 - 9 AZR 386/16 - Rn. 15; 15. Dezember 2015 - 9 AZR 747/14 - Rn. 14; 22. Mai 2012 - 9 AZR 575/10 - Rn. 12).
20 (2) Ausgehend von diesen Grundsätzen weicht die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs vom Bundesurlaubsgesetz ab. Der Tarifvertrag enthält ein eigenständiges, vom BUrlG abweichendes Fristenregime, nach dem tariflicher Mehrurlaub nach Maßgabe von § 12 IV Ziffer 3 BMTV auch bei fortbestehender Krankheit des Arbeitnehmers gemäß drei Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt.
21 (a) Ein von § 7 Abs. 3 BUrlG abweichender Regelungswille kommt bereits im Wortlaut von § 12 BMTV deutlich zum Ausdruck. Nach § 12 IV Ziffer 3 BMTV erlischt der Anspruch auf Urlaub am 31. März des folgenden Kalenderjahres, sofern er nicht vorher vergeblich geltend gemacht worden ist. Dies dokumentiert den Willen der Tarifvertragsparteien, der Arbeitnehmer könne seinen Urlaub ohne besondere Gründe und ohne die Notwendigkeit der Übertragung vom 1. Januar eines Kalenderjahres bis zum 31. März des Folgejahres geltend machen. Der Urlaubsanspruch kann abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG erstmals mit Ablauf des 31. März des Folgejahres erlöschen. Das ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, eine wesentliche Abweichung von § 7 Abs. 3 Satz 1 bis 3 BUrlG, mit der sich der Tarifvertrag von dem Fristenregime der gesetzlichen Regelung löst. Nach dem Bundesurlaubsgesetz geht der nicht genommene Urlaub grundsätzlich am 31. Dezember des Urlaubsjahres unter und verfällt nur bei Vorliegen der gesetzlichen Übertragungsgründe erst am 31. März des Folgejahres. Die tarifliche Regelung unterscheidet sich somit einerseits dadurch, dass der Urlaubsanspruch ohne Übertragungsnotwendigkeit - und damit auch ohne Übertragungsvoraussetzungen - zumindest bis zum 31. März des Folgejahres besteht und genommen werden kann, und zudem sein Erlöschen bei rechtzeitiger Geltendmachung ausgeschlossen ist. Andererseits wird deutlich, dass noch offener Urlaub, sofern sich aus § 12 Satz 2 Eingangsabsatz BMTV nichts Abweichendes ergibt, bei fehlender Geltendmachung ausnahmslos, dh. auch bei Erkrankung des Arbeitnehmers, am 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verfallen soll.
22 (b) Die Tarifsystematik bestätigt diese Auslegung des § 12 IV Ziffer 3 BMTV. Die tariflichen Urlaubsbestimmungen gelten nach § 12 Satz 2 Eingangsabsatz BMTV nur, soweit nicht in gesetzlichen Vorschriften zwingend andere Regelungen enthalten sind. Die Tarifvertragsparteien haben mit dieser Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 12 BMTV dem unabdingbaren Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs (§§ 1, 3 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG) Rechnung getragen, zugleich aber ihre Absicht dokumentiert, den tariflichen Urlaubsanspruch im Rahmen des gesetzlich Zulässigen eigenständig und unabhängig vom Bundesurlaubsgesetz zu regeln. Gleichzeitig haben die Tarifvertragsparteien erkannt, dass die Erkrankung eines Arbeitnehmers der Wahrung (tariflicher) Rechte entgegenstehen kann. Die tarifliche Ausschlussfrist, die mit § 14 Satz 1 BMTV grundsätzlich die schriftliche Geltendmachung aller Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten seit Fälligkeit verlangt, ist gemäß § 14 Satz 2 BMTV in Fällen der Erkrankung des Arbeitnehmers bis zum Tag der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gehemmt. Wäre es die Absicht der Tarifvertragsparteien gewesen, ein Erlöschen des Mehrurlaubs entsprechend § 7 Abs. 3 BUrlG auszuschließen, wenn es dem Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht möglich war, den Mehrurlaub innerhalb der im Tarifvertrag vorgesehenen Frist zu nehmen, hätte es nahegelegen, in § 12 IV Ziffer 3 BMTV, wie in § 14 Satz 2 BMTV geschehen, eine Ausnahme für diese Fälle vorzusehen. Eine solche Ausnahme sieht der BMTV jedoch nicht vor. Nach den tariflichen Bestimmungen hat der Arbeitnehmer, auch wenn er über den 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Urlaubsjahres hinaus ununterbrochen arbeitsunfähig ist, das Risiko zu tragen, dass der Mehrurlaub verfällt, wenn er nicht rechtzeitig geltend gemacht wurde.
23 b) Die Befristung des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub nach § 12 IV Ziffer 3 BMTV ist nicht von der Erfüllung der für den gesetzlichen Mindesturlaub bestehenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten des Arbeitgebers abhängig.
24 aa) Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) erlischt bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Bei einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus in richtlinienkonformer Auslegung abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes des § 7 Abs. 3 BUrlG (st. Rspr. grundl. BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 21 ff., BAGE 165, 376). Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt danach regelmäßig voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 39 ff., BAGE 165, 376).
25 bb) Eine Auslegung von § 12 BMTV, die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs nach § 12 IV Ziffer 3 BMTV setze voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und darauf hingewiesen hat, dass nicht verlangter Urlaub verfallen kann, scheidet aus.
26 (1) Vom BUrlG abweichende tarifliche Regelungen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs schließen für sich betrachtet die Auslegung eines Tarifvertrags nicht aus, die Befristung des Mehrurlaubsanspruchs setze, wie § 7 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaub, die Erfüllung von Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraus (vgl. BAG 26. Mai 2020 - 9 AZR 259/19 - Rn. 26). Ob die tarifliche Regelung dem Arbeitgeber entsprechend § 7 BUrlG Mitwirkungsobliegenheiten auferlegt, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung der jeweiligen tariflichen Bestimmungen nach den bei der Auslegung von Tarifverträgen anzuwendenden allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (vgl. etwa BAG 19. Februar 2020 - 5 AZR 179/18 - Rn. 16; 19. Juni 2018 - 9 AZR 564/17 - Rn. 17) zu ermitteln. Unterscheidet ein Tarifvertrag zwischen dem gesetzlichen und tariflichen Urlaubsanspruch und verlangt zudem im Rahmen eines vom Bundesurlaubsgesetz abweichenden Fristenregimes vom Arbeitnehmer, den tariflichen Mehrurlaub zur Meidung seines Verfalls vor einem im Tarifvertrag bestimmten Termin geltend zu machen, trägt - abweichend von den Vorgaben des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch - regelmäßig nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer die Initiativlast für die Verwirklichung des Mehrurlaubsanspruchs. In diesem Fall scheidet eine richtlinienkonforme Auslegung des Tarifvertrags aus, die Befristung des tariflichen Mehrurlaubs setze, wie die des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 7 Abs. 3 BUrlG, voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und darauf hingewiesen hat, dass nicht verlangter Urlaub verfallen kann.
27 (2) Mit § 12 BMTV haben die Tarifvertragsparteien dem Arbeitgeber keine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten auferlegt, die denen des BUrlG entsprechen.
28 (a) Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von § 12 IV Ziffer 3 BMTV. Während der Arbeitnehmer, der im betreffenden Bezugszeitraum keinen Antrag auf Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs gestellt hat, in richtlinienkonformer Auslegung von § 7 BUrlG den Anspruch am Ende des Bezugszeitraums oder des Übertragungszeitraums bei Nichterfüllung der Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber nicht automatisch verlieren kann (vgl. EuGH 6. November 2018 - C-684/16 - [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 40 ff.; BAG 19. Februar 2019 - 9 AZR 423/16 - Rn. 39 ff., BAGE 165, 376), bestimmt § 12 IV Ziffer 3 BMTV abweichend von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ausdrücklich, dass der Urlaubsanspruch am 31. März des folgenden Kalenderjahres erlischt, sofern er nicht vorher vergeblich geltend gemacht worden ist. § 12 IV Ziffer 3 BMTV weist damit abweichend von den Vorgaben des § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG für den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch dem Arbeitnehmer die Initiativlast für die Verwirklichung des Mehrurlaubsanspruchs zu.
29 (b) Für ein vom Wortlaut des § 12 IV Ziffer 3 BMTV abweichendes Verständnis ergeben sich im BMTV keine Anhaltspunkte. § 12 IV Ziffer 1 BMTV weist die zeitliche Festlegung des Urlaubs unter Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Vorgaben dem Arbeitgeber zu. In Zusammenschau mit der durch § 12 IV Ziffer 3 BMTV begründeten Obliegenheit des Arbeitnehmers, den Urlaub zur Meidung seines Verfalls vor dem 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres geltend zu machen, beschränkt sich der Regelungsgehalt von § 12 IV Ziffer 1 BMTV, wie der von § 12 IV Ziffer 4 Abs. 2 BMTV, auf die Ausgestaltung des Verfahrens der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub im Übrigen und darauf, ein Selbstbeurlaubungsrecht des Arbeitnehmers auszuschließen.
30 III. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Gewährung von Ersatzurlaub im Umfang von 10 Arbeitstagen. Ein Anspruch auf Ersatzurlaub als Schadensersatz wegen Verzugs des Arbeitgebers gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1 Satz 1, § 287 Satz 2 und § 249 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 19. März 2019 - 9 AZR 406/17 - Rn. 42, BAGE 166, 176) kommt nur in Betracht, wenn der Urlaubsanspruch erlischt, weil der Arbeitgeber rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt (vgl. BAG 16. Mai 2017 - 9 AZR 572/16 - Rn. 12, BAGE 159, 106). Der Anspruch des Klägers auf tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2016 ist jedoch, wie unter II ausgeführt, gemäß § 12 IV Ziffer 3 BMTV erloschen, weil der Kläger den Urlaub nicht rechtzeitig vor dem 31. März des auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres geltend gemacht hat, sodass Ansprüche aus Verzug ausscheiden. Unbeschadet dessen besteht für einen Anspruch auf Ersatzurlaub für verfallenen Mehrurlaub nach den Regelungen des BMTV kein Raum, weil § 12 IV Ziffer 3 BMTV das Erlöschen des tariflichen Urlaubsanspruchs als Primäranspruch bei rechtzeitiger Geltendmachung ausschließt.
31 C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.