BAG: Zeiterfassung freigestellter Betriebsratsmitglieder
BAG, Beschluss vom 10.7.2013 - 7 ABR 22/12
Sachverhalt
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellten Mitglieder des zu 1. beteiligten Betriebsrats ihre Betriebsanwesenheitszeiten elektronisch nach der „Betriebsvereinbarung für das Bodenpersonal München Zeitdatenmanagementsystem (ZDMS) TARIS" vom 7. November 2000 (künftig: BV TARIS) erfassen dürfen.
Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin, eine Luftfahrtgesellschaft, beschäftigt in M am Boden ca. 1.900 Arbeitnehmer. Dort ist der 17-köpfige Betriebsrat gebildet. Alle Betriebsratsmitglieder unterfallen dem bei der Arbeitgeberin geltenden „Manteltarifvertrag Nr. 14 für das Bodenpersonal" vom 1. Oktober 1992 in der Fassung vom 1. Januar 2007. Für tarifliche Arbeitnehmer existieren am Standort M drei Arbeitszeitmodelle: Gleitende Arbeitszeit, Arbeitszeit nach Schicht- oder Dienstplänen sowie Vertrauensarbeitszeit. Für Vertrauensarbeitszeit gilt die „Betriebsvereinbarung Vertrauensarbeitszeit" vom 9. Dezember 2010 (künftig: BV Vertrauensarbeitszeit). Nach § 2 Abs. 1 BV Vertrauensarbeitszeit ist eine Teilnahme an der Vertrauensarbeitszeit „für den Mitarbeiter freiwillig". Soweit Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit sind, finden nach § 1 Abs. 2 BV Vertrauensarbeitszeit betriebliche Regelungen zur Zeitdokumentation und -bewertung keine Anwendung.
Im Übrigen gilt aufgrund eines Spruchs der Einigungsstelle vom 19. Januar 1998 bei der Arbeitgeberin eine Rahmenbetriebsvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat zur Einführung eines Zeitdatenmanagementsystems. Am Standort M besteht in Umsetzung dieser Rahmenbetriebsvereinbarung seit November 2000 das elektronische Zeiterfassungssystem TARIS. Grundlage dafür ist die BV TARIS, die auszugsweise wie folgt lautet:
„§ 1 Geltungsbereich
Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle BodenmitarbeiterInnen der D L AG in MUC, soweit sie in Gleitender Arbeitszeit, nach Schicht- oder Dienstplänen oder nach flexiblen Arbeitszeitsystemen arbeiten.
§ 2 Zweckbestimmung
Das Zeitdatenmanagementsystem dient dazu, arbeitszeitrelevante An- und Abwesenheitsdaten zu erfassen, diese nach steuerlichen, tarifvertraglichen und sonstigen L-Regeln zu bewerten und zum Zwecke der Vergütungsabrechnung an das Abrechnungssystem zu übergeben.
Darüber hinaus unterstützt das Zeitdatenmanagement durch definierte Auswertungen bei der Information der Mitarbeiter über ihre Arbeitszeitdaten, der Ermittlung bestimmter mitbestimmungsrelevanter und fest definierter und vereinbarter personalwirtschaftlicher Daten, der Einhaltung und Anwendung gesetzlicher, tariflicher und sonstiger L-Regeln sowie der Erfüllung gesetzlicher Pflichten zur Buchhaltung.
Es soll darüber hinaus die technischen und organisatorischen Grundlagen für die Administration flexibler Arbeitszeitsysteme, wie Jahresarbeitszeit, ermöglichen.
§ 6 Erfasste Zeitpunkte
Es werden die Zeitpunkte „Kommt" und „Geht" erfasst.
§ 10 Information an die MitarbeiterInnen
Die MitarbeiterInnen erhalten die Möglichkeit, an den Zeiterfassungsgeräten ihre persönlichen Arbeitszeitdaten abzurufen, z. B. Zeitkonten- und Urlaubsstände, sowie ihre Zeitbuchungen der Vortage.
Die MitarbeiterInnen erhalten nach Abschluss des Monats auf Wunsch eine Monatsübersicht über die Zeitdaten des Vormonats.
Die Zeitdatenbeauftragten stehen den MitarbeiterInnen für Rückfragen und Informationen bezüglich der Zeiterfassung zur Verfügung.
Vier Mitglieder des Betriebsrats sind vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt. Vor ihrer Freistellung arbeiteten sie in gleitender Arbeitszeit oder nach Schicht- und Dienstplänen. Demgemäß erfassten sie ihre Arbeitszeit nach der BV TARIS. In seiner konstituierenden Sitzung am 7. April 2010 beschloss der Betriebsrat, dass alle freigestellten Betriebsratsmitglieder ab Beginn der neuen Amtsperiode, dem 29. April 2010, an der TARIS-Zeitdatenerfassung mit „Kommt"- und „Geht"-Buchung teilnehmen. Die Arbeitgeberin teilte in der Folgezeit den vier freigestellten Betriebsratsmitgliedern mit, sie verzichte während der beruflichen Freistellung auf die Arbeitszeiterfassung nach TARIS.
Dagegen wendet sich der Betriebsrat mit dem vorliegenden Verfahren. Er hat die Auffassung vertreten, das Recht der freigestellten Betriebsratsmitglieder auf Teilnahme an der elektronischen Zeiterfassung nach der BV TARIS folge aus dieser Betriebsvereinbarung. Die mit dieser Betriebsvereinbarung verfolgten Zwecke träfen auch auf vollständig freigestellte Betriebsratsmitglieder zu.
Der Betriebsrat hat sinngemäß beantragt:
Die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2. wird verpflichtet, die nach § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieder des Betriebs M während der Zeit ihrer beruflichen Freistellung gemäß der BV TARIS an der elektronischen Zeiterfassung nach dieser Betriebsvereinbarung teilnehmen zu lassen und dort ihre „Kommt"- und „Geht"-Zeitpunkte erfassen zu lassen, soweit diese Betriebsratsmitglieder nicht freiwillig an der Vertrauensarbeitszeit gemäß der BV Vertrauensarbeitszeit teilnehmen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, Betriebsratsmitglieder würden nicht von der BV TARIS erfasst. Sie arbeiteten nicht im Sinne dieser Betriebsvereinbarung.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Betriebsrats stattgegeben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde beantragt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen, den Antrag abweisenden Entscheidung. Der Betriebsrat begehrt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Aus den Gründen
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B. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben.
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I. Wie der Betriebsrat in der Anhörung vor dem Senat klargestellt hat, ist sein Antrag als Feststellungsantrag auszulegen. So ist auch der Entscheidungsausspruch des Landesarbeitsgerichts zu verstehen. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er bestimmt genug. Dem Betriebsrat steht auch eine Antragsbefugnis zur Seite.
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1. Der Antrag ist bestimmt genug.
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§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verlangt in gerichtlichen Verfahren einen bestimmten Antrag. Diese Regelung ist auch in Beschlussverfahren entsprechend anzuwenden (BAG 12. August 2009 - 7 ABR 15/08 - Rn. 12, BAGE 131, 316). An die Bestimmtheit eines Feststellungsantrags sind grundsätzlich keine geringeren Anforderungen zu stellen als an die eines Leistungsantrags (BAG 22. Oktober 2008 - 4 AZR 735/07 - Rn. 53). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass ein Leistungsantrag - bereits aus rechtsstaatlichen Gründen - eindeutig erkennen lassen muss, was vom Schuldner verlangt wird. Sollen dem Schuldner hinsichtlich einzelner Handlungen Verpflichtungen auferlegt werden, müssen diese so genau bestimmt sein, dass kein Zweifel besteht, welche Handlungen im Einzelnen gemeint sind. Für den Schuldner muss aufgrund des Leistungstitels erkennbar sein, wie er sich rechtmäßig verhalten kann (vgl. BAG 17. März 2010 - 7 ABR 95/08 - Rn. 13, BAGE 133, 342 für einen Unterlassungsantrag). Für die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags reicht es dagegen, wenn der Streitgegenstand und der Umfang der gerichtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis so klar umrissen sind, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann und keine Unklarheiten über den Umfang der Rechtskraft bestehen (BAG 14. Dezember 2011 - 4 AZR 242/10 - Rn. 19). Entscheidend ist dabei, ob in einem möglichen Folgeprozess mit hinreichender Deutlichkeit klar wird, was aufgrund des Feststellungsantrags entschieden ist und was nicht. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Mit einem Erfolg des Antrags stünde rechtskräftig fest, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, Betriebsratsmitgliedern wie anderen Arbeitnehmern den Zugang zur Zeiterfassung nach dem System TARIS zu ermöglichen.
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2. Der Betriebsrat hat für diesen Antrag auch die Antragsbefugnis.
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Voraussetzung der Antragsbefugnis im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist grundsätzlich, dass der Antragsteller eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte behauptet. Dem Betriebsrat fehlt die Antragsbefugnis in der Regel, wenn er ausschließlich Rechte der Arbeitnehmer reklamiert. Verlangt der Betriebsrat jedoch die Durchführung einer Betriebsvereinbarung, geht es nicht ausschließlich um Rechte der Arbeitnehmer, sondern um seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition im Verhältnis zum Arbeitgeber, nämlich den Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung. Ob der Durchführungsanspruch tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags (vgl. nur BAG 5. Oktober 2010 - 1 ABR 20/09 - Rn. 13 f., BAGE 135, 382).
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II. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, in Durchführung der BV TARIS auch den vollständig von der beruflichen Tätigkeit freigestellten Mitgliedern des Betriebsrats die Teilnahme am Arbeitszeiterfassungssystem nach dieser Betriebsvereinbarung zu ermöglichen, soweit sie nicht freiwillig an der Vertrauensarbeitszeit gemäß BV Vertrauensarbeitszeit teilnehmen.
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1. Aufgrund des für die freigestellten Betriebsratsmitglieder im Arbeitsverhältnis anwendbaren Arbeitszeitmodells sind diese entweder in gleitender Arbeitszeit tätig oder arbeiten nach Schicht- oder Dienstplänen. Damit findet auf sie nach ihrem § 1 die BV TARIS Anwendung, denn diese gilt für Arbeitnehmer, die in gleitender Arbeitszeit oder nach Schichten oder Dienstplänen arbeiten. Die freigestellten Betriebsratsmitglieder unterfallen deshalb den in der BV TARIS enthaltenen Regelungen über die Arbeitszeiterfassung, insbesondere § 6, wonach die „Kommt"- und „Geht"-Zeitpunkte erfasst werden. Etwas anderes gilt nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 1 BV Vertrauensarbeitszeit nur bei - freiwilliger - Teilnahme an der Vertrauensarbeitszeit.
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2. Dadurch, dass die Betriebsratsmitglieder nach § 38 Abs. 1 BetrVG vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt sind, ändert sich nichts. Die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der freigestellten Betriebsratsmitglieder erfordert nicht, dass sie von den Regelungen der auf ihr Arbeitsverhältnis anwendbaren BV TARIS nicht mehr erfasst werden.
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a) Betriebsratstätigkeit ist ehrenamtlich (§ 37 Abs. 1 BetrVG). Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist (§ 37 Abs. 2 BetrVG). Nach § 38 Abs. 1 BetrVG sind im dort genannten Umfange Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit freizustellen. Zweck dieser Vorschrift ist es, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der notwendigen Arbeitsbefreiung zu vermeiden. Das Gesetz geht dabei davon aus, dass bei einer bestimmten Betriebsgröße die in § 38 BetrVG festgelegte Mindestzahl von Freistellungen erforderlich ist, damit die Betriebsratstätigkeit ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Im Übrigen enthält aber § 37 Abs. 2 BetrVG die Grundregel für die Entgeltfortzahlung, nach der sowohl freigestellte wie auch nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder zu behandeln sind. Die generelle Freistellung von der beruflichen Tätigkeit gemäß § 38 Abs. 1 BetrVG hat denselben Zweck wie die zeitweilige Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG. Beide Freistellungen sollen ausschließlich die sachgerechte Wahrnehmung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben sicherstellen (BAG 19. Mai 1983 - 6 AZR 290/81 - zu 2 der Gründe, BAGE 42, 405).
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b) Für die Dauer der Freistellung besteht daher keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Anstelle der Arbeitspflicht tritt jedoch die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Das ist gesetzliche Rechtsfolge der Freistellung (BAG 28. August 1991 - 7 ABR 46/90 - zu B II 3 a der Gründe, BAGE 68, 224; 13. Juni 2007 - 7 ABR 62/06 - Rn. 14). Soweit ein Betriebsratsmitglied nicht in diesem Sinne im Umfange seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit erbringt, kann dies zu Abzügen vom Arbeitsentgelt führen, weil die Freistellung nicht für Betriebsratstätigkeit genutzt wurde und deshalb der Anspruch auf Leistung von Arbeitsentgelt ohne berufliche Arbeitsleistung entfällt (vgl. BAG 19. Mai 1983 - 6 AZR 290/81 - BAGE 42, 405).
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c) Daher gibt es keinen Grund, von der beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von der in der BV TARIS geregelten Zeiterfassung auszunehmen. Sie haben ebenso wie Arbeitnehmer, die beruflich tätig sind, ein Interesse daran, ihre Anwesenheit im Betrieb zu dokumentieren. Der in § 2 BV TARIS bestimmte Zweck der Betriebsvereinbarung, An- und Abwesenheitsdaten zu erfassen und diese nach einschlägigen Regeln ua. zum Zweck der Vergütungsabrechnung an das Abrechnungssystem zu übergeben, trifft auch auf freigestellte Betriebsratsmitglieder weiter zu.